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Tränen, Tugend und Religion – August Hermann Niemeyer als Leser von Klopstock

Vortrag von Dr. Christian Soboth, Halle

Auch August Hermann Niemeyer, 1754 geboren, 1828 verstorben, Urenkel und als Direktor der Glauchaschen Anstalten Nachfolger August Hermann Franckes, war ein Leser Klopstocks, „[a]uf dessen hohes, unerreichtes Lied/ Dem Knabenauge schon die Trän‘ entfloß“, wie 1778 die Widmung von Niemeyers Gedichten formuliert. Ob nach des Knabenauge auch noch des Mannesauge Tränen entflossen sind, sei der bescheidene Gegenstand der folgenden Überlegungen. Die schlichte Frage, deren Beantwortung wegen der Fülle des Materials lückenhaft ausfallen wird, lautet: Was macht Niemeyer mit sich, indem er mit Klopstock und mit dessen Werk umgeht? Sind die bei Niemeyer für die Jahrzehnte von 1770 bis 1800 manifesten Klopstock-Spuren lesbar als Zeugnisse einer Identitätsmodellierung im Zeichen fortdauernder Verehrung?

Die Geschichte der Klopstock-, vor allem der Messias-Lektüren ist auch eine Geschichte von Kuriositäten und Peinlichkeiten: Lessing überfiel feierliches Gähnen; Moritz, in der romanesken Brechung des Anton Reiser, litt während der Lesung des Messias unter einer entsetzlichen, beklemmenden „Leerheit der Seele“. Goethes Mutter dagegen ging mit Freundinnen, zu denen auch Susanna Katharina von Klettenberg gehörte, zu Ostern in Klausur, um den Messias zu meditieren. Enthusiasten verehrten Klopstocks Mutter als eine heilige Frau und feierten mit dem Tod Christi und dem Beginn der Messias-Niederschrift die zwei bedeutendsten Tage der Geschichte der Christenheit, und schließlich äußerte ein Fan, was Herder in Rage brachte, dass die Christen Klopstock anzubeten hätten, wenn es nicht Christus gäbe.

Wirkungsgeschichtlich bemerkenswert ist, dass neben faktischen auch fiktive Klopstock-Lektüren stehen: Lotte und Werther, wenn nicht die berühmtesten Klopstock-Leser, so doch berühmtesten Klopstock-Sager, brechen bei Nennung des heiligen Namens in Tränen aus, auf das stimmigste begleitet von einem heftigen Sommergewitter mit starkem Regenfall.

Klopstock war ein rechter Wundermann, er verwandelte (Wein-)Wasser in Wein. Nach einer tränenseligen Messias-Lesung vor Ludwigsburger Handwerkern im Frühjahr 1776 schreibt der reich entlohnte Klopstock-Rezitator und -Herausgeber Christian Friedrich Daniel Schubart an den Dichter: „Da konnt‘ ich […] manch gutes Glas Wein auf Ihre Gesundheit trinken.“ Im tränenverhangenen Blick der ergebenen Gemeinde geriet die Grenze zwischen Gegenstand, Buch und Autor mitunter ins Schwimmen.

Seit den 1750er Jahren gehörte die Lektüre von Klopstocks Werken zu den Grundfesten der oratorischen Schulung auf dem Pädagogium Regium des Halleschen Waisenhauses. Niemeyer, von 1760 bis 1771 Zögling der Einrichtung, die er später als Direktor leiten sollte, hatte Klopstocks Werk schon während der Schulzeit und im anschließenden Studium, durch den Philosophen und Klopstock-Anhänger Georg Friedrich Meier, kennen und lieben gelernt.

Begegnungen von Klopstock und Niemeyer haben – abgesehen von Niemeyers Besuchen in Hamburg 1776 und 1798 – lediglich auf dem Papier stattgefunden, in unterschiedlichen Textsorten und literarischen Gattungen: die wenigen überlieferten Privatbriefe, die von 1775 bis 1784 zwischen Hamburg und Halle gewechselt wurden, die 1778 veröffentlichten Oden, die den Gedichten in der Ausgabe von 1783 beigegebene Abhandlung Über Dichtkunst und Musik in Verbindung mit der Religion, die im Umkreis von Klopstocks Konzept einer heiligen Poesie am Oratorium das Verhältnis von Literatur und Musik ausschreitet, das von Niemeyer 1785 kompilierte Gesangbuch für höhere Schulen und Erziehungsanstalten und die erstmals 1790 herausgegebene, auflagenstarke Sammlung neuer geistlicher Lieder. Ein Anhang zu Johann Anastasius Freylinghausens Gesangbuch, schließlich die Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts von 1796 und abschließend die Briefe an christliche Religionslehrer (im zweiten Teil der 2. Auflage von 1803). Nebenbegegnungsschauplätze sind ein verschollenes Gemälde von Caroline Bardua, Niemeyers Klopstock-Würdigung und Berichte von dessen Beerdigung und der Säkularfeier seines Geburtstages im Hallischen patriotischen Wochenblatt (24.02., 3.03.1821;17.07.1824) sowie 1828 – Niemeyers eigenes Begräbnis auf dem halleschen Stadtgottesacker.

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach Niemeyers Arten und Weisen des Umganges mit Klopstock sei schon jetzt gegeben: Hatte das Knabenauge über und dank Klopstock geweint und auch noch das des Jünglings, das Männerauge ist trocken geblieben. Niemeyer hat kein lebenslang identifikatorisches Verhältnis zu Autor und Werk unterhalten. Dem hochtemperierten Beginn folgt eine nicht unerhebliche Abkühlung. Niemeyers Klopstock-Begeisterung bleibt jubilatorisch von den frühen 70er bis in die mittleren 80er Jahre. 1774 schreibt Niemeyer an seinen späteren Schwiegervater Friedrich Köpken, Klopstock sei „der größte Dichter […], der vielleicht gelebt hat“ und lediglich mit den antiken Autoren zu vergleichen. Einher geht die Begeisterung mit einer regen dichterischen Produktion, Niemeyer schreibt Gedichte, Erzählungen und religiöse Dramen (Abraham, Lazarus, Thirza und ihre Söhne, Mehala), die ausdrücklich im Zeichen des adorierten Meisters stehen. Wenn annähernd zu datieren, fällt der Scheitel- und Scheidepunkt in die Jahre 1784/85: Niemeyer wird zum Ordentlichen Professor an der Theologischen Fakultät, zum Inspektor des Königlichen Pädagogiums und Mitdirektor des Waisenhauses ernannt. Der Dichter Niemeyer räumt Zug um Zug dem Amts- und Würdenträger den Platz und die Distanzierung von Klopstock, bzw. die Distanzierung von der frühen Klopstock-Begeisterung setzt ein, bzw. die Begeisterung wandelt sich in ein sehr besonderes wissenschaftliches Interesse an einem Autor und dessen Werk, die sich unschätzbare Verdienste um eine Nationalsprache und eine Nationaldichtung der Deutschen erworben haben, aber dem Leser zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr das Herz rühren, es moralisch bewegen oder religiös erschüttern können. Wie stellt sich diese Verwandlung des Interesses dar?

Niemeyers Klopstock-Lektüre ist nicht stumm geblieben, sie hat sich Ausdruck verschafft, einen Ausdruck freilich, den Niemeyer mit einer Heerschar von Klopstock-Begeisterten der Zeit geteilt und zudem vom Meister selbst gelernt hat. Niemeyers Briefe lesen sich wie Klopstock-Briefe. Obwohl von Sprachnot ist die Rede ist, greift ein Überschwang, der von Tränensturzbächen unterlegt ist. Anbetungs-Klischees finden sich gehäuft in den wenigen überlieferten, in der Historisch-Kritischen Klopstock-Ausgabe abgedruckten Briefen.

Die Niemeyer-Briefe aus den Jahren 1775 und 1777 seien im Folgenden genauer betrachtet. Sie sind in Ton und Tenor exemplarisch, und das nicht allein für Niemeyers den Meister spiegelnde und bestätigende postalische one-way-Beziehung zu Klopstock. Der mit unerschöpflichem Eifer und in verstiegenster Weise angerufene Dichter hat, wenn überhaupt, in der Regel kurz und bündig geantwortet. Niemeyer hat am Ende der Korrespondenz knapp zwanzig (nachgewiesene) Zeilen in den Händen gehalten.

Am 14. Oktober 1775 erreicht Klopstock ein Brief aus Halle, der im Zeichen des biblischen Wortes von der „Fülle des Herzens“ (Mth. 12,34 und Luk. 6,45) und der reichlich geweinten Tränen steht, mit denen sich der Briefschreiber zwischen den Klopstock-Weinenden des Jahres 1774, Lotte und Werther … platziert. Während im Werther der Ort, zu dem die Tränen abfließen, ungenannt bleibt, ist es bei Niemeyer … in stupender Übereinstimmung der Messias, den „aus meinem Auge so manche Thräne der Tugend und des edlen Entschlusses“ benetzt. Eine von der Schrift hervorgerufene Beweinung der Schrift hat statt, deren diffuse biblische Kontextualisierung in Niemeyers Brief nicht von ungefähr an die Beweinung Christi erinnert. Die Aura des poetischen Vorwurfs springt über auf das Buch, das zum Gegenstand der tränenreichen Verehrung wird. Zugleich plausibilisiert und authentifiziert die Träne die Begeisterung des Lesers für den Autor und dessen Werk: „Und Gott! du weißt daß ich nicht heuchle, siehst ja die Thräne hörst das Flehn, daß so oft vor dir um unaussprechlichen Segen für Klopstock bittet.“ (6.02.1777) Der so oft und gern gegenüber pietistischer Frömmigkeit erhobene Vorwurf der Heuchelei wird von der Träne gleichsam weggewaschen, womit nicht gesagt sei, Niemeyer sei noch ein Pietist reinsten Wasser gewesen wie sein Urgroßvater.

Die Klopstock gedankte Fülle des Herzens und die dem erfüllten übervollen Herzen entströmenden Tränen versucht Niemeyer nahe dem gesprochenen oder besser dem geschluchzten Wort zu verschriftlichen. Zu den aussagekräftigen Topoi der frühen Briefe gehört der vom Versagen der Sprache infolge der Überwältigung durch die von der Klopstock-Lektüre hervorgerufenen Empfindungen. In Sorge, die der Sprachnot abgerungene Wortwahl und Wortfügung werden unangemessen sein, und, weil unangemessen, affektiert oder geheuchelt wirken, bevorzugt Niemeyer – freilich wortreich beschworen – statt des geschriebenen Wortes das beredte Schweigen. Der Konnex von Empfindungsreichtum und Sprachnot spricht unbedingt für die Qualität von Klopstocks Werk, er spricht für das Gelingen der Lektüre und so zugleich für die Empfindsamkeit des Lesers.

Klopstocks Position im Briefwechsel ist unstrittig: Niemeyer folgt und verfällt den (Selbst-)Stilisierungen, den (auto)hagiographischen Strategien, und er reproduziert sie, wenn er 1777 – bezeichnenderweise an Klopstock – zur Bestätigung und Legitimierung von dessen Autorschaft schreibt, dass „Gott durch Sie so viel that, so viel Freuden schaffte.“ Niemeyers Ergebenheit kulminiert in der Erhebung des Messias-Autors zum Messias. Klopstock ist ein, wenn nicht für den zerdehnten Augenblick der Niederschrift des Messias das bevorzugte Werkzeug Gottes. Dementsprechend jubilatorisch formuliert Niemeyers Brief von 1775: „Ich kann nicht länger schweigen, verehrungswürdiger Mann! Es mag Enthusiasmus, es mag zu kühne Freyheit, es mag Andringlichkeit scheinen – mein Herz weiß es beßer, daß es nichts von dem allem ist.“ Wenn nicht das, was dann, fragt sich der Leser. Die Antwort lautet: „Nichts als eben dis warme, zu mächtige Gefühl von Danck und Hochachtung um es in das Herz zu verschließen, ists was mich schreiben heißt.“ Klopstock weckt einen wortreichen Enthusiasmus in seinem Leser, der versetzt in einen höheren Geisteszustand selbst schöpferisch und zum Dichter wird. Die Rhetorik des Briefs wird angereichert um das biblische Motiv vom Zungen-Reden bzw. dem Oralität inszenierenden Zungen-Schreiben auf Befehl und durch Inspiration. Eine im 18. Jahrhundert, bei Goethe, bei Lenz und Lavater nicht seltene Inszenierungsformel für den Dichter als überwältigten „Laller seines Gefühls“. Dank und Hochachtung gelten, wie schließlich im Weiteren expliziert wird, dem Lehrer Klopstock, dem Niemeyer die „würdigsten Begriffe von der Religion“ und das „Bild reine[r], vollkommener wahrer Tugend“ schulde, „danach ich mich wenigstens gern bilden möchte“.

Mit Blick auf Niemeyers Sozialisations- und Bildungskontext des Halleschen Waisenhauses formuliert der Urenkel August Hermann Franckes kühne Sätze: Er verschiebt die entscheidende Prägung und Bildung zu Frömmigkeit und Tugend aus dem genuin Religiösen ins Ästhetische, in die Literatur, auch wenn der Literatur, bzw. der Poesie in Klopstocks von Niemeyer mitgetragenem Sinn der Anspruch eignet, eine heilige zu sein. Zwischen Christus und den zur Nachfolge gestalteten Lebensweg schiebt sich in der Rolle einer prägenden und zur Nachfolge ermunternden Instanz Klopstocks literarisches Werk.

Die Frage, ob Niemeyer mit derartigen Funktionszuschreibungen an die Poesie gegen den waltenden Geist des Waisenhauses und der Theologischen Fakultät in der frühen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts opponiert hat, ist wohl zu stellen, aber nicht präzise zu beantworten. Der genannte Geist hat in der Forschung noch keinen klaren Kontur gewonnen. Dass sich die Verhältnisse an Waisenhaus und Universität wie auch deren Bezug zueinander geändert hatten, ist anzunehmen. Grundsätzlicher: Ist für die Zeit zur und nach der Jahrhundertmitte bezüglich des Halleschen Waisenhauses und der Theologischen Fakultät noch sinnvoll von Pietismus oder pietistischen Rudimenten zu sprechen? Das auszuloten und zu konturieren, ist eine interdisziplinäre Herausforderung für die Kirchengeschichte und die Historische Pädagogik, die Philosophiegeschichte und die Literaturwissenschaft. Festzuhalten ist, dass der junge Niemeyer Klopstocks Messias auf Augenhöhe mit der Bibel bringt.

In dem Assoziations- und Allusionsfeld der Briefe versucht Niemeyer im Prozess des Schreibens zu einer Selbstbeschreibungsidentität zu gelangen. Infolge von Klopstocks messianischer Überhöhung ist Niemeyer nicht allein der vereinzelte Anbeter in Klausur, er ist vielmehr ein Jünger und Apostel seines Gottes und von dessen Werk. In der Rolle eines Petrus, der jedoch den Herrn nicht verrät, sondern im Gegenteil der Welt bekannt macht, berichtet Niemeyer, wie er „unter Zwang dreimal den heiligen Namen“ auf Bogen für Freunde oder Publikum habe notieren müssen. Niemeyer stiftet und versucht mit dem Autor eine perfekte Kommunikationsgemeinschaft zu etablieren, in die weitere schon zu Klopstock Bekehrte oder noch zu Bekehrende einbegriffen werden. Die genaue Kenntnis von Klopstocks Werk, die persönliche Bekanntschaft und der briefliche Austausch mit dem Dichter bieten Formeln zur Selbststilisierung, die aus der Stilisierung des verehrten und geliebten Meisters resultieren und auf ihn bezogen sind. Im Glanz des Gottes sonnt sich der Jünger und kommt zu Ruhm. Vor allem die von Klopstock brieflich erwiesene Wertschätzung bestätigt und zeichnet Niemeyer im Freundeskreis aus. Klopstocks Zuneigung verschafft Akzeptanz und Anerkennung. Der studiosus theologiae Niemeyer der 1770er Jahre führt ein Leben im Lichte Klopstocks, durch ihn wird Niemeyer für sich selbst und für die Gemeinschaft Gleichgestimmter als Person identifiziert und sichtbar. Lesen wir die Briefe als Dokumente der (Er-)Zeugung des Subjekts durch den Akt der Lektüre, dann mögen Klopstock und dessen Werk für Niemeyer, der nach dem frühen Tod der Eltern bei einer Ziehmutter, Sophie Lysthenius, aufwuchs, Vater und Mutter zugleich gewesen. Sie haben ihn die würdigsten Begriffe von Religion und Tugend gelehrt und – in Form der Tränenseligkeit –seine Empfindsamkeit geschult.

Lediglich für einen kurzen brieflichen Augenblick gerät das klar geordnete Verhältnis zwischen Autor und Fan in Unordnung. Nachdem Niemeyer über dem und über den Messias geweint hat, empfindet er den „brennenden Durst“ nach Hamburg oder Karlsruhe zu Klopstock zu reisen, „nur um Sie (Sperrdruck) zu sehen, nur aus Ihrem (Sperrdruck) Munde eine Versicherung Ihrer Güte zu hören“: Formulierung und Kontextualisierung alludieren Christi Leiden am Kreuz, der den irdisch/himmlischen Ersatz-Vater um Gnade und Erlösung von der Gottesferne anfleht.

Ich hatte es angedeutet: Klopstocks Briefe sind gemessen an Niemeyers aus- und tiefgreifenden Ergüssen kurz, knapp, nüchtern und ergebnisorientiert. Niemeyer erklärt sich bereit, in Sachen Klopstock mit dessen Verleger Hemmerde in Halle Verhandlungen zu führen, Klopstock nimmt das Angebot an und erteilt Niemeyer Aufträge. Das muss nicht weiter ausgeführt werden. Misslichkeiten und Verwerfungen zwischen dem ausgesprochen akribischen Anwalt seines eigenen Werkes und einem eher genervten Verleger bleiben nicht aus.

Das beredte Schweigen, die bruchlose Adaption von Klopstocks Sprache sowie die Aufnahme von dessen Anregungen sind wesentliche Aspekte von Niemeyers über Klopstocks Autorität gewonnenem Verhältnis zum Wort, aber es sind nicht die einzigen und nicht die wegweisenden. Zur Erzeugung des Subjekts in der Funktion und im Amt eines Jüngers und Apostels gehört auch die Genese von Niemeyers eigener Autorschaft aus dem Klopstock geschuldeten Enthusiasmus, die freilich mittelbar und unmittelbar auf Klopstock bezogen ist. Mittelbar, weil sich Niemeyer in Gattung, Semantik, in Syntax und poetischem Gestus an Klopstock orientiert; unmittelbar, weil Person und Werk Klopstocks auch thematische Vorwürfe von Niemeyers lyrischer Produktion sind. Die entsprechenden Gedichte, vor allem aus der Klopstock gewidmeten Ausgabe von 1778, legen davon, wenn nicht ein gelungenes, so doch beredtes Zeugnis ab.

Bereits im ersten Brief von 1775 hatte Niemeyer den Versuch unternommen, die Fülle des Herzens, die Tränenflut und das drohende Versagen der Sprache durch Verse aufzufangen und zu bannen. „Der kennt nicht meinen ganzen Danck / Dem es da noch dämmert / Daß, wo sich in voller Empfindung die Seele ergießt / Da nur stammlen die Seele kan.“ Die ausgesuchte Lexik, der verdrehte Satzbau, der rhythmisierte (und nicht ganz elegant) strömende Vers, die Zeilensprünge substituieren den im Brief protokollierten, semantisch aufgeladenen Tränenfluss. Der physiologische Effekt der Lektüre drängt zur poetischen Sprache, er wird – ansatzweise – sinnhaltig eingeholt und in Worten an den Verursacher zurückerstattet.

Ausgebaut wird der lyrische Auftakt in der 1778 veröffentlichten, bereits 1775 entstandenen An Klopstock betitelten Ode, deren Kontextualisierung der Wertschätzung des Dichters klar Ausdruck verleiht. Der Band öffnet mit der Ode An Gott, der die Klopstock gewidmete Ode folgt und schließlich die An das Vaterland gerichtete Ode: ein lyrisches Tryptichon, in dessen Klopstock zugedachter Mitteltafel auch Gott und Vaterland präsent sind. Ich zitiere:

„Zwanzig Lenze dahin! Immer noch schmacht’ ich / Fern und einsam nach Dir! Nannte beym Namen dich / Oft in Stunden der Wonne, / Rief Dir, rief Dir, und fand dich nicht! //

Wenn vom thauenden Stern, über des Schlummernden / Auge Ruhe sich goß, schwebte die Denkerin, / In der Täuschungen Irre / Hin zum säuselnden Palmenhayn, // Sah dich wandeln, – so sieht, was er am Abend hofft, / In der Dämmrung der Nacht täuschend der Schlummernde – / Flog schon zitternden Fluges / Dir entgegen, umfasste dich, // Bis der Morgen mich weckt’ – ach dann umarmt’ ich noch / Lang das theure Phantom, breitete zitternde / Arme bang ihm entgegen und faßt’ es nicht. // Hättest du rinnen gesehen, rinnen die seligen / Thränen sanften Gefühls, hätt’ ich mit lauterem / Sanft verstummendem Danke, /Dich an das schlagende Herz gedrückt, // Sänger Gottes! O Du, der im gewaltigen / Hymnenflug, in Psalmen über die Erde mich / Hob, im Liede, wie keins nicht, / Hamus hört und Olympia! // Wie der Wandrer am Quell, nach den Umarmungen / Seines Vaterlandes ringt – ach es wird säumender / Oft noch glühn im Westen, / Eh er im Arme der Gattin ruht, – // So ringt dürstend mein Herz nach den Umarmungen / Unter den Palmen, wo Gott wandelt im Abendkühl, / Daß du lächelnd mich segnest, / Du mich segnend der Laufbahn weihst. // Sieh! Schon schwimmt mir im Blick seliges Vorgefühl! / Seh ich ihn kommen – ihn nah, da du mich segnen kannst? / Schwebt vom goldnen Olympus / Schon hernieder der Wonnetag? (1778)

Die intertextuellen, miteinander verschränkten Bezüge zu antiker Mythologie und Bibel (vor allem zu den Psalmen und den Evangelien mit christologisch-messianischen Motiven) sind deutlich, ebenso die formale, die semantische, die syntaktische und motivische Nähe zu Klopstocks Gedichten. Zentraler Gegenstand ist die erhoffte, im Traum zum Greifen nahe, im Augenblick des morgendlichen Erwachsens zur Illusion verflüchtigte, aber schließlich doch – nach der mystischen Devise: Sehnen macht sehen – in den Blick gerückte unio, die Umarmung mit Gott. Aber ist es der christliche Gott? Der Anfang des Gedichts alludiert die eingangs genannte Szene aus dem Werther. Niemeyers lyrisches Ich will keiner von dem im Werther gescholtenen Unwürdigen sein, die den heiligen Namen Klopstock nennen. Das lyrische Ich ruft den „Sänger Gottes“ an, um durch dessen Umarmung der Laufbahn (der dichterischen wie ergänzt werden darf) geweiht zu werden. Eine geichtete Bitte um Initiation in die Dichtung, wobei der Sänger Gottes als ein Mittler in Erscheinung und Funktion gerufen wird. Christlich gesprochen und zugleich antikisch perspektiviert: „Niemand kommt zum Gedicht denn durch mich.“

Dass Niemeyer nicht zeitlebens ein Verehrer und Lordsiegelbewahrer Klopstocks geblieben ist, habe ich erwähnt. Als Beleg mögen die Klopstock-Bearbeitungen im Gesangbuch für höhere Schulen und Erziehungsanstalten und in der Sammlung neuer geistlicher Lieder dienen. Was 1796 die Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts im Kapitel Wahl des Lehrstoffes unter der Zweyten Regel: Fortschreiten vom Leichten zum Schweren explizieren werden, ist in den vorausgehenden pädagogisch gebundenen Anthologien Praxis. Klopstocks Lieder, da sie – zu Gellerts Fabeln in Wortwahl und Wortfügung „dem Ideenkreise und der Empfindungsart der Kinder“ „fern“ stehen – werden umgeschrieben. Ein Übergriff, den Klopstock erstaunlicherweise nicht kommentiert hat, weil er ihm vielleicht verborgen geblieben ist. In der 2. Strophe von Klopstocks Morgenlied heißt es: „Dank dir Herr! zu dir hinauf / führ mich jeder meiner Tage, / jede Freude, jede Plage.“ Niemeyer formuliert: „Dank sei dir, zu dir hinauf / müsse jeder Tag mich leiten, / zur Unsterblichkeit bereiten.“ Erhard Hirschs Beobachtung, Niemeyer habe Klopstocks ‚volkstümliche Einfachheit‘ zu ‚akademischer Abgeblaßtheit‘ verschlimmbessert, ist durchaus zutreffend. Gemäß dem freilich später in den Grundsätzen geäußerten Vorbehalt gegenüber Klopstocks Wortwahl und -fügung sind dessen „Freude“ und „Plage“ griffiger als Niemeyers „Unsterblichkeit“. Indem ein auf Halleschen Kurs gebrachter Klopstock in den Kanon des Waisenhaus-Liedgutes aufgenommen und in den Schulunterricht integriert wurde, verschaffte sich die Institution einen in der Wirkung nicht gering zu schätzenden ear-catcher für ihr Konzept von Erziehung und Bildung und – Frömmigkeit.

Pädagogisch verwertet wird Klopstock in den Grundsätzen auch in Sachen Leibesertüchtigung. Behandelt wird neben dem Gehen, Laufen und Tanzen, dem Stelzengehen („macht dreist, gewandt und ist in manchen Ländern unentbehrlich. Nur auf Treppen hat es leicht Gefahr“) auch Springen, Klettern, Ringen, Werfen, Balancieren, Schwimmen, Reiten und Schlittschuhlaufen. Niemeyer orientiert sich an Johann Christoph Friedrich GutsMuths Schrift zur Körperlichen Erziehung, und er zitiert Johann Peter Francks Medicinische Policey, die keine Bewegung kennt, „die dem Körper zuträglicher wäre und ihn mehr stärken könnte. – Reine Luft, stärkende Kälte, Beschleunigung des Laufs der Körpersäfte, Anstrengung der Muskeln, müsse auf Leib und Geist gleich wohlthätig wirken.“ Niemeyer ergänzt: „Klopstocks Gedicht Der Eislauf und die Kunst Tialfs sind Beweise, das es bis zur Ode begeistern kann.“

Wenn die Tränen, die der Messias (VIII, 425) in eine metaphorische Analogie zum Erlösungsblut Christi und dem eigenen Wort- und Tintenstrom setzt („Furchtbar strömte das Blut der Versöhnung.“), den Quell bieten, aus dem sich Niemeyers verschiedenartig verbalisierte anfängliche Klopstock-Begeisterung speist, dann ist die Quelle mit den Briefen für Religionslehrer in der 2. Auflage von 1803 weitgehend versiegt.

Gegen die ehemals hauseigene Theologie und Frömmigkeit kritisiert und verwirft Niemeyer, der sich selbst als denkender Christ bezeichnet, den uniformierenden Bekehrungsprozess urgroßväterlicher Provenienz, dem die Träne als Beleg und Beweis galt. Die Träne hat als untrügliches Zeichen der Rührung, der Reue und Bekehrung, ausgespielt.

Man würde aber auch in neueren Zeiten, nicht so oft von Kanzeln und in Erbauungsschriften die bekannten Worte des Dichters, von den ‚weichgeschaffnen Seelen, die nicht lange fehlen können und von den thränenlosen Sündern die beben sollen‘ wiederholt haben – die wenigstens dem Buchstaben nach geradezu den Schöpfer anklagen, der nicht alle weich erschuf, und wodurch Thränen – diese zweydeutigsten unter allen Zeichen der Besserung [bezeichnenderweise spricht Niemeyer nicht von Bekehrung, sondern von moralischer „Besserung“] – zum Wahrzeichen eines Menschen gemacht werden, zu dem man noch Hoffnung haben könne.

Zugespitzt auf eine tränenselig-schwammige Kunst, deren Effekte für die intendierte moralische Besserung des Menschen unergiebig sind, fährt Niemeyer fort:

Daß der Dichter sich diese Folgen nicht dabey dachte, ist hier gleichgültig. Genug daß man so unbestimmte Ausdrücke, die noch dazu die herzergreifende Melodie, welche ein Künstler wie Graun mit ihnen zu verbinden wußte, zu Lieblingsworten macht, die gefährliche Täuschung befördern, schnelle Rührung für Ablegung der Fehler zu halten, den aber, dessen Auge die Thränen versagt sind, an sich selbst irre zu machen. Dichtersprache ist immer bedenklich, wo so viel auf Wahrheit der Begriffe ankommt.

Statt für Autonomie der Kunst plädiert Niemeyer für deren Re-Pragmatisierung im Erziehungsprozess. Die Kunst hat sich der moralischen Besserung in Form einer neologisch über- bzw. verformten Bekehrung funktional zu- bzw. unterzuordnen und entsprechende Verbalisierungsregeln zu beachten. Im Einvernehmen mit dem Pädagogen-Kollegen Johann Heinrich Campe formuliert Niemeyer eine entschiedene Kritik an der zur Empfindelei verkommenen Empfindsamkeit. Wer die Träne, wie dies 1784 der Physiognom Joseph Perteny getan hatte, zum Ehrenzeichen und Tugendbeweis des Empfindsamen erklärt, übersieht laut Niemeyer nicht allein, dass der Mensch „auch zur Zeit seiner moralischen Wiedergeburt, seine natürliche Beschaffenheit [behält]“. Das eigentliche Skandalon ist für Niemeyer, dass die seelische Vielfalt als göttliche Schöpfung zugunsten einer überdies manipulier- und inszenierbaren Gemütshomogenität, die sich in Tränen zeigen solle, in Abrede gestellt wird.

Die Briefe schließen mit einer Würdigung Klopstocks anlässlich von dessen Tod. Der 23. Brief, der den „Verlust für die Freunde der Religion“ bekannt macht, datiert – ein übler Verdrucker – vom 24.03.1802. Bevor Niemeyer das Wort ergreift, zitiert er einen ungenannten Zeitgenossen des Jahres 1801, der die Frage erörtert, warum der „große Sprachwohltäter der Nation“ (und nicht etwa der Dichter) sein Publikum verloren habe. Die Antwort lautet, dass zur Mitte des Jahrhunderts kein Interesse mehr an Religion und an religiöser oder religiös fundierter Dichtung bestehe. Klopstock, der im Zuge der Verinnerlichung und der Emotionalisierung des Glaubens zu einer Herzens- und Privatsache den wortlosen Empfindungen der Zeitgenossen eine Sprache gegeben habe, die moralischen und ästhetischen Ansprüchen gerecht geworden sei, habe den Lesern des Jahres 1801 nichts weiter zu sagen. Während nämlich die antike Mythologie, die nach wie vor wesentlicher Grundstock der literarischen Produktion sei, der Phantasie entstamme und das Gefühl für die Kunst anrege, handele es sich bei der christlichen Mythologie, der Klopstocks Messias von dem ungenannten Zeitgenossen zugerechnet wird, um ein Produkt der Spekulation und der Dogmengläubigkeit.

Dieser Ursachenforschung in Sachen Publikumsschwund hält Niemeyer entgegen, Klopstock biete weder Dogmen noch arbeite er an einer christlichen Mythologie, er stelle nicht einmal die Passion und den Tod Christi dar, sondern er inszeniere empfindsame Wahrnehmungs- und Rezeptionsmuster von an der Passion Beteiligten. Das Bemerkenswerte an Niemeyers Messias-Lektüre im Jahr 1803 ist deren emotionsgeschichtliche Akzentuierung. Niemeyer liest mit den trockenen Augen eines Wissenschaftlers. Über den Messias sind Einsichten in das, wie Niemeyer unter Verwendung eines Begriffs von Herder formuliert, „Empfindungssystem der Vergangenheit“ zu gewinnen, sowohl auf der Grundlage der im Messias dargestellten als auch auf der Grundlage der durch die Lektüre generierten Empfindungen. Jedoch gehören die dargestellten und die erlesenen Empfindungen der Jahrhundertmitte an, sie sind nicht mehr aktuell. Welche Empfindungen 1803 empfunden werden und wie sie zu versprachlichen wären, fragt und sagt Niemeyer leider nicht. Niemeyer betreibt, was heute kulturwissenschaftlich up to date ist: historische Emotionsforschung. Das besagt: Gefühle fallen nicht vom Himmel, sie sind nicht einfach da, sondern sie werden kulturell, sozial geformt und sind wandelbar. Und zu den formenden Kräften gehört selbstverständlich auch die Kunst, die Literatur. Diese bilden also nicht Gefühle nur ab, sondern gestalten und prägen Gefühle. Gefühle verändern sich in der und durch die Geschichte hindurch, sie sind historisch und müssen, um verstanden zu werden, historisiert, d.h. in ihrem jeweiligen Entstehungs- und Wirkungskontext gesehen werden.

Die aus der Substanz des Messias heraus erforderliche Historisierung des Werks nicht vollzogen zu haben, macht Niemeyer schließlich den Kanzelpredigern zum Vorwurf. Predigten im Übergang zum 19. Jahrhundert haben nämlich nicht mehr, jedenfalls längst schon nicht mehr ausschließlich das Gemüt zu bewegen oder das Herz zu erschüttern oder zu rühren, Predigten sollen belehren und einen Nutzen für den Verstand erwirken. Dennoch schade maßvolle Klopstock-Lektüre nichts, wenn es – und hier folgt Niemeyer Georg Friedrich Meiers Kunst zu predigen von 1772 – um eine didaktisch geschickte, ästhetisch gefällige Präsentation der Religion im Zeichen von Sittlichkeit und Tugend geht.

Der von Niemeyer gewünschten Historisierung des im Messias gebotenen „Empfindungssystems“ entspricht die Historisierung der eigenen Messias-Lektüre. Die Erinnerung an die enthusiastische Jugendlektüre bereitet Niemeyer „unangenehme Empfindungen“. Klopstock ist ein Fremder für das Herz und zugleich ein interessanter Gegenstand für den Kopf geworden.

Niemeyer begeht keinen Vatermord, unternimmt aber auch nichts um den Nachruhm des einst teuren Verblichenen zu mehren. Geschätzt bleibt Klopstock wegen der hohen Kunst, Empfindungen versprachlicht zu haben, die jedoch keine dreißig Jahre nach Abschluss des Messias schon der Vergangenheit angehören. Zudem konturiert sich die sprachliche, ästhetische Leistung in Abgrenzung von der kalten, abstrakten Sprache der Philosophie, sie wird nicht unbedingt aus sich selbst heraus gewürdigt. Niemeyer schließt: „Die Epoche der religiösen Dichtkunst ist vorüber.“ Soweit die überlieferten Äußerungen des späteren offiziellen Niemeyer zum Messias. Ob der Privatmann nicht doch heimlich, still und leise bei dessen Lektüre geweint und wie hoch oder tief er z.B. Klopstocks Oden geschätzt hat, ist unbekannt.

Resümierend ist zu sagen: Niemeyer hat sich von Klopstock freigeschrieben. An die Stelle des feuchten ist das trockene Auge getreten, an die Stelle des emphatischen und empathischen Leserausches des unordentlichen Schülers und Studenten die abgeklärte und abwägende, historisch-kritische Analyse des ordentlichen Professors, an die Stelle der rückhaltlosen Identifikation die pädagogisch-rhetorische Verwertungsperspektive.

Niemeyer ist zu Staub geworden, und Klopstock wohl auch. Konkurrenz in Sachen Nachruhm und Fortleben sei vermieden. Dennoch muss abschließend auf zwei Tatbestände hingewiesen werden: Über unseren Köpfen kreist in einer mittleren Entfernung von 355 Millionen Kilometern von der Sonne im inneren Bereich des Asteroidengürtels der Planetoid (9344), der am 12. September 1991 von den Astronomen Börngen (Jena) und Schmadel (Heidelberg) entdeckt und am 2. Februar 1999 in den Minor Planet Circulars auf den Namen Klopstock getauft wurde. Und schlussendlich: Unter www.logh.net/guide/loghg009.htm findet sich ein Verzeichnis galaktischer Helden, The Legend of the Galactic Heroes Guide mit einer Klopstock Incident genannten Seite, die einen weißbärtigen bombenwerfenden und königsmordenden Klopstock präsentiert. Klopstock strikes back, möchte man angesichts der Vernachlässigung des Dichters durch die Leserschaft vermuten, womit Lessings Mahnung, den Dichter zu lesen, außerordentlich Nachdruck verliehen ist.

 

Herbstausflug 2018 nach Altenburg und Posterstein

Uns erwartete ein schöner Ausflug. Im Altenburger Lindenau-Museum machten wir uns mit der Geschichte des Hauses vertraut. Weiterhin standen im Mittelpunkt der Führungen die Gipsabgusssammlungen sowie die einzigartige Sammlung frühitalienischer Tafelbilder, die größte ihrer Art nördlich der Alpen.

Stimmungsvoll gestaltete sich unser Besuch des Postersteiner Auenhofs. Bettina Martin hatte alles liebevoll vorbereitet. So konnten wir uns nach Herzenslust beim Altenburger Bauernkuchen und bei deftigen Speisen stärken. Sodann erfreute uns das Trio „Sanssouci“ (Geige, Cembalo, Piccoloflöte) mit Musik, insbesondere aus der Barockzeit. Es war ein sehr schönes, gelungenes Konzert. Führungen durch den Kräutergarten schlossen sich an-

So verlebten wir einige frohe, gesellige Stunden.

Auf den Spuren Goethes in die Schweiz

„Auf den Spuren Goethes in der Schweiz“

Im Oktober 2014 wurde unsere Erfurter Goethe-Gesellschaft gegründet. Seit dieser Zeit haben wir viele interessante Vorträge, Debatten und Exkursionen erlebt, die alle von unserem Vorsitzenden Bernd Kemter organisiert wurden. In diesem Jahr sollte uns unsere Studienfahrt auf Goethes Spuren in die Schweiz führen. Am 13. Juni 2018, morgens um 7.45 Uhr, kam der Bus mit den Geraer Goethe-Freunden am Erfurter Domplatz an. Nun waren wir 26 Reisende zu Goethes Erinnerungsorten.

Unsere erste Station war Hünfeld, eine mittelalterliche Stadt, in der wir u. a. das vor kurzem errichtete Goethe-Denkmal besichtigten. Hier erfuhren wir auch, dass der in Hünfeld gebürtige Prof. Konrad Zuse den ersten Rechenautomaten der Welt, den Computer, erfand. Er stellte ihn 1941 in Berlin vor.

Unser nächster Halt galt Sessenheim mit einem Besuch des kleinen Goethe-Museums, des Goethe-Memorials und selbstverständlich der „Goethe-Scheune“.

Kemter las uns Geschichten, Geschehnisse vor, die sich um Goethe und Friederike Brion rankten, ebenso einige „Sesenheimer Lieder“. In diesem Ort lernte er die Pfarrerstochter kennen, sie lieben, er pflegte einen regen Briefverkehr mit ihr. Auch neue dichterische Einfälle, eine neue geistige Sicht erhielt er durch diese Liebe, d. h. er schrieb und dichtete über das „Liebesidyll“ in Sessenheim.

Auch über den Ort selbst erzählte uns Kemter Geschichtsträchtiges. Hier hatten sich die „Sassen“ aus dem Elsass, die „sesshaften Leute“ also, niedergelassen. 1341 gab es also schon das Dorf Sessenheim (Goethe schrieb es lieber mit einem s) mit einer uralten, schönen Kirche, die wir uns ansahen, es gibt ein weiteres Gotteshaus. Nach dem Aufenthalt in Sessenheim fuhren wir weiter nach Mulhouse, um im dortigen Novotel zu übernachten.

Am nächsten Tag, dem 14. Juni, war Biel unser nächstes Reiseziel. Nach kurzer Stadtbesichtigung fuhren wir weiter, unserer Schiffsreise zur Petersinsel entgegen. Sie dauerte leider nur zehn Minuten. Hier, auf der grünen Insel, wanderten wir zu einem Kloster mit Cafe, denn wir hatten nach der Wanderung den Wunsch nach einer Pause mit Mittagsimbiss.

Auf der Petersinsel, so erfuhren wir, hielt sich zeitweise der streitbare Philosoph Jean Jacques Rousseau auf. Näheres über sein Leben erfuhren wir wieder von unserem Reiseleiter, der uns während der Weiterfahrt im Bus einige Kapitel aus seinen „Bekenntnissen“ und dem „Gesellschaftsvertrag“ vorlas.

Der Bus fuhr nun von Neuveville nach Lausanne. Hier im Novotel in Lausanne Bussigny waren drei Übernachtungen gebucht.

Am Freitag, dem 15. Juni, fuhren wir mit dem Bus Richtung Genf, machten aber in Rolle einen kurzen Stadtbummel, denn auch hier war Goethe gewesen. Fasziniert hat uns ein uraltes Schloss am See, welches Louis II. de Savoie um 1319 erbauen ließ. Gegen 9.45 Uhr kam unser Bus in Genf an. Mit einer örtlichen Reiseführerin begann ein Altstadtbummel. Genf ist die zweitgrößte Stadt der Schweiz und zeigt einige Besonderheiten. So ist das Rathaus – bedingt durch den See – zweigeteilt, eine Brücke verbindet beide Seiten. Eine weitere Besonderheit erblickten wir: eine Blumenuhr, sehr schön! Eine Kathedrale konnten wir ebenfalls besichtigen. Zwischen 1160 und 1250 wurde sie im romanischen und gotischen Stil erbaut. 1536 wurde sie nach der Reformation evangelisches Gotteshaus.

Nun besichtigten wir das Rot-Kreuz-Museum und erfuhren hierbei, dass 1864 im Genfer Rathaus die Konvention des Roten Kreuzes unterzeichnet und diese Organisation damit gegründet wurde.

Weitere Institutionen, die hier in der Schweiz ihren Sitz haben, sind zum Beispiel: der zweite Hauptsitz der UNO (193 Mitgliedsstaaten), die Weltgesundheitsorganisation, die Genfer Flüchtlingskonvention UNHCR, der Weltkirchenrat, das IOC,

Nach dem Museumsgang besuchten wir Park und Schloss Ferney, das Goethe während seiner zweiten Schweizreise besucht hatte.

Am Sonnabend, dem 16. Juni, stand auf unserem Programm eine Stadtführung in Lausanne mit einem örtlichen Stadtführer. Lausanne, einst ein Dorf, ist heute eine schöne, alte Stadt mit einer Metro, Fünf-Sterne-Hotels, Parkanlagen, Olympischem Museum. Vier offizielle Landessprachen sind hier vertreten: 64 Prozent Deutsch, 23 Prozent Französisch, acht Prozent Italienisch und 0,5 Prozent Rätoromanisch sowie weitere.

Wir besichtigten den Dom, der 1275 erbaut wurde und sahen sehr moderne und viele uralte Häuser – eine wirklich sehenswerte Stadt! Auch Goethe war natürlich hier und wusste diese Stadt zu schätzen. Sie besteht aus Ober- und Unterstadt, nur durch Treppen und Tunnel, auch durch Brücken verbunden.

Danach fuhren wir weiter zur Weinverkostung nach Lavaux – und per Schiff ging es wieder zurück ins Hotel.

Am Sonntag, dem 17. Juni, nahmen wir Abschied von der Schweiz, fuhren über Bern, Zürich, um beim Rheinfall Schaffhausen einen Halt einzulegen. Fantastisch, was die Natur hier geschaffen hat, es wurde seinerzeit auch von Goethe bewundert. Während unserer Rückreise gab es für alle eine Überraschung: Frau Kemter hatte ein Picknick organisiert – unentgeltlich – worüber wir uns alle freuten und bedankten. Spendiert wurde es übrigens vom Reisebüro TRI TOURS.

So konnten wir gestärkt an unseren Heimatorten Erfurt und Gera eintreffen. Es war eine sehr schöne, erlebnisreiche Reise.

Renate Dalgas

 

Und hier noch einen Bericht von Bernd Krüger

 

GGG – Goethegesellschaft Gera

Zweite Schweizreise 13.06.2018 bis 17.06.2018

Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.

Unvergesslich die erste Schweizreise vom 28.06. bis 01.07.2012 über Kochel am See/ Murnau und Schaffhausen nach Zürich, Luzern und Bern. Ganz lebendig die Erinnerung an unseren Schwur auf der Tellsplatte:

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern [und Schwestern],

in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Vera kannte ihn auswendig, die Erinnerung daran macht mir noch heute eine Gänsehaut.

Und nun endlich die zweite Reise auf Goethes Spuren in die Schweiz. Lange vorbereitet, von Bernd Kemter gut, ach was heißt gut – nein: perfekt geplant. Dieses Mal reisen wir zusammen mit den Erfurter Goethefreunden im großen Bus, der aber mit 25 Teilnehmern nicht überlastet ist.

Für mich war die Zeit vor der Abreise ein wenig hektisch, eben Rentnerkalender voller Termine. Im Stadtrat ging es um die Verabschiedung von Frau Dr. Hahn aus dem Amt der Oberbürgermeisterin, die Stadtratssitzung dazu werde ich verpassen, weil ich in der Schweiz bin. Dazu gehört die Diskussion um den Stil unserer Begrüßung des neuen Oberbürgermeisters und Zuarbeiten für das Referat zur Amtseinführung. Viel Aufwand hatten wir im Stadtrat noch mit einigen umstrittenen Immobilienverkäufen, mit den Vorlagen zu Geras Neuer Mitte sowie Auftragsvergaben im Rechnungsprüfungs- und Vergabeausschuss. Dann waren noch ein paar Steuerfälle zu bearbeiten und im Garten reiften die Kirschen und Beeren.

Vom 8. bis 10. Juni, also unmittelbar vor der Schweizreise gab es noch unsere Exkursion zum Abschluss des Wintersemesters 2017/ 2018 zur Religionskritik von Karl Marx und Max Weber, ein fulminantes, anstrengendes Wochenende mit hohem Bildungswert und gutem Wein in Hummelshain und Neustadt/ Orla. Ich musste einige Termine dann einfach auslassen. Gut so.

Mittwoch 5:30 Uhr früh starten wir mit dem Auto zum Bahnhof, laden das Gepäck aus und ich bringe das Auto zurück, um dann gepäckfrei unbeschwert zum Bahnhof zu laufen.

In Erfurt nehmen wir in Linderbach und am Domplatz die zentralthüringischen Goethefreunde auf, die Hauptstädter schließen sich den Provinzlern aus Ostthüringen an, weil sie mit der Regierung ohnehin soviel Verantwortung schleppen, dass sie nicht auch noch einen eigenen Vorstand für die Erfurter Goethegesellschaft tragen können. Hätte nie gedacht, dass wir vom Rand des Landes so souverän führen können!

Lange Fahrt – erster Halt in Hünfeld, Hessen, hier war ER auf der Durchreise.

Bernd hatte uns das Gedicht „Der Markt zu Hünfeld“ vorgelesen und es ist auf einer Plastik am ehemaligen Markt des Städtchens verewigt. Das Versmaß erscheint uns nicht ganz „goethisch“ und der ganze Sinn erschließt sich nur schwer, liegt das an unserer heutigen Oberflächlichkeit oder hat der große Meister auch mal etwas fabriziert, das nicht seinen hohen Ansprüchen genügen musste?

Über Hessen nach Frankreich

Am frühen Nachmittag erreichen wir Sessenheim im Elsass, die Grenze war kaum zu merken. Das war anders, als Anni und ich vor 26 Jahren zum ersten Mal nach Frankreich fuhren, da war noch richtig Douane.

Friederike Brion – ja, gehört haben wir diesen Namen als eine der zahlreichen Geliebten des Genies. Aber so, wie wir es jetzt erfahren und begreifen, war es sicher nicht jedem der Mitreisenden bewusst.

Nicht irgendeine Liebesgeschichte war das, nein, es war DIE Liebesgeschichte, die mich noch heute – und ich habe sie ja erst jetzt erfahren – zu Tränen rührt.

Bernd Kemter bereitet uns im Bus darauf vor – haben wir alle gewusst, dass „Willkommen und Abschied“ nur dieser einzigartigen Liebe gewidmet war? Ich wusste es nicht und ich hatte einen guten Deutschlehrer und interessierte mich sehr für Goethe.

In Sessenheim sind wir zunächst auf der Suche nach den historischen Stätten, die unsere Neugier befriedigen und die Wissbegier stillen sollten. Bernd und ich gehen ein paar Häuser weiter, Bernd fragt in seinem recht ordentlichen französisch über den Garten eine ältere Frau, die uns antwortet: “ich verstehe kein französisch!“ So kann´s gehen.

Ein niedliches, liebevoll gestaltetes Museum (kann man das so sagen?) – also ein kleiner Pavillon erzählt über Friederike und Goethe, es gibt Bilder, Sinnsprüche aus eben jener kurzen Zeit 1770/ 1771, ein kleiner Garten, eine Scheune, in der sie sich geliebt haben sollen und ein Goethezimmer im zentralen Touristhotel.

Mich lässt diese Geschichte fortan nicht mehr los, immer muss ich an Friederike denken, es ist beschreiben, wie sie auf ihn wirkte bei der allerersten Begegnung, es musste wie ein Blitz eingeschlagen haben, bei Beiden, wunderschön, und dann kriegen sie sich nicht, wie das so ist und Heinrich Heine beschreibt es am schönsten.

Und Goethe sagt es so:

Du gingst, ich stund und sah zur Erden
Und sah dir nach mit nassem Blick.
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Wie schön ist das! So schlicht und doch so vollkommen und von einzigartiger Größe, es wird immer Schönes über die Liebe gesagt werden, aber das scheint mir unübertroffen.

Ich möchte diese Verse allen sagen, die da ehrlich und ernsthaft lieben, damit sie es bewahren und niemals leichtfertig aufs Spiel setzen.

Friederike ist für mich ein ganz neues Sinnbild, sie ist mir tief ins Herz gegangen und begleitet mich fortan auf der ganzen Schweizreise. Und danach immer noch.

Friederike hat nie geheiratet. Mehr Kommentar braucht es nicht.

Obwohl wir in Frankreich sind, ziehen wir es vor, ins französische Sausheim, dort ist unser Hotel, mit ein paar Kilometern Umweg über Deutschland zu fahren, weil wir uns vor der französischen Maut fürchten. Na gut, die hätte man auch in den ohnehin nicht ganz billigen Gesamtpreis einkalkulieren können.

(Lieber Bernd, das ist nicht gemeckert, Du weißt, dass ich nicht geizig bin, nur als Hinweis)

Das Novotel Sausheim ist einfach eine Enttäuschung, Abendessen und Frühstück niveaulos, die Zimmer wirken ungepflegt, das Fenster ist kaputt, das Wasser fließt im Waschbecken nicht ab.

Ich schlafe schlecht, was aber nicht am Hotel liegt, sondern an mir selber, mir erscheinen im Traum Ungeheuer nach Hieronymus Bosch, sicher eine Nachwirkung auf die Vernissage von Alexandra Müller-Jontschewa am 07.06.2018 anlässlich ihres 70. Geburtstages bei Carqueville in Töppeln.

Aber jetzt in die Schweiz, Donnerstag, 14.06.2018

8:15 Uhr ab Sausheim nach Biel, vorbei an Basel – auffallend große Industrie- und Gewerbestandorte, auch bei der Vorbeifahrt an weiteren Städten zu sehen, die Schweizer wahren ihre Autarkie, kann man das so sagen? Auch sie kommen nicht an der Globalisierung vorbei und mit ihrem Geld sind sie an allen Vorgängen weltweit beteiligt, Schweizer Geld ist mit vollen Händen an Rüstung und Krieg und Intervention und damit auch an allem Elend dieser Welt beteiligt. Nix unschuldig!

In Biel ist die Ausschilderung jeweils noch zweisprachig französisch und deutsch. Wir finden die Goethe – Gedenkgasse und die Sandsteinplatte mit der Inschrift, dass Goethe hier übernachtete.

Weiter nach Ligarz und von hier mit dem Boot zur Petersinsel/ St. Pierre im Bieler See. Bernd hat uns auf dieses Erlebnis gut vorbereitet, denn hier treffen wir auf Jean Jacques Rousseau, den wunderbaren Philosophen und Vordenker der französischen Revolution, Rousseau ist natürlich mehr, als „zurück zur Natur“. Bernds Lesung im Bus macht neugierig aber auch betroffen hinsichtlich Rousseaus Schicksal, die erschütternde Art und Weise, wie er verraten wurde.

Das Inselparadies St. Pierre

Die Idylle, oder Arkadien? Ein wunderschönes vielstimmiges oder vielsprachiges Konzert der Vogelstimmen, darunter auch scheinbar unbekannte, aber kann es in so relativ geringer Distanz von zu Hause schon ganz fremde Vögel geben? In Texas und Neuseeland da sahen und hörten wir Vögel, die es nun wirklich nicht bei uns gibt, aber hier? Wir genießen es und lauschen und lächeln uns an. Wie wir uns freuen, hier zu sein und das zu erleben! Die Gruppe haben wir verloren, wir werden uns wieder finden, die Insel ist klein, etwa wie die Insel Vilm, die wir an anderer Stelle ausführlich beschrieben haben.

Riesige alte Bäume, vor allem Buchen, aber auch Fichten, Tannen, Ahorn – alles was zum europäischen Wald gehört, und eine besonders ausladende Linde haben wir fotografiert. Das Totholz bleibt liegen, also ein Totalreservat, ein vollständiges Biotop, dieser Wald ist ernsthaft naturbelassen.

Wir finden eine alte moosbewachsene Kalksteinmauer, später erfahren wir, dass diese schon im 18. Jahrhundert zum Schutz der Insel gegen Hochwasser und Wellenschlag errichtet wurde. Die Bauarbeiter waren Häftlinge.

Wie bei unseren Tatra-Wanderungen machen wir auch hier unsere Naturbeobachtungen und finden einen prächtigen Pilz, den wir aber nicht kennen, dafür erkennen wir den Fruchtstand eines Aronstabgewächses.

Nicht weit vom Kloster, am Ufer des Sees finden wir das Denkmal für Jean Jacques Rousseau, der 1770 hier kurze Zeit Zuflucht fand vor den französischen Verfolgern. Wie schon erzählt, war er einer der Wegbereiter der französischen Revolution, deren großartige Ziele und Ideale „Liberte, Egalite, Fraternite“ für lange Zeit in Blut ertränkt wurden. Wurde der König guillotiniert, um Frankreich einen Kaiser zu geben? Die Revolutionäre haben niemals ihre Ziele erreicht, es waren immer andere, die von den neuen Verhältnissen profitierten.

Warum Voltaire, der weltgewandte Aufklärer und zeitweilige Freund Friedrichs des Großen einer der Feinde Rousseaus war, habe ich nicht verstanden und will ich noch herauskriegen bzw. erlesen und erfragen.

Im Kloster mit seiner großen Gastronomie ist liebevoll eine kleine Rousseau – Ausstellung eingerichtet.

Von hier musste er nach 16 Tagen Aufenthalt vor seinen Verfolgern weiter fliehen, so entging er Verhaftung und Zuchthaus und weiterem Ungemach.

Vor dem Kamin hatte er sich in weiser Voraussicht eine Falltür anlegen lassen, um beim Auftauchen der Häscher schnell verschwinden zu können.

Unser Wanderweg führt auf die Spitze der Insel mit dem Pavillon aus dem Jahr 1728, in welchem den Erläuterungen nach fröhlich gefeiert wurde, was dem Pavillon den Namen „Tanzhaus“ einbrachte.

Drei dreieckige Granitsäulen mit mystischer Symbolik umgeben den Pavillon, sie erinnern mich an den Film „Das fünfte Element“.

Über einen steilen, roh gepflasterten Weg, der wie eine Straße aussieht, geraten wir überraschend direkt ins Kloster, das sich mit typischem Gaststättenlärm ankündigt.

Unsere Bedienung ist eine flotte Erfurterin, die sich über die Landsleute freut. Norda Wiedemann macht ihre Sache sehr gut, sie hat tatsächlich jede Bestellung genau im Kopf und stellt ohne nachzufragen alles richtig zur Person passend hin. Das macht sie cool, flink und souverän, ebenso freundlich und resolut. Schon zehn Jahre lebt sie hier, hat ein Kind und wohnt in der Stadt, fährt täglich zur Insel, freut sich, hier Landsleute zu bedienen, möchte jedoch auf keinen Fall auf der Insel leben.

Die Preise sind, wie überall in der Schweiz, für uns etwas „ungewohnt“ – eine Miniportion Essen 15,00 Schweizer Franken, das ganze Essen ab 30,00 SF.

Aber wie wir später hören, verdient man hier das dreifache gegenüber den Nachbarländern, insofern stimmen die Preise, nur nicht für uns.

Wir können uns vorstellen, ein paar Tage auf dieser Insel zu verbringen, sehr romantisch, ich würde dann Rousseau lesen.

Beim Warten auf das Schiff zur Überfahrt auf die Insel sahen wir an einem Gebäude die Verkaufswerbung für eine Eigentumswohnung: 1,5 Mio Franken für den Kauf einer Maisonettewohnung an der Bahn….

Die Rückfahrt führt uns nach La Neuveville, hier wartet der Bus auf uns.

Vorbei am Lac de Neuchâtel, dem Neuenburger See mit kurzem Halt in Neuchâtel, das ist eine erstaunliche Stadt, wohl nur eine Kleinstadt aber durchaus mit dem Habitus einer Großen.

Und immer wieder, wie in allen Städten in der Schweiz, die wir schon auf der ersten Reise kennen lernten, bewundern wir die prächtigen, meist farbenfrohen Brunnenfiguren sowie die vielfältige, niveauvolle Stadtkunst von Barock bis modern. Da denke ich mit Wehmut an Gera, seit 1990 verschwanden schöne Brunnen und anspruchsvolle Stadtkunst aus dem Stadtbild, dabei trauere ich keineswegs Hinterlassenschaften der DDR wie z. B. der „Mauer der Arbeitsproduktivität“ nach. Ich bedauere den Geist der Verwahrlosung und feigen Verantwortungsflucht mit dem geistlosen Totschlagargument „Wir haben kein Geld“ – das kann es nicht sein!

Der Lac Neuchâtel, der Neuenburger See erscheint uns riesig. Bei Yverdon-les-Bains verlassen wir den See in Richtung Lausanne am Lac Léman

Das Hotel am Rande von Lausanne ist baugleich dem Novotel Sausheim, dankenswerter Weise mindestens eine Liga besser, große Erleichterung, denn hier bleiben wir.

Am Abend kosten im Hotel ein Bier und ein kleines Glas Wein 15 SF.

Freitag 15.06.2018

Die Weltstadt Genf und Goethe

Wieder habe ich schlecht geschlafen, das muss wohl an mir liegen, nicht an der Schweiz. Es geht nach Genf mit kurzem Aufenthalt in Rolle, hier hat Goethe einmal übernachtet, wir finden leider keinen Hinweis auf unseren Geheimrat und bis auf eine Festung am See, dem Lac Léman, der manchmal auch Genfer See genannt wird, aber das mögen einige See- Anrainer nicht.

Bis auf eine Festung am See und einen hübschen Markt haben wir nichts Nachhaltiges für uns mitgenommen.

Aber Genf! Unsere Stadtführerin Antoinette, pensionierte Lehrerin, fragt uns charmant, ob sie uns in französisch, schwyzerdeutsch oder deutsch unterhalten soll, sie kann auch italienisch und englisch. Ihr Akzent ist stark französisch geprägt und klingt angenehm, überhaupt ist sie sofort sehr sympathisch.

Eckdaten zu Genf:

Der zweitkleinste Kanton (nach der Fläche), 496.000 Einwohner sagt Antoinette, damit nach Zürich die zweitgrößte Stadt der Schweiz. (nach Wikipedia hat Genf 201.800 Einwohner und Zürich 402.700 Einwohner).

Über 100.000 Einpendler überwiegend aus Frankreich, über 40 % Nichtschweizer

104 km Grenze zu Frankreich, nur 4 km mit der Schweiz, diese Daten hören wir noch ein paar Mal von Antoinette.

Nicht alles zur wechselhaften Geschichte der Stadt konnten wir uns merken, nur soviel, dass Genf lange Zeit eine freie Stadt war, dann zu Frankreich gehörte und seit 1815 endgültig zur Schweiz kam.

Noch heute wird der legendäre Sieg über die immer wieder angreifenden Savoyer im Jahre 1602 gefeiert. In der Nacht vom 11. zum 12. Dezember 1602 griffen die Savoyer die Stadt überraschend an. Obwohl scheinbar überlegen, konnten sie die Stadt nicht einnehmen und wurden von den Genfern zurück geschlagen. Spektakuläres Detail: eine beherzte Hausfrau soll den Angreifern, die mit Leitern die Stadtmauer überwinden wollten, einen Kessel mit heißer Suppe über die Köpfe gegossen haben, das war entscheidend für den Ausgang der Schlacht. Immer wieder schön, solche friedensfördernden Legenden.

Schon lange wollte ich Genf kennen lernen, weil es die UNO – Stadt ist. Antoinette unternimmt mit uns einen Stadtspaziergang.

Der See Lac Léman ist der größte See Westeuropas, deutlich größer, als der Bodensee, bis über 300 Meter tief, ca. 30 Fischarten leben im See.

Genf liegt zu beiden Seiten der Rhône, die über 800 km entfernt ins Mittelmeer mündet.

Als erstes bei der Einfahrt in die Stadt fiel uns die riesige Fontäne auf, wir schätzten vorsichtig: die ist bestimmt über 20 Meter hoch. Antoinette erklärt uns, dass sie mehr als 120 Meter hoch ist und als technische Notwendigkeit entstand, sie dient dem Druckausgleich im städtischen Trinkwassernetz. Ein beeindruckendes Wahrzeichen, das jedoch bei starkem Wind abgestellt werden muss, der Druckausgleich ist dann anders zu kompensieren.

Genf ist in der Tat eine überwältigende Stadt, ausgesprochen weltstädtisch.

Das Ufer des Sees war schon ca. 3.000 Jahre vor der Zeitrechnung besiedelt, besonders viele Zeugnisse sind aus der Römerzeit überliefert und erhalten, so auch ein Teil der römischen Stadtmauer aus der Zeit um das Jahr 200.

Und Genf hat in seiner bewegten Geschichte immer mit vielen Flüchtlingen gelebt, das waren, so betont Antoinette, immer wohlhabende und hochgebildete Zuwanderer, welche der Stadt Wachstum und Wohlstand brachten. Diese Zuwanderung ist sogar in der Bauweise manifestiert, die Häuser wurden zur Aufnahme der neuen Einwohner nachträglich im jeweils aktuellen Baustil aufgestockt, so sind die geschichtlichen Ereignisse mitunter an einem einzigen Gebäude ablesbar.

Große Teile der Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert sind unterirdisch konserviert, wir bestaunen sie beim Aufstieg auf den Gründungshügel der Stadt. Neben den archaischen Zeugen errichtetem die findigen Stadtplaner eine mehrgeschossige Tiefgarage.

Natürlich sind der Rundgang und Antoinettes Erläuterungen viel zu kompakt, zu schnell, zu flüchtig, gern würde ich alles festhalten wollen, mir aufnotieren, noch mal erzählen lassen und ganz viel fragen. Wie sagte unsere Begleiterin so schön unter dem ehemaligen Getreidespeicher am Rathaus?

„Wenn Sie diese 3 Bilder, diese 3 Mosaiken gesehen haben, wissen Sie schon alles über Genf.“ Ganz so einfach ist es wohl leider nicht. Sie erklärt auch die Platanen, die nach meiner Auffassung brutal beschnitten wurden – zum ersten Mal sahen wir das 1992 in Strasbourg – und trotzdem einen gewaltigen Stammdurchmesser entwickelten: sie sind standhaft gegen Umweltverschmutzung und spenden im Sommer den sichersten, dichtesten Schatten. Wir erreichen den Park, der der Geschichte der Stadt gewidmet ist, eine etwa 100 Meter lange und ca. 10 Meter hohe Wand mit Figuren, Jahreszahlen, Sinnsprüchen und Erläuterungen zur Geschichte. Einst protestantische Hochburg von Calvin und Zwingli ist Genf heute wieder, auch durch die zahlreichen Zuwanderer, überwiegend katholisch.

Besonders beeindruckend finden wir die urigen Bronzeskulpturen verschiedener Tiere, zuerst gleich am Ausstieg das Nashorn, dann ein Bär, drei Rinder und sicher noch viele andere, die wir nicht sahen, sie nehmen sich gut aus im Stadtbild und laden nicht nur die Kinder zum Anfassen ein.

Mit dem Bus geht es weiter zum UNO – Zentrum, das vor allem wollte ich mir ausgiebig ansehen, darauf war ich gespannt, leider wird daraus nur eine Vorbeifahrt in dichtem Verkehrsgedränge. Da ist das Tagungsgebäude mit den 193 Flaggen der Mitgliedsländer, davor der übergroße dreibeinige rote Stuhl, sein viertes Bein ist zerfetzt, als Mahnung und Gedenken für die weltweiten Opfer von Landminen.

Dort das Gebäude des Weltflüchtlingsrates UNHCR, das Gebäude des Weltrates der Ökumene, dem über 230 Kirchen und religiöse Gemeinschaften angehören, zahlreiche Botschaften sowie der elegante Park einer internationalen Privatschule, in der ein Schuljahr für den Sprössling 20.000 Franken kostet. Würde ich mir das für meine Kinder oder Enkel wünschen? Ich denke, eher nicht.

Alles exklusiv, mondän, großartig und großzügig, in mein Staunen und meine Bewunderung schleichen sich Skepsis und kritische Gedanken, verstärkt durch Antoinettes Erläuterungen über Preise in dieser Gegend: Eigentumswohnungen ab einer Million bis aufwärts zu 50 Millionen bzw. Mietpreise ab 2.500 SF.

Wider den Krieg – die Waffen nieder!

Unser nächstes Ziel ist das auch hier in diesem Stadtteil gelegene Rot-Kreuz-Museum.

Über die Entstehung bzw. die Gründung des Roten Kreuzes durch Henri Dunant hatte Bernd Kemter uns im Bus vorgelesen. Ich wusste zumindest aus meiner Zeit als Junger Sanitäter, wer der Gründer des Roten Kreuzes war und wie das Symbol entstand: einfach aus der Farb-Umkehr der Schweizer Flagge. Das erzählte uns vor 56 Jahren unsere Gemeindeschwester, die uns Erste Hilfe und Wundversorgung beibrachte.

Dunant sah in der Schlacht von Solferino 1859, Sardinien-Piemont und Frankreich unter Führung des Kaisers Napoleon III. gegen Österreich die entsetzlich leidenden Verwundeten und Halbtoten, um die sich niemand kümmerte.

[…] Die Sonne des 25. Juni beleuchtet eines der schrecklichsten Schauspiele, das sich erdenken läßt. Das Schlachtfeld ist allerorten bedeckt mit Leichen von Menschen und Pferden. In den Straßen, Gräben, Bächen, Gebüschen und Wiesen, überall liegen Tote, und die Umgebung von Solferino ist im wahren Sinne des Wortes mit Leichen übersät. Getreide und Mais sind niedergetreten, die Hecken zerstört, die Zäune niedergerissen, weithin trifft man überall auf Blutlachen. […]“

(Henry Dunant: Eine Erinnerung an Solferino.)

Da muss man doch etwas tun, er tat es mit der Gründung der Hilfsorganisation, die in den zahllosen späteren Kriegen das Leiden der Opfer linderte und Menschen rettete, Überlebens-chancen ermöglichte und sicherte.

Die Einsicht und Erkenntnis, dass Kriege als Ursache dieser furchtbaren Leiden, nicht nur bei der kämpfenden Truppe sondern vielmehr unter der Zivilbevölkerung, überhaupt nicht erst stattfinden sollten, bleiben der Menschheit die wirklich Verantwortlichen in den Bank- und Konzernvorständen bis heute schuldig. Denn nicht der unwissende und betrogene Otto Normalverbraucher macht den Krieg. Für Kaiser, Führer, Volk und Vaterland????

Das Museum ist supermodern, der Audio – Guide schaltet sich im Gehen jeweils zu dem Thema zu, welches in dem Raum, den wir gerade betreten, vorgestellt wird. Äußerlich ist das Gebäude in der Sanierung, das schränkt den Besuch und das ergreifende Erlebnis nicht ein.

Die Einsicht, das Leiden, Töten und getötet werden durch Kriegsverhinderung zu vermeiden, hat Bertha von Suttner auf den Punkt gebracht mit ihrer Forderung „Die Waffen nieder!“

Ihre eigenen schmerzvollen Erlebnisse führen sie zur Erkenntnis, dass nationalistische Treueschwüre für Kaiser und Vaterland verlogene Phrasen sind, welche erst den „kleinen Mann“ in der Masse dazu bringen, mit Hurrageschrei gegen den „kleinen Mann“ auf der anderen Seite anzurennen und zu schießen.

Tief ergriffen sind wir von Bernd Kemters Lesung aus Bertha von Suttners Lebensbericht, besonders erschütternd die Szene, als sie vom Tod ihres Ehemannes erfährt – aus dem Brief, den der Ehemann ihrer Freundin schrieb. Zuvor hatte sie sich mit den täglichen Todeslisten auseinander gesetzt, jedes Mal froh und erleichtert, wenn sein Name nicht dabei war. Aber gleichzeitig verstehend, dass für alle anderen Namen trauernde, entsetzte, schockierte Witwen, Mütter, Schwestern standen. Ihre Erleichterung also, dass es Arno bisher nicht getroffen hatte, bedeutete zugleich den Schmerz der Anderen, der Betroffenen. Und nun sie selber, entgegen aller Hoffnungen und Selbsttröstungen, dass es ihn und damit sie nicht treffen möge.

Voltaire und Goethe sind sich nicht begegnet

Zu einem leuchtenden Kleinod an diesem bereits jetzt schon erlebnisreichen Tag wird der Abstecher nach Ferney, eben kurz noch mal nach Frankreich, das ja ohnehin rundherum allgegenwärtig ist. In Ferney besuchen wir Schloss und Park Voltaires, er war offensichtlich vermögend. Angekündigt war nur der Besuch des Parks, da das Schloss noch in Renovierung befindlich sei, aber: Überraschung! Die Sanierung ist abgeschlossen, zumindest zum großen Teil und wurde erst kürzlich, pünktlich zu unserer Ankunft, von Staatspräsident Macron und der französischen Kulturministerin eröffnet.

Wir genießen die schöne Parkanlage mit dem hübschen Schloss, einem Gartenhaus (ähnlich dem von Goethe, nur prunkvoller), eine eigen Kapelle (die hätte Goethe sich vermutlich nicht bauen lassen), ein künstlicher Teich, der noch nicht ganz fertig saniert ist, Orangerie und wunderschöne Bronzeskulpturen.

Unzählige Portraits von Karikatur bis zum Gemälde des Philosophen, Schriftstellers und Zeitaufregers zieren die Wände, er immer lächelnd, es wirkt fast immer süffisant, ironisch, dieses Lächeln und scheint den Betrachter verunsichern zu wollen, weil die Pose zwischen Lächeln und Grinsen zu liegen scheint. Lacht der mich jetzt an oder aus oder will er mir sagen „Was weißt du armes Würstchen schon vom Leben!“ der alte Fuchs, der Voltaire – immer lächelnd, oft auch, wie schon bemerkt, grinsend, die vorauseilende Nase, diesen prächtigen Gesichtserker immer markant und wissend in Szene gesetzt- herrlich!

So ist Voltaire, vielleicht auch das ein Grund, weshalb er sich nach 3 Jahren am Hofe Friedrichs des Großen unbeliebt machte und 1753 nach Frankreich zurückkehren musste. Von der Zeit in Potsdam zeugt ein Portrait Friedrichs im Kaminzimmer, es ist nur ein kleines Portrait, auch das wieder eine typische Anspielung des Philosophen, er will es sich leisten, den Großen in für die damalige Zeit unangemessener Kleinheit zu präsentieren.

Späte Rache für die ungnädige Entlassung aus Sanssouci?

Abschließend lassen wir uns in dem wunderschönen Park zur Lesung nieder, Bernd liest aus Voltaires „Candide“, sehr anregend, ich werde es lesen.

Ich ging im Walde so für mich hin

Die Rückfahrt sollte über Nyon gehen mit etwas Freizeit dort. Bernd brachte die Frage auf, ob wir ein wenig in den Wald und den Berg hinauf fahren wollen, weil – na endlich! – Goethe mit seinem Begleiter (war es der junge Carl August?) diesen Berg hinauf geritten war, um die Aussicht von oben zu genießen.

Geteilte Zustimmung, gemurmelte Unlust, Bernd hielt es für eine ausreichende demokratische Mehrheit und so folgte unser netter Busfahrer David (ich kenne noch drei weitere Davids, die wollen alle, auch der Busfahrer, Devid genannt werden, verstehe ich nicht, der biblische David hieß David und nicht Devid!) dem Votum, hinauf auf den Berg, eine zunehmend kurvenreiche Strecke, die in Serpentinen mit scharfen Spitzkehren übergeht, auf der sich Motorradfahrer mit irrem Tempo, haarsträubender Schräglage und heulenden Motoren gegenseitig mit idiotischen Überholmanövern überbieten. Es gab keinen Unfall. David fährt, wenn es die Möglichkeit hergibt, rechts ran, um den hinter uns aufgelaufenen Stau vorbei zu lassen.

Wir wollen nun zu dem Aussichtspunkt, an dem auch Goethe verweilt haben soll, finden nach anfänglichen Irritationen den richtigen Weg.

Unsere Wanderung durch den Wald wird nun zum ganz besonderen Erlebnis, der anfänglich vereinzelt aufgetretene Widerwillen verfliegt, fast alle sind dabei und es macht Spaß, die Bewegung tut gut nach stundenlangem Sitzen im Bus und überhaupt eklatantem Bewegungsmangel in den vergangenen Stunden.

Entdeckungen am Wegesrand lassen Freude aufkommen, am Waldsaum freue ich mich über die Schattenblume, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe, dann das gefleckte Knabenkraut, immer schönere Exemplare, das noch nicht voll erblühte aber bereits gut identifizierbare weiße Waldvögelein begeistern mich ebenso, wie die Bergwiesen mit einer universellen Blütenvielfalt, wie wir sie zu Hause kaum noch kennen. Niemand klagt über die Anstrengung, nur fröhliche und entspannte Gesichter, das ist doch ein schöner Gewinn! Unsere Fröhlichkeit wird stimmgewaltig vom Gezwitscher der Vogelwelt begleitet.

„Ich ging im Walde so für mich hin….“ Wie und wo könnten wir Goethe näher sein, als in diesem Moment?

Endlich finden wir den phantastischen Ausblick, es ist in der Tat atemberaubend, der Extralohn für unsere halbherzige Entscheidung für den Wald und den Berg. Jetzt, nachdem wir das erleben, können wir die Abstimmung von vorhin korrigieren: natürlich sind wir für den Wald und den Berg und zwar einstimmig!

Vieles haben wir heut erlebt, viel Schönes, der Tag war wirklich übervoll, aber diese Wanderung war die unerwartete und unbeabsichtigte Krönung des Tages, den wir nun zufrieden beschließen können.

Zu allem Überfluss wurde auch noch der Bus nach oben bestellt, so dass wir uns um den Genuss des Abstieges brachten. Der eigentliche Wanderweg zweigt von der asphaltierten Straße ab, von diesem Abzweig bis zum Dorf sind es höchstens anderthalb bis zwei Kilometer.

Sonnabend, 16. Juni 2018, Lausanne und Montreux

Lausanne ist nach seiner Einwohnerzahl etwa so groß wie Gera zur Wendezeit, nach einem Einwohnerrückgang ab 1970 ist die Stadt in den letzten 15 Jahren wieder deutlich gewachsen.

Architektur und Städtebau sind ausgesprochen großstädtisch.

Wir treffen uns am alten Hafen im Stadtteil Ouchy (das wird so ausgesprochen, wie meine Schwester Uschi, nur auf der zweiten Silbe betont) mit unserer Stadtführerin Franziska, die sich leider etwas verspätet.

Die Kathedrale Notre Dame mit ihrem imposanten Hauptturm überragt die Stadt vom Zentrumshügel aus. Später haben wir Gelegenheit, die Kathedrale auch von innen zu besichtigen. Das Chateau Saint Maire beeindruckt uns ebenso, wie das Bundesgericht, das Olympische Museum und das bunte Leben in den teils engen Gassen des Zentrums. Ich freue mich über die Plakate, die zur Fête de la musique einladen und sende ein Foto davon an Professor Hoffmann in Gera, der sich prompt dafür bedankt. Er ist ja der Vater der Gerschen Fête de la musique.

Die Eindrücke sind außerordentlich vielfältig, die Baukultur erstaunlich, manchmal erscheint sie uns auch brutal, zum Beispiel mit der Überdeckung des Flüsschens Flon oder der Beseitigung alter, nach meinem Verständnis durchaus erhaltenswerte Häuser, um neuen Platz zu machen, aber in dieser Frage wird es wohl immer und überall die unterschiedlichsten Meinungen geben.

Wenig Gelegenheit bleibt für einen Freizeitbummel in dieser schönen Stadt, wir schaffen es nicht, noch einmal in eines der zahlreichen Straßencafes einzukehren, weil wir zur Weinprobe verabredet sind. Das Weingut Lavaux liegt inmitten der Weinberge, die sich hier an den Südhängen des Nordufers des Lac Léman ausdehnen.

Über die Weinprobe lautet die abschließende Bewertung, dass 22,00 € für ein knappes Glas Wein ohne weitere Bewirtung – nicht mal eine Kleinigkeit zum Knabbern, geschweige denn ein kleiner Imbiss- doch ein sehr großzügiges Salär seien.

Da wir in der Zeit knapp sind und die Abfahrt des Schiffes in Montreux nicht verpassen wollen, fallen die vorgesehenen Freizeiten in Vevey und Montreux aus. Die geringe Verspätung des Dampfers in Montreux hätte auch nicht gereicht, um einen Eindruck von der Stadt zu bekommen, vielleicht ein andermal.

Beschaulich und gemütlich wird die Fahrt auf dem See, fast über die gesamte Strecke sehen wir den Mont Blanc, es dauert eine Weile, bis wir uns sicher sind, dass es sich nicht um eine weiße Wolke sondern tatsächlich um den höchsten Berg Westeuropas handelt. Überhaupt genießen wir die Traumlandschaft, die sich vor uns ausbreitet, das ist Seelenbalsam, schon lange habe ich mich nicht mehr so leicht und locker gefühlt. Nur den Goethe habe ich etwas vermisst. Knapp anderthalb Stunden dauert die Reise mit dem Raddampfer bis nach Lausanne, alter Hafen Ouchy, hier waren wir am Morgen mit Franziska gestartet.

Bleibt uns nur noch das Kofferpacken.

Mit dem Hotel waren wir zufrieden, es war alles in Ordnung, vor allem für den krassen Qualitätsunterschied zum Novotel Sausheim sind wir froh und dankbar. Hier haben uns die gut gestalteten und damit einladenden Freianlagen des Hotels besonders gefallen.

Sonntag, 17. Juni 2018, durch die Schweiz in einem Ritt

Nur einen Aufenthalt neben den obligatorischen Pausen haben wir auf der Rückfahrt noch vorgesehen, einen Abstecher zum Rheinfall, dass fand auch damals 2012 schon statt, als wir ja in Schaffhausen übernachteten.

Immer wieder durchfahren wir teils heftige Regenschauer, dann wieder sommerliche Etappen mit blauem Himmel und viel Sonnenschein, am Rheinfall dann wieder Regen. Leider haben wir es verpasst, Eintritt zu bezahlen, so sehen wir das Naturschauspiel nur von oben, na gut, wir waren schon zweimal hier, trotzdem kann man es immer wieder bestaunen, zumal ja die Ansichten je nach Wasserführung durchaus anders sind.

David (Devid), der ja als Busfahrer viel herumkommt, kennt den Rheinfall noch nicht und nimmt die Gelegenheit wahr, die ganze Ansicht mitzunehmen, das gönnen wir ihm und warten deshalb gern auch mal auf ihn.

Bernd und Angelika hatten sich tags zuvor bereits um unser großes Picknick gekümmert, das wir auf einem Autobahnparkplatz mit Schweizer Käse, Wurst, Schinken, frankoschweizerischen Baguettes und deutschem Sekt genießen.

Danke, Bernd und Angelika, nicht nur für diesen kulinarischen Teil der Reise, sondern für die großartige fürsorgliche Vorbereitung und perfekte Organisation, für den hohen Bildungswert und das tolle kulturelle Niveau, danke auch für das Wetter, das Bernd taktisch und strategisch abgesichert hatte.

Wenn auch ein bisschen weniger Goethe war, als in der ersten Schweizreise, so war es doch ausreichend (was will ich denn – ich habe endlich Friederike richtig kennen gelernt!), und überdies kam soviel Neues und Anderes hinzu, dass für uns der Sinn und Zweck der Reise absolut erfüllt ist.

– E N D E-

Goethe und Eckermann

Vortrag von Otti Planerer am 9. Mai 2018

Über allen Gipfeln ist Ruh ...
Eckermann und Goethe - Blasrohr und Flöte - so spottete der Dichter Nikolaus 
Lenau über die beiden, denn sie waren so verschieden, wie diese zwei 
Blasinstrumente. Es war das Verhältnis des Anhängers zu seinem Idol, der 
schwachen zur starken Persönlichkeit. Darüber sprach die Referentin.
Eckermann war nie Goethes Sekretär, wie oft behauptet wird. Herablassend nannte 
Goethe ihn den "braven Eckermann, der eine einfache, reine Seele" ist.
Wie die Referentin sagte, habe Jens Sparschuh über die beiden ein vergnügliches Buch geschrieben "Der große 
Coup". Der große Coup, das ist die Suche von Goethe und Eckermann nach möglichen 
letzten Worten von Goethe auf dem Sterbebett, die als unsterblich der Nachwelt 
hinterlassen werden sollen.
Aus Eckermanns Verzweiflung bei der Suche nach dem passenden Satz für den großen 
Coup und Goethes Eitelkeit, ist ein sehr vergnügliches Buch geworden.
Die Gespräche zwischen den beiden sind frei erfunden, fügte die Referentin hinzu und empfahl die Lektüre..

Ausflug nach Kulmbach

Schönes Wetter hatten wir uns für diesen Ausflug am 21. April 2018 nach Oberfranken gewünscht – und wir bekamen es. Um 7.30 Uhr startete der Bus vom Erfurter Hauptbahnhof nach Gera, wo die Geraer Goethefreunde schon warteten. Nach herzlichen Begrüßungen aller Vereinsmitglieder sowie durch unseren Vorsitzenden Bernd Kemter und seiner Ehefrau Angelika fuhren wir nun unserem Ziel – Kulmbach – entgegen. Zwei Stunden lang fuhren wir durch eine herrliche, erwachende Natur – Frühlingszeit.

In Kulmbach angekommen, wurden wir herzlich von Klaus Köstner, Mitglied des dortigen Literaturvereins, empfangen und herzlich begrüßt. Es folgte eine Überraschung: Wir begaben uns zum Frühlingsfest auf den Marktplatz und wurden ALLE zu einem Bratwurst- oder Käsebrötchenessen von den Kulmbacher Freunden eingeladen. Alles war bestens organisiert. Wir freuten uns sehr über diese kleine Überraschung und bedankten uns herzlich bei Klaus, und damit bei den Kulmbacher Freunden.

Dann stellte er uns den Stadtführer, Herrn Bergmann, vor, der uns seine sehr schöne Heimatstadt, ihr geschichtliches Werden und Wachsen zeigte, erklärte und erzählte.

Los ging’s am Mönchshof-Museum zum Luitpoldbrunnen auf dem Marktplatz zum „Kleinen Rathaus“. Es besitzt eine schöne Rokokofassade – erbaut 1752. Nicht weit entfernt liegt der Burgberg mit der Plassenburg – seit 1340 Eigentum der Hohenzollern. Dann sahen wir ein Reformator-Denkmal von Johann Eck. Der war Freund von Martin Luther und in Kulmbach tätig. Hier, in Kulmbach sind 72 Prozent aller Einwohner evangelische Christen, wie uns der Stadtführer erzählte. Wir kamen an einem uralten Badehaus vorbei, es wurde 1398 erstmals erwähnt und sahen ebenso ein Prinzessinnenhaus – bewohnt Mitte des 18. Jahrhunderts von der in Ungnade gefallenen ledigen Bayreuther Prinzessin Christiane Sophie. Im Jahre 1516 wurde eine Schützengesellschaft gebildet, die dann in den folgenden Jahren Schützenfeste veranstaltete. Zahlreiche wunderschöne alte Kirchen und Burgen stehen in und um Kulmbach, zum Teil in Kriegen zerstört, aber immer wieder aufgebaut.

Nachdem wir einen kleinen Berg erstiegen hatten, stand vor uns die einzige katholische Kirche „Unserer lieben Frauen“. Hier endete die Stadtführung, und wir fuhren zum Museumskomplex, der ein Bäckerei-, Brauerei- und Gewürzmuseum beherbergt. Alls hatten die Wahl der Besichtigung. Da Kulmbach berühmt war und ist für seine Brauereien, zog es natürlich viele von uns ins Brauereimuseum. Begeisterung pur bei uns allen!

Am Nachmittag fuhren wir zur Frankenfarm bei Himmelkron. Hier gab es ein reichliches Büfett von Schnitzel-Variationen. Großartig!

Etwa um 19 Uhr traten wir die Rückfahrt an. Es war eine sehr erlebnisreiche Reise – sehr gut organisiert, wofür wir dem Kulmbacher Literaturverein herzlichst DANKE sagen.

Renate Dalgas

Von der schlesischen Nachtigall zur preußischen Sappho – Anna Louise Karsch

Vortrag von Prof. Hannelore Scholz-Lübbering, Berlin,  am 11. April 2018

Wer in Berlin die evangelische Sophienkirche in Mitte (Spandauer Vorstadt) besucht, findet an der Nordwand eine Erinnerungstafel mit der Inschrift: „Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach ‚Kennst Du, Wanderer sie nicht, so gehe und lerne sie kennen’.“
Auch wenn sie heute aufgrund feministischer Forschungsbemühungen punktuell im Wissenschaftsdiskurs zu finden ist, Neuauflagen ihrer Gedichte vorliegen (Barbara Becker-Cantarino), der Briefwechsel nicht nur mit Gleim wichtige Aufschlüsse gibt und die „Sapphischen Lieder“ eine bemerkenswerte Lücke in der Publikation ihrer Werke schließen – das Phänomen Karschin gilt es noch genauer zu entdecken. Dies gilt insbesondere für ihr Leben und Wirken in Schlesien und Polen.Zu ihrer Zeit war sie eine bekannte Größe nicht nur im Berlin  Friedrichs des Großen. Sie wurde von Dichtern und Kritikern wie Gleim, Gerstenberg, Sulzer, Ramler oder auch Nicolai als Naturtalent und „Wunderfrau“ gepriesen. Goethe schätzte sie und selbst Fontane fand Spuren in Tamsel und lobte ihre Briefe als ein „vortreffliches Zeitbild“.
In der Karsch-Forschung ist auffällig, dass von Beginn an ihr Schreiben mit Blick auf ihr Leben Beachtung fand. Es sind auch weniger die Gedichte, obwohl einige heute noch durchaus ihren Rang behaupten können, sondern vor allem ihre Briefe, die ihr tägliches Leben, ihr Denken, ihre Gefühle offenbaren und damit eine bemerkenswert unkonventionelle Frau und ein lebendiges Zeitbild vor uns erstehen lassen.
Dass Leben Schreiben ist, ist uns auch von anderen schreibenden Frauen im 18. Jahrhundert bekannt. Die Karsch oder auch Karschin, wie sie genannt wurde, ist aber die einzige Autorin in dieser Zeit, die aus dem vierten Stand stammt und von der schlesischen Kuhhirtin zur europäisch anerkannten Autorin avancieren konnte. Das wiederum gelang nicht nur durch Lieder, Einfälle und Briefe, sondern auch durch sehr geschickt inszenierte Anpassungsstrategien und Selbstinszenierungen.
In meinem Beitrag möchte ich ihre Anpassungsstrategien im Kontext ihrer Lebenssituationen und Schreibmotivationen beleuchten.E s geht um Brüche und Kontinuitäten in ihren zwei entscheidenden Lebens- und Schreibzusammenhängen: Schlesien/Polen und Berlin.
Mit ihrer Übersiedlung 1761 in die Residenzstadt Berlin prägten Preußen und sein kulturelles Klima ihr Dichten und ihr Wirken. Dieses Preußen war durch den Siebenjährigen Krieg einer Nationalisierung ausgesetzt und in den europäischen Aufklärungsdiskurs eingebunden. In diesem Kontext erregt das Werk der Karschin nicht nur nationales Aufsehen, sondern auch europäisches.
Mein Interesse gilt den Fragen: Welche Strategie entwickelte sie als Regionaldichterin und Grenzgängerin zwischen Schlesien und Polen? Wie gelang es ihr, das Dichten im preußischen Berlin so wirkungsvoll zu präsentieren, dass sie, wenn auch nicht üppig, davon leben konnte?
In „Belloisens Lebenslauf“ schreibt die Karschin über sich:
„Ich ward geboren ohne feierliche Bitte
Des Kirchspiels ohne Priesterflehn
Hab ich in strohgedeckter Hütte
Das erste Tageslicht gesehn,
Wuchs unter Lämmerchen und Tauben
und Ziegen bis ins fünfte Jahr
[…]
Die Lerche sang für Belloisen,
Und Belloise sang ihr nach.
Die Nachtigall in Elsenssträuchen
Erhub ihr süßes Lied, und ich
Wünscht’ ihr im Tone schon zu gleichen.“
Die Texte „Nachtigallen singen ihre Klagen“ oder „Klagen einer Braut an ihre Nachtigall“ sind poetische Klagelieder.
„Du Sängerin geheimer Klagen,
Geliebte Nachtigall! du singst;
Ach, laß dir meinen Kummer sagen,
Daß du ihn in Gesänge bringst!“
Die Karschin stilisiert sich als schlesische Nachtigall, bisweilen um die Nähe zur Natur zu betonen, und ihre fehlende Bildung auch im Bild der „Lerche“.
„Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied!
Unter ihr in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommenem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht.“
Ihre sehr rege Phantasie treibt bisweilen seltsame Blüten. Sie brüstet sich mit kämpferischen patriotisch-nationalen Kriegsliedern, pathetisch klingenden Oden und kann gleichzeitig mit heiter-ironischem anakreontischen Geplänkel verblüffen. Eine „Wunderfrau“, die erstaunen lässt.
Anna Louisa Dürbach wurde am 1. Dezember 1722 in Hammer in der Nähe von Züllichau in der Grafschaft Glogau geboren. Sie war das dritte Kind des Bierbrauers und Schankwirts Christian Dürbach, der eine abgelegene Meierei in der Nähe der polnischen Grenze gepachtet hatte. Ihre Mutter war eine Försterstochter, die Analphabetin war, aber gut singen und tanzen konnte. Der Großonkel lehrte sie Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein. Knapp sechzehnjährig hat man sie mit dem älteren, wohlhabenden, aber geizigen Kauf- und Handelsmann Michael Hiersekorn verheiratet. Vier Wochen nach der Vermählung schrieb sie ihr erstes überliefertes Gedicht „Neujahrswunsch an den Rinderhirten“.
Adressat ist der Rinderhirte Johann Christoph Grafe, ihm verdankt sie ihre weiteren Bildungserlebnisse. Er lieh ihr Bücher, wohl auch selbstverfertigte Verse. Zu ihm entwickelte sie eine intensive, ein Leben lang anhaltende Freundschaft. Es ist sicher kein Zufall, dass er genau zu dem Zeitpunkt von Tirschtiegel nach Schwiebus übersiedelt, als Hiersekorn seine noch nicht 20-jährige Frau hochschwanger (mit dem vierten Kind) aus dem Hause jagt. Es ist vermutlich die erste Scheidung in Preußen. Sie zieht nach Schwiebus.
1742 fiel Schwiebus an das preußisch gewordene Schlesien, und damit erlangten die Einwohnerinnen und Einwohner auch ihre Religionsfreiheit zurück. Ihre Zeit von 1722 bis zu ihrer Abreise nach Berlin hat Ernst Josef Krzywon akribisch beleuchtet und Interpretationen zu auserwählten Liedern geliefert.
Von den 49 Texten aus schlesisch-polnischer Zeit entfallen
sechs auf die Schwiebuser Zeit (1738 bis 1749),
drei auf die Fraustädter Zeit (1749 bis 1755),
28 auf die Glogauer Zeit (1755 bis 1761).
Ihre Texte sind aufschlussreiche Spiegelungen ihres Lebens und ihrer Umwelt und bieten von daher Material für Einblicke in das bäuerliche Leben in der Grenzregion. In diesem Rahmen ist die Gelegenheitsdichtung aus weiblicher Perspektive zu bedenken.
1749 heiratete die 27-Jährige den Wanderschneider Daniel Karsch. Sie siedelten in das polnische Fraustadt (Wszowa) über. Die Stadt war stark deutsch geprägt, Deutsch war auch Amtssprache. Dies war eine entscheidende Voraussetzung zur Weiterentwicklung von Karschins Lese- und Schreibpraxis. Durch Pastor Herold befördert, dessen Predigt sie in Reimverse übertrug und in dessen Gegenwart sie erste Proben ihrer Improvisationskunst gab, erlangte sie rasch regionalen Dichterinnenruhm vom polnischen Lissa (Leszno) bis zum preußisch-schlesischen Glogau. Aus bitterer Not und aus Freude am Fabulieren wurde sie zur deutsch-polnischen Grenzgängerin, die als Wander- und Bettelpoetin in bürgerliche Häuser geladen ihre Reimkunst zu allen möglichen Anlässen zum Besten gab.
Durch Vermittlung las sie die Werke des von Goethe geschätzten schlesischen Lyrikers Christian Günther (1695-1723), Johann von Bessers (1654-1729) und Christian Fürchtegott Gellerts (1715-1769). Sie beschäftigte sich mit Klopstocks „Messias“. Edward Youngs „Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit“ beeindruckten sie tief.
Sein Lob des spontanen und intuitiven Dichtens, die Verachtung der Gelehrsamkeit und sein Kult des Originalgenies als Werk der Natur mussten bei ihr auf Sympathie stoßen.
Wesensverwandter waren der Karschin wohl aber die Gedichte ihres Landsmannes Günther, der wie sie eine besondere Rolle in der Literaturgeschichte spielt. Er wie sie schrieben Gedichte auf Bestellung, lebten als freiberuflich Dichtende und kämpften zeitlebens vergeblich um eine sichere Existenz.
Diese Lektüre sowie das Lob ihrer Freunde inspirierten die Karschin zu noch intensiverem Schaffen und führte zum ersten Druck des verschollenen „Hochzeitsliedes“ für den Postmeister Körber aus Lissa: „…mein Genie war jetzt gleich einem Vogel, der zum ersten Mal sich seiner Gabe zu fliegen bewusst ist“.
Sie wird ihre Leseerfahrungen wie ihre Bildung überhaupt verschweigen, um das Naive, Unbewußte ihrer Liederproduktion zu betonen. Mit dieser Strategie konnte sie mehr Bewunderung erreichen, die Wirkungsabsicht gelingt über Jahre so gut, dass sie 1762 an Sulzer schreibt: „Sagen Sie, meiner ganzen lobsprechenden freundlichen Welt, daß sie aufhören soll, mich ein Wunderwerk zu nennen.“
Ein bemerkenswertes Gedicht aus Karschins Fraustädter Zeit ist die zwölfstrophige Ode  „An Se. Majestät den König von Polen“, die als Lob-, Staats- und Heldengedicht im Sinne der heroischen Panegyrik inhaltlich wie formal ganz in der Tradition der sogenannten Hofpoeten um Canitz, Besser, Amthor, Pietsch und vor allem Johann Ulrich von König (1688-1744) steht. Es folgte ein weiteres Preisgedicht auf Kurfürst Friedrich August II., der als August III. zugleich König von Polen war.In Schwiebus sang die Karschin ein Lob auf Friedrich, jetzt preist sie den Polenkönig.
An Friedrich:
„ O Land! vergiß des Schröckens Streiche,
Und laß die Freude würksam sein;
Doch frag dein Herz, wenn du dich freuest,
Ob du des Friedrichs würdig seiest.“
Für ihre euphorische Bewunderung Friedrichs, „der Größte aller Großen“, wie sie ihn nennt, gebrauchte die Karschin eine Vielzahl von Metaphern, Epitheta und Topoi, die seit langem in der lyrischen Rechtfertigungstradition des Krieges und im Sprachreservoir des Herrscherlobs vorgeprägt waren. Für die Karschin der Glogauer Zeit – und darin stimmte sie sogar mit Gottsched überein – besaß der Herrscher, ob er nun August III. oder Friedrich II. war, die Weihe des Gottesgnadentums und die Würde göttlicher Sendung, die sich auch im Feldzug und vor allem in Siegen offenbarte. Die Idee des weisen und mächtigen Friedensfürsten, dem Ehrfurcht und Lob gebührt, gab ihrer Dichtung die entscheidende Sendung und auferlegten Selbstauftrag. Ihre Lobgedichte auf Friedrich waren deshalb keineswegs nur fürstendienende Schmeichelei, sondern bewusste Überhöhung der Wirklichkeit.
In der Abfolge der Siege Friedrichs schrieb und publizierte die Karschin ihre Glogauer Kriegsgedichte, angefangen von Lobositz (1. Oktober 1756) über Leuthen (5. Dezember 1758) und Torgau (3. November 1760).Die gedruckten Flugschriften dieser Kriegslyrik verbreitete n sich rasch, zum Beispiel die Ode „Freudige Empfindungen redlicher Herzen“.
Wenn die Karschin gerufen wurde, bediente sie sich des Klischees einer armen Schneidersfrau, die mit Körbchen am Arm um Almosen betteln musste. Ein Fremder, der die Identität der Wanderpoetin nicht kannte, gibt ein anschauliches Bild: „Eine Schneidersfrau in Glogau […] war es. […]sie hat damals auf den Sieg bey Leuthen eine Ode gemacht, die gewiß schön war. Ich habe vierzehn Exemplare davon an meine gutten Freunde verschickt. Wir ließen sie einige Tage nach dem Dankfest in eine Gesellschaft rufen. Sie kam, ein Körbchen in der Hand, theilte Exemplare unter uns aus und fast einem jedweden einen Vers, der sich auf seinen Zustand schickte. […]Es war ein fatales Porträt […] hässlich wie die Erbsünde!“
Neben geistlicher Lyrik, Kriegslyrik und Herrscherlob schrieb die Karschin in der Glogauer Zeit viele Gelegenheitsgedichte profaner wie sakraler Art. Vorherrschend waren Hochzeits- und Trauergedichte, die den Unterhalt der Familie sichern sollten. Oft erhielt sie Naturalien, Kleidung, kleinere Spenden.
Nun zur preußischen Sappho in Berlin. „Es hat sich hier im Bereiche des Geschmacks eine wunderbare Erscheinung gezeigt: eine große Dichterin, die blos die Natur gebildet hat und die, nur von den Musen gelehrt, große Dinge verspricht. […] Sie besitzt einen ausnehmenden Geist, eine sehr schnelle und sehr glückliche Vorstellungskraft. […] Ich zweifle sehr, ob jemals ein Mensch die Sprache und den Reim so sehr in seiner Gewalt gehabt hat, als diese Frau. Sie setzt sich in einer großen Gesellschaft unter dem Geschwätz von zwölf und mehr Personen hin, schreibt Lieder und Oden, deren sich kein Dichter zu schämen hätte […] darunter viele sind, welche in der griechischen Anthologie eine gute Figur machen würden.“
Mit dieser überschwänglichen Begeisterung kündigt Sulzer dem Dichter und Kritiker Bodmer in Zürich die Ankunft der Karschin in Berlin an. Sie wird wie eine Sensation aufgenommen, mit Neugier beäugt und mit Gunstbezeugungen in Adels- und Bürgerhäusern überschüttet. Das verwundert aus heutiger Sicht auch deshalb, weil sie dem weiblichen Schönheitsideal des 18. Jahrhunderts keineswegs entsprach.Sie war so  hässlich, dass Lavater sie in die „Physiognomik“ mit den Worten aufnahm „Lieber keine Verse machen, als so aussehen!“. Er wird es danach im Text relativieren und sie als „geistreich“ charakterisieren und ihre „männliche Stirn“, das „Seherauge“, die „hässliche Nase“, das „beinerne Kinn“ betonen.
Sie weiß darum und sie weiß auch, dass sie ein Kuriosum darstellt. Sie nutzt ihre Popularität, lässt Bewunderung, Mitleid und Taxieren ihrer Fähigkeiten bewusst zu, um ihre Ansprüche und Vorstellungen durchzusetzen. Sie wurde nicht manipuliert, sie manipulierte und entzog sich den ihr nicht passenden „Verbesserungsvorschlägen“ der Berliner Aufklärer. Gleim wollte sie bekanntermaßen zur „deutschen Sappho“ machen, und Ramler sollte ihr das richtige Versmaß beibringen. Ich bezeichne sie in Anlehnung an Gerhard Wolf als „preußische Sappho“, weil sie stark von der Berlinisch-preußischen Kulturlandschaft nach 1761 geprägt wurde.Sie konnte weder die „Fesseln de r Kunst“ erdulden noch Regeln anerkennen. Ihr Verständnis als Schreibende war das einer Produzierenden, die Dienstleistungen erbringt, für die sie entlohnt wird, um ihre immer größer werdende Familie zu ernähren. Das war in Schlesien so und wird sich in Berlin fortsetzen.
Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe und ihrer Aufmerksamkeit, die sie bei Hof erregt, finden sich auch Neider. Sie geht auf die ihr zugewiesenen Rollen ein. Sie ist die Naive aus dem Volk, die durch ihr „Genie“ imponiert. Sie fällt allerdings immer wieder aus dieser Rolle heraus, weil sie spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, weil sie Anstandsregeln und Politur nicht beachten will.  Auch in Berlin bleibt sie angewiesen auf milde Gaben und hat keine ausreichende Häuslichkeit und Versorgung. Ihre mehr als 1000 Briefe an Gleim sind dafür beredtes Zeugnis. Diese gehören zu der wohl wichtigsten Leistung ihres Lebens. Einer Publikation hat sie nicht zugestimmt. In Gleim sah sie nicht nur den Bewunderer und Lehrer, sondern sie projizierte auch ihre ungestillte Liebeserwartung auf ihn. Alles, was er ihr empfiehlt – Homer, Pindar, Xenophon, Plutarch -, verschlingt sie mit großem Eifer. Er verspricht die Publikation ihrer Gedichte, muss sie als Frau aber gleichzeitig abwehren, weil er ihr Liebesbegehren nicht teilen kann. Sie akzeptiert das, nennt ihn Thyrsis, sich Sappho, unterzeichnet sehr anspruchsvoll so ihre Oden und muss sich gefallen lassen, verlacht zu werden.
„Sing ich Lieder für der Liebe Kenner:
Dann denk ich den zärtlichsten der Männer
Den ich immer wünschte, nie erhielt,
Keine Gattin küsste je getreuer,
Als ich in der Sappho sanftem Feuer
Lippen küsste, die ich nie gefühlt.“
Sie kann nicht selbstbewusst wie Charlotte Unzer, die „Unzerin“, wie die Karschin sie nennt, Gleim Paroli bieten oder wie Melpomene Trauergesänge dichten. Ihr steht allein eine soziale Erfahrung als Basis für ihre Poesie zur Verfügung.
„Meine Jugend war gedrückt von Sorgen,
[…]
Ohne Regung, die ich oft beschreibe,
Ohne Zärtlichkeit ward ich zum Weibe,
Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg,
Unverliebt ein Mädchen werden müßte,
Die ein Krieger halb erzwungen küsste […] “
Als die Karschin in Berlin eintraf, war sie 39 Jahre alt und in Begleitung ihrer elfjährigen Tochter. Der Sohn blieb zur Erziehung in Boyadel. In der Forschung wird dieses Faktum ihrer Übersiedlung nach Berlin als gönnerhaftes Verhalten des Barons von Kottwitz kommentiert. Für unseren Ansatz ist interessant, wie die Tochter Caroline von Klencke das erklärt. Baron von Kottwitz hatte der Karschin eine wertvolle Tabakdose geschenkt und unter dem Tabak waren sechs Goldtaler gemischt. „Sie glühete ihren Dank in Gesängen aus; der Baron ward davon bezaubert, und stellte ihr frei, daß sie von ihm etwas bitten sollte, was zu ihrem Glücke beitragen könnte.“
Sie zögerte nicht lange und bat ihn, sie mit auf seine Reise nach Berlin zu nehmen. Das ist ganz offensichtlich ein dreistes Ansinnen, aber in ihrer Lage zeugt es auch von Realitätssinn. Sie musste die Situation ausnutzen, um ihren trunksüchtigen Ehemann loszuwerden, und sie vermutete in der Stadt mehr Verdienstmöglichkeiten. Ihre Strategie sollte aufgehen.
Es sind wiederum, wie schon in Schlesien und Polen, die Loblieder auf Friedrich den Großen und ihre Stegreifdichtungen, die zu ihrem plötzlichen Ruhm in Berlin führten. Berlin war vor dem Machtantritt Friedrichs II. kein Kulturzentrum. Allerdings ist nach Hermsdorf die Ausgangslage der Berliner Literatur Gebrauchsliteratur. Das literarische Leben wird wesentlich bestimmt von dem persönlichen Verhältnis zwischen Autorin/Autor und Auftraggeberin/Auftraggeber in einem lokalen Umfeld. Die Residenzen Potsdam und Berlin wurden unter Friedrich II. Schauplätze eines preußischen Modells einer Kulturpolitik des aufgeklärten Absolutismus.Die Besonderheit Berlins  bestand darin, dass die Sprachen des kulturellen Lebens am Hof und in der Stadt unterschiedlich waren: Französisch und Deutsch.
Goethes Erzählung über den Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) bezeugt, in welchem Maße der wechselvolle Verlauf den Rahmen der herkömmlichen Kabinettskriege sprengte. Er wirkte ganz offensichtlich nicht nur bei ihm, sondern auch bei der Karschin als der Einbruch einer unerhörten Art von Wirklichkeit in den Alltag. Die Folge war eine Politisierung des Denkens.
Seit Eröffnung dieser Kämpfe 1756 versorgte Ewald von Kleist Gleim in Halberstadt mit brieflichen Nachrichten vom Kriegsschauplatz. Unter ihrem Eindruck schrieb Gleim seine „Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier.“ Sie erschienen zunächst als Flugblätter, später beteiligten sich Ewald von Kleist, Ramler, Peter Uz an der Überarbeitung der Texte, und es war Lessing, der sie zusammenstellte und mit einem „Vorbericht“ bei seinem Berliner Verleger Voß herausgab.An dieser Aktion patriotischer Propaganda nahm als einzige Schriftstellerin in Schlesien auch die Karsch teil.
Ihre Kriegslieder verraten ein naiv zutrauliches Verhältnis zu einem König und Feldherrn, für den doch auch sprach, dass er persönlich im Krieg präsent war. Die Karschin hat mit ihrem „Hymnus auf den Sieg des Königs bei Torgau vom 3. November 1760“ eingestimmt in die Freudenausbrüche der Bevölkerung.
„[…]
Der König winkt, die Reuter falten
Ernsthaft die Stirnen und ihr Arm
Wird ihren Feinden schwer. Geschwungene Säbel spalten
Den Kopf, und vom Gehirn noch warm
Zerfleischt das Schwert die Eingeweide.“
Mendelssohn, der die „Briefe, die Neueste Litteratur betreffend“ herausgibt, kommentiert im 143. Brief vom 12. Februar 1761 diese Strophen: „Welches Gemälde! Sagen Sie mir doch, ob es wahr ist, daß die Reuter die Stirnen falten, wenn sie einhauen! Der Zug ist erhaben, und so viel ich weiß, noch ungebraucht. Ich begreife nicht, wie ein unkriegerisches Frauenzimmer auf diese Bemerkung hat zuerst kommen können.“
Die Karschin hat Friedrichs Siege besungen, schreibt für die komponierende Prinzessin Amalia den Text zu einer Kantate und nutzt jede Gelegenheit, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Am 11. August 1763 hat sie die gewünschte Audienz bei Friedrich II. Rasch wurden noch zwei Gedichte ins Französische übersetzt. Sie hatte sich ein Haus erträumt; sie wird es zunächst nicht erhalten. 1773 – also zehn Jahre später erhielt sie vom Hof ein Gnadengeschenk von zwei Talern. Sie schreibt statt eines Dankbriefes:
„Zwey Taler gibt kein großer König,
Ein solch Geschenk vergrößert nicht das Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück“
Sie, die sich solchen Stolz sozial nicht leisten kann, gab nicht auf. 1783, weitere zehn Jahre später, erhält sie drei Taler. Sie bestätigte den Empfang mit den Worten:
„Seine Majestät befahlen
Mir, anstatt ein Haus zu baun
[…]
Aber für drei Taler kann
Zu Berlin kein Hobelmann
Mir mein letztes Haus erbauen“.
Erst nach dem Tode des Alten Fritz’ sollte die Karschin auf ungewöhnliche Weise ihren Wunsch doch noch realisiert sehen.
Caroline von Klencke beschreibt, dass ihre Mutter sich wegen einer Freundin und deren Naturalienkabinett an die Gouvernante der regierenden Königin von Preußen wandte. Sie erhielt die Auskunft, dass der König zunächst alle Schulden des verstorbenen Königs bezahlen müsse. Es bestätigt wieder einmal ihre Geistesgegenwart und Bauernschläue, dass sie in dem Moment die Schulden ihr gegenüber auch einfordert. Das Haus als „Gnadengeschenk“ wurde am „Haakschen Markt“ gebaut.Das Haus war für sie eine neue Hoffnung. Sie lud viele B ekannte und Freunde ein, behielt aber ihre alte Gewohnheit bei. „Noch immer blieb sie halbe Tage an den Schreibtisch gefesselt, und ging die übrige Zeit in die kleinen Zirkel ihrer liebsten Freunde.“ Noch drei Tage vor ihrem Tod wird sie diese Strategie verfolgen.
Fazit
In den schlesisch-polnischen Jahren der Karschin entwickelt sie ihre Gelegenheitsdichtung ebenso wie ihre politische Lyrik und orientiert sich an dem überlieferten Formenbestand. Für unsere Fragestellung ist von Belang, dass sie trotz Druckfassungen diese nicht nur persönlich an die betroffenen Personen verteilt, sondern auch im Beisein von einem kleineren oder größeren Personenkreis ihre Improvisationen in Schnelligkeit liefert. Ich möchte das „situatives Improvisieren“ nennen. Diese Strategie hat einerseits nicht unerheblich zu ihrem Ruhm beigetragen, hat andererseits aber auch die Kritiker herausgefordert. Die Schnelligkeit ihres Reimes galt als Indiz für ihre Natürlichkeit.
Mit Gedichten wie „Das ständige Einerlei“ und „Schlesisches Bauerngespräch“ überschreitet sie die Normen der Gelegenheitsdichtung. Ich zitiere Krzywon: „Im Medium der lokal eng begrenzten Sprache eines einzigen ländlichen Ortes, der Ortsmundart und beschränkt auf den Bauernstand, wenn auch in durchgehend bewusster Kontrastierung mit dem Städter, wird in Karschins Dialogwechsel „Schlesisches Bauerngespräch“ (Bauer/Vetter Hans ist bei Muhme Orte zu Besuch, H. S.) die äußere und innere Welt eines schlesischen Bauern um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Kontext des Siebenjährigen Krieges realistisch und alltagsnah geschildert, stets vor dem Hintergrund desironisierten Stadtlebens.“
Sie positioniert sich politisch auf Seiten des preußischen Königs Friedrich II. Das ist verständlich aus der Sicht einer schlesischen Protestantin, deren Religionsfreiheit in österreichisch-kaiserlicher Zeit gewaltsam unterdrückt wurde.
In ihrem vorberlinischem Leben überschneiden sich zwei Kulturrichtungen, die höfische und die nichthöfisch-bürgerliche, in ihrem Fall bäuerliche Welt. Als Übergangssängerin formuliert die Karschin sowohl Adelskritik am Hof als auch das Elend der Bauern, die dem Fortschrittsglauben auf bessere Zeiten misstrauen. Sie singt Loblieder auf fürstliche Häupter und Könige und gibt den bäuerlichen Unterschichten eine Stimme.
In regionalliterarischer Sicht schließt sie damit auch nach Krzywon eine Lücke zwischen dem Scherzspiel „Die geliebte Dornrose“ von Andreas Gryphius und Karl von Holteis „Schlesischen Gedichten“. Die schlesisch-polnische Lebens- und Wirkungszeit der Karschin ist noch unzureichend erforscht.
Auch in Berlin bleibt sie ihrer erprobten Strategie treu. Sie sucht fast immer selbst die Nähe und Bekanntschaft wichtiger Personen, weil sie „Gramdulderin“ und „Sorgenträgerin“ bis ans Grab blieb. Ihr Ruhm als „Naturtalent“ und „Wunderfrau“ machte sie zu einem unterhaltsamen Faszinosum, einem Berliner Original. Sie konnte und wollte der von Gleim ihr zugedachten Rolle als „deutsche Sappho“ nicht entsprechen. Im Bild der Sappho hatten die männlichen Aufklärer ihre eigene antikisierende Dichtungstradition auf sie übertragen. Sie verglichen sich mit Vergil, Horaz oder Anakreon – als einzige weibliche Ausnahme blieb Sappho.
Die Dichtung der Karschin ist einerseits im Kontext der Volkspoesiedebatte des 18. Jahrhunderts anzusiedeln und auch durch sie im Auf und Ab der Kritiken zu verstehen, besonders der Paradigmenwechsel in Herders Kritiken. Andererseits ist sie weder der Anakreontik, Empfindsamkeit, Spätaufklärung oder dem Sturm und Drang zuzuordnen. Hannelore Schlaffer bringt es auf den Punkt: „Sie war eine Figur zwischen den Zeiten und zog daraus ihren Ruhm. Die Verblüffung, die sie hervorrief, entstand aus der Verwirrung der Maßstäbe, die Dichter und Gesellschaft hatten.“
Mit Blick auf die Karschin als Frau und Dichterin wären diese Maßstäbe zu differenzieren.

Ausflug auf die Weidaer Osterburg

Unser Ausflug am 3. März 2018 führte uns nach Weida auf die Osterburg. Dieses imposante Gemäuer war einst Stammsitz der Vögte, dessen Herrschaftsbereich bis ins Regnitzland reichte. Zunächst besuchten wir das Museum, bewunderten die Atomuhr, machten uns mit bedeutenden gebürtigen Weidaer Wissenschaftlern und deren Erfindungen bekannt, erlebten den 360-Grad Raum. Hier werden Ansichten des Umlandes direkt auf die Ziegelmauer projiziert, und wir erlebten auf diese beeindruckende Weise die Geschichte der Reußen und die Schönheit ihres Landes. Wer wollte, konnte natürlich auch den Bergfried weiter besteigen – eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit.

Anschließend begaben wir uns ins Burgrestaurant, ins stilvolle, anheimelnde Tonnengewölbe. Dort genossen wir Kaffee und Kuchen. Einige Kulmbacher und Goethefreunde lasen aus ihren Manuskripten.

Höhepunkt war natürlich das deftige Ritteressen, zu dem uns ein uriger Spielmann aufspielte. Seine Scherze und munteren Wortspiele brachten uns zum Lachen.

So verlebten wir einen schönen Tag, der Bus brachte die Geraer und Erfurter unter Gesang nach Hause. Unsere Kulmbacher Literaturfreunde kamen in ihren PKW ebenfalls wohlbehalten in ihrer Heimatstadt an.

Meine Lieder schossen auf wie die Nesseln. Denkwürdiges über Wilhelmine von Chezy

Vortrag von Dr. Maria-Verena Leistner, Leipzig, am 7. März 2018

In der Zeit zwischen 1815 und 1830 gehörte Wilhelmine von Chezy, auch Helmina oder Helmine genannt, zu den bekanntesten Schriftstellerinnen. Heute wird ihr Name lediglich als Librettistin von Carl Maria von Webers Oper „Euryanthe“ oder Verfasserin des Textes zu Franz Schuberts Schauspielmusik „Rosamunde“ genannt. Ihr Gedicht „Ach wie wär‘s möglich dann“ ist zum Volkslied geworden. Sie wurde als Wilhelmine Christiane von Klencke am 26. Januar 1783 in Berlin geboren. Da war die Ehe der Eltern bereits geschieden und das Mädchen wuchs unter der Obhut von Mutter, Caroline Luise von Klencke (1750-1802), und Großmutter, Anna Luise Karsch (1722-1791), auf. Beide Frauen waren Schriftstellerinnen, die Großmutter – genannt: die Karschin – in ihrer Zeit eine Berühmtheit, der auch Goethe im Mai 1778 seine Aufwartung machte. Wilhelmine besuchte keine Schule, die Mutter unterrichte sie zu Hause, Zeichnen lernte sie bei Daniel Chodowiecki und das Lesen wurde ihr früh zur Leidenschaft.
Im August 1799, da war sie sechzehneinhalb Jahre alt, wurde Helmina mit dem Offizier Karl Gustav von Hastfer verheiratet. Schon 15 Monate später erzwang sie – unter Preisgabe des gesamten Vermögens – die Scheidung. Die Frage nach der weiteren Lebensgestaltung half ein Zufall lösen. Helmina lernte die in Berlin lebende französische Emigrantin und Erfolgsautorin Felicité de Genlis kennen, die die junge Frau zu sich nach Paris einlud und dort für sie zu sorgen versprach. Die Warnungen, da die Genlis in der Gesellschaft einen etwas zweifelhaften Ruf genoss, schlug Helmina in den Wind und reiste im Mai 1801 nach Paris. Außer Unterricht im Französischen erhielt sie nicht die versprochene „mütterliche Liebe und Sorgfalt“. Helmina war nun ganz auf sich verwiesen. Eine Stelle als Erzieherin fand sie nicht – man nahm Anstoß daran, dass sie eine geschiedene Frau war. Mit großem Lerneifer holte sie an Bildung nach, was ihr bisher vorenthalten worden war. Sie besuchte die Pariser Nationalbibliothek und die Nationalgalerie und lernte ohne Anleitung Altfranzösisch, Italienisch, Spanisch und Englisch. Sie verschaffte sich Zugang zu verschiedenen Salons und suchte Kontakte zu Literaten und Verlegern.
Mit der von der Großmutter Karsch geerbten Lust zum Schreiben hatte bereits in Berlin die vierzehnjährige Helmina einen Roman begonnen und war von Jean Paul zu weiterer literarischer Arbeit ermuntert worden. In ihm sah sie fortan ihren Mentor und hielt den Kontakt zu ihm über 22 Jahre hin aufrecht. In Paris nun musste sie ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienen. Es waren vor allem Berichte zur Zeitgeschichte und zur aktuellen Kunst, die von deutschen Verlegern veröffentlicht wurden. Dazu erschienen ab 1807 Gedichte, die ihr leicht aus der Feder flossen. Darin kamen häufig Naturerlebnisse und Gemütsverfassungen zum Ausdruck. Ganz in der Tradition der Karschin schrieb sie auch Widmungsgedichte auf hochgestellte Personen, die ihr ab und zu mit wertvollen Geschenken dafür dankten. Unter dem Titel „Gedichte der Enkelin der Karschin“ erschienen 1812 die frühen Arbeiten in zwei Bänden und verschafften der Autorin Helmina einen Platz auf dem literarischen Markt.
Im Hause von Friedrich und Dorothea Schlegel lernte sie den zehn Jahre älteren Orientalisten Antoine Léonard de Chézy kennen. 1805 wurde geheiratet und Helmina nahm anfangs aktiv an den wissenschaftlichen Arbeiten ihres Mannes teil. 1806 und 1808 wurden die Söhne Wilhelm (später Schriftsteller, gest. 1865) und Max (später Maler, gest. 1846) geboren. Aber innerfamiliäre Spannungen und das Missbehagen in dem sich zur modernen Großstadt entwickelnden Paris bewirkten, dass Helmina 1810 mit den Kindern nach Deutschland zurückkehrte. Ein reger Briefverkehr blieb zwischen den Eheleuten bis zu Chézys Tod 1832 bestehen, und er überwies jährlich 2400 Francs nach Deutschland.
Helminas Leben war fortan von häufig wechselnden Aufenthaltsorten, materieller Not, Krankheit und etlichen Skandalgeschichten gekennzeichnet. Ihr Drang, sozial Bedürftigen Hilfe zukommen zu lassen, brachte sie in Konflikte mit dem Staatsapparat. 1813 organisierte sie in Darmstadt Hilfsaktionen für verwundete Franzosen. 1815 erwirkte sie vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. die Erlaubnis zu Besuchen in Lazaretten in Belgien und am Niederrhein. Weil sie dort Nachlässigkeiten bei der Versorgung Verwundeter aufdeckte, erregte Frau von Chezy das Missfallen der Lazarettverwaltungen, die sich nicht von einer Frau und Schriftstellerin Vorschriften machen lassen wollten. Sie indes ging in ihrem Eifer so weit, in einem Schreiben an den General der Infanterie, Grafen von Gneisenau, die Beschwerden von 33 Invaliden weiterzugeben und von der „Elendigkeit“ zu berichten, die einigen von ihnen widerfahren sei. Diese nach Köln zwecks Überprüfung zurückgesandte Eingabe brachte der Schreiberin eine Verleumdungsklage „wegen Amtsehrbeleidigung königlicher Behörden“ und Vorladung vor das Zuchtpolizeigericht ein. Daraufhin reiste Helmina am 24. Februar 1816 mit ihren Kindern Hals über Kopf aus Köln ab und kam nach vier Wochen in Berlin an, wo sie vor dem preußischen Kammergericht gegen den Vorwurf der Verleumdung kämpfte. Der damals dort tätige Dichter E. T. A. Hoffmann leitete die Untersuchung und bewirkte den Freispruch der Angeklagten.
Daraufhin verließ Helmina Berlin, wo für sie das Leben zu teuer wurde, und lebte von Oktober 1817 bis April 1823 in Dresden. Es waren Jahre eines umfangreichen geselligen Verkehrs und literarischer Produktivität. Mit den Kindern unternahm sie Wanderungen in der Sächsischen Schweiz und schrieb Gedichte auch auf die besuchten Örtlichkeiten. Schon in früheren Jahren hatte Helmina von Chezy sich mit fremdsprachiger Literatur beschäftigt und in Paris zu Friedrich Schlegels Sammlung übersetzter altfranzösischer Literatur beigetragen. Ein erstes Zeugnis für die Beschäftigung mit dem Spanischen war die Übersetzung des Calderón-Dramas „El galan Fantasma“, die sie im November 1816 Goethe zukommen ließ. Nun wurde diese Tätigkeit intensiviert. Gemeinsam mit dem kurhessischen Gesandten in Dresden, Ernst Otto von der Malsburg, übersetzte sie weitere Dramen Calderóns, die in sechs Bänden von 1819 bis 1825 bei Brockhaus in Leipzig erschienen. Es entstanden ebenfalls verschiedene Prosatexte. Eine bis heute bekannt gebliebene Arbeit der Dresdner Zeit war das Libretto zu Carl Maria von Webers Oper „Euryanthe“. Die Zusammenarbeit zwischen 1821 und 1823 gestaltete sich schwierig, weil die Intentionen beider Künstler voneinander abwichen. Es kam zu vielen Umarbeitungen, bevor am 23. Oktober 1823 am Wiener Kärntnertortheater unter Webers Leitung die Uraufführung stattfand. Heute heute wird die Oper nur noch selten gespielt.
Gesundheitliche Beschwerden bei Helmina von Chezy und die Behandlung des an Skrofulose erkrankten Sohnes Wilhelm mit Schwefelbädern erforderten einen Weggang aus Dresden. Zudem hatte sie sich neuerdings ins Gerede gebracht, weil sie einem an Wahnsinn erkrankten Maler ihre Pflege zuteil werden ließ. Wien, das Salzkammergut, München, noch einmal Paris, Baden-Baden, Heidelberg, das Elsaß und schließlich Genf waren die Orte, wo sich Helmina von Chezy – ab 1829 ohne ihre Söhne – in den Jahren bis zu ihrem Tod aufgehalten hat. 28 ihrer Prosatexte gab sie 1824-27 unter dem Titel „Stundenblumen“ in vier Bänden heraus. Im vierten Band ist die Erzählung „In Deo Consilium“ enthalten, in der Erlebnisse sowohl der Dresdner Zeit als auch der ersten in Österreich verbrachten Jahre verarbeitet sind. Gedichte wurden zu dem Band „Herzenstöne auf Pilgerwegen“ (1833) zusammengestellt. In den folgenden Jahren verfasste die Schriftstellerin hauptsächlich publizistische Texte.
In Österreich flammte Frau von Chezys Hilfsbereitschaft für notleidende Menschen noch einmal auf, als sie im Salzkammergut das Elend arbeitslos gewordener Salzbergleute erlebte. Nicht am Versiegen der Salzgewinnung glaubte sie die Ursache dafür zu sehen, sondern an Fehlern in der Verwaltung. Mit Hilfe der Kaiserin Caroline Auguste organisierte sie, dass den Arbeiterfrauen der Region um Hallstatt durch Flachsspinnen eine Verdienstquelle erschlossen wurde. Auch sammelte sie Beschwerden von Bergleuten ein und schickte diese an Kaiser Franz I. Ihn veranlasste die Angst vor sozialem Aufruhr, die Chezy im Dezember 1828 zu einer Audienz zu laden. Er dankte ihr zwar für ihren Einsatz, verwarnte sie zugleich wegen des Eingreifens in staatliche Angelegenheiten. In ihren Erinnerungen resümierte sie: „Zum zweiten Mal in meinem Leben blieb ich unverstanden, und hatte meine Widersacher durch weibliche Einmischung aufgebracht.“
1832 starb Léonard de Chézy an Cholera. Er hatte die Ergebnisse seiner Sanskrit-Studien nicht veröffentlichen können und Helmina kämpfte in Paris um die Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit. Mit einer schäbigen Summe (1.500 Francs) wurde sie abgefunden, die kostbare Bibliothek musste versteigert werden. Weil ihre Einnahmen allmählich versiegten, bat Helmina von Chezy bei Verlegern um Neuauflagen ihrer Texte, bei Theaterintendanten um Aufführung ihrer Bühnenwerke, hatte aber kaum Erfolg. Geringe materielle Zuwendungen vom preußischen König sowie von der 1842 in Dresden gegründeten Tiedge-Stiftung wurden der notleidenden und zuletzt erblindeten Frau zuerkannt. 1842/43 nahm sie lebhaft Anteil an den demokratischen Debatten und engagierte sich für die Rechte von Frauen. Als die Chezy vom Projekt eines „Armenbuches“ der Bettina von Arnim erfuhr, begann sie mit der Arbeit an einem – Fragment gebliebenen – Buch über soziale Fragen mit dem Titel „Dies Buch gehört Bettinen“. 1853 siedelte sie an den Genfer See über. Dort starb sie am 28. Januar 1856. Zuletzt war aus Schlesien eine Großnichte zu ihr gekommen, der sie ihre Lebenserinnerungen diktierte, die 1858 unter dem Titel „Unvergessenes“ erschienen.

Elke Sieg mit der Thüringer Ehrenamtscard ausgezeichnet

Sie ist die gute Seele des Vereins, so hieß es in der Laudatio zur Ehrung unserer Geschäftsführerin Elke Sieg anlässlich des Tages des Ehrenamtes – ein gelungener Jahresabschluss für das Gründungsmitglied der Geraer Goethe-Gesellschaft. Unermüdlich, über mittlerweile elf Jahre hinweg, steht sie zuverlässig für eine vorbildliche Kassenführung, die auch unter den strengen Augen des Finanzamtes Bestand hat. Elkes Arbeit geschieht fast unbemerkt, im Hintergrund. Daher war es an der Zeit, endlich einmal ihr Engagement zu würdigen.

Wir gratulieren ihr aufs Herzlichste!

Jahresabschluss in der Mühle Kleinhettstedt

Ausflug am 2. Dezember 2017

Erfurter und Geraer Goethefreunde begaben sich auf Jahresabschlussfahrt nach Kleinhettstedt. Die dortige Senfmühle war unser Ziel. Die Mühle wurde erstmals im 16. Jahrhundert erwähnt. Lange Zeit diente sie als Gips-, Senf-, Säge- und Graupenmühle. Auch Öl wurde hier gewonnen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dieses Geschäft aufgegeben und eine reine Getreidemühle eingerichtet.

Diente zunächst das Wasser der Ilm zum Antrieb, wurde der Mahlbetrieb später per Dieselmotor, dann elektrisch aufrechterhalten.

1972 wurden die Besitzer enteignet, die Mühle als volkseigener Betrieb weitergeführt. Nach der Wende erfolgte die Reprivatisierung unter schwierigen Bedingungen. Da die Familie den von der Treuhand geforderten Betrag von 250 000 DM nicht aufbringen konnte, ließ die Behörde 1991 die Roggenmühle und andere Teile des Maschinenparks demontieren. Der Betrieb erwies sich als zu groß für Kleinkunden und zu klein für Großkunden. Eine schwierige Lage.

Wikipedia: Der Aufschwung begann 1996 mit dem Einbau von Ferienwohnungen und einem Festsaal. 1998/99 richtete man Gewerberäume in der Roggenmühle ein. Seit 1999 wird die Weizenmühle wieder als Senfmühle genutzt – aus Sicht des Betreibers ein aktiver Beitrag zum Denkmalschutz, da der Erlös in den Erhalt des Denkmalensembles fließt. 2001 wurde die Antriebstechnologie wieder mit einer Lokomobile komplettiert. Der Mühlbach treibt heute (seit 2012) eine Francis-Schachtturbine an, die einen 35-kW-Elektromotor mit Strom versorgt. Von hier aus werden alle Maschinen über teils meterlange Riemen bewegt. Im 1901 stillgelegten Mühlgraben soll künftig ein Wasserrad neu entstehen, um die Mühle anzutreiben. Den Betrieb führt heute Ulf Morgenroth, in neunter Generation seit 1732.

In dem kleinen Senfladen konnten wir etwa zwanzig verschiedene Senfproben verkosten und natürlich auch kaufen. Anschließend begaben wir uns zum Mühlenwirt, in einen als uriges Restaurant umgebauten ehemaligen Stall. Das Ehepaar Reimann bot uns ein kurzweiliges Gesangsprogramm. Wir ließen uns Kaffee und Kuchen, später das Abendessen schmecken. Auch führten wir eine gemeinsame Mitgliederversammlung durch.