Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

Meiningen: Elisabethenburg und Literaturmuseum Baumbachhaus

Tagesausflug am 25. März 2017

An diesem Sonnabend führten wir den zweiten Teil unseres Meiningen-Besuchs durch. Im Mittelpunkt standen das Museum Elisabethenburg und das Literaturmuseum Baumbachhaus. Zunächst durchstreiften wir die Elisabethenburg, machten uns mit der interessanten Geschichte verschiedener Herzöge, wie Bernhard I., Anton Ulirch, Georg I., Berhard II., Georg II., und Bernhard III. vertraut Und natürlich mit Adelaide, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, spätere Königin von Großbritannien. Sie war Gemahlin von William IV, einem schon recht bejahrten Herrn.

Die Schlossräume erwiesen sich von auserlesenem Geschmack. So bewunderten wir Gemälde, Möbel, aber auch raffinierte Stuckaturen, textile Wandbehänge und wunderschöne Kachelöfen. Sie bezeugen einstige höfische Pracht. Dabei galt der kleine Meiningener Hof als Stätte hoher Bildung und Kultur, dessen herumziehendes Hoftheater Maßstäbe setzte und selbige auch durch seine Reisen direkt an europäischen Höfen vermittelte. Die Exponate zur Musik- und Theatergeschichte hinterließen davon einen tiefen Eindruck. Bekanntlich haben am Meiningener Musenhof berühmte Komponisten und Dirigenten gewirkt.Ausgesprochen gefallen hat uns ebenso der pittoreske Marmorsaal.

Sodann galt unser Besuch dem Literaturmuseum Baumbachhaus, wo uns interessante Erläuterungen durch den Leiter erwarteten. In diesem bescheidenen Haus wirkte der Schriftsteller und Dichter Rudolf Baumbach. Ihn verschlug es 1870 nach Triest. Dort wurde er Mitglied im Alpenverein. In dieser Zeit entdeckte er als begeisterter Bergwanderer auch sein literarisches Talent. Sein Versepos „Zlatorog“ fand begeisterte Aufnahme.Nach Meiningen zurückgekehrt, verband ihn als Mitglied der Künstlerklause bald eine enge Freundschaft mit dem Theaterherzog Ernst II.

Rudolf Baumbach zählte mit seinen vorwiegend heiter-burschikosen Gedichten, seinen Erzählungen und Versepen zu den Modedichtern der Kaiserzeit vor dem 1. Weltkrieg. Heute sind im deutschsprachigen Raum neben „Hoch auf dem gelben Wagen“ von ihm nur noch wenige, ebenfalls volksliedhaft vertonte, Texte populär, z.B. „Die Lindenwirtin“. In Slowenien kennt man Baumbachs Versepos „Zlatorog“  („Goldhorn“,  ein weißer  Gamsbock mit goldenen Hörnern,  Sagengestalt aus den slowenischen Alpen) in der landessprachlichen Nachdichtung durch Anton Funtek.

Wir konnten uns ebenso mit weiteren Literaten des Meiningener Landes vertraut machen, so mit dem Märchenerzähler Ludwig Bechstein. Sehenswert waren auch alte Meiningener Stadtansichten, , bibliophile Kostbarkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts, Porträts vom Klassizismus bis zur Gründerzeit.

Wieder waren wir im „Sächsischen Hof“ zu Gast, wo es Gutes zu trinken und zu essen gab. Eingeladen hatten wir an diesem Nachmittag die Berliner Schauspielerin Cora Chilcott. Sie begeisterte uns insbesondere mit Schiller-Balladen auf eine sehr ausdrucksstarke Weise, die alle Teilnehmer ansprach. Somit verlebten wir einen anregenden Tag.

Salonkultur in Thüringen

Vortrag von Dr. Detlef Ignasiak, Bucha, am 1. März 2017

Die Salonkultur kam aus Paris, etablierte sich um 1800 in Berlin. Es waren also vor allem Großstädte betroffen. In Thüringen waren die Salons folglich kleineren Zuschnitts, und es gab demzufolge einige Besonderheiten. Durch seine Kleinheit konnte Thüringen die geistige Höhe der Pariser Salons nie erreichen.

Bedeutendste Salonniere war Franziska von Buchwald am Gothaer Hof. Die Stadt war um die Mitte des 18. Jahrhunderts die größte und bedeutendste Residenz in Thüringen. Sie hatte etwa 10 000 Einwohner. Unter Ernst dem Frommen funktionierte das Hofleben. Franziska von Buchwald war Hofdame und Oberhofmeisterin der Herzogin Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg, einer belesenen und klugen Frau, die auch das Pariser Salonleben kennengelernt hatte. Gotha war folglich ein „französischer Hof“. Dem trug auch der zeitweise Aufenthalt Voltaires bei, der wohl auf Vermittlung von Buchwalds zustande kam. Man schaute auf Gotha, dort gingen auch Nachrichten aus Paris ein.

Buchwald wurde 90 Jahre alt, sie war eine Respektsperson, selbst nach dem Tode der Herzogin. Am Gothaer Hof gab es allerdings keinen Salon im üblichen Sinne, es handelte sich vielmehr um eine Hofgesellschaft. Buchwald sorgte dafür, dass kluge Köpfe des Hofes, aber auch bürgerliche Intellektuelle auf ihren Sitz, Schloss Mönchshof in Siebleben nahe Gotha, kamen. Darunter waren Dichter, die auch auf Deutsch schrieben. Luise Dorothea hat den Gothaer Hof für die deutsche Literatur geöffnet, bevor Weimar diesen Platz später besetzte. Bedeutsam war auch der berühmte Verleger Cotta für das für ihn ferne Gotha. Er korrespondierte mit dem Literaturpapst Gottsched, und zwar in deutscher Sprache. Gottscheds Stücke sollten sogar in Gotha aufgeführt werden, aber die Herzogin war dagegen. Allerdings hat sie sich Abschriften schicken lassen. Auch Aufführungen der Neuberin sind immer noch in der Gothaer Bibliothek vorhanden. Gotha war der erste Salon mit gewissen Ablegern, Zentrum des geistigen Austausches, auch politische Wirkungen sind zu verzeichnen.

Wichtig war ebenfalls der Verleger und Schriftsteller Rudolph Zacharias Becker, der in Gotha Zeitungen gründete. Buchwald lud Becker in ihren Salon ein, aber auch andere Personen, die ansonsten keinen Zugang zum Hof gehabt hätten. Sie lud auch eine Freundin, die Dichterin Julie von Bechtolsheim, geborene Gräfin von Keller, auf Schloss Stedten ein, ebenso Wieland. Goethe wird in Stedten eingeführt. Dort las er erstmals aus einer frühen Fassung des „Faust“. Der Salon fand aller 14 Tage auf einige Jahre hinaus statt.

Julie von Bechtolsheim führte in Eisenach eine Art Salon. Auch Goethe weilte dort als Gast.

In Weimar gab es gleich mehrere Orte der Geselligkeit, die von Anna Amalia dominiert wurden: Schloss Ettersburg, Tiefurt und in Weimar selbst. Dies sind aber geschlossene Kreise, es handelte sich stets um die selben Personen (knapp 20). So kann man Anna Amlias Musenhof kaum als Salon bezeichnen.

Goethes Freitags- und Mittwochsgesellschaft war kein Salon, denn dort stand Goethe im Mittelpunkt. Wer dort etwas Falsches oder Kritische sagte, wurde nicht wieder eingeladen. Ein echter Salon entstand um 1806 mit Johanna Schopenhauer. Auch Goethe ging dorthin. Er musste sich allerdings an die Regeln halten, sich bescheiden an den Rand setzen. Weil Johanna Schopenhauer auch Christiane, Goethes nunmehr Angetraute, einlud, kam der Dichter selbst. Man konnte dort Goethe ganz authentisch, seiner selbst, erleben, musste, wie gesagt, auch Kritik ertragen, ganz im Gegensatz zum Gebaren in seinem Hause. Schopenhauers ist ein echter Salon.

In Erfurt spielte Statthalter Karl Theodor von Dalberg eine wichtige Rolle. Er erkannte um 1781 als Erster die Bedeutung Schillers, mit Blick auf dessen „Räuber“. Dalberg war Salonnier. Der Salon befand sich in der kurmainzischen Statthalterei. Dalberg, demokratischer Gesinnung und sehr leutselig, nannte die Zusammenkünfte „Assembleen“. Man versammelte sich jeden Donnerstag, von 17 bis 19 Uhr. Im Unterschied zu anderen Salons, zu denen man eingeladen wird oder nach Absprache jemanden mitbringen darf, sind Dalbergs Salons öffentlich. Man musste nur gut gekleidet sein.

Wie heutige Talk-Shows gab es einige Leute, die was zu sagen hatten, die anderen – ringsum – hörten zu. Gereicht wurden Tee und Zwieback. Goethe bemühte sich, trotz Einladungen fernzubleiben. Dagegen war Schiller der früheren Weimarer Jahre in Erfurt ein gern und oft gesehehener Gast; ein großer Mann, der sogar mit militärischen Ehren empfangen wurde. Eine wichtige Erfurter Persönlichkeit war Karl Friederich von Dacheröden, in dessem Haus solche Geistesgrößen wie Goethe, die Humboldts, Schiller, Wieland und Herder verkehrten. Er gründete eine wirtschaftspolitische Zeitung, die Dalberg unterstützte. Weiter spielten Gothaer Schriftsteller eine wichtige Rolle im Salon. Nebenbei: Herzog Ernst II. wollte Goethe nach Gotha holen, aber der ahnte, dass ihn dort geringere Freiräume erwarteten als in Weimar.

Demgegenüber kam Wieland oft nach Erfurt. Dalberg war begeistert. Wielands „Der goldene Spiegel“ fand wohlwollende Aufnahme.

In Jena wurde ein Salon von Caroline Schlegel-Schelling betrieben. Aber dieser Romantikerkreis war eine geschlossene Veranstaltung unter lauter Gleichgesinnten. Dies ist ein Salon nun nicht; erlebt von verschiedenen Meinungen, Meinungsstreit. Man möchte andere Ansichten hören und auch Neuigkeiten erfahren.

Einer der bedeutendsten Salons befand sich in Löbichau. Somit war Herzogin Anna Dorothea von Kurland die bedeutendste Salonniere Thüringens. Ihre Halbschwester und Schriftstellerin, Elisa von der Recke, war hier zu Gast. Im Winter befand man sich auf Reisen: Petersburg, Paris, Berlin. Den Sommer verbrachte man auf dem Löbichauer Musenhof. Dort wird für Unterhaltung gesorgt. Bedeutende Perönlichkeiten, die mit dem Musenhof verbunden sind: Hans Wilhelm Freiherr von Thümmel, Minister und Diplomat für Sachsen-Gotha-Altenburg, der Verleger Johnn Friedrich Pierer, dessen Schützling, der junge Brockhaus, späterer berühmter Verleger, Elisa von der Recke, deren Freund und Dichter Christoph August Tiedge. Immer wieder hielt die Herzog Ausschau, wen sie noch in ihren Salon einladen konnte. So kam Jean Paul nach Löbichau. Er fühlte sich dort sehr wohl, gedachte dort sogar, eine Adlige zu heiraten. Anna Dorothea weilte oft in Karlsbad, lernte dort Goethe kennen. So gelangte der Weimarer Dichter auch nach Löbichau. Christian Gottfried Körner, Jurist und Freund Schillers, weilte mit seinem Sohn Theodor, dem späteren großen Dichter der Befreiungskriege, vor Ort. Der russische Zar Alexander I. stattete vor und nach dem Erfurter Fürstenkongress 1808 in Löbichau. Er hielt sich dort inmitten von Bürgerlichen auf; in Russland undenkbar. Ein Gast war auch Ronneburgs Brunnenarzt und Direktor der von ihm gegründeten Veterinärmedizinischen Schule in Ronneburg, Friedrich Gabriel Sulzer, bei dem sich Goethe Mineralien bestellte. In Löbichau gab es auch kleinere Theateraufführungen. Heute befindet sich dort ein Pflegeheim. Der Portikus des schönen Schlosses blieb erhalten.

Schillers Interesse an Verbrechern

Vortrag von Prof. Udo Ebert, Jena, am 8. Februar 2017

Vor Beginn seiner Vorlesung „Ästhetisches Vergnügen und psychologische Neugier – Schillers Interesse an Verbrechern“ übergab Prof. Ebert an jeden anwesenden Goethefreund eine Gliederung seines Vortrages zum Thema.

1781 verfasste Schiller sein Drama „Die Räuber“ und schrieb nach seiner Flucht nach Mannheim und Bauerbach das Drama „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“. In diesen Werken zeigt er Unterschiede zwischen moralischen und ästhetischen Beurteilungen von Verbrechern auf. Moralisch betrachtet lautet das Urteil „schlecht“, es handelt sich um „unerhörte Verbrechen“. Bei ästhetischer Betrachtung wirken Kraft und Freiheit vor Gesetzen. Es bestehen starke Beziehungen zur Wirklichkeit. Das Problem der Ästhetik stand bei Schiller ganz oben, ihm war es um das Erzählen von Lebensgeschichten über das Seelenleben von Menschen zu tun. Daraus entstanden Verbrechergeschichten, Einblicke ins menschliche Fühlen und sittliches Verhalten.

Vorgetragen und dargestellt wurden von Prof. Ebert auch Zitate Schillers aus Kriminalgeschichten, wie zu Motiven, die zu bösen Vebrechen führten. Auch Vergleiche, die Schiller gern anstellte, stellte er vor, wie die „Weisheit und Torheit“, aber auch Ursachen, die Täter zu „bösen Taten“ führten. Auch verlas Prof. Ebert Auszüge aus Schillers Werk „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“, erläuterte Hintergründe, den Inhalt der Erzählung, vor allem aber Auszüge über die Entstehung des dargestellten Verbrechens.

Schiller beschäftigte sich auch im Drama „Die Räuber“ mit dem Thema „Vergeltungsstrafe“, widmete sich der Frage: Was sah er als Vergeltung für begangenes Verbrechen an? Die Todesstrafe lehnte er ab. Für Schiller galt: Verbrecher mit „Menschlichkeit“ zu begegnen.

Zu dieser einführenden Thematik führte Prof. Ebert Folgendes aus.

In seinen Werken, besonders den Dramen und Erzählungen, zeigt Friedrich Schiller ein auffallend großes Interesse an Verbrechern. Über die Gründe für dieses Interesse gibt er selbst, vor allem in seinen theoretischen Schriften, Auskunft. Demnach sind es teils ästhetische, teils psychologische Gründe, die den Verbrecher für Schiller so attraktiv machen.

Den Grund für diese Abweichung des moralischen Urteils vom ästhetischen und für das ästhetische Vergnügen am großen Verbrecher sieht Schiller in der Schrift Über das Pathetische in Folgendem: Bei der moralischen Beurteilung sehen wir auf die Forderung der Vernunft, dass moralisch gehandelt werde; hier herrschen Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei der ästhetischen Beurteilung sehen wir dagegen auf die Kraft und auf die Freiheit, mit der gehandelt wird; denn hier herrscht das Bedürfnis der Einbildungskraft, deren Interesse es ist, „sich frei von Gesetzen im Spiele zu erhalten“.

Unter Schillers Dramenfiguren, die den Typus des willensstark aus Freiheit handelnden, dadurch großen und interessanten Verbrechers repräsentieren, hob Ebert zwei hervor, denen die geschilderte Ambivalenz des erhabenen Charakters, das Potential sowohl zum großen Bösen wie zum großen Guten, eigen ist. Die eine dieser Figuren ist Karl Moor. Die andere Figur ist Fiesco, der im Verlauf des Dramas eine Kehrtwendung vollzieht. Auch Fiesco ist ein Held, der seinem Charakter nach entweder ein Brutus oder ein Catilina werden kann, und mit nicht zu überbietender Deutlichkeit demonstriert Schiller die beiden Potentiale durch die beiden gegensätzlichen Dramenschlüsse.

Doch nicht nur als Freiheitsenthusiast, Idealist und Dramatiker fühlt Schiller sich zum Verbrecher hingezogen, sondern auch als Psychologe. Zu den außergewöhnlichen Lebensläufen, die sich nach Auffassung jener Zeit besonders dazu eigneten, die Natur des Menschen, seine Seele und deren Triebkräfte zu erforschen, gehörten die Biographien von Abenteurern, Selbstmördern und Verbrechern. Er hat in den Jahren 1792 bis 1795 einen eigenen „Pitaval“, eine Sammlung mit dem Titel Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit herausgegeben. Der empirischen Erkundung der Seele, der psychologischen Analyse namentlich von Verbrechern, also der Kriminalpsychologie, gilt auch nach Schulzeit und Medizinstudium Schillers bevorzugtes Interesse. Es schlägt sich in seinem literarischen Werk nieder, und zwar durch alle Gattungen: von den Dramen über die Erzählungen, die Gedichte und die historischen Schriften bis hin zu den Schriften über Ästhetik. Die Verbrechererzählung geht also den Gedanken des Täters und den sie bewegenden äußeren, insbesondere sozialen Umständen als Ursachen des Verbrechens nach – Psychologie und Soziologie als Kriminalätiologie (Verbrechensursachenerforschung).

In seiner Erzählung Der Verbrecher aus verlorener Ehre hat Schiller diesen ätiologischen Ansatz exemplarisch durchgeführt. Eine wahre Geschichte nennt deshalb Schiller seine Erzählung im Untertitel – des Räubers Friedrich Schwan (1729-1760), des berüchtigten „Sonnenwirtes“. Friedrich Schwan heißt in Schillers Erzählung Christian Wolf. Schiller beschreibt in dieser Erzählung die kriminelle Karriere eines Menschen und benennt die Ursachen, die zu ihr geführt haben. Die Ursachen liegen einerseits in seelischen Zuständen, inneren Triebkräften und Willensentschlüssen des Täters, andererseits in äußeren Umständen, die als objektive Rahmenbedingungen der Taten fungieren, aber auch ihrerseits zu den subjektiven Gemütszuständen und Willensentschlüssen des Täters beitragen.

Bemerkenswert ist der ursächliche Anteil sozialer Faktoren. Stigmatisierung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft, ja auch durch die Justiz selbst, gesellschaftliche Rollenzuschreibung und Übernahme der zugeschriebenen Rolle durch den Täter werden als kriminogene Faktoren herausgearbeitet. Damit weist Schiller auf moderne Kriminalitätstheorien voraus. Dieses „wechselseitige[…] Sich-Aufschaukeln[…] von Straftaten auf der einen Seite und gesellschaftlichen sowie amtlichen, also informellen und formellen, Reaktionen auf der anderen Seite“ stellt sich in Schillers Erzählung bei Christian Wolf folgendermaßen dar: Aufgrund niedriger sozialer Herkunft und bescheidener wirtschaftlicher Verhältnisse, aber auch wegen seines abstoßenden Aussehens erfährt Wolf schon früh Zurückweisung in seiner Umgebung. Ungeschickte Versuche, sich Zuneigung zu ertrotzen, verschlimmern seine Lage nur, und im Bestreben, sich die Zuneigung zu erkaufen, gerät er auf die kriminelle Bahn. Mehrfache strafgerichtliche Verurteilungen wegen Wilddieberei und ein längerer Gefängnisaufenthalt treiben seine soziale Entwurzelung weiter voran, indem sie seine Seele verwüsten, ihn seiner Umgebung immer mehr entfremden und die Gesellschaft zu immer heftigerer Zurückweisung, Stigmatisierung und Ausgrenzung seiner Person veranlassen. Seine Verzweiflung nötigt Wolf, die ihm von der Gesellschaft zugeschriebenen Eigenschaften in sein Selbstbild zu übernehmen und die ihm zugeschriebene Rolle zu spielen. Er will nun Böses um des Bösen willen tun. „Ich wollte mein Schicksal verdienen“. Durch den am Nebenbuhler begangenen Mord wird eine Rückkehr in eine ehrbare bürgerliche Existenz vollends ausgeschlossen. Der Mord treibt Wolf in die Arme einer Räuberbande, als deren Anführer er seine kriminelle Karriere beschließt.

Somit verweist Schiller auf die prinzipielle Offenheit jedes Lebenslaufs für kriminelle Episoden oder Karrieren, auf die allgegenwärtigen und jederzeitigen Anfechtungen und Versuchungen, die in Verbindung mit psychischen Dispositionen jeden Menschen in die Gefahr bringen können, kriminell zu werden. Doch nicht auf die Ehrlosigkeit als Folge der Verbrechen kommt es Schiller in der Erzählung an, sondern auf das Umgekehrte: auf die Verbrechen als Folge der Ehrlosigkeit. Nicht die Ursächlichkeit der Verbrechen für den Verlust der Ehre, sondern die Ursächlichkeit des Ehrverlusts für die Verbrechen ist das Thema der Erzählung. Was Christian Wolf im Laufe der Zeit verliert, ist nicht nur seine äußere Ehre, die Achtung seitens der Gesellschaft, sondern auch seine innere Ehre, seine Selbstachtung. Weil er keine Ehre mehr beanspruchen kann, lernt er die Ehre zu entbehren, gibt er schließlich alle Ansprüche an sich selbst, ehrenhaft zu leben, auf. Wem es auf die eigene Ehre nicht ankommt, wer sich selbst für ehrlos hält, der braucht sich auch nicht zu schämen.

Freilich gewinnt Wolf vorübergehend seine äußere und innere Ehre wieder, nämlich mit der Aufnahme in die Räuberbande, die ihn sogleich zu ihrem Anführer wählt. In dieser kriminellen Gemeinschaft erfährt der aus der Gesellschaft Ausgestoßene herzliches Willkommen, Zuwendung, Vertrauen, Achtung, Bewunderung. Doch es ist die Anerkennung durch eine Parallelgesellschaft, eine verbrecherische Subkultur, welche die gesellschaftliche Außenseiterrolle, das Ausgestoßensein aus der ehrbaren bürgerlichen Gesellschaft nicht aufhebt, sondern nur bekräftigt. Auch wenn somit das Gute im Menschen hier nicht zum äußeren Sieg führt, so ist es doch als solches vorhanden. Der Mensch hat die Kraft, auch gegen widrige Umstände seine sittliche Freiheit und seine Existenz als moralisches Subjekt zu behaupten. Das macht Schiller in Übereinstimmung mit seinem von ihm auch sonst vertretenen Menschenbild in dieser Erzählung deutlich. Bezeichnend ist aber, woran der Sieg des Guten über das Böse am Ende scheitert: Es ist die Gesellschaft – hier in Gestalt des Landesherrn als ihres obersten Repräsentanten – , welche die kriminelle Laufbahn des Protagonisten diesmal zwar nicht befördert, aber ihre Beendigung verhindert. Und so bleibt denn der gesellschaftskritische Duktus der Erzählung bis zum Ende erhalten.

Was hätte der Blick der Richter in die „Gemütsverfassung des Beklagten“, was hätte die Berücksichtigung des Anteils, den die Gesellschaft zu den Verbrechen des Sonnenwirts beigetragen hatte, und was hätte die Beachtung der Auswirkungen des harten Strafvollzugs auf die Psyche und das weitere Leben des Verurteilten für die strafrechtliche Behandlung des Delinquenten bedeutet? Die Antwort kann nur sein: Verständnis, Nachsicht, eine mildere und hilfreiche Strafe. Eine Strafe, die den psychischen und sozialen Ursachen des Verbrechens sowie der Mitverantwortung der Gesellschaft Rechnung trägt; die weniger auf die Tat als auf den Täter sieht; die dem Verurteilten hilft, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden und nicht mehr straffällig zu werden; und die ihn mit der Gesellschaft aussöhnt. Mit seiner dem modernen Resozialisierungskonzept nahekommenden Auffassung von der Behandlung und Bestrafung der Verbrecher ist Schiller ganz Aufklärer. Nach den Vorstellungen der Aufklärung ist der Staat eine Zweckanstalt zur Beförderung des Glücks und der Vollkommenheit des Einzelnen. Der so verstandene Staat hat die Aufgabe und die Befugnis, den vom Pfad der Tugend abgewichenen Bürger auf diesen Pfad – notfalls mit Zwang – zurückzuführen.

Schiller lehnt auch, einer in der Aufklärung verbreiteten Tendenz entsprechend, in seiner Vorlesung Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon die Todesstrafe ab.

In Schillers Dramen allerdings zeigt sich, dass das sie bestimmende andersartige Interesse – das ästhetische an Stelle des empirisch-psychologischen – auch die Auffassung von der Strafe verändert. Den Kant’schen Vergeltungsgedanken, den Schiller in seinen Erzählungen und historischen Schriften zugunsten einer spezialpräventiven Strafkonzeption ablehnt, sehen wir in seinen Dramen durchaus am Werk. Und dies nicht von ungefähr. Denn für die dramatische Gestaltung ist die vergeltende Funktion der Strafe ein höchst geeignetes Element. Als Vergeltung ist die Strafe Manifestation der Gerechtigkeit, welche die durch das Verbrechen gestörte Ordnung wiederherstellt. In diesem Sinne überliefert in den Räubern Karl Moor sich am Ende der Justiz, um die mißhandelte Ordnung [zu] heilen.

Auch Die Braut von Messina handelt von der vergeltenden Strafe. Der Brudermörder Don Cesar fügt die Todesstrafe als die einzig gerechte Form der Schuldvergeltung sich selbst zu.

Neben dieser objektiven hat die Vergeltungsstrafe auch eine für dramatische Gestaltung äußerst wirksame subjektive Funktion. Während sie dem Verbrecher seine böse Tat objektiv gerecht vergilt, bringt sie dem reuigen Täter subjektiv die ersehnte Sühne für seine Schuld, die Beendigung seiner Gewissensqual. So besonders eindrucksvoll im Drama Maria Stuart. Maria akzeptiert die Todesstrafe, die wegen des von ihr nicht begangenen Hochverrats gegen sie verhängt worden ist, als Strafe für den zuvor von ihr an ihrem Gatten begangenen Mord und gelangt so zur Sühnung ihrer Schuld, zur moralischen und religiösen Entlastung, zur Katharsis.

Am Ende seines Vortrages antwortete Prof. Ebert auf Fragen.

Renate Dalgas

Auf dem historischen Mühlenhof

Tagesausflug am 26. November 2016

Goethefreunde aus Gera und Erfurt besuchten den historischen Mühlenhof Bosse bei Dachwig. Mit dabei waren Flüchtlingsfamilien aus Syrien, dem Irak sowie eine Dolmetscherin von der Insel Madagaskar. Für diesen Personenkreis leisten Mitglieder der Goethe-Gesellschaft Gera aktive Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens, so beim Erlernen der deutschen Sprache, bei Behördengängen. Ihre Teilnahme am Ausflug ist ein Stück gelebte Integration durch Menschenfreundlichkeit und Toleranz, ganz nach dem Zitat von Goethe zur Anerkennung des Anderen: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“

Unser Beisammensein began mit einem Vortrag über die lange Geschichte der historischen Wassermühle und des Müllerhandwerks, einem Ausflug in die Vergangenheit im Mühlenmuseum, einem Stöbern auf den verschiedenen Ebenen des Bauwerks.

Anschließend herrschte gute Stimmung im Mühlenrestaurant. Dabei gab es Getränke, passend zur Winterzeit, Kaffee und Kuchen.

Dieeter Schumann und sein Begleiter sorgten für Musik und Gesang aus den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts, ein Ohrenschmaus im passenden Ambiente.

Überraschung und Freude standen in den Gesichtern geschrieben, als Angelika und Bernd kleine Buchgeschenke an alle Teilnehmer des Ausflugs verteilten, fast wie Weihnachten!

Natürlich sangen die Goethefreunde bekannte Volks- und Weihnachtslieder. Die syrischen und irakischen Flüchtlinge sangen Lieder aus ihrer fernen Heimat.

Mit guten Gesprächen in froher Runde und einem köstlichen Büfett gingen die schönen Stunden zu Ende.

Um mit den Worten von Goethe zu sprechen: „… allen, die darin verkehrt, ward ein guter Mut beschert.“

Ein herzliches Dankeschön geht an Angelika und Bernd Kemter, an Dieter Schumann. Sie haben den erlebnisreichen Tagesausflug organisiert und mit uns durchgeführt.

Helga Stahl

Johann Peter Eckermann – Goethes geprüfter Haus- und Seelenfreund

Vortrag von Dr. Egon Freitag, Weimar, am 2. November 2016

Johann Peter Eckermann wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Er wurde 1792 in Winsen an der Luhe (Lüneburger Heide) geboren. Sein Vater war Hausierer, seine Mutter Heimarbeiterin. Als Hütejunge konnte er nur notdürftig Lesen und Schreiben lernen. Aber er besaß ein großes zeichnerisches Talent. Doch wegen seiner anfänglich geringen Bildung wurde er oft verspottet, auch noch später. Heine nannte ihn „Goethes Papagei“, Lenau dichtete „Eckermann und Goethe/Blaserohr und Flöte“.
Eckermann nahm 1813 am Winterfeldzug gegen Napoleon teil. Danach wollte er Maler werden, er kopierte Bilder. Im Winter 1815 wanderte er nach Hannover zu Kunstmaler und Kupferstecher Johann Heinrich Ramberg. Er nahm bei ihm Zeichenunterricht. Dann ging ihm das Geld aus. Außerdem litt er an einer schweren Krankheit.
Von 1815 bis 1821 hielt er sich in Hannover auf. Er lernte dort Latein und Griechisch und widmete sich nun der Poesie, die ihn nach eigenen Worten „mit zärtlichen Armen aufnahm“. Sein erstes Gedicht widmete er den aus den napoleonischen Feldzügen zurückkehrenden Soldaten. Jetzt wollte er Dichter werden. Er las Klopstock und Schiller, lernte mit 24 Jahren Werke Goethes kennen. Er las sie immer wieder. Goethe wurde Eckermanns Leitstern. Erst in dieser Zeit besuchte er ein Gymnasium. Gönner empfahlen ihn für ein „Brotstudium“ in Göttingen. Er bekam Studienbeihilfe. In Göttingen wirkten damals Lichtenberg, Voß, Bürger, Brentano, die hier studierten; ebenso die beiden Humboldts, Heine und Fallersleben. Er sollte Jura studieren, aber dies interessierte ihn überhaupt nicht. Er hatte nur die Kunst und Literatur im Sinn.
Nun begab er sich zu Fuß von Göttingen nach Dresden. Auf der Rückreise wollte er in Weimar unbedingt Goethe kennenlernen. Allerdings war Goethe abwesend. 1821 schickte er seine Gedichte an Goethe, versehen mit Geburtstagswünschen und mit der Bitte um einige aufmunternde Worte für einen Verleger. Eckermann erhielt Antwort, und dies war eine große Freude für ihn. Dies beflügelte ihn umso mehr, unbedingt Goethe zu treffen, um Schriftsteller zu werden und endlich Geld zu verdienen. Er schuf das Trauerspiel „Graf Eduard“. Er äußerte ebenso seine Gedanken zu Goethes „Beiträge zur Poesie“ und meinte hierzu: „Der Mensch ist nicht zum Wissen, sondern zur Tat berufen.“
Eckermann hoffte lange, einen Verleger zu finden. Daher hatte er auch sein Studium abgebrochen. In dieser Situation war er nicht in der Lage, seine Verlobte Johanna Bertram, das „Hannchen“, an den Traualtar zu führen. Er verließ Göttingen, wanderte etwa 150 Kilometer durch das Werratal nach Weimar. Am 10. Juni 1823 erlebte er seine Sternstunde, er lernte endlich Goethe persönlich kennen. Ihm, dem Hütejungen, öffnete sich die Tür zum Frauenplan, durch die große Gelehrte, Künstler, Fürsten und Könige gingen.
Goethe war damals fast 74 Jahre alt, Eckermann 31. Goethe musste rasch erkannt haben, dass ihm Eckermann sehr nützlich werden könnte. Er stellte ihn zur Probe. Als erstes musste Eckermann herausfinden, welche Rezensionen in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“ von 1772/73 aus Goethes Federstammten. Sie waren allesamt anonym erschienen. Eckermann meisterte diese Aufgabe mit Bravour. Einige Tage später sollte er eine Inhaltsangabe über „Kunst und Alterum“ erstellen. Auch diese Aufgabe wurde erledigt und ebenso die dritte.
Nun schickte Goethe seinen Adlatus mit einem Empfehlungsschreiben nach Jena, er selber fuhr zur Kur in die böhmischen Bäder. „Er ist mit meiner Denkweise so vertraut …“ lobte Goethe, und dieses Lob war für Eckermann der Ritterschlag. „Er ist mein geprüfter Haus- und Seelenfreund.“ – „Wie eine Ameise schleppt er meine Gedichte zusammen“. – „Er weiß, mit großer Liebe allem etwas abzugewinnen“.
Berge von Manuskripten harrten Eckermanns Redaktion. Goethe bereitete eine Gesamtausgabe seiner Werke vor, alles musste gesammelt, redigiert und imprimiert werden. Wie Eckermann an seine Verlobte Johanna Bertram berichtete, wollte er alles tun, um sich vor der Welt auszuzeichnen. Dennoch blieb sein Wunsch, selbst Schriftsteller zu werden, unerfüllt. Und er fühlte sich nicht wohl in Weimar: „Wenn nicht Goethe und einige seiner Freunde (wie Riemer und Kanzler Müller) wären, würde ich nicht einen Tag in Weimar bleiben.“ – Meine Armut ist mein größtes Unglück.“
Eckermann hat den Dichter wohl 1000-mal besucht.
Viele Gespräche mit Goethe weckten in Eckermann den Wunsch, selbige in Druck zu geben. Er hoffte, dadurch in Europa bekannt zu werden. Goethe wusste von diesem Vorhaben und akzeptierte es. Doch Goethe wünschte keinesfalls eine baldige Publikation, erst nach seinem Lebensende sollten die Gespräche erscheinen. Er hat sie nicht heimlich aufgeschrieben; solange Goethe lebte, wusste er auch davon.
1828 gab es ein Gespräch, zu dem Eckermann nur vier Stichworte aufzeichnete; Genie, Napoleon, Preußen, Produktivität. Daraus entwickelten sich später 17 Druckseiten. Eckermanns Gespräche mit Goethe sind keine wörtlichen Protokolle, vieles hat er aus der Erinnerung aufgeschrieben. Dass er aber Ton und Inhalt richtig traf, betstätigten Goethes Enkel: „Ja, es ist der Apapa.“ Er hat genau Goethes Wortwahl und Ausdrucksweise verinnerlicht. An besagtem Gespräch hat er übrigens vier Wochen gearbeitet.
Eckermann genoss das Vertrauen Goethes. Selbiger führte ihn in die Naturwissenschaften, besonders in die Farbenlehre ein. Eckermann sollte sogar ein Kompendium über Goethes Farbenlehre verfassen. Dieses Vorhaben hat er aber nicht ausgeführt. Einmal kam es zum Streit. „Blaue Schatten im Schnee“ waren für Goethe lediglich eine optische Täuschung. Eckermann dagegen behauptete, dass dieses Blau durchaus nichts Subjektives sei, wie Goethe meinte, sondern etwas Objektives, der Widerschein des Himmels. Goethe billigte aber diesen Einwand nicht, ja, er wurde richtig böse. Er vertrug keinen Widerspruch, schon gar nicht in der Farbenlehre. Zwei Jahre später korrigierte sich Goethe allerdings.
Eckermann hatte großen Einfluss darauf, dass Goethe endlich den zweiten Teil vom „Faust“ beendete. Er hat sich immer wieder nach dieser oder jener Person (z. B. Helena) erkundigt, um auf diese Weise Goethe voranzutreiben. Beim 1. Teil war Schiller, beim 2. Eckermann der „Treiber“.
Beide waren regelrecht befreundet, Goethe sorgte dafür, dass Eckermann an der Jenaer Universität seinen Doktortitel bekam. Und es gibt ein weiteres Beispiel ihrer Freundschaft. Eckermann hatte in den Niederlanden das Bogenschießen erlernt und wusste Goethe davon zu begeistern. Da Eckermann aber zu arm war, um einen Bogen zu kaufen, schenkte ihm Goethe den Bogen eines Baschkiren aus seinem Bestand. So versuchten sie sich im Hausgarten am Frauenplan. Dabei schossen sie auch auf die Fensterlade zu Goethes Arbeitszimmer. Der Pfeil blieb drin stecken, man konnte ihn nicht aus dem Holz herausziehen. Goethe fand Spaß am Bogenschießen, nicht aber am Kegeln, dies sei etwas für Philister. Auch dieses Beispiel frd Bogenschießens zeigt, dass Eckermann nicht einfach Goethes Sekretär war, sie waren wahrhaftig Freunde.
Nach Goethes Tod arbeitete Eckermann gemeinsam mit Riemer und Kanzler Müller am Nachlass, der sich zu vierzig Bänden auswuchs. 1836 erschienen die „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“, die Eckermann der Großherzogin Anna Pawlowna widmete, die ihn stark unterstützte, da er nach dem Tod seiner Frau in noch größerer finanzieller Not lebte. Goethe hatte ihm keinen Lohn gezahlt, wohl auch deshalb, da er ihn als seinen Freund betrachtete, jedoch nicht als Sekretär. Sekretär war John. Nun erhielt er 300 Taler lebenslange Pension, verbunden freilich mit der Auflage, in Weimar zu wohnen. Vom preußischen Köng erhielt Eckermann auf Vermittlung der Humboldts 360 Taler.
Sein bleibendes Verdienst sind die „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ Nietzsche meinte später: „Die Unterhaltungen Eckermanns und Goethes sind das beste Buch, das es gibt.“

Auf den Spuren Goethes in Italien

Unsere Reise „Auf den Spuren Goethe in Italien“ fand vom 9. bis 16. Oktober 2016 statt. Unser Bus startete am frühen Morgen in Erfurt, fuhr sodann nach Gera, nahm unterwegs weitere Goethefreunde auf, so dass wir insgesamt 31 Personen waren. Noch in Gera gab es die erste Überraschung: ein kleines Paket mit Essen und Getränken vom Reisebüro TRI TOURS, worüber sich ALLE freuten.
Wir durchfuhren Oberfranken, die Fränkische Schweiz, die Nürnberger Gegend, und es ging weiter gen München.
Während der gesamten Fahrt las uns unser Vereinsvorsitzender einzelne Kapitel aus Goethes „Italienischer Reise“ vor. Gegen 11.30 Uhr sahen wir bereits Türme und Stadion Münchens in der Ferne. Wir erblickten die Alpen, den Inn, der die Grenze zum Tiroler Land bildet. Eine Stunde später fuhren wir somit schon durch Österreich, um gegen 15 Uhr Italien zu erreichen. Herrlich, wunderschön die Bergwelt anzuschauen! Nahe Trient machten wir eine kurze Pause – es regnete. Weiterfahrt zum Gardasee. Unser erster größerer Halt war in Malcesine, um uns das Castello anzusehen – leider geschlossen, Sonntag! In diesem Ort wäre Goethe beinahe als Spion verhaftet worden, als er die festung zeichnete.
In Torbole: Stopp für Fotos. Hier steht ein kleines Goethe-Denkmal. Auch dichtete Goethe am wunderschönen Gardasee: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n?“
Am nächsten Tag ging die Fahrt weiter nach Vicenza. Bei der Stadtführung erfuhren wir, dass Goethe hier am 19. September 1786 weilte, das Olympische Theater, die Basilika besuchte und die berühmte Rotonda des italienischen Baumeisters Andrea Palladio betrachtete.
Am frühen Nachmittag kamen wir in Verona an. Hier hat sich Goethe sehr für die antike Geschichte interessiert; er besuchte das Amphitheater, Paläste, die Markthallen, besichtigte Gemälde und Gärten. Auch uns zeigte die Stadt an der Etsch viele Sehenswürdigkeiten. Stunden später fuhren wir in Richtung Florenz weiter. Firenze (so der italienische Name) wurde 59 vor Christus gegründet, sie liegt am Arno-Fluss und ist eine typische Renaissancestadt in der Toskana.Von 1861 bis 1871 war sie sogar Hauptstadt des um seine Unabhängigkeit kämpfenden Italien. Hier lebten und wirkten in der Zeit der Renaissance die großen Italiener Michelangelo, Galilei und Dante. Die Florentiner Architektur verbreitete sich über ganz Europa und wurde immer wieder nachgeahmt. Leider hat Goethe dieser Stadt nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet, ihn interessierte vor allem die römische Antike.
Weiterfahrt nach Siena mit Stadtführung.Wir erfuhren vom Bau des Doms ab 1226 und der Kapelle der heiligen Nonne Katharina (heiliggesprochen 1461). 1472 wurde hier die erste Bank Europas gegründet, und wir hörten vom ältesten Krankenhaus Europas (vor 1093). Wir besuchten den Dom, bestaunten zahlreiche Mosaiken aus Marmor und die berühmten steinernen Einlegearbeiten des Fußbodens. Auch die Plaza di campo bewunderten wir, die in drei verschiedenen Höhen aufgeführt worden ist. So ETWAS hat noch keiner von uns gesehen. Im Juli und August jeden Jahres finden hier spektakuläre Pferderennen ohne Sattel statt – gigantisch mit bis zu 60 000 Zuschauern.
Nach vier Stunden Fahrt kamen wir in Rom an. An nächsten Tag starteten wir zu einer sechsstündigen Stadtführung mit Petersplatz, Petersdom, Vatikanischem Museum, Sixtinischer Kapelle, Kolosseum und Palatin. Alles war sehr beeindruckend, insbesondere die fantastischen Gemälde großer italienischer Meister wurden bestaunt.
Am darauf folgenden Tag waren wir in der Casa di Goethe zu Gast, wo einst der Dichter in Wohngemeinschaft lebte. Während der Führung hörten und sahen wir Dinge und Begebenheiten, die uns durch die Literaturgeschichte schon gut bekannt waren – Aber jetzt, an diesem Ort zu weilen, war ein besonderes Gefühl, ein wundervolles Erlebnis!
Am Freitag fuhren wir nach Perugia und Passignano, unternahmen einen Schiffsausflug auf dem Trasimenischen See zur Isola Maggiore. Dann ging es weiter nach Piacenza. Während der Stadtführung besuchten wir die 1330 erbaute Zitadelle, die auch Goethes Interesse geweckt hatte. Hier wohnten einst die Herrscher der Stadt, heute ist es ein Museum, dieser Palazzo Farnese. Auch den Dom besichtigten wir – Baubeginn 1021! Uralte Säulen mit Fresken, die jeweils die Zünfte darstellten, Marmor überall und herrliche Deckenmalereien haben wir gesehen. Auch zwei Reiterstandbilder der Familie Farnese konnten wir bewundern, es sollen die ersten ihrer Art in Italien gewesen sein.
Am Nachmittag fuhren wir weiter nach Mailand, wo sich Goethe vom 22. bis 28. Mai 1787 aufhielt. Herr Kemter las nun auch Kapitel zu Orten aus der „Italienischen Reise“ vor, die wir aus Zeitgründen nicht besuchen konnten, beispielsweise Goethes und Tischbeins Erlebnisse in Neapel. Goethe beobachtete die Eruptionen des Vesuv und bestig den Vulkan bis an den Schlund. Regelrecht eingeäschert erreichte er mit seinem Führer den wartenden Tischbein. Es war zweifellos ein gefährliches Abenteuer.
Nachdem sich unser Mailänder Stadtführer vorgestellt hatte, begann die Stadtrundfahrt mit zig Sehenswürdigkeiten. Zunächst führte uns der Weg zum Dom mit seiner im Barockstil prachtvoll gestalteten Fassade. Wir sahen Häuser auch im modernen Stil erbaut und natürlich die Scala. Mailand war für uns die letzte Station unserer fantastischen Reise durch Italien.
Renate Dalgas

Meinungen von Reiseteilnehmern

Reinhard Bierbaum: Ja, oft saß uns die Zeit im Nacken. Dennoch: Was die Teilnehmer in nur acht Tagen „geschafft“ haben, kann sich im Sinne des Wortes sehen und hören lassen.
Und das Erlebte wirkt weiter.
Um es mit Goethe zu sagen: „Das Bekannte wird neu durch unerwartete Bezüge und erregt, mit neuen Gegenständen verknüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.“

Petra Gutheil: Lieber Bernd, liebe Angelika, ich möchte mich auf diesem Wege noch mal ganz herzlich für Eure Bemühungen bedanken, die die Fahrt nach Italien zu einem so intensiven, schönen Erlebnis gemacht haben. Ich kann nur ahnen, wieviel Zeit, Mühen und Absprachen die Organisation im voraus benötigt hat. Ich habe die Fahrt auch als ein schönes Gruppenerlebnis empfunden. Es war spannend, die Geraer Teilnehmer kennen zu lernen, die uns Erfurter freundlich aufgenommen haben. Bei aller Anstrengung möchte ich dieses Erlebnis nicht missen. Das Vorlesen von Goethes Italienreise, begleitend im Bus, fand ich sehr anregend, spannend. Nochmals herzlichen Dank für dieses schöne Erlebnis.

Otti Planerer: Der Alltag hat uns wieder – aber die schönen Erinnerungen bleiben. Ich möchte mich noch einmal bei Euch bedanken für die Organisation und die viele Arbeit, die Ihr durch die Reise hattet. Es war sehr schön!

Gabriele Schwäbe: Ich kam erst 2009 durch eine gute Freundin zur Goethegesellschaft. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, hier gut aufgehoben zu sein. Ich lernte viel Neues über den Herrn Geheimrat und andere Zeitgenossen und Mitstreiter zu erfahren. Ich habe jeden Vortrag mit viel Interesse verfolgt. Auch die zahlreichen Ausfahrten, ob kurz oder lang, waren immer ein tolles Erlebnis. Bernd Kemter und sein Vorstand haben viel gegeben, um zum Beispiel die Italien-Reise auf Goethes Spuren vorzubereiten und durchzuführen.Es wäre schön, wenn sich noch mehr Geraer Goethefreunde für unsere Gesellschaft interessierten.Ich wünsche uns noch viele interessante Vorträge und Ausflüge auf den Spuren Goethes.

Marie Adler: inzwischen Ist der Koffer ausgepackt, der häusliche Alltag fast wieder eingekehrt.Damit der Dank für eure Mühe nicht in mir steckenbleibt,muß ich euch diese E-Mail schreiben. Vielen ,vielen Dank.Es war eine sehr schöne und vor allem sehr informative Reise.

Schönes Familienfest mit Buga-Förderverein

Familienfest zur Interkulturellen Woche 2016 auf Schloss Osterstein!
Der Buga-Förderverein und die Geraer Goethe-Gesellschaft haben in den
Schlossgarten eingeladen, um bei Spaß und Spiel das Gemeinsame zu finden.
Märchen und Epen wurden gelesen und entführten in eine fantasievolle Welt.
Zu Gast waren Flüchtlinge und viele Freunde der Goethe Gesellschaft. Beim
Zeichnen konnten die Kinder ihre Ideen ausdrücken. Viel Spaß gab es bei der
Schatzsuche rund um Schloss Osterstein. Spielmann Max und sein Spielweib
Barbara spielten dort, wo der Weg kleine Hinweise zum Schatz enthielt.
Walnüsse wiesen den Weg zum Schatz, der von der glücklichen
Schatzsucherinnen, Ariana und Medea, gefunden wurden. Im Hofgut gab es noch
ein kleines mittelalterliches Konzert und natürlich wurden die besten
Zeichnungen und die aktivsten Schatzsucher ausgezeichnet. „Es war eine
gelungene Auftaktveranstaltung“, freut sich Bernd Kemter, der Vorsitzende
der Geraer Goethe-Gesellschaft e.V.
Wolfgang Hesse, Buga-Förderverein

Anmerkung B. K.: Mehrere Mitglieder der Geraer Goethe-Gesellschaft waren vor Ort präsent und übernahmen das Vorlesen der Märchen: Vera Richter, Otti Planerer, Waltraud Steigert, Helga Zauft, Benita Rockstroh, Ingrid Kraft, Sabine Rentzsch. Gabriele Schwäbe sorgte sich um organisatorische Belange.
Vom Buga-Förderverein standen uns tatkräftig zur Seite: Herr Krüger (Mitglied auch der Geraer Goethe-Gesellschaft, Frau Russe, Herr Hesse.
Ihnen allen gilt herzlicher Dank!

Ausflug nach Ilmenau

Am Sonnabend, 10. September 2016, führten wir, Erfurter und Geraer Goetheaner sowie Kulmbacher Literaturfreunde, unseren Ausflug nach Ilmenau durch. Am Anfang erlebten wir eine Führung im GoetheStadtMuseum. Es handelte sich um das frühere Amtshaus, erbaut vom Barockbaumeister Gottfried Heinrich Krohne 1756. Goethe bewohnte bei seinen Aufenthalten das südöstliche Eckzimmer. Heute befindet sich in der ersten Etage das GoetheStadtMuseum. Dort entdeckten wir einen alten Bekannten wieder: Friedrich Kraft, der aus Gera stammte und von Goethe auf rührende Weise unterstützt wurde. Durch Goethes Vermittlung erhielt Kraft (Krafft) auch eine Stelle im Ilmenauer Bergbau.
Interessant waren für uns auch die Exponate zum Bergbau sowie zur Porzellan- und Glasindustrie. Vielfältige technische Innovationen kommen aus Ilmenau: von der Elektronenstrahlröhre bis zum MP3-Player.
Sodann besichtigten wir das Jagdhaus Museum Gabelbach, das in seiner spätbarocken Form 1783 auf Veranlassung von Herzog Carl August errichtet wurde. Nach dessem Tod wurde das Haus kaum noch für Jagdaufenthalte genutzt. Einen guten Eindruck von der ehemaligen Einrichtung vermitteln der repräsentative Festsaal und die Goethe-Wohnung. In den Jahren 2012 und 2015 wurden die beiden Dauerausstellungen „Der Kickelhahn – Goethes Wald im Wandel“ und „Goethe, die Natur und seine Ilmenauer Weggefährten“ eingerichtet.
So konnten wir uns mit dem Wald und seiner nachhaltigen Nutzung im heutigen Revier bekannt machen. Tier- und Pflanzenwelt haben sich enorm verändert. So gab es hier früher zum Beispiel den Sperlingskauz, den Baummarder und den Namensgeber des Kickelhahns, den Auerhahn. Vor 250 Jahren setzte ein wahrer Raubbau an Holz ein, wegen der Porzellan- und Glasindustrie. Holz veschlangen ebenso Bergbau, Köhlerei und Harzgewinnung. Daher verfügte die Großherzogin, dass jeder Bürger jährlich Baumpflanzungen durchführen musste, eine sehr weitsichtige Entscheidung. Jagdmethoden und -waffen sowie ein Modell der Jagdanlage auf dem Kickelhahn vervollständigten das Bild. Beleuchtet wird auch Goethes Verhältnis zu seinen Weimarer Freunden Knebel, Herder und Jean Paul, die sich des Öfteren in Ilmenau trafen… Aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Interessen stand Goethe im fachlichen Austausch mit verschiedenen Ilmenauer Persönlichkeiten wie Berginspektor Johann Christian Mahr, Bergrat Carl Wilhelm Voigt und Bergwerksbesitzer Johann Friedrich Wenzel. (Aus Broschüre Jagdhaus Museum Gabelbach).
Goethe weilte mit dem Herzog zu geselligen Jagdausflügen oft hier. Nach dem Museumsbesuch stärkten wir uns im Jagdhotel Gabelbach bei Kaffee und Kuchen.
Natürlich besuchten wir auch das Goethehäuschen auf dem Kickelhahn. Bekanntlich entstand hier sein berühmtes Gedicht „Wandrers Nachtlied“.
Die Kulmbacher Literaturfreunde erfreuten uns auf dem Kickelhan, von dem man wundeschöne Ausblicke genießen konnte, mit einigen Proben ihres literarischen Schaffens.
Danach fuhren wir nach Ilmenau zurück. Dort erwartete uns eine künstlerische Darbietung „Goethe und die Frauen“ sowie ein festliches Büfett. Dabei erwies sich das Personal im sehr idyllisch gelegenen Haus am Großen See als sehr gastfreundlich.
So verließen wir Ilmenau mit den angenehmsten Eindrücken. Im kommenden Jahr stehen das Museum Goethehaus Stützerbach und der Dichter-Heinse-Ort Langewiesen inclusive das dortige Schaubergwerk auf dem Programm.

Anakreontik und anakreontische Aufklärung

Vortrag von Prof. Hans-Joachim Kertscher, Halle, am 7. September 2016

Das 18. Jahrhundert wird oft in der Forschung als ein Zeitraum charakterisiert, in dem sich neue Formen einer Geselligkeit herausbilden, die mit dem Attribut „bürgerlich“ näher bezeichnet und damit dem feudalen Geselligkeitsideal diametral gegenübergestellt werden. Gerade Halle bot sich hierfür an, als eine Stadt „vieler feiner und geschickter Köpfe und gelehrter Leute“ (Hieronymus Megiser). Sie ist geradezu prädestiniert für die Gründung einer Universität.
Nach der 1694 erfolgten Gründung der Fridericiana ist davon nicht mehr viel zu spüren. Der nach dem Tod Luthers (1546) einsetzende Streit um die Adiaphora (Mitteldinge) wie Tanzen, Spaziergang, Theater und andere Vergnügungen, die in der Bibel weder als gut noch böse apostrophiert erscheinen, sollte nun entschieden werden. Der Streit endete zunächst ergebnislos. Erst angesichts der rohen Sitten infolge des Dreißigjährigen Krieges mit seinen kulturellen Ausschweifungen, ihren frivolen Tänzen, barbarischen Trinkgelagen und banalen Komödien fühlten sich hallesche Pietisten bemüßigt, den Streit wieder aufzunehmen und bis zum Ende auszufechten – dies, indem sie die Adiaphora als böse kennzeichneten. Selbst die laute fröhliche Unterhaltung, schöne Blüten und das Singen der Vögel galten als bedenklich.
Die Kollegien an der Universität erhielten folglich den Charakter von Erbauungsstunden, die Erweckung wurde zur Hauptsache, das emsige, geduldige Arbeiten in menschlicher Wissenschaft erschien fast überflüssig. Alle Gläubigen jubelten über die wundervollen Offenbarungen göttlicher Gnade, die Gegner klagten über zunehmende Melancholie, über Geistesstörungen und Verrücktheiten der schlimmsten Art.
Es ist für Halle aus den genannten Gründen typisch, dass sich gesellige Runden zunächst nur zur Pflege einer gelehrten Geselligkeit zusammenfanden. Um 1733 hatte sich in Halle u. a. Eine von dem Theologiestudenten Samuel Gotthold Lange gegründete Gesellschaft zur Beförderung der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit etabliert. Mit der Aufnahme von Immanuel Jacob Pyra (1715 – 1744) wurde das Unternehmen etwa um 1735 stark belebt. Der Erste Hallesche Dichterkreis, in dessen Tradition beispielsweise Klopstock und Hölderlin einzubetten wären, hatte sich konstituiert. Ein Lehrgedicht Pyras, das dieser seinem Freund und Kommilitonen Lange zum Amtsantritt als Pastor in Laublingen zugeignet hatte, begründet die Poetologie, der sich die beiden Dichterfreunde verpflichtet fühlten. Beide präsentieren ein neues Geselligkeits- und Freúndschaftsideal. Man beschäftigt sich mit Übersetzungen der lateinischen Oden von Horaz (65 – 8 v.Chr.), und es entstehen die deutlich von den Römern beeinflussten Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. In dieser Sammlung finden die Autoren, deren erste Gedichte noch sehr stark von einer pietistischen Innerlichkeit geprägt waren, auch neue Töne lyrischen Schreibens. Sie feiern die Freundschaft, empfinden Naturerlebnisse lyrisch nach und stellen damit der dominierenden rationalistischen Dichtung neue Akzente entgegen.
Zu den Dichtern des Zweiten Halleschen Dichterkreise gehörte Johann Peter Uz (1720 – 1796). Er wie die anderen jungen Dichter stellten dem pietistischen Erweckungserlebnis die scherzhafte, eben anakreonistische Erweckung gegenüber. Neben Uz gehörten zu dem Dichterkreis der Jurastudetn Johann Wilhelm Kudwig Gleim (1720 – 1803), der später als deutscher Anakreon gefeiert wurde, der Theologiestudent Johann Nikolaus Götz (1721 – 1781) und der Fecht- und Sprachlehrer Paul Jacob Rudnick (1719 – 1741).
Gleim: Zu Gedichten im Stile Anakreons, versuchte Gleim, die Ballade im deutschen Sprachraum sesshaft zu machen. Spektakuläres leistete der unermüdlich am Plan einer Deutschen Literaurgesellschaft schmiedende Organisator Gleim. Von Halberstadt aus betrieb er ein weit verzweigtes Korrespondenznetz, in das über 500 Briefpartner einbezogen waren. Sein „Freundschaftstempel“ mit nahezu 150 Porträts bedeutender Zeitgenossen, seine Bibliothek mit über 11000 Bäden, die Kleinodien der deutschen Literaturgeschichte birgt, sowie seine Handschriftensammlung stellen wesentliche Quellen für Forschungen zum 18. Jahrhundert dar. Auch als Mäzen für junge Dichter ist Gleim aus der deutschen Kulturgeschichte nich wegzudenken. Anna Louisa Karsch, Johann Georg Jacobi, Gottfried August Bürger, Wilhelm Heinse, Johann Heinrich Voß, Johann Gottfried Seume und Jean Paul gehörten zu seinen Schützlingen.

Der Begriff „Anakreontik“ geht auf das Vorbild Anakreons aus Teos zurück, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. lebte. Er ist in die Literaturgeschichte fälschlicherweise als Dichter des Weins, der Liebe und des Gesangs eingegangen. Von Anakreon selbst sind uns nur drei vollständige Gedichte und etwa 150 Fragmente überliefert. Sie widmen sich unterschiedlichen Themen, so auch dem Wein und der Liebe. Die Bezeichnung Anakreontik aber geht auf 60 Gedichte von Anakreon-Epigonen aus späthellenistischer Zeit zurück. Diese, auch Anakreonteen genannten Texte wurden 1554 von Henri Estiennes publiziert. „Die strophenlose Odenform, der reimlose anakreontische Kurzvers, die Neigung zu anaphorischer Reimung, die liebevolle, oft allegorisch-verblümte Darstellung kleiner poetischer Gegenstände und die ihnen angeglichene, leichte, jedes bedeutungsschwere Wort scheuende Sprache“ sind kennzeichnend für die von Estienne publizierten anakreontischen Strophen.
Freilich wäre es falsch, den Sängern des Weins und der Liebe, wie dies zeitgenössische Kritiker taten, Alkoholismus und Werbung für häufig wechselnden Geschlechtsverkehr, nachzusagen. Es handelte sich nicht nämlich nicht um Erlebnisgedichte, die Feier fand im Gedicht, nicht in der Realität, statt.
So formulierte Friedrich von Hagdedorn in seinem Gedicht „An die heutigen Encratiten“:
Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen
Ist höchstens nur der Wenden Lust:
Wie Kluge zu geniessen wissen
Verbleibt dem Pöbel unbewusst,
Dem Pöbel, der in Gift verkehret
Was unserm Leben Stärkung bringt,
Und der die Becher wirklich leeret,
Wovon der Dichter doch nur singt.“
Auch Johann Peter Uz wollte dieser Art des realen Genusses den biederen Bürgern überlassen:
Trinkt euern Wein in Ruh
und schlaft bei euern Weibern.
So nutzt ihr doch dem Vaterland
Und wenigstens mit euern Leibern.“
Die erste größere Publikation aus der Mitte der halleschen Anakreontiker war die 1746 publizierte Übersetzung der Anakreonteen unter dem Titel „Die Oden Anakreons in reimlosen Versen“. Dies war ein Gemneinschaftswerk von Götz und Uz. Die erste Publikation mit eigenen anakreontischen Texten stammt von Gleim. Sie kam 1744 anonym unter dem Titel „Versuch in Scherzhaften Liedern“ heraus und fand rasch Verbreitung. Somit wurde Gleim als „deutscher Anakreon“ gefeiert. Johann Nikolaus Götz folgte Gleim 1745 mit dem „Versuch eines Wormsers in Gedichten“, ebenfalls anonym erschienen. Uz schließlich publizierte 1749 seine „Lyrischen Gedichte“. Sie wurden von Gleim herausgegeben. Hier findet sich die Ode „Die lyrische Muse“ mit den folgenden Versen:
„Denn nur von Lust erklingt mein Saitenspiel,
Und nicht von Leichen vollem Sande
Und kriegrischem Gewühl
Und vom gekrönten Sieg im blutigen Gewande.
Uz‘ Muse gibt sich – im Gegensatz zu der seines Freundes Gleim – ebenfals betont unkriegerisch. „Krieg und Helden sind kein Stoff für meine Lieder“, schreibt er 1757 nach Halberstadt. Selbst in seiner Ode „Das bedrängte Deutschland“ lautet die letzte Strophe:
„Doch mein Gesang wagt allzuviel!
O Muse! Fleuch zu diesen Zeiten
Alkäeus kriegrich Saitenspiel,
Das die Tyrannen schalt
und scherz auf sanften Saiten.“
Reduziert man Aufklärung auf Begriffe wie Selbstdenken und Vernunftprimat, wird man die Anakreontik wohl schwerklich zu ihr rechnen können. Begreift man jedoch Aufklärung als eine Bewegung, die auf Geselligkeit, auf Emanzipation des Gefühls, auf sinnlichen Genuss, auf Kultur und Zivilisation im weitesten Sinne aus war, also auch auf Schönheit und deren Kraft insistierte, dann war Anakreontik Aufklärung par excellence.

2. Waldecker Goethe-Tag

Dutzende Besucher kamen in den Ort, um an einer Buchenwanderung teilzunehmen oder Anekdoten über Johann Wolfgang von Goethe zu lauschen.

Waldeck. „Morgen gehen wir über Jena nach Waldeck, wilde Gegenden und einfache Menschen aufsuchen“, soll Johann Wolfgang von Goethe einst gesagt haben. Mindestens vier Aufenthalte Goethes in Waldeck sind nachgewiesen (1775, 1776, 1780 und 1826), weshalb eine ganz klare Verbindung zu dem Ort besteht. Auch muss er sich als „junger Wilder“ hier sehr wohl gefühlt haben. Wohler als am Hofe, sagt Bürgermeister Roland Panitz und berichtet über Episoden, welche sich hier mit dem Dichter zugetragen haben sollen. So kann er von nachweislichen Weihnachts- und Silvesterfeiern mit seinem Jugendfreund Justin Bertuch erzählen, vom Schlittschuhlaufen des Dichters, damals noch als „Schreitschuhlaufen“ betitelt. Einmal mussten Goethes „Schreitschuhe“ extra noch von einem Boten aus Weimar geholt werden! „Hier hat Geschichte stattgefunden, Waldeck findet nicht umsonst in einigen Werken Goethes Erwähnung. Wir Waldecker bekennen uns zu Goethe“, so der Bürgermeister.
Daher lag es nahe, dass genau hier auch ein Goethetag abgehalten werden soll. Die nunmehr zweite derartige Veranstaltung, exakt an Goethes 267. Geburtstag, lockte trotz der Hitze wieder zahlreiche Besucher an. Sie wurden zunächst von den Buchenbrummern begrüßt, ehe Revierförster Paul Erpel gemeinsam mit dem Bürgermeister und Wolfgang Jeschoneck zur Buchenwanderung einlud. Gleichzeitig sorgte Bernd Kempter in einem Gewand aus Goethes Zeiten mittels Rätsel dafür, dass bei den Dagebliebenen keine Langeweile aufkam. Er vertrat gemeinsam mit Dörthe Rieboldt die Goethe-Gesellschaft Gera auf elegante wie kurzweilige Art. Auch der Stadtrodaer Autor Werner Gutjahr brachte sich in den Lesewettstreit ein. Dieser fand jedoch erst nach der Rückkehr der Wanderer und der offiziellen Eröffnung des Goethetages durch Schirmherr Andreas Heller ihren Höhepunkt. Im Märchenzelt unterhielt Erzählerin Otti Planer die jungen Besucher mit allerlei kurzweiligen und spannenden Märchen. Vor dem Zelt sollten alte Kinderspiele wieder in Erinnerung gerufen werden.
Veit Höntsch / 29.08.16 / OTZ