Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

In der Residenz der Babenberger

Ausflug am 11. Juni 2016 nach Bamberg

Nachdem wir bereits im vorigen Jahr viele Sehenswürdigkeiten Bambergs besichtigt hatten und ein allgemeiner Wunsch damals laut wurde, noch mehr zu sehen, fuhren wir in die ehemalige Residenz der Babenberger – diesmal mit den Erfurter Goethefreunden.

Uns erwarteten wiederum einige Mitglieder des befreundeten Kulmbacher Literaturvereins. Unter bewährter Führung von Klaus Köstner besichtigten wir viele bemerkenswerte Häuser der Altstadt – UNESCO-Kulturerbe. Wer wollte, besuchte ebenso das Diözesan-Museum. Leider war der Dom wegen einiger Hochzeiten stundenlang geschlossen. Wir verschoben daher die Abfahrtszeit unseres Busses, so dass einige interessierte Reiseteilnehmer doch noch diesen imposanten Sakralbau mit dem berühmten Bamberger Reiter besichtigen konnten.

Ausnehmend gut gefiel uns der lauschige Rosengarten. In einer urigen Kneipe stärkten wir uns, bevor wir die Heimfahrt antraten.

Es war ein sehr entspannter, kurzweiliger Ausflug, der im Bus mit Liedern beendet wurde. Allerdings waren die meisten doch geschafft von dem langen Tag, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Unser Klaus, Ehrenmitglied der Geraer Gesellschaft, sandte Kemters noch folgendes „Telegramm“ nach:

*Guten Morgen, Ihr beiden Lieben!*

*Kamt auch Ihr gut heim? Es war für uns eine besondere Freude, Euch wieder
ein Stück unserer geliebten Stadt Bamberg zeigen zu dürfen. Ihr wart ein
reizendes, hoch interessiertes Publikum, das man sich nicht besser wünschen
kann! Selbst den obligatorischen Regenguss habt hoffentlich auch Ihr gut
überstanden! Und die Begegnung mit Euch ist für uns jedes Mal sehr
bewegend, da wir Euch in unser Herz geschlossen haben!*

*Deshalb freuen wir uns sehr auf das Wochenende in Waldeck und hoffen, es
kommt nichts dazwischen!*

Die Liebe ist ein außerirdisches Verhältnis – Berliner Salons

Vortrag von Otti Planerer, Gera, am 7. Juni 2016

Die bislang eingeengte Form der Geselligkeit änderte sich allmählich nach dem Siebenjährigen Krieg. Schon die Eltern der Humboldts luden wie die Familie Mendelssohn zu geselligen Abenden ein – ohne Beachtung der Standesschranken. Es wuchs das bürgerliche Selbstwertgefühl. Die Aufklärung beförderte den Adel des Geistes, Frauen beschritten allmählich den Weg der Emanzipation. So standen denn auch Damen – die Salonnieren – im Mttelpunkt der Zusammenkünfte. Die Berliner Salons, Henriette Hertz, Rahel Levi (Varnhagen von Ense), Nicolai, erwarben rasch eine besondere Bedeutung, sie wurden Vorbilder anderenorts.

So waren bei der Hertz Tieck, die Schlegel, Jean Paul, Jean Paul, Schadow, Schiller und Schleiermacher zu Gast, ebenso Prinz Louis Ferdinand von Preußen, der 1806 in der Schlacht bei Saalfeld fiel.

Frauen zählten zu den Stammgästen, sie waren gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen, konnten also öffentlich debattieren. Dies war neu. Die Damen traten auch als Musikerinnen, Autorinnen, Malerinnen und Übersetzerinnen auf.

Gepflegt wurde die Kunst des Gesprächs. Diskutiert wurden Kunst, Literatur, Politik, Wissenschaft, und auch der Stadtklatsch kam zu seinem Recht. Man las auch gemeinsam aus neuesten literarischen Werken. Neben all dem bildete sich ebenso eine reiche Briefkultur heraus.

Fanny Lewald, eine Autorin jener Zeit, deren Werke heutzutage vergessen sind, schrieb: Nicht der Geist ist es, der unsern Gesellschaften fehlt, sondern die Liebe und die wahre Teilnahme. Unsere Gesellschaft ist mehr oder weniger egoistischer geworden. Die Menschen wollen empfangen und nicht leisten, wollen sich unterhalten lassen und nicht unterhalten, wollen für den Aufwand an Geld und Zeit, den die Gesellschaft sie kostet, etwas haben, was Parade macht. (wie aktuell!)

Und weiter:

Die Menschen sind Sklaven der Autorität geworden und haben es darüber verlernt, selbst zu denken, selbst zu suchen und das Geistige zu entdecken, wo es sich zu regen beginnt; ja, es auch nur da zu erkennen, wo es sich bereits entfaltet hat.

Hertz galt als anmutig, Levi eher als „männlich“, jedenfalls galt sie als eine „tapfere Frau“. So weigerte sich Levi, für den Bau des Neuen Museums, ihr Wohnhaus preiszugeben, für das man ihr die günstigsten Konditionen anbot. Erst nach ihrem Tod sollten sie – billig – alles haben. Immerhin trat sie schon einen kleinen Teil ihres Grundstücks ab. Der König akzeptierte dies. Die Levi kannte alle bedeutenden Männer ihrer Zeit. In ihrem Garten verlobten sich übrigens Bettina Brentano und Achim von Arnim. Donnerstags empfing Rahel Varnhagen van Ense (Levi) ihre Gäste zum Diner, samstags zum Tee, den sie selber zubereitete und reichte. Die Levi betrieb auch Armenpflege.

In einem Brief an Baron Friedrich de la Motte Fouque (Verfasser von Ritterromanen und -märchen) äußerte sie, Liebe sei ihre tiefste Überzeugung, sei ein außerirdisches Verhältnis. Sie verscheuche all das Graue, Erstickende, sei die helle Sonne. Ein besonderes liebevolles Verhältnis entwickelte sich zu Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Der lästerte über Goethe, wie schlecht doch dessen „Egmont“ sei. Eine „miserable Liebschaft“ verkörpere doch solches „Klärchen“. Levi antwortete darauf nicht. Es trat ein Sinneswandel ein, als er Goethe traf. Er legte sich auf dessen Bett, Goethe stand davor, beim Punsch sei er aufgetaut und habe gesehen, was Goethe doch für ein großartiger Mann sei. Jetzt erst sei er es wert, Goethe zu lesen, schrieb Levi an den Prinzen.

Auch Bettina (sie schrieb lieber von sich: Bettine) führte ein offenes Haus. Sie hatte vielseitige Interessen. Seit ihrer Kindheit zeichnete sie ein satirisches Mutwillen aus. Sie strebte die Vereinigung der Königtums mit der Demokratie an.

Berühmt wurde ihr Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“. Es war für die „Guten“ und nicht für die „Bösen“ gedacht. Kanzler Müller riet ihr, dies und jenes wegzulassen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Doch sie weigerte sich: „Lassen Sie alles stehen, wie es ist, denn es hat seinen Wert.“

Jeder Einzelne gestaltet die Gesellschaft und trägt Mitschuld an ihren Übelständen, meinte sie.

Bettina führte den Salon der beiden Rahel (Levi) und Karl August Varnhagen von Ense nach deren Tod weiter.

Protokoll der Jahrestagung deutscher Goethe-Gesellschaften in Gera

Treffen der Ortsvorstände deutscher Goethe-Gesellschaften vom 5. bis 8. Mai 2016 in Gera, Sparkassen-Kommunikationszentrum

Protokoll zur Arbeitssitzung

6. Mai 2016, 9 bis 12 Uhr

Begrüßung

Der Vorsitzende der Geraer Goethe-Gesellschaft (GGG), Bernd Kemter, begrüßt die Teilnehmer und informiert zur Tagesordnung. Er macht auch auf den Büchertisch mit Publikationen von Mitgliedern der GG Gera aufmerksam und auf die Präsentationen von Sponsoren. Des Weiteren verweist Kemter auf die von historischen Persönlichkeiten geführten Rundgänge durch Gera und das Begleitprogramm, das zum Goethe-Ort Waldeck im Saale-Holzland-Kreis, zum Musenhof nach Löbichau und in die dortige Wismut-Region führt, zur Burgruine Reichenfels sowie nach Zeulenroda mit Staudammbesichtigung und Besuch im Bio-Seehotel.

Bericht aus Weimar

Der Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar, Dr. Jochen Golz, berichtet in seinem Rückblick auf das Jahr 2015 vom Tag der offenen Tür im Juni und vom seit Jahren unternommenen Versuch, ein wissenschaftliches Projekt zur Geschichte der Goethe-Gesellschaft zu veranlassen. Am 12. Mai findet ein Arbeitsgespräch mit dem künftigen Projektleiter und seiner Mitarbeiterin in Weimar statt, danach wird ein Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gestellt.

Golz kündigt die bevorstehende Hauptversammlung vom 7. bis 10. Juni 2017 in Weimar zum Thema: „Globalisierung als Chance? – Goethe und die Weltliteratur“ an. Alle vorgesehenen Referenten haben zugesagt, der Festredner ist gewonnen, zur Vorstandstagung am 21. Mai werde das wissenschaftliche Programm abgestimmt.

Das neue Goethe-Jahrbuch wird in der Weimarer Vortragsreihe der Goethe-Gesellschaft am 16. August vorgestellt. Prof. Berger (Aachen) wird über Goethe als Farbenlehrer und Experimentator sprechen. Am 17. September erinnert die Schauspielerin Gertrud Gilbert in einem Theaterstück an den Besuch von Charlotte Buff bei Goethe in Weimar vor 200 Jahren. Im November werden drei Stipendiaten – aus Usbekistan, Finnland und Indien – in der Vortragsreihe zu Wort kommen und ihre Projekte vorstellen.

Das neue Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft wird im Juni erscheinen und im Juli ausgeliefert werden. Ein großes Problem dabei sei nach wie vor die Finanzierung. Zwar ist 2015 ein Fonds dazu geschaffen worden, der die Situation zwar vorübergehend stabilisiert, das Problem aber auf Dauer nicht löst. Hilfe auch aus dem Kreis der Anwesenden wäre zu wünschen.

In Vorbereitung noch für dieses Jahr ist ein Buchprojekt mit Aufsätzen aus den Goethe-Jahrbüchern der letzten 15 Jahre zum Thema „Warum Goethe heute? – Zur Universalität seines Denkens“. Es soll mit 500 Stück aufgelegt werden und wird nicht im Buchhandel erhältlich sein. Gedacht ist es als Geschenk für Menschen, die als Freunde und Förderer der Goethe-Gesellschaft gewonnen werden sollen.

Zur 2015 gestarteten Werbeaktion, dass möglichst viele Ortsvereinigungen auch Mitglied in der Muttergesellschaft werden, wünscht Golz, dass es mehr sein könnten. Bisher sind 32 der 57 Ortsvereinigungen Mitglied in der Weimarer Gesellschaft.

Der neue Newsletter befindet sich derzeit in der technischen Herstellung; er enthält u.a. Beiträge über die Goethe-Gesellschaften Gera (Jahrestagung 2016), Gotha und Dessau (Bericht über die Festveranstaltung zum 90jährigen Jubiläum, zugleich Ausrichter der Jahrestagung 2018). Informiert wird dort auch über den Besuch von Goethe-Freunden aus dem französischen Valmy in Weimar. Dabei wurde die Idee vorgetragen, eine Goethe-Straße von Weimar nach Valmy als europäisches Kulturprojekt einzurichten. Stationen könnten Gotha, Eisenach, Fulda (derzeit leider noch ohne GG), Frankfurt/Main, Mainz (es gibt Bemühungen, dort eine GG zu gründen), und Trier sein. Im Rezensionsteil des Newsletters wird z.B. auf eine Publikation der OV Kassel hingewiesen.

Ortsvereinigungen können sich auf der von Dr. Petra Oberhauser betreuten Facebook-Seite der Goethe-Gesellschaft Weimar ebenfalls vorstellen, und zwar mit kurzen Fakten und vor allem mit Fotos. 2016 gibt es wieder vier Goethe-Akademien: Die erste zum „Faust“ war wieder überbucht, die zweite wird sich mit „Goethe im Rheinland“ beschäftigen, im September folgt „Goethe und Italien“, im Dezember eine Akademie zu Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“; alle Ortsvereinigungen erhalten zu den einzelnen Akademien jeweils 50 Prospekte.

Zudem verweist Golz darauf, dass der langjährige Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft Gotha, Dr. Christoph Köhler, von seiner Heimatstadt mit der Myconius-Medaille geehrt wurde.

Bericht aus Düsseldorf

Entfällt, da Prof. Dr. Christof Wingertszahn, Direktor des Goethe-Museums Düsseldorf, sich kurzfristig entschuldigt hat.

Bericht aus Frankfurt/Main

Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Goethehaus Frankfurt/Main, verweist auf das Jahresprogramm und die Homepage des Goethehauses und des entstehenden Romantikmuseums. In ihren Ausführungen konzentriert sie sich auf das Thema der Jahrestagung, wie junge Menschen an Goethe herangeführt werden können. Dabei ist sie sich im Klaren, dass Goethehaus und Hochstift andere Möglichkeiten haben als die Goethegesellschaften. Doch „unser Abendveranstaltungsprogramm und die Mitgliederwerbung zielen nicht auf die junge Generation. Wir müssen uns konzentrieren auf junge Alte, die Zeit und Muße haben. Aber wir wollen Kinder, Jugendliche und Studierende anregen, dass sie später in Erinnerung haben, dass es sich lohnt, sich mit Goethe zu beschäftigen.“

Ausführlich berichtet Bohnenkamp-Renken über ein Hochstift-Projekt, das über zwei Semester gemeinsam mit 15 Studierenden gelaufen ist. Sie erkundeten dabei im Hochstift-Archiv Handschriften von Goethe, viele kleine noch unerforschte „Zettelgen“, die sie über Goethes Vielseitigkeit staunen ließen. Letztlich mündete die Forschungsarbeit in eine Ausstellung unter dem Titel „Unboxing Goethe“ (Goethe auspacken). Der Titel war von einer Internet-Aktion angeregt worden, wobei junge Leute in kleinen Filmchen verschiedenste Dinge auspacken und dies anderen mitteilen. In der Ausstellung mussten die Besucher die Vitrinen ‚auspacken‘, um die Ausstellungsstücke zu entdecken. Viele Jugendliche haben die Ausstellung besucht. Die Studierenden übernahmen ehrenamtlich Führungen für Schüler.

Ein zweites Frankfurter Projekt ist eine „Faust“-Edition im Internet. Dabei werden alle „Faust“-Handschriften Goethes, die zu 80 Prozent in Weimar lagern, zu 20 Prozent in aller Welt verstreut sind, übers Internet zugänglich gemacht. Da zugleich Transkriptionen eingeblendet werden können, sei dies eine gute Hilfe, Goethe entziffern zu lernen. Nach fünf Jahren Vorbereitungszeit steht jetzt eine so genannte Beta-Version, also eine Vorabveröffentlichung, im Internet: beta.faustedition.net. Sie wird in den nächsten Monaten noch überarbeitet und in eine 1-0-Version umgewandelt. Damit sind die „Faust“-Handschriften dann weltweit ohne Zugangsbeschränkungen einzusehen. Über den Zugang „Genese“ kann man auch über eine Zeitschiene in den Kosmos der Handschriften einsteigen, erklärt Bohnenkamp-Renken. Sie zeigt Vor- und Nachteile der Online-Edition auf und bittet um Rückmeldungen, welche kritische Resonanz die Beta-Version findet.

Zum entstehenden Romantikmuseum sagt Anne Bohnenkamp-Renken, dass infolge unvorhergesehener Schwierigkeiten, wie sie sich beim Abriss des Vorgängergebäudes herausgestellt haben, der geplante Eröffnungstermin in Frage stehe; wahrscheinlich sei ein Termin im Spätherbst 2019 oder erst 2020.

Für das Brentanohaus in Oestrich-Winkel ist die erste Renovierungsphase abgeschlossen.

2016 jährt sich zum 200. Mal das Erscheinen von Goethes Zeitschrift „Über Kunst und Altertum“. Ab dem 8. September soll es dazu eine Ausstellung geben, Titel: Von den Rhein- und Main-Gegenden zur Weltliteratur – Goethes Zeitschrift „Ueber Kunst und Alterthum“. Ihre Eröffnung ist Bestandteil einer Goethe-Festwoche.

Nahtloser Übergang in die Diskussion

Von der Erlanger GG kommt gleich im Anschluss an den Bericht aus Frankfurt/Main die Anregung, die Ausstellung „Unboxing Goethe“ auf Wanderschaft in die Ortsvereinigungen zu schicken. Anne Bohnenkamp-Renken verspricht, darüber nachzudenken. Sie gibt aber zu bedenken, dass die Betreuung durch die Studenten ein maßgeblicher Faktor für den Erfolg der Ausstellung war.

Hans-Günther Otto (GG Rudolstadt) verweist darauf, dass das Prinzip des ‚Unboxing‘ ja im Goethe- und Schiller-Archiv mit Vitrinen, die auf- und zugedeckt werden, bereits praktiziert werde. Anne Bohnenkamp-Renken warnt aber davor, die Besucher mit einer Fülle an Objekten zu überfluten. Die Konzentration auf Weniges verspreche die beste Wirkung.

Einladung für 2018 nach Dessau

In der weiteren Diskussion stellt Ingeborg Arnold (Anhaltische GG) das Jahresprogramm der 2008 neu gegründeten Gesellschaft vor. Sie hat derzeit etwa 50 Mitglieder. Für 2018 laden die Anhaltiner zur Jahrestagung nach Dessau ein, wo auf die Besucher mit dem Gartenreich Dessau-Wörlitz und der Bauhaus-Stiftung zugleich zwei Unesco-Welterbestätten warten.

– Kaffeepause-

Jahrestagung 2017 in München gut vorbereitet

Hans Brendel lädt für 2017 zur Jahrestagung der Ortsvorstände nach München ein, wenn die dortige Goethe-Gesellschaft zugleich ihr 100-jähriges Bestehen begehen kann. Zum Stand der Vorbereitungen teilt Brendel mit, es sei inzwischen so viel Sponsoren-Geld eingeworben worden, dass der Tagungsbeitrag selbst auf dem teuren Münchener Pflaster bei nur 90 Euro liegen wird. Auch zwei bezahlbare Hotels seien gefunden. Die Tagung werde im Literaturhaus stattfinden, die Arbeitstagung ist für den Freitag mit zweimal drei Stunden vorgesehen, für den Abend der Besuch des „Sommernachtstraums“ im Nationaltheater. Als Alternative ist das Münchener Lyrik-Kabinett mit einem speziellen Programm für Goethe-Freunde im Blick.

Der zweite Tagungstag soll der Region München in Richtung Alpen vorbehalten sein – mit einer Exkursion nach Murnau.

Abends laden die Münchener Goethefreunde wieder ins Hofbräuhaus ein und am Sonntag zu Weißwürsten, kündigt Hans Brendel an.

Erfurt stellt sich vor

Als Neuling im Kreise der Ortsvorstände der Goethegesellschaften stellt sich Dieter Schumann vor. Er ist neben seinem Beruf als Musiklehrer und seiner Tätigkeit als ‚Spielmann‘ auch Geschäftsführer der Goethegesellschaft Erfurt. Sie wurde am 21. Oktober 2014 im Schumannschen Wohnhaus in der Erfurter Altstadt neu gegründet. Den Vorsitz hat der Vorsitzende der Geraer OV, Bernd Kemter, übernommen. Derzeit hat die Erfurter Gesellschaft 42 Mitglieder.

Schumann verweist auf die Synergieeffekte, die das Zusammenwirken zweier Ortsvereinigungen mit sich bringt. So werden Ausflüge gemeinsam unternommen, die Buskosten geteilt. Auch für Referenten ist es von Vorteil, wenn sie an zwei Abenden hintereinander Vorträge in Erfurt und Gera halten. Die Entfernung von etwa 80 Kilometern stelle kein Hindernis dar.

Als Symbolpflanze hat die Erfurter GG die in Brasilien beheimatete Goethea gewählt, über die Sylk Schneider in seinem Buch über Goethes Beziehungen zu Brasilien und einem entsprechenden Vortrag viel Wissenswertes mitgeteilt hat. Insgesamt stehen im Erfurter Jahresprogramm neun Vorträge, die jetzt im Gildehaus Pavarotti stattfinden. Als „große Kiste“ bezeichnete Schumann das Vorhaben der Erfurter und Geraer, im Herbst eine gemeinsame Italienreise auf Goethes Spuren zu unternehmen,

Zum Ziel, die Vereine zu verjüngen, sagt Dieter Schumann: „Als Lehrer versuche ich, die junge Generation an Kultur heranzuführen. Ich habe auch über Deutschlehrer und andere versucht, sie für die Goethegesellschaft anzusprechen. Aber es gab bisher wenig Resonanz. Junge Leute reagieren sporadisch und haben keine Zeit.“

Die Goethegesellschaften sollten Schreibwerkstätten und die Arbeit mit Schüler-Theatergruppen unterstützen und darüber auch an die Öffentlichkeit treten, rät Schumann

Hallenser in Weimar

„Wir sind beiträtig geworden in der Goethegesellschaft Weimar“, gibt Prof. Hans-Joachim Kertscher aus Halle schmunzelnd kund. Sodann stellt er Dr. Heidi Ritter vor, die im Dezember 2015 in den Vorstand gewählt wurde, um die Geschäftsführung von Herrn Heller zu übernehmen. Von ihm richtet Kertscher Grüße aus. Ritter sei seit ihren Studienjahren mit der Goethegesellschaft verbunden. Die damals Dritte im Bunde, Christel Eichhorn-Berndt, ist jetzt Mitglied im Vorstand.

Hannover lebt weiter

Aus Hannover berichtet Peter Meuer, dass er bereits vor zweieinhalb Jahren angekündigt hatte, sein Amt niederzulegen. Wenn sich allerdings kein Nachfolger gefunden hätte, wäre die GG Hannover aufgelöst worden. Doch sie lebt weiter, weil die zweite Vorsitzende, Elke Kantian, motiviert gewesen sei, das Amt zu übernehmen. Am 12. April 2016 ist Elke Kantian zur neuen Vorsitzenden gewählt worden. Sie mache sicher alles anders, aber ebenso gut, schätzt Meuer ein.

Neue Vorsitzende in Naumburg

Weil Dr. Bernd Niemann, der die Naumburger Gesellschaft 1988 gegründet und bis Ende 2015 geleitet hatte, nach Berlin gezogen ist, kann er den Vorsitz nicht mehr führen. Als neue Vorsitzende stellt sich Dr. Irene Traub-Sobott vor. Sie ist seit 10 Jahren Mitglied der Ortsvereinigung Naumburg und viele Jahre lang stellvertretende Vorsitzende gewesen.

Die Naumburger unternehmen jedes Jahr eine Exkursion, diesmal werden sie Berlin besuchen, auch um ihren langjährigen Vorsitzenden zu treffen. Die GG Naumburg hat zwar nur 18 Mitglieder, doch blieb die Zahl über Jahre stabil. Zudem nimmt ein größerer Freundeskreis an den Veranstaltungen teil. Auch arbeiten die Naumburger Goethefreunde mit anderen örtlichen Vereinen zusammen, z.B. mit der Nietzsche-Gesellschaft. Als Zielgruppe sieht auch Dr. Traub-Sobott die ‚jungen Alten‘, denn „bei der Zusammenarbeit mit Schulen hakt es“. Die neue Vorsitzende ist von Beruf Mineralogin und hat sich von daher Goethe genähert, der neben vielem anderen auch Mineraloge war.

Trauer in Hamburg

Ragnhild Flechsig erinnert an das langjährige Hamburger Vorstandsmitglied Clemens Heithus. Er ist überraschend im September 2015 gestorben, die Goethefreunde haben erst viel später davon erfahren. Zudem informiert Flechsig, dass jetzt Dr. Uwe Petersen der stellvertretende Vorsitzende der GGH ist, der 2. Vorsitzende ist Heinz Grasmück, der in der Schulbehörde tätig war.

Neues Vorstandsgespann in Rosenheim

Für die Goethegesellschaft Rosenheim ist seit etwa einem Jahr Ulrich Noltenhans der neue Vorsitzende. Er stellt sich und seine Stellvertreterin, Dr. Barbara Mütter, kurz vor. Die Ortsvereinigung hat derzeit etwa 130 Mitglieder.

Goethe-Essen und „Werther“ als SMS am Hochrhein

Hansjoachim Gundelach stellt sich als Nachfolger von Dr. Lickert vor. Die GG Hochrhein/Waldshut-Tiengen ist im Jahr 2000 gegründet worden, hat etwa 100 Mitglieder. „Ich esse und koche gern“, gesteht Gundelach, deshalb gebe es Veranstaltungen, wo auch gegessen werde. So habe man Veranstaltungen mit einem Sternekoch organisiert und auch Goethes Geburtstag im vergangenen Jahr kulinarisch begleitet. Weil es geschmeckt hat, habe die Goethegesellschaft spontan viele neue Mitglieder bekommen, berichtet Gundelach.

Auch auf gute Zusammenarbeit mit der Schule kann die GG Hochrhein verweisen. So haben Goethefreunde den „Werther“ im Unterricht behandelt und dann den Schülern freien Umgang mit dem Stoff durch E-Mails und SMS gegeben; Gundelach verweist darauf, dass auch dieses Projekt mit einem Essen beendet wurde, mit Lavendelkuchen aus der Schulküche.

Geplant sind weitere Aktionen zu Goethe für Kinder, z.B.über Poetryslam und Filmprojekte mit dem örtlichen Kino. „Ich verwahre mich gegen die Aussage, wir machen nur was für Alte“, unterstreicht Gundelach.

Zwischenruf aus Nordenham: „Wir machen Veranstaltungen ‚Trinken mit Goethe‘.“

Jüngster Nachfolger in Kiel

Nach 16 Jahren als Vorsitzender macht Bodo Heimann sein Amt frei und übergibt es an einen jungen Nachfolger, „den jüngsten, den die Goethegesellschaft Kiel je hatte“, nämlich an den anwesenden Dr. Malte Denkert. Der 32-jährige ist Lehrer in Husum und hat bisher mit der Theodor-Storm-Gesellschaft zusammengearbeitet, was er möglichst mit der Arbeit in der Goethe-Gesellschaft verknüpfen möchte.

Faust für Kinder in Ulm

Vor drei Jahren hat Ernst Joachim Bauer in Ulm den Vorsitz der Goethegesellschaft übernommen, die derzeit 55 Mitglieder hat. Weitere zu gewinnen, strenge er sich an, aber für ihn stehe die Gemeinnützigkeit im Vordergrund und deshalb auch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Als Buchhändler und Antiquar sieht Bauer die Aufgabe der GG auch darin, jungen Leuten die klassische Sprache nahe zu bringen, obwohl er sich nicht gegen Sprachveränderungen stelle.

Eine gute Möglichkeit, „mit Sprache ins Bewusstsein der Gegenwart zu gelangen“, sieht Bauer in den Veranstaltungen „Goethe für Kinder“ – gemeinsam mit zwei Bibliotheken und der Autorin Kindermann. Sie hat Goethes „Faust“ und etwa 30 andere Klassiker umgeschrieben für Kinder zwischen 9 und 13 Jahren, immer verflochten mit Original-Zitaten und Illustrationen von Klaus Ensikat. Bauer hegt die Hoffnung, dass dabei „ein paar Samen gefallen sind.“ Frau Kindermann könne auch von anderen GG gebucht werden, sei aber nicht ganz billig, so Bauer, und rät, hierbei über die Schulen zu gehen, Sicher ist er sich, dass solche Veranstaltungen den Kindern den Einstieg zu „Faust“ und anderen Klassikern sehr erleichtern. Die Ulmer wollen solch eine Veranstaltung noch mal mit einem Schauspieler angehen, was kostengünstiger sei.

Gera mit 2. Waldecker Goethetag

Kinder sollen auch beim 2. Waldecker Goethetag angesprochen werden, den die GG Gera gemeinsam mit der kleinen Goethe-Gemeinde Waldeck am Geburtstag des Dichters veranstalten will, berichtet Bernd Kemter. Dabei wird es Kinderspiele aus der Goethezeit geben, in einem Märchenzelt wird die Schauspielerin Otti Planerer, die Mitglied der GGG ist, Reinecke Fuchs und das Märchen von der Grünen Schlange vortragen, Zuwachs für den Verein erhofft sich Kemter daraus nicht, wohl aber, Kinder und Jugendliche auf ansprechende Art mit Goethe bekannt zu machen.

Neue Publikation in Chemnitz

Siegfried Arlt ( GG Chemnitz) berichtet, dass der Mineraloge Prof. Dr. Dr. Naumann als neues Mitglied für die GGC gewonnen werden konnte, ebenso der junge Germanist Philipp Restetzki als Betreuer der Bibliothek der GG, der in Kamenz unterrichtet, aber in Chemnitz wohnt.

Die Chemnitzer GG ist 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es eine Publikationsreihe. Die Jahre 1926 bis 1945 sind bereits aufgearbeitet worden. Unter dem Titel „Wechselvolle Jahre“ erschien die zweite Folge, die die Zeit bis 1990 umfasst. In Arbeit sind jetzt noch die 25 Jahre bis 2015, die unter dem Titel „Zeit der Goldenen Spur“ erscheinen soll.

Weiterhin berichtet er über Projekte als Sprecherzieher an der städtischen Musikschule, mit Studenten und mit zwei Schülern (11 und 13), die auf die Moderation zu einem Konzert-Kaleidoskop vorbereitet werden. Zum Tag der Instrumente soll es auch eine Sprechbühne geben, deren Akteure sich mit Literatur beschäftigen. Arlt sieht darin eine Möglichkeit, das Interesse junger Leute zu wecken.

Des Weiteren verweist er darauf, wie wichtig die regelmäßige Medieninformation ist.

Briefe aus Heidelberg und aus Berlin

Zum Thema Nachwuchsgewinnung und Verjüngung der Goethegesellschaften trafen zwei Briefe aus Heidelberg (die OV konnte leider nicht an der Tagung teilnehmen) und aus Berlin ein, die Bernd Kemter verliest. Darin ging es um eigene Erfahrungen (Heidelberger Brief siehe Anlage).

Prof. Volker Hesse (Berlin) knüpft gleich an den Brief seiner Vorsitzenden an mit der Bemerkung: „Wir können ja keinen Einfluss auf die Bildungspolitik nehmen.“ Im Lehrplan stehe zur Auswahl Wallace oder Goethe – klar, wofür sich viele Lehrer entscheiden. Dies sei sehr ernst zu nehmen und immer wieder zu versuchen, schon früh das Interesse für Klassik zu wecken.

Nordenham: Andere Kommunikationswege nutzen

Dr. Burkhard Leimbach (Nordenham) versucht, die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Bisher ging es darum, welche Inhalte aus Goethes Werk sich eignen und wer unsere Adressaten sind, die wir in Veranstaltungen locken oder als neue Mitglieder gewinnen können. Nicht diskutiert worden sei, welche Kommunikationswege wir beschreiten und welche Auswirkungen das hat.

Meistens sei zu erkennen: „Wir wollen das Papier“. Die Antworten auf Leimbachs Umfrage unter den Anwesenden, wer eine wochenaktuelle Internetseite besitzt, wer twittert, Facebook und Youtube benutzt, halten sich sehr in Grenzen. Leimbach ist überzeugt: „Sobald wir dort erscheinen, werden sich die Gruppen selbst informieren.“ Es nütze nichts, Veranstaltungen mehrfach in Zeitungen anzukündigen, weil die Jugend sowieso keine Zeitung liest. „Wir können uns nur am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, wenn wir an die neuen Medien gehen“, stellt Leimbach fest und plädiert dafür, jemanden im Vorstand zu haben, der „internet-affin“ ist.

Eisenach: Besten Abi-Aufsatz prämieren

Gerhard Lorenz gehört seit 1999 der GG Eisenach an und hat 2014 den damaligen Vorsitzenden Volkmar Schumann abgelöst, war vorher Stellvertreter. Die GGE hat 140 Mitglieder, die sich einmal im Monat zu Vortragsabenden treffen sowie Tages- und Mehrtagesfahrten unternehmen. Als ehemaliger Schulleiter eines Gymnasiums weiß Lorenz, dass sich Schüler durchaus begeistern lassen, wenn man ihnen Goethe und andere Klassik auf spannende Weise nahe bringt. Beispielsweise gab es ein- bis zweimal im Jahr szenische Darstellungen mit Schülern, ein- bis zweimal Fahrten nach Weimar. Auch jetzt versuche er, die Kontakte zwischen Schule und Goethegesellschaft hochzuhalten. So wird der beste Abi-Aufsatz von der Goethegesellschaft prämiert und mit einer kleinen Laudatio bedacht. Die Wartburgsparkasse gewähre Unterstützung. Mit einer Regelschule wird eine kleine Theateraufführung vorbereitet zu Frau von Stein und Luise von Göchhausen. Im Thüringer Lehrplan setzte man noch auf gelebte Praxis.

– Ende der ersten Arbeitssitzung –

7. Mai 2016, 9 bis 11 Uhr

Nicht einkapseln

Hans-Ulrich Foertsch (Vest-Recklinghausen) zur Finanzierung des Goethejahrbuchs: Wir haben 2600 Mitglieder in Weimar und 7000 in den Ortsvereinigungen – und da sollen wir darauf angewiesen sein, dass andere uns helfen!? Um das Problem aus der Welt zu schaffen, sollten wir uns nicht einkapseln, sondern die Ortsvereinigungen sollten fürs Jahrbuch spenden. Wenn jede OV 50 oder 100 Euro im Jahr gäbe, wäre das Problem gelöst.

Seinem Beispiel folgend sollen Beitragspatenschaften vor allem für junge Mitglieder aus dem Ausland in der Weimarer Goethe-Gesellschaft übernommen werden; bei 30 Euro pro Student und Jahr wären das 65 Cent in der Woche, rechnet Foertsch vor.

Eine kleine Kritik („aber mit großer Zustimmung“) richtet Foertsch direkt an Dr. Golz, dem er rät, die Goethe-Gesellschaft „mit einer gewissen Enthemmung, lauter darzustellen“.

Goethe-Weg weiter führen

Hans-Günther Otto, Rudolstadt, regt an, es nicht beim Goethe-Weg von Weimar nach Valmy zu belassen, sondern auch Wege von Weimar in Richtung Böhmen und Schlesien ins Auge zu fassen. Es gebe schon den Goethewanderweg Weimar – Großkochberg. Dazu könnte auch der ADAC gewonnen werden.

Zwischenruf: Auch Reisebüros gewinnen, Analogie zum Jakobsweg. Auch Studenten einbeziehen ausländische Stipendiaten. Es gebe schon „Goethe in Hessen“.

Otto verweist auf die traditionelle Goethewanderung jeweils am ersten Sonnabend im Mai (also heute) von Weimar nach Großkochberg mit Bewirtung unterwegs und Bussen für jene, die nicht die gesamten 28 km laufen wollen/können. Daran nehmen Mitglieder der Rudolstädter OV teil; Otto rät auch anderen Ortsvereinigungen, dies zu nutzen.

Bernd Kemter ergänzt: Auch das Vermächtnis lokaler Dichter kann man für solche Wanderungen nutzen und zu entsprechenden Veranstaltungen benachbarte Ortsvereinigungen einladen.

Golz zu Thesen-Papier und OV-Situationen

Auf Anregung von Prof. Hans-Joachim Kertscher verliest Jochen Golz noch einmal die wichtigsten Stichpunkte aus dem Thesen-Papier, das, angeregt von der OV-Tagung 2015 in Hannover, von einer Arbeitsgruppe zusammengestellt wurde und allen Teilnehmern der Geraer Zusammenkunft in den Tagungsmappen überreicht wurde. Hauptinhalt ist, wie die Goethe-Gesellschaft in Weimar und die Ortsvereinigungen künftig produktiver zusammenarbeiten können.

Golz erläutert, wie das Papier entstanden ist und welche positiven Erfahrungen gesammelt wurden (Klassikseminare, Tagesfahrten, Jahrestagung der OV, Aktivitäten im Newsletter anzeigen, Geselligkeit und Zusammengehörigkeit in den OV).

Zudem zeigt Golz auf, warum Ortsvereinigungen aufhörten zu existieren – Tod des Vorstands (Hildesheim) oder Rücktritt aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen. In Bamberg wird versucht, wieder etwas aufzubauen. Neugründung in Erfurt gelungen durch das Engagement von Bernd Kemter (Gera). Besonders in einer so großen Stadt wie Stuttgart ist es ein schmerzlicher Verlust, dass Herr Mahl seine Tätigkeit eingestellt hat. Da dort weiterhin interessierte Mitglieder existieren, gibt es Bestrebungen, die OV neu aufzubauen. In Mainz laufen Gespräche über eine eventuelle Gründung. Die OV Magdeburg hat ihre selbständige Tätigkeit beendet und sich der dortigen Literarischen Gesellschaft angeschlossen. Für nicht wenige Ortsvereinigungen stellen die Raummieten ein Problem dar. Deshalb ist Gera wieder hoch zu preisen, weil wir hier im Sparkassensaal tagen können.

Erlangen kooperiert mit Volkshochschule

Heida Ziegler zeigt auf, dass die OV Erlangen durch die Kooperation mit der Volkshochschule nur dann Raummiete zahlen muss, wenn es sich um eine vereinsinterne Veranstaltung handelt, wie die Mitgliederversammlung. Die Aufwendungen bleiben bei 50 Euro im Jahr. Die VHS übernimmt die anderen Veranstaltungen der GG in ihren Veranstaltungskalender. Weil Tageszeitungen erst am Vortragstag ankündigen, testen die Erlanger derzeit, ob durch Anzeigen unter der Überschrift „Literatur, Kultur, Natur“ Interessenten auf die Goethegesellschaft aufmerksam gemacht werden können. „Immerhin haben drei Leute die Kleinanzeige gelesen“, erhofft sich Ziegler künftig noch mehr Resonanz.

Ulm: Besitzer von Räumen einbeziehen

Mit geringen Kosten oder kostenfrei kann die Goethe-Gesellschaft wirtschaften, wenn sie, so Ernst Joachim Bauer für Ulm und Neu-Ulm, „ihre Interessen mit denen von Raumbesitzern verbindet“. Wenn Musik im Spiel ist, können Kirchen oder kann die Aula eines Gymnasiums genutzt werden.

Zwischenruf aus Erlangen: „Kirchen kosten auch“.

Zur Ankündigung von Veranstaltungen nutzt Ulm „zwei sich gegenseitig bekämpfende“ Zeitungen.

Aue/Bad Schlema nutzt Hotels

In mehreren Hotels hat Konrad Barth die Goethegesellschaft vorgestellt, in zwei Hotels können kostenlos Veranstaltungen durchgeführt werden, mit der Maßgabe, dass die Mitglieder auch etwas verzehren. (So läuft das auch in Erfurt in einem Restaurant).

Einmal im Jahr zahlt die GG Aue/Bad Schlema 80 Euro an die Gästeinformation, die dann für die Veröffentlichung aller Veranstaltungen sorgt.

Dresdener Publikum hausgebunden

Die Dresdener GG ist zu Gast im Kügelgenhaus, organisiert die Veranstaltungen, die Stadt kassiert die Einnahmen. Die GG trifft sich auch im Kulturhaus Loschwitz am Blauen Wunder, aber dorthin kommen andere Besucher – ein spezielles Dresdener Problem; die Leute sind konservativ, das Stammpublikum ist an das Kügelgenhaus gebunden. Jürgen Klose, der Vorsitzende der Dresdener GG, setzt seine Hoffnung auf die neue junge Kulturbürgermeisterin, die das soziokulturelle Programm der Stadt verantwortet und dafür sorgen könnte, dass die Goethe-Gesellschaft an den Veranstaltungseinnahmen beteiligt wird.

Berliner jetzt im Zentrum

Volker Hesse berichtet: Berliner treffen sich nicht nur zum Vortrag, sondern sitzen hinterher noch etwas zusammen. Die Landesloge in Dahlem konnten sie ein Jahr lang kostenlos nutzen, dann war Geld zu berappen. So zogen die Goethefreunde in die Stadtbibliothek hinter dem neugebauten Schloss um, fanden damit auch ein neues Publikum. Auch hier ist die „Nachsitzung“ sehr wichtig. Derzeit etwa 200 Mitglieder.

Keine Unterstützung von der Stadt

Renate Arnold (Bergisch-Gladbach) klagt: Die Stadt unterstützt uns überhaupt nicht. Aber den Ratssaal haben wir umsonst für Mitgliederversammlungen.

Internetauftritt – ja oder nein und wie?

Dr. Jochen Golz lenkt die Debatte auf das Thema Internet-Auftritt. Wie können sich Ortsvereinigungen und Weimarer Gesellschaft im Netz gemeinsam präsentieren? Viele haben eine Homepage.

Aber ist eine Art Deckblatt/ eine gemeinsame Startseite günstig? Von Weimar aus sind schon alle OV erreichbar, aber ist es sinnvoll, wenn sich alle OV untereinander verlinken?

In der Diskussion wird darauf verwiesen, dass eine Internetseite auch Geld kostet und vor allem gepflegt werden muss, was Zeit erfordert. Es wird angeregt, dass von Weimar aus für alle, die noch keine Homepage haben, eine Art Muster-Seite organisiert werden könnte, die dann von den OV nur noch ausgefüllt und gepflegt werden müsste. Aber auch da steht die Frage, wer das machen kann. Dresden hat gute Erfahrung mit Facebook, um Mitteilungen zu verbreiten. „Unsere Mitglieder werden damit zwar eher nicht angesprochen, aber wir haben jetzt Freunde in Tblissi, Rio de Janeiro und Kagoshima“, berichtet Jürgen Klose. Ernst Joachim Bauer hält Facebook nicht für den richtigen Weg, vor allem des Datenschutzes wegen. Er sieht aber in einer Homepage die Möglichkeit, über Angebote der GG zu informieren.

Dr. Claudia Leuser (Nürnberg) verweist auf engagierte Studenten, die die Internetseite nach Vorgaben für ein Taschengeld pflegen. Gewinnung neuer Mitglieder über den Internetauftritt ist sehr unterschiedlich: Nürnberg drei bis vier, Erlangen nur eins, obwohl es dort gelungen ist, die Internetseite der GG mit der der Stadt zu verknüpfen. Renate Arnold (Bergisch-Gladbach) berichtet: Es gab ein paar Hundert Anfragen, keine Mitglieder, aber viele Gäste – 8 bis 15 pro Abend – für GG-Veranstaltungen. Auch haben viele Mitglieder zwar E-Mail, aber sie schauen nicht regelmäßig in ihren elektronischen Briefkasten.

In Rosenheim werden laut Ulrich Noltenhans alle Nachrichten per E-Mail verschickt, nur wer keine Internetadresse hat, bekommt herkömmliche Briefe.

Hans Brendel verweist auf die Hilfe von Studenten – sie zahlen dafür keinen Mitgliedsbeitrag.

Dr. Jochen Golz gibt zu bedenken, dass es ein Unterschied ist, ob wir unsere Mitglieder informieren wollen oder neue Mitglieder gewinnen. Letzteres funktioniert erfahrungsgemäß am Besten im persönlichen Gespräch. Für Informationen wird häufig das Internet genutzt, aber letztlich hat gerade die ältere Generation gern trotzdem noch Papier in der Hand. Für die Weimarer GG ist der Facebook-Auftritt ein gutes Mittel, um der Presse aktuelle Informationen bereitzustellen und mit dieser besser in Kontakt zu kommen.

Hans-Ulrich Foertsch (Vest-Recklinghausen) ist der Meinung: Wir müssen moderne Medien nutzen, um auf dem Level der Zeit zu bleiben, ob Goethe nun will oder nicht. Er stimmt jedoch Golz zu, dass der persönliche Einsatz besonders wichtig ist.

Gern in Weimar willkommen

Zudem greift Golz die Überlegung auf, ob Weimar Angebotspakete für die OVen offerieren sollte. Golz meint jedoch, dass in jedem Falle individuelle Absprachen mit der Besucherbetreuung der Klassik Stiftung notwendig seien. Davon unabhängig werde aber jede OV, die nach Weimar kommen möchte, bei der Vorbereitung gern unterstützt und auch in der Geschäftsstelle gern gesehen. Golz verbindet damit freilich zugleich die Hoffnung, dass einige doch auch Mitglied in der Muttergesellschaft werden. Auch Referenten für die jeweiligen Vortragsprogramme können empfohlen werden.

Ortsvereinigungen, die gute Reiseerfahrungen gemacht haben, sollten diese an die anderen weitergeben, regt Hans Brendel an, Die Münchener können z.B. solche von ihren Fahrten nach Polen und nach Wien vermitteln.

Über den Tellerrand schauen

Da das Thesen-Papier auf persönlichen Erfahrungen der Geraer/Erfurter und anderer Ortsvereinigungen beruht, fordert Dr. Golz Bernd Kemter auf, einiges dazu zu übermitteln.

Kemter greift zunächst auf, dass Kronach wohl nur noch Theaterfahrten organisiere, aber damit gute Erfahrungen in Großkochberg und Bad Lauchstädt gemacht habe.

Die Geraer Ortsvereinigung versucht, im Zusammenwirken mit der Stadtbibliothek und mit Buchhandlungen, durch öffentliche Lesungen auch ein junges Publikum anzusprechen. So ist eine Lesung „Aus Mephistos Tagebuch“ geplant. Aber auch Lesungen zu Autoren wie Klopstock, Hölderlin oder Nietzsche finden großen Zuspruch. Derzeit wird eine Lesung zu Ludwig Börne vorbereitet.

Sehr ansprechend und öffentlichkeitswirksam waren Vorträge von Mitgliedern anderer GG, wie Andreas Rumler oder Egon Freitag, ferner die Aufführung vom Theater der Dämmerung Düsseldorf mit „Faust I“. Es gibt Überlegungen zu Schatzsuche und Poetryslam, um Kinder und Jugendliche für Goethe und darüber hinaus für Literatur allgemein zu interessieren.

Gemeinsam mit dem Partner-Goethe-Ort Waldeck wird für den 28. August der 2. Goethetag als Volksfest vorbereitet, wo es u.a. um Goethes ‚merkwürdige Worte‘ gehen wird, Kinderspiele aus der Goethezeit und eine Wanderung mit Goethe-Bezug sind geplant. Auch Flüchtlinge und Aussiedler beziehen die Geraer in ihre Arbeit ein.

Sehr gut findet Kemter die „Fundstücke“ zu Goethe, die Peter Krüger-Wensierski von Köln aus via Internet auf die Reise schickt.

Mit einem Dank an die GG Chemnitz, die vor zehn Jahren Pate stand bei der Gründung der GG Gera, regt Kemter an, darüber zu diskutieren, wer wo Pate sein kann für die Neugründung einer Ortsvereinigung in der Nachbarschaft.

Zusammenwirken mit Schulen

Siegfried Ziegler, Erlangen, sieht eine Chance für die Goethegesellschaften im Zusammenwirken mit den Schulen und glaubt, dass der Aufwand dafür nicht besonders groß sei. Über das Rektorat bzw. das Referat Deutsch könne die OV einen Auftritt planen mit einem Goethe-Schauspiel oder einer Doppelstunde etwa zum Thema „Zauberlehrling“. Für das Fach Kunsterziehung denkt Ziegler an das Anfertigen von Silhouetten, wie es zur Goethezeit im Gebrauch war. Ziegler will Derartiges in Erlangen versuchen.

Literarischer Salon in Marienbad

Anknüpfend an Kemter bekräftigt Siegried Arlt (Chemnitz), dass das Bestreben vor zehn Jahren, eine Geraer GG ins Leben zu rufen, von beiden Seiten von Herzen kam. „Und es ist ja auch was rausgekommen, nun sogar noch in Erfurt“.

Zudem sind die Chemnitzer Goethefreunde seit Jahren aktiv im tschechischen Marienbad mit einem literarischen Salon, in dem sich Schiller und Goethe treffen und sich auf originelle Weise bekannt machen. Das hat einen großen Kreis von Interessenten gefunden, berichtet Arlt. Die Chemnitzer sind auch dabei, wenn der Direktor des Goethe-Museums Marienbad zum dritten Mal zum Literaturfest mit tschechischen Literaten und Schauspielern einlädt.

Auch dem Ruf um Unterstützung bei der Gründung einer Goethegesellschaft in Karlsbad werden die Chemnitzer Goethefreunde folgen.

Sollten wir als GG einen Preis verleihen

Als weiteren Punkt aus dem Thesenpapier warf Golz die Frage „Sollten wir als Goethegesellschaft einen Preis verleihen?“ in die Debatte. Das trage zur weiteren Bekanntheit der Goethegesellschaft bei.

Einen Goethe-Preis gibt es allerdings schon: in Frankfurt/Main. Könnte es also vielleicht der „Divan-Preis“ werden? Wer soll dafür ausgewählt werden? Literaturpreise gibt es viele, aber zu wenige für moderne Lyrik. Zu bedenken ist jedoch, dass nicht nur ein Preisgeld erforderlich ist, sondern auch eine Jury, die sich intensiv mit verschiedenen Arbeiten auseinandersetzen muss. Als weitere Fragen stehen: Wer vergibt den Preis? Wann? Wenn die GG Weimar ihre Goethe-Medaille nicht entwerten will, kann anlässlich der Hauptversammlungen kein Preis verliehen werden, sondern allenfalls in den Jahren zwischen den Hauptversammlungen, wenn sich die Ortsvereinigungen in einer deutschen Stadt treffen. Wer bezahlt bzw. besorgt das Preisgeld? 10 000 Euro sollten es für Lyrik schon sein.

Für Weimar, so Golz, sei vor allem wichtig, das Jahrbuch auf Dauer zu finanzieren und weiterhin dafür zu sorgen, dass Stipendiaten nach Weimar eingeladen werden können. Insofern stehen wir zusätzlichen finanziellen Aufwendungen sehr skeptisch gegenüber, müssen uns auf die Bewältigung unserer beiden Hauptaufgaben konzentrieren.

Hans-Günther Otto (Rudolstadt) erhielt für seine Anmerkung „Ich sehe keine Notwendigkeit für einen solchen Preis. Das Geld soll lieber für Stipendiaten ausgegeben werden“ viel Beifall und kürzte damit die Debatte zu diesem Thema ab. Allerdings kam noch der Hinweis, Übersetzungen von Goethegedichten ins Blickfeld zu rücken. Bernd Kemter warf seinen Gedanken ein, kleine Theater zu würdigen, die klassische Stücke aufführen. An die Ehrung solle kein Geld geknüpft sein, vielmehr könne sie aus einem Pokal in Form einer Goethea (brasilianische Orchidee) bestehen, der dann im Theater ausgestellt werden kann.

Golz: Skeptisch, optimistisch, ermutigend

Zusammenfassend zeigt sich der Präsident der GG in Weimar, Jochen Golz, erfreut über die Atmosphäre der Tagung, über die produktive Gemeinsamkeit und die vielen guten Ideen, sei es „Faust“ für Kinder, Essen und Trinken mit Goethe oder der Kampf gegen Bildungsschwund. Zu letzterem Punkt ist Golz allerdings skeptisch, denn das erfordere intensive Lobbyarbeit, um in engem Kontakt mit den Bildungsministerien der Bundesländer messbare Erfolge zu erreichen; nicht überall gebe es durch persönliche Beziehungen so glückliche Umstände wie in Heidelberg oder Hamburg. Besonders die Hamburger Klassikseminare verdienen Nachahmung, unterstreicht Golz.

Für Weimar versichert er: Wir versuchen den Newsletter als aktuelle Goethe-Zeitung zu gestalten. Beispielsweise geht es in der nächsten Ausgabe um Bücherspenden für die Ungarische Akademie der Wissenschaften und eine ungarische private Goethesammlung. Solche Berichte stärkten auch das Selbstwertgefühl der Weimarer Muttergesellschaft. Zudem solle die Flüchtlingsdebatte und das Verständnis für andere Kulturen anhand von Goethes Divan diskutiert werden. Außer dem Newsletter will Weimar aber bei Printmedien bleiben, weil viele Goethefreunde auch gern etwas in der Hand haben.

Für die Zukunft sieht Jochen Golz zwei Ziele der Goethe-Gesellschaften: Unsere Grundaufgabe ist es, Menschen an Goethe heranzuführen, junge, ältere, mittleren Alters. Und das können wir nur anstreben, wenn wir eine ordentliche Mitgliederbasis und damit entsprechende Finanzen haben. Junge Menschen kommunizieren heutzutage eher frei in sozialen Netzwerken und lassen sich nicht gern in Vereinsstrukturen einbinden. So ist es erstaunlich, dass immer noch so viele Menschen zu uns kommen, und zugleich ermutigend für uns alle.

Protokollantin

Angelika Kemter

Jahrestagung deutscher Goethe-Gesellschaften

Am Himmelfahrtswochenende 2016 erwarteten wir, die Geraer Goethefreunde, die Vertreter deutscher Goethe-Gesellschaften zur Jahrestagung. Vier Jahre lang hatten wir uns auf dieses bedeutende Treffen vorbereitet, Sponsoren gewonnen – sie hielten allesamt ihr Wort -, ein vielseitiges Programm vorbereitet, Einladungen geschrieben und umfangreiche organisatorische Vorbereitungen getroffen.

Nachdem sich unsere Gäste am Donnerstagnachmittag im Tagungsbüro (Kommunikationszentrum der Sparkasse Gera-Greiz) eingetragen hatten, trafen wir uns am Simsonbrunnen, wo uns der Geraer Posaunenchor von der Balustrade des Rathauses mit einem Ständchen aufwartete. Sodann begaben wir uns  in den Rathaussaal zur Festsitzung. Bernd Kemter, Vorsitzender der Geraer Gesellschaft, begrüßte die Gäste, es folgten Grußworte von Dr. Babette Winter, Thüringer Staatssekretärin für Kultur und Europa, Dr. Frank Rühling, Fachdienstleiter in der Stadtverwaltung, und vom Präsidenten der Weimarer Muttergesellschaft, Dr. Jochen Golz.

In seinem Festvortrag schilderte Michael Roth, Vorstandsmitglied der Geraer Gesellschaft, wie sich Goethe auf rührende Weise um einen verarmten, kränkelnden, jungen Geraer namens Friedrich Krafft sorgte. Dieser Vortrag stieß auf lebhaftes Interesse; mehrere Gäste wünschten eine Zusendung. Das Intermezzo piccolo bot ein sehr kurzweiliges Programm. Die Geraer Goethefreundinnen Renate Kette und Benita Rockstroh erfreuten mit Gesang und Rezitationen. Ein Stehbankett beendete den geselligen Abend.

Am Freitag stand die erste Arbeitssitzung zum Thema „Gegen Überalterung in den Ortsvereinigungen“ auf dem Programm. Dabei gab es anfangs teils heftiges Für und Wider, insbesondere, was die Gewinnung von Kindern und Jugendlichen betrifft. Während einige Redner in diesem Punkt kaum Hoffnung machten, ermutigten andere, den Versuch auf altersgemäße Weise zu wagen. Vor allem aber sollten wir stärker an junge Erwachsene, auch Menschen ab 45, herangehen. Viele Vorschläge wurden erwogen. Hier bildeten Thesen einer Arbeitsgruppe, die in Weimar mit Vertretern aus einigen Ortsvereinigungen gegründet wurde, eine gute Basis.

Zuvor hatten Dr. Jochen Golz und Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Goethehaus Frankfurt/M., Bericht erstattet.

Der Vormittag hielt für die Begleitpersonen eine Busfahrt in die Goethe-Gemeinde Waldeck nahe des Hermsdorfer Kreuzes parat. Bürgermeister Roland Panitz berichtete über die Aufenthalte Goethes in diesem idyllischen Ort, zeigte den Gästen das Forsthaus, in dem Goethe mehrmals übernachtete. Hans Pietsch, als „Milo Barus“, führte atemberaubende Kunststücke als „stärkster Mann“ vor.

An Goethes Geburtstag am 28. August führen die Gemeinde, der Feuerwehrverein sowie die Geraer Goethe-Gesellschaft mit Unterstützung des Landratsamtes Saale-Holzland-Kreis sowie Sponsoren den 2. Waldecker Goethe-Tag durch.

Am Nachmittag schlossen sich Stadtführungen, mit Schwerpunkt Dix-Gemälde im Stadtmuseum, Theater, Hofwiesenpark an. Geführt wurden sie von Dix‘ Lieblingsschwester Hedwig, Zeichenlehrer Schunke und der Gerschen Fettgusche; die kostümierten Guides sorgten nicht nur für interessante Informationen, sondern auch für Freude und Spaß.

Der Abend hielt unser Festkonzert, bestritten vom Geraer Kammerstreichorchester, parat. Es war ein recht originelles, mit viel Applaus bedachtes Konzert, das sogar eine Komposition für Streicher und Didgeridoo bereithielt.

Der Sonnabend begann wieder mit  der Arbeitssitzung. Sodann begaben sich alle zum Busbahnhof. Die Route führte zunächst zur Burgruine Reichenfels. Dort erwartete uns bereits ein kostümierter Darsteller des legendären Bauerngenerals Georg Kresse. Unsere Gäste genossen den Blick ins freie Land, besuchten das Museum, stärkten sich bei Thüringer Rostbratwürsten.

Höhepunkt des Tages war natürlich der Aufenthalt im Bio-Seehotel am Zeulenrodaer Meer. Dankbar nutzten wir die Gelegenheit, den ansonsten nicht zugänglichen Schüttdamm zu besichtigen und aus dem Munde zweier fachkundiger Führer Wissenswertes zur Talsperre zu erfahren.

Sodann wurde zu Kaffee und Kuchen im Panoramarestaurant eingeladen. Von dort genossen unsere Gäste einen unvergleichlichen Blick in die idyllische Landschaft von Wald und See. Ein weiteres Ereignis war die Eröffnung der Personalausstellung unserer Geschäftsführerin Elke Sieg. Sie stellte Gemälde, Grafiken, Scherenschnitte und Schmuck zur Schau. Die Laudatio hielt Michael Roth, er lud anschließend zu einem Rundgang ein.

Zu unseren Gästen zählten auch Erfurter Goethefreunde sowie Friederike und Klaus Köstner, „Ost-Beauftragter“ des befreundeten Kulmbacher Literaturvereins und Ehrenmitglied der Geraer Goethe-Gesellschaft.

Im Tagungssaal erlebten wir den Diavortrag von Dr. Manfred Jähne, Aue/Bad Schlema, zum Thema „Die Via mala – Goethes Reise nach Italien“. Dieser Power-point-Vortrag bot viel Wissenswertes, auch Neues, er stieß auf großes Interesse. Eine besondere Überraschung bot der Nachmittag ebenfalls: die Ehrung des langjährigen Leipziger Goethefreundes Dr. Hilmar Dreßler durch unseren Präsidenten. Überrascht wurde Herr Dreßler auch in anderer Hinsicht: durch die Aufführung einer von ihm komponierten Sonatine für Klavier und Flöte.

Heitere Musik aus dem Volksliedgut sowie aus der Renaissance-Musikliteratur bot nun das Ensemble „Erfurter Camerata“, ebenfalls mit viel Beifall bedacht. Dem Konzert schloss sich das Festbankett an. Auf Wunsch vieler älterer Teilnehmer fuhren die Busse nicht Mitternacht, sondern eine Stunde früher nach Gera zurück. Mehre Gäste übernachteten im Hotel und fuhren erst am Sonntagmorgen nach Hause.

An dieser Stelle bedanken wir uns bei der Sparkasse Gera-Greiz, die uns ihr Kommunikationszentrum mietfrei zur Verfügung stellte, ebenso für ihre finanzielle Zuwendung für das Festkonzert mit dem Geraer Kammerstreichorchester. Dank gebührt natürlich auch den weiteren Sponsoren: Bauerfeind AG Zeulenroda, Köstritzer Schwarzbierbrauerei Bad Köstritz, elastic-mieder Zeulenroda, Verlag Frank Gera, Rotarier Gera, Gebäudeservice Tautenhain, Versicherungsmaklerbüro Steiniger Greiz, Kanitzsche Buchhandlung Gera.

Wir bedanken uns weiterhin bei der Geraer Stadtverwaltung, die uns den Ratssaal für unsere Festsitzung unentgeltlich bereitstellte.

 

Hier einige Meinungen zum Tagungsverlauf:

…danke für die wunderbare Jahrestagung der deutschen Goethe-Gesellschaften. Sie war in jeder Weise gelungen.

Dr. Petra Oberhauser, Geschäftsführerin der Goethe-Gesellschaft in Weimar

ich möchte nicht versäumen, Ihnen für die schöne und gut organisierte Tagung und die gastfreundliche Aufnahme zu danken! Sie haben den Goethe-Ortsvereinigungen einen wunderbaren Aufenthalt in Gera bereitet, und das bei herrlichstem Wetter! Sie scheinen eine besonders gute Verbindung zu Petrus und allen Wettergöttern zu haben! Die musikalischen Darbietungen waren ein Genuss, besonders in dem herrlichen Rathaussaal konnte eine sehr schöne Verbindung von Musik und Architektur hergestellt werden!

Ragnhild Flechsig, Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft Hamburg

Wir waren von unserem Aufenthalt in Gera begeistert und möchten uns von Herzen bedanken. Ihre Organisation war großartig. Das Programm entsprach genau dem, was wir uns für eine solche Veranstaltung gewünscht hatten, und wir hatten die Gelegenheit, Vertreter anderer Goethe-Gesellschaften kennenzulernen und uns mit ihnen auszutauschen. So wünschen wir Ihnen zunächst eine Verschnaufpause, aber auch weiterhin viel Elan und Freude bei der Arbeit mit „Goethe“ und Co.

Ulrich Noltenhans, Dr. Barbara Mütter, Vorstand Rosenheim

Ihnen und Ihrer Frau möchte ich noch einmal sehr herzlich für die schönen Tage in Gera danken und vor allem für das vielfältige und abwechslungsreiche Programm danken. Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Goethe in Gera.

Hansjoachim Gundelach, Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Waldshut-Tiengen

Für die äußerst gelungene Gestaltung der Tagung der Ortsvorstände in Gera möchte ich Ihnen nochmals mein Kompliment und unseren herzlichsten Dank zum Ausdruck bringen. Es waren beeindruckende Veranstaltungen und Ziele. Schön, dass das Fortbestehen dieses Treffens sich dadurch immer bestätigt, wir neue Orte, alte und neue Freunde treffen. Genießen Sie im Team jetzt die Freude und die Ruhe!

Hans-Günther Otto, Goethe-Gesellschaft Rudolstadt

Euch nochmals*vielen Dank* für diese einzigartige Präsentation zur Hauptversammlung in Gera! Es war traumhaft schön, das Wort der Träume ist bei mir eine Ausnahme! Das Kaiserwetter rundete alles im Sonnenglanze ab vom Anfang bis zum Ende … fast in die Morgenstunde! Alles klappte prima! In der Ruhe liegt wahrlich die Kraft, die nach Außen wirkte! Allen Helfern und Helferinnen auch meinen lieben Dank. Ich lernte viel durch diese besonderen Tage bei Euch dazu! Es lohnt sich, in Eure Region zu kommen,*GeDANKEn* immer wieder bei einzelnen Erlebnissen der drei tollen GG-G -Tage bei Euch.

Eva Komas, Anhaltische GG

Goethe und der Islam

Vortrag von Hartmut Heinze (M. A.), Berlin, im April 2016

Schon früh beschäftigte sich Goethe mit dem Islam. Davon zeugt beispielsweise sein Preislied auf Mohammed. Ab 1814 wird seine Zuwendung im West-Östlichen Diwan evident. Er lehnt den Verdacht nicht ab, selbst ein „Muselmann“ zu sein. Dabei stand das „Abendland“ dem Orient traditionell feindlich gegenüber. 1698 gab es eine lateinische Übersetzung des Korans, 1734 eine englische. Für 100 Jahre wurde sie in Europa die Hauptquelle der Kenntnisse über den Koran. 1720 gab es auch eine Biografie über Mohammed. Dort hieß es, „der Islam sei eine vernunftgemäße Religion, die Achtung verdient“. 1765 preist Voltaire den Koran, neben Zoroaster und Konfuzius sei Mohammed einer der drei großen Gesetzgeber der Welt.

Freilich hat Voltaire auch das anti-muslimische Drama „Der Fanatismus des Propheten“ geschrieben, das nun Goethe auf Geheiß des Herzogs um 1800 auf die Weimarer Bühne bringen soll. Aber Goethe hat durch seine eigene Übersetzung sehr mäßigend auf dieses Stück hingewirkt und ihm seine eigene Auffassung gewissermaßen „untergejubelt“. Er bekämpfte religiösen Fanatismus generell.

Auch Lessing, Leibniz und Herder bemühten sich im Sinne der Aufklärung um eine gerechte Beurteilung des Islam. Ihnen war die konsequente Begeisterung für Einen (!) Gott eigen. Die christlichen Theologen an sich – mit Ausnahme Herders – verhielten sich jedoch weitestgehend verständnislos und intolerant.

Welche Aspekte des Islam waren nun für Goethe maßgebend?

Dies war zum einen seine Liebe zum Orient generell. „Ich möchte leben wie Moses im Koran, Herr, mache mir Raum in meiner Brust“, heißt es sinngemäß aus der 20. Sure. Es geht ihm um die Freisetzung schöpferischer Kräfte. Goethes Grundüberzeugung, dass sich Gott in der Natur offenbare, stimmte mit der 6. Sure überein. Sein besonderes Interesse galt der Person Mohammeds. Sie inspirierte Goethe zu seinem Dramenprojekt „Mahomet“. Es war bis dato die beste Huldigung, die ein Deutscher dem Begründer des Islam widerfahren ließ.

Allerdings erkannte Goethe sehr wohl, dass Mohammed seine Lehre nicht nur durch das Wort verbreitete, sondern ebenso durch das Schwert.

Das Preislied „Mahomets Gesang“ beinhaltet das Gleichnis des Stroms, dem viele Bäche zufließen und die der Fluss allesamt dem Meer entgegen bringt. Immer geht es Goethe um die Einheit des Einen Gottes. „Schau auf Einen Gott.“ Goethes Naturfrömmigkeit zeigt sich stets im Zusammenhang mit islamischen Vorstellungen.

Es ist eine starke Hinneigung zum Determinismus zu konstatieren. Dies stimmt überein in die bewusste Ergebung in den Willen Gottes. In diese Position wurde Goethe insbesondere durch die Philosophie Spinozas geführt.

1814 schrieb er die ersten Gedichte für den „West-östlichen Diwan“.

Besonders dem persischen Dichter Hafis war Goethe sehr zugetan. Ihm gefiel dessen Ironie, und er hat diese Ironie im „West-östlichen Diwan“ umgesetzt. Wichtig für Goethe war indes auch die geistige Fundierung des koranischen Vor-Zustandes und ebenso die „mystische Dimension des Islam“ (Angelika Schimmel). Bei Hafis und Goethe verschmelzen Weltpoesie und Heiterkeit, schließlich waren beide weltliche Dichter, keine Theologen; für beide Dichter war die Welt durchaus kein „Jammertal“. Viele Gedichte im Diwan sind vom Koran beeinflusst, beispielsweise „Talismane“ durch Sure 2, „Sommernacht“ im „Schenkenbuch“, das kleine Gedicht „Pfauenfeder“ im „Buch der Parabeln“. Hier spiegelt sich ebenfalls das Göttliche in der Natur – in sehr poetischer Form. Immer ist Koran-Lektüre im Spiel.

Auch das Thema der Wiedergeburt spielt bei Goethe eine Rolle. Davon zeugt ein Gespräch mit dem Theologen Johannes David Falk über den Tod Wielands. Man denke aber auch an das berühmte „Stirb und werde“.

Im „Buch des Paradieses“ ist von künftiger heiterer Glückseligkeit die Rede. Der 18. Sure entspricht die Haltung, lieber bei den Oberen in Ungnade zu fallen, als seine Überzeugungen aufzuopfern.

Ironisch teilt Goethe mit, dass es bislang sogar vier Frauen ins Paradies geschafft haben: Suleika, die Erdensonne, Maria, Jesus‘ Mutter, Chadidscha sowie Fatima, Mahomets Gattin sowie Tochter. Goethe ironisiert die Unterordnung der Frauen, behandelt er sie doch stets in großer Idealität. Mit dem „Sänger“ im Diwan unterscheidet er sich zudem vom Propheten in den Punkten Wein, Weib und Gesang. So bleiben seine und Hafis‘ Poesie stets weltlich, sie stammt von weltbewussten Dichtern. Dabei stellt sich die Poesie oftmals mystifizierend dar, damit ihre Autoren von Dogmatikern nicht verfolgt werden können. Der Poet ist Künstler und frei von jedweden Zwecken. Dagegn will der Prophet seine Lehre verkünden, er zeigt sich unduldsam gegen andere Auffassungen. Er will die Menschen zum Gehorsam zwingen. Nur das Seine lässt er gelten. Dies zeigt sich sogar in der Ablehnung von – Märchen, die ja noch aus vorislamischer Zeit erzählt werden. Es war eine gewaltsame Unterwerfung der Poesie, fast Vernichtung insbesondere der persischen. Daher preist Goethe die Herrlichkeit der Poesie, in der das Menschliche aufbewahrt bleibt.

Genietreiben und politische Verantwortung – Goethe in Weimar

Vortrag von Andreas Rumler, Köln, am 22. März 2016

Unser Thema lautet „Genietreiben und politische Verantwortung“ – bezogen auf „Goethe und Weimar“ – womit wir auch inhaltlich mitten in Thüringen angelangt wären. Lassen Sie mich gleich zu Beginn die These wagen, dass man eigentlich Goethes gesamtes Leben in dieser Dichotomie erfassen kann, ja, vielleicht noch mehr: Dass man Goethe wohl am ehesten gerecht wird, wenn man sieht, wie er diesen Spannungsbogen ein Leben lang zu meistern wusste.

Da war einerseits das kraftvolle junge Talent des „Sturm und Drang“ und andererseits der Staatsminister, der in seinem kleinen Amtsbereich Verantwortung zu tragen hatte. Und diese Dualität zu bewältigen, machte die Lebenskunst Goethes aus: Faszinierend bleibt bis heute, wie er diese beiden Ansprüche erfüllte. Seinem „Faust“ legt er das bekannte Wort in den Mund: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – er lebte es: als Dichter, der mit seinen sprachlichen Kunstwerken Grenzen erkundete und überschritt – und als Staatsmann, der Gesetze einzuhalten und zu vertreten hatte. Man kann diesen doppelten Charakter als einen zentralen Wesenszug, als ein Lebens- oder auch Leitmotiv Goethes begreifen.

Traditionell bezeichnet „genial“ eine herausragende Intellektuelle Leistung und denjenigen, der sie hervorbrachte. Diesen traditionellen „Genie“-Begriff habe ich heute im Sinn, wenn wir uns Gedanken über Goethes „Genietreiben“ neben und während seiner Amtspflichten machen wollen. Goethe als dichtendes Genie wurde nicht nur von seinen Zeitgenossen bewundert, weil er wie andere junge Autoren des „Sturm und Drang“ sich auflehnte gegen jede Form von Bevormundung und Gängelung durch literarische, familiäre, politische und religiöse Autoritäten. Gottgleich fühlten die „Stürmer und Dränger“ sich als schöpferische Künstler. In seiner Ode „Prometheus“ hat Goethe diesen aufbegehrenden Charakter verherrlicht, der den Menschen Kultur, Licht und Feuer bringt und als Rebell die versteinerten, autoritär-feudalen Verhältnisse hinterfragt, sie „zum Tanzen bringt“ (um es mit Marx zu sagen) und damit zu ihrer Überwindung beiträgt.

Während seines langen Lebens entwickelte übrigens auch Goethe seinen eigenen „Genie-Begriff“ weiter. Verstand er noch 1772 darunter die „Fähigkeit, neue, große Ideen aus der Tiefe zu heben“, so begriff er darunter in späteren Jahren ein ähnliches Phänomen wie die Natur, das es wie sie vermag, nach naturgegebenen inneren Formen Neues zu schaffen und zu organisieren.

Fast authentische Lebenszeugnisse gibt es bis heute auch in Frankfurt. Hier im Haus am Großen Hirschgraben gewann Goethe durch die unterschiedlichen Charaktere seiner Eltern, salopp formuliert: durch deren mentales Erbe seine Doppelbegabung. Er lernte vom Vater „Des Lebens ernstes Führen“ neben der mütterlichen „Lust zu fabulieren“ und verspürte – hier ist wieder der Zwiespalt Fausts: seiner „Zwei Seelen“: wenn man so will –, etwas abgewandelt das Thema unseres Abends: Genietreiben und politische Verantwortung. Hier in Frankfurt wird ihm diese doppelte Haltung, diese Duplizität der Ambitionen quasi „in die Wiege“ gelegt.
Als er nach Weimar kommt, ist man auf ihn und ist natürlich auch er auf die Stadt vorbereitet: Immerhin kannte er die Messestädte Leipzig und Frankfurt, als Goethe früh am Morgen des 7. November 1775 über holprige Wege nach Weimar hinein rollte. Die Vaterstadt war ihm als Nest erschienen – allein: Was erwartete ihn hier? Provinz auf Schritt und Tritt, Mist stank auf den Gassen. Als „Mitteldinge zwischen Hofstadt und Dorf“ hat Herder Weimar bespöttelt. Zudem war das Schloss 1774 abgebrannt. Carl August gebot bei seinem Regierungsantritt über rund 36 Quadratmeilen. Nur 6000 Bürger zählte die Hauptstadt. Das Mini-Herzogtum mit seinen rund 100.000 Einwohnern setzte sich aus nicht zusammenhängenden Landesteilen zusammen und war verarmt. Kriege und vor allem feudale Prunksucht hatten das Land ruiniert. Auch kleine Höfe orientierten sich an Versailles, unterhielten repräsentative Heere und veranstalteten aufwendige Jagden. Als Goethe 1775 eintraf, führte Carl August erst seit einigen Wochen die Regierung. Keine drei Jahre hatte die Regentschaft seines Vaters gedauert, schon 1758 ließ er seine gut achtzehnjährige Witwe mit zwei unmündigen Söhnen zurück. Dass Anna Amalia (1739-1807) trotz der Machtgelüste benachbarter Duodezfürsten die Selbstständigkeit ihres kleinen Herzogtums bewahren und es trotz des Siebenjährigen Krieges ihrem Ältesten Carl August zu dessen Volljährigkeit in alter Größe übergeben konnte, beweist die außerordentlichen Qualitäten dieser Frau. Doch neben politischem und diplomatischem Geschick beeindruckt ihr Sinn für Kunst und Kultur, sie musizierte und komponierte, so die Musik zu Goethes Singspiel „Erwin und Elmire“. Anna Amalia beschäftigte herausragende Persönlichkeiten in ihrem Herzogtum wie Johann Karl August Musäus (1735-1787) oder Christoph Martin Wieland (1733-1813), den sie 1772 zum Prinzenerzieher bestellte. Weimars Ansehen als „Musenhof“ und Hort deutscher Klassik ist nicht zuletzt Anna Amalias Verdienst.
Das „Grüne Schloss“ ließ sie 1766 zur Bibliothek ausbauen, 1991 wurde der berühmte Bau mit dem zentralen Rokoko-Saal nach ihr benannt. In ihrem Schlösschen Tiefurt und dem Wittumspalais kam die legendäre Tafelrunde zusammen, man musizierte, las, rezitierte und debattierte ganz ohne Rücksicht auf Standeschranken, arrangierte Aufführungen des Liebhabertheaters. Ihre Hofdame Louise von Göchhausen (1752-1807) kopierte wohl Goethes „Urfaust“ und überlieferte so den Text. Als „Bürgerlicher“ war Goethe in diesem Kreis willkommen, obwohl er nicht zu den „Hoffähigen“ zählte. Erst als Goethe 1782 sein Adelsdiplom erhielt, gab es diese protokollarischen Probleme nicht mehr.
Ungewöhnlich waren Ausmaß und Bedeutung der Aufgaben, die Carl August seinem Freund übertrug. Zwar bewährte das junge Dichter-Genie sich als „Maitre de plaisir“, organisierte die Liebhaberbühne und verfasste Texte für festliche Anlässe – doch der regierende Fürst hat in Goethe den tatkräftigen Pragmatiker erkannt, der mit jugendlichem Elan alte, von Großvater und Vater ererbte Probleme lösen helfen sollte. Goethe begriff die Chancen seiner neuen Stellung sehr genau, verkannte aber auch die Zwänge nicht.
Dem Darmstädter Freund Merck erstattet Goethe am 22. Januar 1776 brieflich Bericht: „Ich bin nun ganz in alle Hof- und politische Händel verwickelt … Meine Lage ist vorteilhaft genug, und die Herzogtümer Weimar und Eisenach immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesichte stünde.“ Tätig sein – endlich! In Frankfurt hätte seine Jugend den Aufstieg in verantwortliche Positionen verhindert. Anders in Weimar – dank der Gunst des ebenfalls jugendlichen Herzogs. Formal bestand das Dienstverhältnis darin, dass Goethe mit dem Titel eines “Geheimen Legationsrats” (und einem jährlichen Salär von 1.200 Talern) in das “Geheime Consilium” berufen wurde, Carl Augusts Kabinett. Natürlich ging das nicht ohne Protest derjenigen Minister ab, die mühsam die Karriereleiter erklommen hatten. Da sollte doch tatsächlich so ein hergelaufenes Genie, verschrien als Autor eines Bestsellers – eines Romans noch dazu! –, in ihrer honorigen Runde Platz nehmen! Carl August baute auf die Einsicht seiner Minister, führte Goethes Rechtschaffenheit, Geist und eben: Genie ins Feld. Und so fährt Goethe im Schreiben an Merck fort: „Ich übereile mich drum nicht, und Freiheit und Gnüge werden die Hauptconditionen der neuen Einrichtung seyn, ob ich gleich mehr als jemals am Platz bin, das durchaus Scheisige dieser zeitlichen Herrlichkeit zu erkennen.“ Carl August beruft Goethe also in sein Kabinett, natürlich protestieren Neider. Als unumschränkter Souverän hätte Carl August ihre Empörung ignorieren können. Allein, er vertraut der Überzeugungskraft von Argumenten. „Einem Mann von Genie nicht an den Ort gebrauchen“, schrieb Carl August seinem Minister Jacob Friedrich von Fritsch, „wo er seine außerordentlichen Talente nicht gebrauchen kann, heißt, denselben mißbrauchen.“

Im Lauf der Jahre übernahm Goethe eine ganze Reihe spezieller Aufgaben. In Ilmenau soll er den Bergbau wieder ermöglichen, leider ohne Erfolg. Hinzu kamen der Vorsitz in der Kriegskommission und die Leitung der Wegebaudirektion, zuständig für Weimars Straßen und Promenaden, später die Direktion der Kammer der herzoglichen Vermögensverwaltung und der Ilmenauer Steuerkommission. Für die Universität Jena und die Bibliotheken des Landes zeichnete er auch verantwortlich. Gewaltig, dieses Arbeitspensum – Goethe absolviert es gewissenhaft, wie Sitzungsprotokolle belegen, offenbar mit Vergnügen oder doch mindestens Genugtuung. Am 13. Januar 1779 notiert er im Tagebuch: „Elender ist nichts als der behagliche Mensch ohne Arbeit.“ Wichtig war vor allem der Abbau der Staatsschulden. Leider besaß das kleine Land kaum Einnahmequellen, und zudem fiel die Ernte selten so üppig aus, dass Überschüsse verkauft werden konnten. Es gab kaum Manufakturen, lediglich die Strumpfwirkerei in Apolda. Später erst kam die Glas- und Porzellanherstellung hinzu.

Als Politiker war Goethe verantwortlich für Dinge, die er als Dichter literarisch in Frage gestellt hätte. Er sei „nun ganz eingeschifft auf der Woge der Welt – voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen, streiten, scheitern oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen“ schreibt er an Lavater am 6. März 1776. Motive, die auch eine der letzten großen Hymnen Goethes im Ton des Sturm und Drang variiert: „Seefahrt“. Der Autor des „Faust“ warb mit der ergreifenden Gretchen-Tragödie noch um Verständnis für seine unglückliche Heldin – als Minister wird Goethe dagegen 1783 für die Hinrichtung einer jungen Frau plädieren: „daß auch nach meiner Meinung räthlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten“. Carl August, in diesem Punkt liberaler und humaner, hatte die Kindsmörderin Anna Catharina Höhn zu lebenslanger Zuchthausstrafe begnadigen wollen. Goethe diktiert amtliche Dokumente in sprödem Kanzleistil und fügt privaten Briefen anmutige Verse bei wie 1778 „An den Mond“: „Füllest wieder’s liebe Thal/ Still mit Nebelglanz“. Was ihn nicht daran hindert, Kestner gegenüber damit zu kokettieren, dass er „im Styl mit unter Geheim Räthisch werde“.

Allein – gar so „geheimrätlich“ ging es nicht zu. Verglichen aber mit den Späßen der Weimarer Hofgesellschaft muss Goethe das frühere Genie-Treiben mit den „Stolbergen“ oder Lavater und Basedow harmlos vorgekommen sein. Ritt er mit seinem Herzog über Land, dann ließen sie „die Sau raus“, auch und gerade, wenn nicht zur Jagd geblasen wurde. Im Galopp sprengten sie durch frisch bestellte Felder und reife Ernten.

Manche Streiche des Herzogs und seines Ministers erinnern an heutige Abiturfeiern, etwa, wenn sie, eingehüllt in Bettlaken zu Pferde nächtens durch Weimar ritten um, so als Geister oder Gespenster kostümiert, die Bürger zu erschrecken. Einmal vermauerten sie der Hofdame Louise von Göchhausen am Abend die Tür, dass die ihre Wohnräume bei der Herzogin nicht finden und betreten konnte und verzweifelt in der frisch verputzten Wand den Eingang suchte.

Bis Hamburg drangen Gerüchte von Trinkgelagen oder wüsten Affären mit Frauen. Kein Geringerer als der renommierte und von ihm verehrte Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) fühlte sich bemüßigt, Goethe brieflich ins Gewissen zu reden – und handelte sich eine herbe Abfuhr ein: „Verschonen Sie uns ins Künftige mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen nichts, und machen uns immer ein paar böse Stunden“ zumal „Dem Herzog thats einen Augen Blick weh, daß es von Klopstock wäre. Er liebt und ehrt Sie. Von mir wissen und fühlen Sie eben das.“ Wieland, Freund und Augenzeuge vor Ort, urteilte 1776 im Brief an Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) souveräner und tat den Klatsch ab als – heiße Luft: „Glauben sie von allem Bösen, was die Dame Fama von Weimar und dem Herzog und Goethen und der ganzen Wirtschaft aus ihrer schändlichen Hintertrompete in die Welt hineinbläst, kein Wort! Dies ist das einzige Mittel, nicht betrogen zu werden.“

Ziel etlicher Wanderungen, Ritte und Kutschfahrten wurde der Ettersberg für Goethe: Ein Ort, von dem aus er „die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten überblickte.“ Die „Natur“ beobachtete Goethe mit wachen Sinnen und richtete zugleich den Blick „nach innen“. Sprach er von „Anschauungen“, so war das doppelt zu verstehen: ganz konkret als sinnlich mit den Augen wahrnehmbare Anschaulichkeit und im übertragenen Sinn als Imagination vor dem geistigen Auge. Der Ettersberg war eines der liebsten Jagdreviere der Weimarer Herzöge. Carl August, fürstlicher Nimrod gleich den Vorfahren, frönte seinen Leidenschaften: stellte den Töchtern seiner Landeskinder, edlem Wild und groben Keilern nach.

Regierungsgeschäfte und wildes Genie-Treiben – beides brachte Goethe nach Ilmenau und penibel hat er darüber (Tage-) Buch geführt: „Den Morgen bis Nachm. 3 auf der Jagd. … nach Tische mit den Bauernmaidels getanzt, Glasern sündlich geschunden, ausgelassen toll bis gegen 1 nachts. Gut geschlafen” – verständlich, nach dem Programm! – notiert Goethe am 1. September 1777 und am 13. April 1778: „Zu Fuße nach Stützerbach. Hirschhörner und Glaser und leichtfertige Mädels. Nachts regnet es wir konnten nicht hinaus” – merkwürdig, trotz schlechter Witterung … sonst waren sie nicht so zimperlich. Lange hielt sich das Gerücht, Goethe und sein Herzog hätten „natürliche” (sprich: uneheliche) Kinder in Ilmenau von unbekannten „Miseln”, wie er sie im Tagebuch nennt. Und unter dem folgenden Datum: „Tagsüber Torheiten. Früh in der Glashütte dann Glasern geschunden.” Wer war Glaser? Ein wohlhabender Kaufmann, in dessen Haus in Stützerbach die Hofgesellschaft öfters einkehrte und ihr Mütchen kühlte: Mal beschrifteten sie im Lager seine Waren neu, dann trugen sie ihm Fässer vors Haus und ließen sie den Berg hinabkollern. Besonders stolz war Johann Elias Glaser auf das Portrait eines Künstlers von sich. Goethe, so berichtet der Berghauptmann von Trebra, schnitt das „breite, blonde, fade Gesicht” des Gastgebers aus dem Ölgemälde und ergötzte die Runde, indem er sein eigenes hinter das Loch hielt.

Rekrutenaushebungen im nahen Apolda gehörten wohl zu den heikelsten Aufgaben des Staatsministers Goethe. In einer Zeichnung hat er die Szene festgehalten. „An den Herzog Carl August” schreibt er von „Buttstädt d. 8. März 79 auf dem Rathaus – Indess die Pursche gemessen und besichtigt werden … ein Paar Worte … Übrigens lass ich mir von allerley erzählen, und alsdenn steig ich in meine alte Burg der Poesie und koche an meinem Töchtergen.” Gemeint war „Iphigenie”, deren Prosafassung Goethe damals schrieb. „Tätiges Leben” – ganz nach Goethes Willen, während er an literarischen Texten arbeitete und die Szene der Rekrutenvermessung bei der Musterung recht drastisch zeichnete. Wie sehr die verschiedenen Aufgaben ihn gleichzeitig in Anspruch nahmen, zeigt auch der Brief an Charlotte von Stein vom 6. März 1779: „Kein sonderlich Vergnügen ist bey der Ausnehmung, da die Krüpels gerne dienten und die schönen Leute meist Ehehafften (= von “êhaftiu nôt, nach altem deutschen Recht Befreiung vom Kriegsdienst) haben wollen. … Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden als wenn kein Strumpfwürcker in Apolda hungerte.”

Als Goethe am 3. September 1786, wenige Tage nach seinem Geburtstag, den er noch mit Freunden gefeiert hatte, aus Karlsbad nach Italien aufbrach, heimlich und unter dem Pseudonym Philipp Möller, war dies eine Flucht in mehrfacher Hinsicht. Überlastet von amtlichen Aufgaben fühlte er sich, hatte wohl auch Zweifel, ob die Erfolge sein Engagement rechtfertigten, und als Autor stand er ebenfalls unter Druck: Die mit Georg Joachim Göschen vereinbarte Gesamtausgabe war nicht fertig, lange schon hatte er nichts mehr veröffentlicht, was für Aufsehen gesorgt hätte. Der Spagat zwischen dichterischen Ambitionen und dienstlichen Pflichten war schwer zu ertragen, spielt er mit dem Gedanken, auf- und auszubrechen? So mag man diese Andeutung Charlotte von Stein gegenüber 1780 von einer Inspektionsreise verstehen: „Und wenn ich dencke ich sizze auf meinem Klepper und reite meine pflichtmäßige Station ab, auf einmal kriegt die Mähre unter mir eine herrliche Gestalt, unbezwingliche Luft und Flügel und geht mit mir davon.“ Carl Ludwig von Knebel (1744-1834), der lebenslange „Urfreund“ und Vertraute war einer der wenigen Menschen, mit denen Goethe sich duzte, las 1785 das schöne Bild: „Ich flicke an dem Bettlermantel, der mir von den Schultern fallen will.“ Moderne Mediziner würden wohl Midlife-Crisis oder Burnout diagnostizieren. Lange schon träumt er vom Besuch in Mignons Reich, dem Land „wo die Zitronen blühn“. Erste Anläufe hatte er abgebrochen: auf dem Gotthard und in Heidelberg. Seine Flucht oder den Studienaufenthalt – je nach Blickwinkel – hat Goethe ausführlich beschrieben. Die „Italienische Reise“ ist sorgfältig gestaltete Prosa mit Blick auf den Nachruhm, literarische Montage, rund 30 Jahre später zusammengestellt, ein Bildungsroman in Tagebuchform, keine objektive Bestandsaufnahme. Im Brief vom 14. Oktober 1786 bot er Charlotte von Stein an, ihm bei der Ausarbeitung zu assistieren, wenn auch als – Sekretärin: „Nun will ich dir einen Vorschlag tun. Wenn du es <das Tagebuch> nach und nach abschriebst, in Quart, aber gebrochne Blätter, verwandeltest das Du in Sie und ließest was dich allein angeht, oder was du sonst denkst weg; so fänd ich wenn ich wiederkomme gleich ein Exemplar in das ich hinein korrigieren und das Ganze in Ordnung bringen könnte.“ Natürlich war Charlotte von Stein dazu nicht bereit.

Den Höhepunkt, in jeder Beziehung, bilden die Besuche in Rom: „der Hauptstadt der alten Welt“. Daran erinnern die „Römischen Elegien“ als erster Gedichtzyklus Goethes, inspiriert von römischen Elegikern wie Catull und Ovid, der freilich erst in Weimar nach der Bekanntschaft mit Christiane Vulpius entstand. Eine Kostprobe, zunächst noch „Erotica Romana“ überschrieben: „Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors/ Und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton.“ Auf Wunsch Carl Augusts verzichtete Goethe vorerst auf eine Veröffentlichung. Wer jene Faustina war, der Goethe in „Roma aeterna“ begegnete, bleibt wohl ewig ein Rätsel. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) gehörte zu seinem Kreis der Freunde in Rom und hat die Szene gezeichnet, wie Goethe versucht, auf dem Bett ein verräterisches Indiz, das „verfluchte zweite <Kopf-> Kissen“ zu verstecken (Goethe überlieferte das Blatt in seinen Sammlungen) und ihn mit Blick aus dem Fenster sowie in der Campagna gemalt.
Sizilien ist der südlichste Ort, den Goethe in seinem Leben erreichen wird. Vom 3. September 1786 bis zum 18. Juni 1788 ist er unterwegs, fast zwei Jahre. Dass Carl August ihm so lange bezahlten Urlaub gewährt, beweist, wie sehr er den Freund schätzt. In den „Venezianischen Epigrammen“ hat Goethe ihr Verhältnis auf diese schöne Formel gebracht: „Er war mir August und Mäcen.“ Auch der literarische Ertrag kann sich sehen lassen: die Versfassungen von „Erwin und Elmire“, „Claudine von Villa Bella“ und „Iphigenie“, der Abschluss des „Egmont“ sowie Teile von „Tasso“ und „Faust“ nebst Plänen für weitere Arbeiten: „Iphigenie in Delphi“, „Ulysses auf Phäa“ oder „Nausikaa“. Befreit von lästigen Amtspflichten kann er sich historischen und Kunst-Studien widmen, gewinnt wichtige Eindrücke für sein späteres Werk.

Seine Rückkehr nach Weimar bereitete er sorgfältig vor. Brieflich hielt er mit Carl August Kontakt, der ihm seine Bezüge auch während der Italienreise bezahlte. So schrieb er seinem Dienstherrn am 17. März 1788:

Goethe aus Rom an Carl August
am 17. März 1788:

Ich darf wohl sagen: ich habe mich in dieser anderthalbjährigen Einsamkeit selbst wiedergefunden; aber als was? Als Künstler! Was ich sonst noch bin, werden Sie beurteilen und nutzen. … Nehmen Sie mich als Gast auf, lassen Sie mich an Ihrer Seite das ganze Maß meiner Existenz ausfüllen und des Lebens genießen; so wird meine Kraft, wie eine nun geöffnete, gesammelte, gereinigte Quelle von einer Höhe, nach Ihrem Willen leicht dahin oder dorthin zu leiten sein. … Ich kann nur sagen: Herr hie bin ich, mache aus deinem Knecht, was du willst. Jeder Platz, jedes Plätzchen die Sie mir aufheben, sollen mir lieb sein, ich will gerne gehen und kommen, niedersitzen und aufstehn.“
Das kling scheinbar devot, betont aber seine Rolle als „Künstler“ und natürlich weiß er, dass Carl August seinen Wünschen Rechnung tragen wird und ihn weitgehend von den Amtsgeschäften entlastet. So muss er nicht mehr an den regulären Sitzungen des „Geheimen Consiliums“ teilnehmen und gibt einige Ämter in der Landesverwaltung auf. Weiterhin betreut er allerdings die Bergwerkskommission, die Ilmenauer Steuerkommission und die Aufsicht über den Wasser- und Uferbau an der Saale. Vor allem übernahm Goethe jetzt aber Aufsichts- und Leitungsfunktionen im Bereich von Wissenschaft und Kunst.

Schwer fiel Goethe die Rückkehr. Befremdet reagierten die Freunde, die Flucht aus ihrer Mitte hatte sie irritiert. Auch den amtlichen Aufgaben musste er sich wieder widmen. Noch 1817 erinnert Goethe sich: „Aus Italien dem formreichen war ich in das gestaltlose Deutschland zurückgewiesen, heiteren Himmel mit einem düsteren zu vertauschen.“ Da wird ihm Anfang Juli 1788 eine eher zufällige Begegnung als Wink des Schicksals vorgekommen sein. Ein junger Mann, dem Goethe bereits einmal geholfen hatte, ließ ihm von seiner Schwester ein Bittgesuch überreichen. Sie arbeitete in der Manufaktur für Kunstblumen von Friedrich Johann Justin Bertuch (1747-1822). Der war als Autor und Übersetzer, Redakteur und Mitherausgeber von Wielands „Teutschem Merkur“ ein Multitalent, der einzige „Industrielle“ im Herzogtum und von Carl August zum „Schatullenverwalter“ berufen worden: zum Schatzmeister.

Auch in seiner Partnerwahl bleibt Goethe seinem Hang zum Genietreiben treu, heiratet nicht etwa standesgemäß oder wie Schiller in eine adelige Familie. Oder sucht eine Frau, die seiner gesellschaftlichen Stellung als Minister entsprechen würde. Offenbar gefiel Goethe die junge Frau, die ihm im Park entgegentrat. Ihr heiteres und natürliches Wesen dürfte einen liebenswürdigen Kontrast abgegeben haben zu den steifen und standesbewussten Höflingen, die Goethe gerade nach dem Italien-Erlebnis die Heimkehr verdüsterten. Hübsch war sie mit ihren braunen Augen und dunklen Locken, „emanzipiert“ in einem ganz modernen Sinn auch als berufstätige Frau, ihre tatkräftige und hilfsbereite Seite hatte sie durch den Botendienst für den Bruder bewiesen. Johanna Christiana Sophie Vulpius (1765-1816) entstammte einer gebildeten und angesehenen Familie, Pastoren und sogar Juristen zählten zu ihren Vorfahren. Doch all dies, die selbst eroberten Ehren ihres Bruders konnte die Klatschmäuler nicht beruhigen. Doppelt hatte Christiane gegen angeblich göttliche Moral verstoßen: Als ledige Partnerin Goethes diffamierte man sie als „Hure“ und verübelte ihr die Liebe über Standesschranken hinweg, Goethe, dass er Christiane als ebenbürtig behandelte. Vielleicht hat sie ihn ja auch an die „Frohnatur“ seiner lebenstüchtigen Mutter erinnert, die Christiane freundschaftlich begegnete. Goethe lebte zusammen mit Christiane im Gartenhaus, was nicht verborgen bleiben konnte. Eine kurzfristige Liaison oder wechselnde Liebschaften hätte die wohlanständige Weimarer Gesellschaft wohl toleriert, zum Skandal macht die Sache, dass Goethe Christiane fair, wie seine Ehefrau behandelt. Dass er eine Ehe ohne Trauschein führt: „Ich bin verheiratet, nur nicht mit Zeremonie“ gilt moralisch als anstößig. . Am 25. Dezember 1789 kommt der Sohn August Walther zur Welt. Und Herzog Carl August bewährt sich einmal mehr als Freund, wird nominell Taufpate. Nach geltendem Recht wären für die ledige Mutter Sanktionen fällig gewesen: öffentliche Abmahnung, Pranger und Kirchenbuße.

Ganz anders als die klatschsüchtigen Weimarer Bürger, erstaunlich tolerant für ihre Zeit, urteilt Goethes Mutter. Leider darf die stolze Großmutter die Geburt ihres (weil unehelichen) Enkels nicht in der Zeitung annoncieren, doch sie tröstet sich damit, „daß mein Hätschelhans vergnügt und glücklicher als in einer fatalen Ehe ist“. Offenbar war es keine „arrangierte“ oder „Vernunft-Ehe“, da waren zwei Menschen ihren Neigungen gefolgt – und scherten sich wenig um selbsternannte Moral-Apostel.

Zum 100. Geburtstag Carl Augusts wurde 1857 das Goethe- und Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel enthüllt, ein Wahrzeichen Weimars und der deutschen Klassik. Wert legten die Stifter darauf, beide Dichter statt in antiken Gewändern realistisch in bürgerlicher Kleidung darzustellen. Allerdings stimmen die Proportionen nicht ganz: Schiller war größer als Goethe. Dichtung und Wahrheit auch hier also. Mit der Herausgabe des Briefwechsels 1828/ 29 hat Goethe ihrer 11 Jahre währenden freundschaftlichen Verbundenheit und kollegialen Arbeitsgemeinschaft selbst das wichtigste Denkmal gesetzt. Ganz so harmonisch war ihr Verhältnis nicht immer. In Herkunft und Bildungsgang, Charakter und Denkweise sowie in ihren politischen Ansichten gab es erhebliche Unterschiede. Gemeinsam reformieren sie Weimars Hoftheater und bringen dort Schillers Dramen wie die „Wallenstein“-Trilogie heraus.

Goethes fast zeitlose Modernität fasziniert bis heute. Ein Beispiel: Sein Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, damals in alle europäischen Sprachen übersetzt, war 1774 Deutschlands erster Beitrag zur Weltliteratur. Auch erzähltechnisch als Autor war Goethe seiner Zeit weit voraus: „Montage“ nennt man heute die Methode, wie er einen Brief Kestners über Jerusalems Freitod in den Roman aufnahm; Alfred Döblin wird in „Berlin Alexanderplatz“ dieses Verfahren perfektionieren – oder Thomas Mann im „Dr. Faustus“. Und nicht zufällig wählte Thomas Mann die späte Begegnung Lotte Kestners mit dem Geheimen Rat als Gegenstand seines Goethe-Romans im Exil: „Lotte in Weimar“ – hier ließ sich zeigen, dass nicht das Nazi-Reich Deutschland verkörperte, sondern dessen humane und klassische Traditionen.

Als Gelehrter war er – vielleicht das letzte – Universalgenie, das sich „immer strebend“ bemühte, möglichst in allen Wissensgebieten Kenntnisse zu erlangen und zu vermitteln. Sein umfangreichstes Werk, am wenigsten gelesen bis heute, das ihm besonders am Herzen lag, war die „Farbenlehre“. Zu seiner Enttäuschung wurde sie von der Fachwelt weitgehend abgelehnt und ist auch in wesentlichen Teilen widerlegt. Augenmensch, der er war, vertraute er statt auf technische Apparate lieber auf Sinneseindrücke – und auf dieser Basis, als Schule des Sehens hat seine „Farbenlehre“ die moderne Malerei und Wahrnehmung von Farben und ihrer Wirkung bis heute beeinflusst.

Pionier war er auch stets und auf der Höhe seiner Zeit, wenn es um die praktischen Nutzanwendungen von Erkenntnissen ging. Die Avantgarde wissenschaftlicher und sozialer Art interessierte ihn aus praktischen Erwägungen. Er ließ sich über die neuesten Forschungen und technischen Errungenschaften informieren, über die Dampfmaschine und die Eisenbahn. In seinem Denken überwand er als Genie die religiösen und feudalen Hemmnisse seiner Zeit, die er als Minister zu erweitern, zu modernisieren, humaner zu gestalten versuchte.

Und er dachte global, Jahrhunderte, bevor diese Formel aufkam. Nach Wieland prägte Goethe den Begriff der „Weltliteratur“ entscheidend, verstand ihn aber weniger als Kanon, sondern eher als dynamischen Prozess. Interessiert und weltoffen feierte er Shakespeare und studierte nicht nur römische Kunst, sondern suchte Kontakt zu Kollegen und las ihre Werke, begriff den Dialog über Grenzen hinweg und den Kulturen verbindenden geistigen Brückenschlag als Bereicherung eigener Arbeit. „Wer sich selbst und andre kennt, / Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.“ Diese Verse fand man in den nachgelassenen Papieren zum „West-östlichen Divan“. Rafik Schami, der 1946 in Damaskus geboren wurde und seit 1971 in der Bundesrepublik lebt, hat diesen Zyklus als „eine der größten Liebeserklärungen“ bezeichnet, „die je ein Europäer dem Orient gemacht hat!“ Mit seinem Urteil steht Schami nicht allein da und erläutert auch, warum der persische Lyriker Mohammad Schamseddin Hafis (1326–1390) aus Schiras für Goethe ein „Verwandter im Geist“ sein konnte: Weil Hafis „ein Gegner jeglicher Orthodoxie war“. Oder, um Goethe noch einmal mit seinen „Maximen und Reflexionen“ zu Wort kommen zu lassen: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Diese Satz pflegte der russische Germanist Lew Kopelew zu zitieren, sprach man ihn auf das Thema Völkerverständigung an.

Zauberwelt der Kulisse

Ausflug nach Meiningen am 19. März 2016

Dieser Ausflug hielt für die Geraer und Erfurter Goethefreunde wie auch die vierköpfige Abordnung Kulmbacher Literaturfreunde viel Interessantes bereit. Wir starteten den Tag mit einer Führung im Meininger Hoftheater. Sie wurde mit viel Sachkunde gestaltet von Silke Förster. Sie würdigte insbesondere die Rolle des Herzogs Gorg II., der das Theater zur Blüte führte. Die Aufführungen der „Meiningener“, vor allem ihre Gastspielreisen zwischen 1874 und 1890, erregten europaweit Aufsehen. Maßgebend für neue Wege der Theaterkunst waren die sogenannten „Meiningener Prinzipien“: Werktreue, Inszenierungen als Gesamtkunstwerk, Priorität des Ensembles und individualisierende Massenregie. Berühmte Dirigenten. Wie Hans von Bülow und Max Reger, sorgten dafür, dass diese Prinzipien auch auf die Hofkapelle übertragen wurden.

Sodann erhielten wir das Privileg, den großen Malsaal der Theaterwerkstatt besuchen zu dürfen.

Im Theatermuseum vervollständigten wir unsere Eindrücke anhand einer historischen Kulisse. Ein Film bot Wissenswertes zur Thematik. Für die „Zauberwelt der Kulisse“ sorgten insbesondere die Brüder Brückner aus Coburg mit ihren prachtvollen Kostümen und stilgerechten Requisiten, aber auch der „Theaterherzog“ selbst, der eigenhändig Bühnenbild- und Kostümentwürfe schuf.

Nach dem Besuch im Theatermuseum begaben wir uns in den „Sächsischen Hof“.

Ein festliches Büfett beschloss den ereignisreichen Tag.

Lenzens Eseley – der Konflikt zwischen Lenz und Goethe

Vortrag von Dr. Thomas Frantzke, Leipzig, am 3. Februar 2016

Goethe und Lenz verfolgten unterschiedliche literarische Konzepte, dies führte zu Konflikten. Der Pfarrersohn stammt aus Livland und wurde streng lutherisch erzogen. Er studierte in Königsberg Theologie, wurde jedoch dispensiert. Er kam mit den Brüdern Kleist nach Straßburg, hat sich dort um die Brion gekümmertm wie er überhaupt eine merkwürdige Affinität zu Goethes Frauenbekanntschaften, so auch zur Stein, ebenso zu G.s Schwester an den Tag legte. Er folgt Goethe nach Weimar. Wieland war schon dort. Goethe versank schon im „Genietreiben“, lebte sehr ausschweifend mit dem Herzog. Sobald aber Goethe in den Amtsdienst trat, zügelte er sich, verhielt sich zudem sehr diplomatisch. Im Juni 1775 kam Klinger dazu, so war fast die Hälfte der berühmten Stürmer und Dränger in Weimar versammelt. Für Lenz kamen glückliche Monate, er war beliebt, oft im „Ständehaus“ (der heutigen Musikhochschule) beim Herzog und seinem Kreis zu Gast. Es gab auch Kontakte zum Göttunger Hain.

Lenz fühlte sich also zunächst recht wohl. Er wohnte im „Erbprinzen“. Klinger trat der illustren Gesellschaft bei, und „Goethe war unser Hauptmann“, resümiert Lenz. Es ändert sich, als G. Seine Ämterlaufbahn betrat. Er musste es Fritsch (nach heutigem Sprachgebrauch: dem Ministerpräsidenten) beweisen. So stürzte er sich nicht nur in die Amtsgeschäfte, sondern entzog sich auch weitgehend dem höfischen Leben. Lenz spart nicht mit Kritik, nicht nur wegen der Amtsgeschäfte, sondern auch wegen Goethes Beschäftigung mit dem Liebhabertheater, Es gab zuvor zwei davon: ein bürgerliches und ein adliges. Gothe führte beide zusammen und kümmerte sich angelegentlich um sie. Lenz: Wieso engagiert er sich so für Ämter und ein Laientheater? Und das bei seinen Talenten als Dichter?

Mit der Zusammenführung beider Theater schafft Goethe eine Gemeinschaft Adliger und Bürgerlicher, bekundet dabei auch moralische Ambitionen. Er will, dass sich beide Seiten für das Gemeinwohl engagieren. Doch er stößt später an Grenzen und resigniert.

Lenz zieht sich vom Hof, der ihm doch durchaus wohlgesonnen war, zurück, auch von Einsiedel, Kalb und Herder, selbst Anna Amalia stehen zu ihm. Doch er geht nach Berka und beginnt ein Einsiedlerdasein. Sie sind bemüht, Lenz zu halten, die Ausweisung, die ihm von Goethes Verstimmung droht, abzuwenden.

Warum die selbstgewählte Isolation? „Weil ich bei euch nichts tun kann.“

Zudem leidet er unter seiner abgewiesenen Lieb zu einer Adligen, Henriette von Oberkirch. Dagegen will er Werke schreiben. Dabei beschäftigt sich Lenz beileibe nicht nur mit Literatur. Er macht auch Vorschläge zur Ansiedlung französischer Handelsleute und „Manufacturisten“, um den Wohlstand des Herzogtums zu heben. Er unterbreitet auch Vorschläge zu einer Militärreform. Sie bleiben allerdings unbeachtet. Es mögen zudem gravierende Ereignisse bei den „Weltgeistern“ eingetreten sein. Dabei führte durchaus nichts „Schlimmes“ zur Entfremdung, sondern wohl tiefer liegende geistige Probleme zwischen Lenz und Goethe. Lenz nahm überdies kein Blatt vor dem Mund. All dies mag zur „Ausweisung“ geführt haben.

Lenz will Freiheit in der Literatur, somit schlägt er sogar hochkarätige Angebote aus. Er will arbeiten in seiner Einsiedelei. „Hier bin ich glücklich, nachdem ich am Hof verwittert war.“ Er kehrt dem Hof den Rücken, steht damit im Gegensatz zu Goethes Handeln, das immer auf Anpassung ausgerichtet war. Im September kam es zum Eklat. Goethe resignierend an Frau von Stein: „Ich schicke Ihnen Lenzen. Er darf Balsamtropfen schlürfen …“ 1776 verbringt er mehrere Wochen auf Kochberg. Er lehrt ihr Englisch, indem sie sich mit Shakespeare beschäftigen. Er schreibt selbstbewusst und verärgert damit Goethe zutiefst: „Die Frau von Stein findet meine Methode besser als die deinige.“

Goethe konnte keine Kritik vertragen. Daher rührt ihr Konflikt.

Goethe an Merck: „Lenz ist wie ein Kind, lasse ihm Spielzeug, wie er wirkt.“

Eine Episode ist bezeichnend. Eines Tages kam ein vornehmer, gebildeter Franzose mit einem Empfehlungsschreiben des preußischen Kronprinzen nach Weimar. Doch das hochnäsige Weimar weist ihn ab. Lenz ist empört un dringt einen unbekannten Briefadressaten, diesen unerhörten Vorfall überall öffentlich bekannt zu machen.

Der Hof bietet ihm auch Geld für seeine Abreise an. Doch dies verstößt gegen sein Ehrgefühl, denn er fühlt sich unschuldig. In einem Pasquill (einer Schmähschrift) schreibt er: „Wie lange noch werdet ihr an form und Ehre hängen?“ Allerdings lässt er dem Herzog Gerechtigkeit zukommen, der sei stets ein „gnädiger Herr“ gewesen.

Lenz wirft seine ganze Existenz in die Wagschale. Klinger ist schon abserviert worden und nun? „Lenz reist“. Goethe tut’s weh, aber er kann nicht aus seiner Haut heraus. Lenz irrt umher, er verarmt, schließlich findet man ihn tot auf der Straße in Moskau. Auch Klinger ist in Russland, in militärischen Diensten, er weiß sicherlich von Lenz, hilft ihm aber nicht.

Für Goethe ist Lenz immer ein Stachel im Gewissen, daher macht er ihn schlecht. Die Ursache ihrer Verstimmung liegt in ihren antagonistischen Auffassungen zu den Aufgaben eines Autors. „Goethe müsste Opern schreiben“, so Lenz, „keine Operetten,“ Selbst Anna Amalia wird von seiner bissigen Kritik nicht verschont, ihre Kompositionen stammen von einem „kleinen Spinettchen“.

Lenz schrebt „Henriette von Waldeck“, ebenfalls eine „Operette“. Er schenkt es Goethe. Es wird erst spät gedruckt. Mit diesem Stückweist Lenz darauf hin, dass er sich nicht anpassen will. Es weist ernsthafte Gefühle auf, handelt aber wie Goethes „Erwin und Elmire“ von verlassenen, liebeskranken Frauen. Lenz will es – wie gesagt – „ernsthaft“.

Er lehnt also den bloßen unterhaltenden Charakter eines Schauspiels ab, davon ist auch sein „Waldbruder“ bestimmt. Auch Rothe, die Hauptfigur, ist angepasst. Man ist bemüht, seinen Gegenspieler, Herz, „zurückzuholen“ – wie Lenz nach Weimar.

Herz: „Sei glücklich unter deinen leichten Geschöpfen und laß mir meine Hirngespinste. Ich erlaube euch sogar, über mich zu lachen.“

Goethes „Leila“ (Medschnun heißt) ist die Antwort darauf.

In tausend Formen magst du dich verstecken – Goethe und die Weltreligionen

Vortrag von Dr. Jochen Golz, Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar, am 4. November 2015

(Auszug)

Religiösen Handlungen ist Goethe mit großem Interesse begegnet. Die wichtigste Quelle dafür stellt seine Autobiographie „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ dar. Dort erfahren wir, dass Goethe, ein neugieriges, aufgewecktes Kind, das Ghetto in Frankfurt aufgesucht hat, dass er großes Interesse an der jiddischen Sprache zeigte und auch versucht hat, Hebräisch zu lernen. Altes und Neues Testament gehören zu Goethes frühesten Lektüren; bibelfest ist er stets geblieben, beide Testamente lieferten ihm einen schier unerschöpflichen Vorrat an poetischen Bildern, Motiven und Symbolen. Herder öffnete ihm dafür in Straßburg recht eigentlich den Blick. Für diesen waren die großen Texte der monotheistischen Weltreligionen, also auch der Koran, neben ihrem religiösen Gehalt vor allem poetische Dokumente. Von Herder inspiriert, übersetzte Goethe 1775 das Hohelied Salomos – ursprünglich eine weltliche Liebesdichtung, der erst spätere Exegeten einen religiösen Sinn unterlegten – in rhythmische Prosa.
Von antijüdischen Gesinnungen ist Goethe freizusprechen. Vor allem der Zug des Volkes Israel durch die Wüste zog sein historisches Interesse auf sich. 1797 begann er mit Studien zu diesem Thema, aus denen sich dann das Kapitel „Israel in der Wüste“ in den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“ entwickelte. Problematisch freilich blieb für Goethe das Gottesverständnis der Juden. Der Gott des Alten Testaments ist ein strafender, ein strenger Gott. Für Goethe aber, soviel sei schon vorausgeschickt, ist die Vorstellung von Gott und Göttlichem stets an Liebe und Liebesfähigkeit gebunden.
Im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, verloren die Grundtexte der monotheistischen Religionen ihren Charakter als ein für alle Mal hinzunehmende göttliche Bekundungen. Der denkende Verstand wurde auch auf diese Dokumente angewendet, als Quellentexte wurden sie Gegenstand historisch-philologischer Untersuchungen. Für Herder waren Bibel und Koran über ihre religiöse Dimension hinaus große Erzählungen von den geschichtlichen Anfängen der Menschheit, von den Vätern, die, wie es in Goethes „Divan“-Gedicht „Hegire“ heißt, „Himmelslehr‘ in Erdesprachen“ verkündeten. Bereits der junge Goethe war von dieser Vorstellung angetan. Mohammed (oder in Goethes Diktion Mahomet) wurde für ihn Sinnbild des schöpferischen Genies, wie es in dem Hymnus „Mahomets Gesang“ seinen Ausdruck findet. Goethe las den Koran zunächst in einer englischen, später deutschen Ausgabe. Er suchte den Kontakt mit Fachgelehrten und ließ arabische Buchhandschriften für die Weimarer Bibliothek ankaufen. Als im Verfolg der Befreiungskriege Baschkiren unter russischer Flagge in Weimar einzogen, hatte Goethe auch Gelegenheit, einem islamischen Gottesdienst beizuwohnen. Der erste Impuls für seinen „Divan“ war entstanden, als der Verleger Cotta seinem Autor Goethe im Frühjahr 1814 eine zweibändige deutsche Ausgabe des spätmittelalterlichen persischen Dichters Hafis schenkte. Wie stets in seinem Leben musste Goethe selbst produktiv werden, um sich einem übermächtigen Einfluss gegenüber behaupten zu können. Die sinnenfrohe Bildsprache des Hafis, der Religion, Liebe und Wein feierte, hielt für Goethe ein reiches Angebot bereit. Er versuchte sich ebenfalls an der Übertragung einzelner Koranverse ins Deutsche. Verglichen mit der jüdischen Religion, war der Islam eine relativ junge religiöse Strömung. Goethe aber wollte auch hier zu „des Ursprungs Tiefe“ vordringen; 1783 übersetzte er Texte aus der vorislamischen Beduinendichtung, der „Moallakat“.
Seine historischen Interessen an der Kultur des Alten Orients verdichteten sich in der Zeit zwischen 1814 und 1819, als sein Gedichtbuch „West-östlicher Divan“ und dessen kulturhistorischer Prosakommentar entstanden. In jenen Jahren widmete sich Goethe orientalistischen Studien, unternahm auch Schreibversuche in Persisch und Arabisch. Was ihn an dieser Poesie faszinierte, war die Synthese von religiöser Grundhaltung, Liebesfähigkeit und sinnlicher Weltfreude. All dies zeichnet auch seine „Divan“-Gedichte aus. Mit dem Islam selbst treibt Goethe ein souveränes ironisches Spiel, das bis auf den heutigen Tag – insbesondere unter Muslimen – Missverständnisse hervorgerufen hat. Als er am 24. Februar 1816 in Cottas „Morgenblatt“ eine „Ankündigung“ seines neuen Gedichtbandes veröffentlichte, lehnte er darin „den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei. Für den Leser der Zeitung musste das zumindest verwirrend wirken. Stärker noch hat sich jenes kleine „Divan“-Gedicht als Irritation erwiesen, in dem es heißt:
Närrisch, daß jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preis‘t!
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
In Islam leben und sterben wir alle.

Was die letzte Zeile angeht, so hat Henrik Birus nachgewiesen, dass hier eine direkte Übernahme aus dem Römerbrief des Apostels Paulus vorliegt.
Was wir aus Goethes „Divan“ und dem ihn begleitenden Kommentar lernen können, ist das darin zur Anwendung kommende historische Verfahren. Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Vergangenheit begreifen lernen; alle Geschichte hat ihre Vorgeschichte. Goethes „Noten“ stellen nichts weniger dar als eine grandiose Kulturgeschichte des Alten und Mittleren Orients, in der der Islam durch seine ambivalente Funktion als Kultur und Ordnung stiftender Faktor einerseits wie als machtpolitisches Element andererseits eine besondere Bedeutung erlangt hatte. In diesem Punkt ist Goethe von einer historischen Nüchternheit, die sein Urteil über den Islam generell kennzeichnet.
Eine ganz andere Rolle hat naturgemäß die christliche Religion in Goethes Leben gespielt. Am 29. August 1749 ist Goethe lutherisch getauft und zu Ostern 1763 konfirmiert worden. Für Goethe, der ein Genie der Ordnung war, erwies sich auch die christliche Konfession in seiner Lebenswirklichkeit als Ordnungsmacht. So wie Goethe Amtsträger allgemein mit Kritik nicht verschonte, wenn sie ihren Aufgaben nicht gerecht wurden, so nahm er auch die Institution Kirche selbst von Kritik nicht aus. Davon hören wir bereits im „Faust“, als sich Mephisto bitter darüber beklagt, dass der von ihm für Gretchen herbeigeschaffte Schmuck von einem Pfaffen „hinweggerafft“ worden sei. Ambivalent sind die Eindrücke, die der in Italien reisende Goethe von katholischer Geistlichkeit und katholischem Gottesdienst. empfängt. Auf der einen Seite bleibt die rituelle Inszenierung des Gottesdienstes, in der sich sinnlicher Pomp und Musik zusammenfinden, auf Goethe nicht ohne Eindruck, auf der anderen Seite freilich artikuliert sich Kritik z.B. am Reliquienkult der katholischen Kirche, bei dessen Zelebrierung der Geistliche in Goethes Augen die Rolle eines Betrügers einnimmt. Ihren radikalsten Ausdruck findet Goethes Kritik in den „Venezianischen Epigrammen“, die zu guten Teilen bereits während Goethes Aufenthalt im Frühjahr 1790 in Venedig entstanden sind. Einige davon seien hier mitgeteilt:

Jeglichen Schwärmer schlagt mir an’s Kreuz im dreißigsten Jahre;
Kennt er nur einmal die Welt, wird der Betrogne der Schelm.

Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld‘ ich mit ruhigem Muth, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider;
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und [Kreuz]. +

Goethe spricht den Klerus nicht von dem Verdacht frei, das gläubige Volk für betrügerische Zwecke zu instrumentalisieren, und erhebt im Namen einer antikisch gesinnten freien Sinnlichkeit Protest gegen die Sinnenfeindlichkeit des Katholizismus. In diesen beiden Punkten musste Goethe aber auf das Lesepublikum Rücksicht nehmen, als er sich zur Veröffentlichung seiner Epigramme entschloss; in Schillers „Musenalmanach“ konnte 1795 nur eine Auswahl erscheinen, bei deren Zustandekommen Goethe Streichungs-und Änderungsvorschläge seines Freundes befolgte; annähernd vollständig sind die Epigramme erst 1910 in Band 5/2 der Weimarer Ausgabe veröffentlicht worden. – Mit dem Machtanspruch des frühen Christentums ging Goethe in seiner Ballade „Die Braut von Korinth“ ins Gericht, die Herders entschiedenen Widerspruch hervorrief.
Katholizismus und Protestantismus werden von Goethe mit den gleichen kritischen Argumenten bedacht. Entschieden plädierte der Verehrer der klassischen Antike im Brief an den Altertumswissenschaftler Christian Friedrich Wilhelm Jacobs vom 14. August 1812 für das „Verdienst, das Alterthum durch neue Monumente aufrecht zu erhalten, das ein ganz wahnsinniger, protestantisch-catholischer, poetisch-christlicher Obscurantismus gern wieder mit frischen Nebeln einer vorsätzlichen Barbarey überziehen möchte.“
Kirchenkritische Töne sind auch in den „Zahmen Xenien“ zu vernehmen, von denen ebenfalls längst nicht alle zu Goethes Lebzeiten veröffentlicht wurden. Der Gegensatz von Volksfrömmigkeit und Klerus wird auch hier thematisiert:
Mit Kirchengeschichte was hab‘ ich zu schaffen?
Ich sehe weiter nichts als Pfaffen;
Wie’s um die Christen steht, die Gemeinen,
Davon will mir gar nichts erscheinen.

Goethes Vorbehalte gegenüber den institutionalisierten christlichen Konfessionen waren grundsätzlicher Natur. Gegen die theologische Auffassung von der prinzipiellen Sündhaftigkeit der menschlichen Existenz sprach sein Bild vom Menschen, in dem der christliche Dualismus von Gut und Böse zugunsten einer dialektischen Wesenseinheit beider moralischer Qualitäten im Menschen selbst aufgehoben war. Früh schon hatte sich Goethe vom Glauben an einen persönlichen Schöpfergott und an die Offenbarung emanzipiert. Christus, so hat er in einem Gespräch mit Kanzler von Müller am 8. Juni 1830 eingeräumt, bleibe ihm „immer ein höchst bedeutendes, aber problematisches Wesen“, doch der Auffassung, Christus sei Gottes Sohn und besitze mithin selber göttlichen Status, konnte er nicht folgen; zeitlebens lehnte er die Lehre von Jesu Erlösungstod am Kreuz ab. „Das leidige Marterholz“, so im Brief an Zelter vom 9. Juni 1831, sei „das Widerwärtigste unter der Sonne.“
Es gehört zu den Paradoxa von Goethes geistiger Existenz, dass er ungeachtet aller kritischen Einwendungen gegenüber dem Kirchenchristentum selbst in einem Gespräch mit Kanzler von Müller am 7. April 1830 postulierte: Wenn er sich die Frage vorlege, „wer ist denn noch heutzutage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte?“, dann müsse er sich die Antwort geben: „Ich allein vielleicht, ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet.“ Mit diesem Paradoxon nähern wir uns dem eigentlichen Kern von Goethes Religiosität, wobei wir getrost in seinem Sinne Religiosität als menschliches Grundbedürfnis, als „Pflicht gegen sich selbst“, wie Kant formuliert hat, verstehen können.
Wenngleich Goethes Vertrautheit mit dem Pietismus von weitreichenden Folgen für sein Künstlertum war, so hatte die Begegnung mit Herder in Straßburg für die Ausbildung seiner persönlichen Religiosität ungleich größere Bedeutung. Für den Theologen Herder war der Christengott, an den er glaubte, ein Gott der Humanität, der liebenden Zuwendung zu den Menschen. Für den jungen Goethe musste dies in mehrfacher Hinsicht Befreiung bedeuten, Befreiung von einer Gehorsam verlangenden, widrigenfalls strafenden Vatergottheit, Befreiung aber auch, weil sich ihm die Möglichkeit eröffnete, Religiosität, Humanität und Vernunft im eigenen Denken und Fühlen widerspruchslos zu vereinigen. In dieser Hinsicht erweist sich Goethe als genuiner Aufklärer.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist in den Gesprächen zwischen Herder und Goethe auch das Verhältnis von Gott und Natur zur Sprache gekommen, so dass damals schon der Boden für Goethes Lektüre des niederländisch-jüdischen Philosophen Baruch (oder Benedikt) Spinoza bereitet wurde, der im 17. Jahrhundert in Amsterdam gelebt und seine Schriften noch lateinisch verfasst hatte. Seit 1776 beschäftigte sich Goethe intensiver mit Spinoza. Dessen Hauptwerk, die „Ethik“, las er im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung. Spinoza wurde für ihn zum Musterbild des Weisen, mit dem ihn eine „nothwendige Wahlverwandtschaft“ verband.
Freilich setzte die Lehre des Spinoza nur etwas in Goethe frei, was in seiner Anschauung der Welt bereits angelegt war. In drei Worten ist diese Lehre zusammenzufassen: „Deus sive natura“ (Gott gleich Natur, Gott in der Natur). Diese Maxime bedeutete für Goethe wiederum Erlösung und Befreiung: Erlösung von einem personalen Gott, der in einem Jenseits die Geschicke des Menschen lenkt, und damit Freisetzung der eigenen, nur dem eigenen Lebensgesetz gehorchenden Individualität, die sich zwei Instanzen verpflichtet fühlt, der Natur und der Liebe. In Goethes „Mailied“ haben Natur und Liebe zu vollkommener Synthese gefunden.
In den freirhythmischen Hymnen des jungen Goethe entfaltet sich ein großes Ich, das sich allein den Geboten des eigenen Lebensgesetzes, den Geboten von Vernunft und Humanität verpflichtet zeigt. Dabei wird die ganze Spannweite menschlicher Existenz ausgemessen. Auf der einen Seite, im „Prometheus“-Gedicht, die selbstbewusste Bekundung eines autonomen, keinem außerweltlichen Gott unterworfenen schöpferischen Menschen:
Hier sitz‘ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Auf der anderen Seite, im Gedicht „Ganymed“, das die antike Mythe von der Entführung des Ganymed durch Zeus aufgreift, die liebende Verschmelzung des lyrischen Ichs mit der Gott-Natur, wie sie bereits im „Mailied“ angeklungen war. Beides, die trotzige Selbstbehauptung gegenüber der Natur (so im „Prometheus“) und die Vereinigung mit ihr gehören zusammen. In seinen Gedichtsammlungen hat Goethe stets beide Gedichte einander gegenüber abdrucken lassen. In genialer Vereinfachung hat Goethe den dialektischen Vorgang von Verselbstung, der Selbstbestimmung des Subjekts, und Entselbstung, der Hingabe an die Natur, der der Mensch als Naturwesen ohnehin angehört, im „Ganymed“-Gedicht in zwei Worte gefasst: „Umfangend umfangen!“
Im ersten Weimarer Jahrzehnt vertieft sich Goethes Spinozismus durch seine nunmehr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Natur. Zunächst von den praktischen Erfordernissen seiner politischen Tätigkeit angetrieben (von seiner Verantwortung z.B. für Bergbau oder Gartengestaltung im Herzogtum), erlangt Goethes naturwissenschaftliches Forschen bald sein eigenes Recht. Dafür erweist sich das Denken Spinozas als orientierende Richtschnur. Spinozas bereits zitierter Grundsatz „Deus sive natura“ erklärt die geschaffene Natur, die „Natura naturata“, nicht zum Produkt eines Schöpfergottes, sondern sieht in der Natur selbst ein göttliches Prinzip als schaffende Natur, als „Natura naturans“ wirken; „Natura naturata“ und „Natura naturans“ bilden zwei Seiten ein und desselben Vorgangs.
Goethes Naturverständnis verschafft ihm Souveränität auf nahezu allen geistigen Feldern. Das führt zu schmerzlichen Abschieden, etwa vom Schweizer Theologen Johann Kaspar Lavater, bei dem sich, so Goethe an Charlotte von Stein am 6. April 1782, „der höchste Menschenverstand, und der grasseste Aberglauben durch das feinste und unauflöslichste Band“ zusammen knüpfe. Ihm schreibt er am 29. Juli 1782, er (Goethe) sei „zwar kein Widerkrist, kein Unkrist aber doch ein dezidirter Nichtkrist“, und dem Bekehrungseifer des Freundes, für den es nur die Alternative „Entweder Christ oder Atheist!“ gab, hält er am 9. August 1782 entgegen: „Du hältst das Evangelium wie es steht für die göttlichste Wahrheit, mich würde eine vernehmliche Stimme vom Himmel nicht überzeugen, daß das Wasser brennt und das Feuer löscht, daß ein Weib ohne Mann gebiert, und daß ein Toter aufersteht; vielmehr halte ich dieses für Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur.“
Gleichwohl hat Goethe eine Frage weiter beschäftigt, die sich bereits die antiken Philosophen gestellt haben: Gibt es am Ende doch ein Wesen jenseits der Natur, das alles Geschehen bewegt und lenkt? Goethe lässt diese Frage offen. „Wir können“, so formuliert er in dem Aufsatz „Bedenken und Ergebung“, „bei Betrachtung des Weltgebäudes, in seiner weitesten Ausdehnung, in seiner letzten Theilbarkeit, uns der Vorstellung nicht erwehren daß dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege, wornach Gott in der Natur, die Natur in Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit schaffen und wirken möge.“ Die unmittelbare Erkenntnis des Wahren sei dem Menschen versagt. „Das Wahre“, so heißt es in Goethes Einleitung zu seinem „Versuch einer Witterungslehre“, „mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direct erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.“
Damit aber treten wir ins Reich der Kunst hinüber, ins Reich des Abglanzes und der Symbole. Doch auch in diesem Reich, das sich für Goethe als „eine zweite Natur, aber eine gefühlte, eine gedachte, eine menschlich vollendete“ darstellt, bleibt die Frage nach der Bedeutung des Wahren und Göttlichen für die menschliche Existenz offen. Von dem Zeitpunkt an, wo der Mensch mit Bewusstsein handelt, ist er in das Gewebe von freier Entscheidung und objektiver Notwendigkeit verstrickt. Für den Christen ist die Frage nach der rechten Lebensführung leichter zu beantworten. Sein Leben liegt in Gottes Hand, der gläubige Protestant erhofft alles von Gottes Gnade, der Tod ist einerseits der Sünde Sold, andererseits der Durchgang zu einer höheren Existenzweise. Aus dem bisher Gesagten ist zu schließen, dass für Goethe, dem die Autonomie des Subjekts ein höchstes Gut war, solche Glaubensgrundsätze keine Gültigkeit besitzen konnten. Gleichwohl, so lehrt ein Blick auf seine Dichtungssprache, kann diese ohne Begriffe und Metaphern nicht auskommen, die ursprünglich einen religiösen Sinngehalt besitzen und auch zu Goethes Lebzeiten ihre religiöse Prägekraft noch erhalten hatten: Gott, Götter, Göttliches. In dieser Sprache verhandelt Goethe die Frage nach dem Zusammenhang von Freiheit und Notwendigkeit, wie sie bereits in der Shakespeare-Rede formuliert worden war.
All denen, die ihrem Glauben mit dem Herzen anhingen und ihn in ihrer Lebenspraxis durch Taten beglaubigten, ist Goethe mit Anerkennung begegnet. „Toleranz“, so hat er festgehalten, „sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Für ihn bilden Verstehen und Anerkennen eine Einheit; erst aus wechselseitigem Verstehen könne wechselseitiges Anerkennen entstehen. Erst dann, wenn Gläubige sich als unduldsam erwiesen, geistige Traditionen in ihrem Sinne vereinnahmten oder darauf drangen, Andersdenkende mit allen Mitteln zur eigenen Überzeugung zu bekehren, konnte es Goethe an deutlichen Worten nicht fehlen lassen.
Sein Bekenntnis zu einem Höchsten, einem Göttlichen erweist sich als Bekenntnis zu einer Religiosität, in der sich Zuversicht, wie sie aus menschlicher Tätigkeit erwächst, mit noblem Verständnis gegenüber anders Denkenden und Glaubenden verbindet. In solchem Sinne kann uns Goethes Haltung auch heute Orientierung geben.

 

Vera Richter Preisträgerin

In der Anthologie “Lustige Streiche”, veranstaltet von der Geraer Goethe-Gesellschaft und dem Kulmbacher Literaturverein, gewann Frau Vera Richter, Mitglied unserer Geraer Gesellschaft, mit ihrer Geschichte “Die Hühnermutter Buff” unter sechzig Autoren den 4. Preis.
Die Abschlussveranstaltung mit der Lesung dieser Geschichte fand am 10. Oktober 2015 in Kulmbach statt.
Wir gratulieren.
Vorstand der Goethe-Gesellschaft Gera