Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

„Goethe und Brasilien“

Vortrag von Sylk Schneider, Weimar, am 4.Juni 2014

Wer hat je davon gehört, dass Goethe in Brasilien gewesen sei? Das fragten sich die Mitglieder der Goethe-Gesellschaft Gera vor Beginn der Veranstaltung.

Brasilien war zu Goethes Zeiten ein noch rel. unbekanntes Land und wurde als „Land der Menschenfresser“ von vielen ignoriert, so auch von Goethe in seinem Gedicht „Todeslied eines Gefangenen“ 1782. Erst in seinen späten Lebensjahren wurde Goethes Interesse an Brasilien geweckt. Er beschäftigte sich intensiv mit allem, was Brasilienreisende an Erkenntnissen mit nach Europa brachten. Im Jahr 1825 sind das nach seinen Tagebuchaufzeichnungen ca. 200 Std. gewesen, die er allein diesem Thema widmete.

!806 war die Schlacht bei Jena und Auerstedt, aber Napoleon überfiel in diesem Jahr auch Portugal. Der König floh mit seinem gesamten Hofstaat auf 30 Schiffen nach Brasilien, der damaligen Kolonie des Landes, arm und unterentwickelt. Das änderte sich mit der Ankunft des Königs, der aus Europa das „know how“ mitbrachte und Industrie, Häfen, Druckereien etc. ins Leben rief. In den späteren Jahren regierte er Portugal von Brasilien aus.

Schon seit langer Zeit weckt Brasilien auch das Interesse deutscher Gelehrter. Alexander von Humboldt bereiste das Land 1799 – 1804 und bewies u.a. den Zusammenfluss von Amazonas und Orinoko. Er schrieb 1807 an Goethe und widmete ihm einen Teil seiner Reisebeschreibungen. Goethes Interesse war geweckt. Er schreibt in einem Brief an Knebel, er hätte Lust, eine Reise nach „Indien“ zu machen.

Aber auch andere Europäer wurden in Brasilien tätig. Ludwig Baron von Eschwege, einem hessischen Adligen, dem die Heirat mit Sophie v. Baumbach versagt wurde, weil er nicht begütert genug war, ging 1804 nach Portugal und dann nach Brasilien. Dort baute er das Geologische Kabinett auf und gründete die erste Eisenerzhütte. Eschwege wurde in Brasilien reich. Als er 1822 zurück nach Europa kam, ging er nach Weimar, weil Sophie v. Baumbach dort Hofdame war und heiratete seine Jugendliebe. Goethe fragte Eschwege nach Brasilien aus. Man fand dort Mineralien und Diamanten, die auch Carl Augusts Interesse weckten. 1800 Taler stellte er für entsprechende Ankäufe bereit.

1817 sollte eine Brasilien –Expedition starten, an der sich der Herzog wiederum mit 1000 Talern beteiligen wollte. Ein Wissenschaftler sollte die Expedition begleiten. Die Reise kam jedoch nicht zustande.

Mit Graf v. Sternberg, der das Naturkunde -Museum in Prag gründete, hatte Goethe einen lebhaften Briefwechsel. Es gab auch zwischenzeitlich Brasilien- Literatur, die Goethe anschaffte und z.T. übersetzen ließ.

1815 – 1817 war Prinz Wied zu Neuwied auch in Brasilien. Seine Beschreibungen der Natur- und Pflanzenwelt Brasiliens mit Zeichnungen und Naturgemälden war beeindruckend. Er entdeckte in Bahia eine neue Pflanze, eine brasilianische Malvenart, die er „Goethea“ nannte. Bis heute ist damit Goethes Name als „Brasilianist“ geehrt.

Ritter von Martius, ein junger Mann, der mit seinen Werken („Flora Brasiliensis“ und über die Palmenarten Brasiliens) bedeutendes schuf, war einer der wichtigsten Gesprächspartner Goethes. Er nahm, so heißt es, nur 2 Bücher nach Brasilien mit: die Bibel und Goethes „Faust“. Es gab auch einen regen Briefwechsel zwischen den beiden.

Zitat:„Die berühmte „Reise in Brasilien“ von Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Phillipp von Martius ist bis in die heutige Zeit ein Referenzwerk für Historiker, Naturkundler und Brasilienforscher. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses große Werk auch den Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe in seinen Bann zog, der sich damals, schon in hohem Alter, gerade dem zweiten Teil des „Faust“ widmete. Das Interesse an Brasiliens Flora und Fauna im damaligen Weimar war groß; es ist daher bezeichnend, dass auch in Goethes Bibliothek Studien zu diesen Themen zu finden waren. Dies wiederum regt uns an, darüber nachzudenken, wie sehr Brasilien die Phantasie Goethes beflügelt haben könnte…“(aus dem Grußwort des bras. Botschafters Correa in Deutschland)

Goethe hatte gern Gäste zu Besuch, auch Brasilien- Reisende, die er befragte, weil er im hohen Alter selbst nicht mehr reisen konnte.

1822 erklärte Brasilien seine Unabhängigkeit, die von Deutschland auch anerkannt wurde. Die deutsche Einwanderung nach Brasilien, von der österreichischen Prinzessin Leopoldina, Gemahlin von Kaiser Pedro I. gezielt gefördert, nahm 1824 ihren organisierten Anfang.

Der Dichterfürst Goethe – oder, wie es Dr. Ernst Feder 1932 ausdrückte: Goethe der Brasilianer – hätte zumindest in Gedanken einer von ihnen sein können.

Goethea“

1932, zum 100. Todestag Goethes, wurde in Rio de Janeiro ein Naturschutzgebiet der „Goethea“ zu Ehren errichtet. In vielen Botanischen Gärten wird dieser brasilianischen Malvenart Ehre erwiesen und auf die Verbindungen zu Goethe und Goethes Brasilieninteresse hingewiesen.

Marianne Heide

„Wagner und Goethe“

Vortrag von Barbara Kiem, Freiburg/Breisgau, am 7. Mai 2014

Noch in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts sympathisierte Wagner mit der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung und während seines ganzen Lebens pflegte er freundschaftliche Kontakte zu Juden, welche ihn sogar mehrfach auf interessante deutsche Themen aufmerksam machten. Plötzlich, unerwartet gibt er seine Standpunkte auf zugunsten einer antijüdischen Haltung, er reitet diese Attacke gegen seinen Komponistenkollegen Meyerbeer und verwirft alles vermeintlich Jüdische in der Musik. Später hat er seine Ansichten modifiziert und teilweise zurückgenommen; aber sie bleiben widersprüchlich.

Es waren keine weltanschaulichen oder politischen Intentionen, sondern sehr persönliche Motive, die ihn zu diesem affektgeladenen Ausbruch trieben. Neid und Konkurrenz spielten eine Rolle, zurückgehend auf seine entbehrungsreiche Leidenszeit in Paris.

Die Empörung über die oberflächlichen und korrupten Pariser Kunstangelegenheiten äußerte Wagner schon in seinem Aufsatz >Kunst und Revolution<. Er geißelt den Kapitalismus als das Schlimmste aller modernen Übel, z. B. schreibt er: „Wundern wir uns daher nicht, wenn auch die Kunst nach dem Gelde geht […] unser Gott ist das Geld, unsere Religion der Gelderwerb.“ Mit dem Gelderwerb wird Wagner während seines ganzen Lebens das Judentum verbinden als eine verderbliche Kulturmacht, die mit Krediten Staaten unter Druck setzt und Kriege finanziert.

In dem späten Essay über >Religion und Kunst< finden sich Äußerungen über die jüdische Religion, deren alttestamentarische Härte Wagner entschieden ablehnt: Die religiösen Anweisungen bestünden nur aus Verboten. Demgegenüber lobpreist er die christliche Mitleids- und Versöhnungsreligion, so wie er sie in seinem letzten Werk, dem >Parsifal< künstlerisch zu überhöhen suchte.

Gerade für Wagners späte Werke konnten sich bis in unsere Zeit hinein auffällig viele jüdische Musiker begeistern, besonders auch berühmte Dirigenten wie z. B. Levi in Bayreuth oder Gustav Mahler, Bruno Walter, Bernstein, Solti bis hin zu Barenboim. Alle fühlten sich auch den Idealen verpflichtet, die Wagner mit spezifisch deutscher Kunst verband.

Für Wagner waren Goethe und Beethoven die beiden Repräsentanten der deutschen Kultur schlechthin. So hat er z. B. in einer Dresdner Aufführung die 9. Symphonie und Texte aus dem Faust miteinander verschränkt, da beide Werke, wie Wagner sagt: „Die ihr zugrunde liegenden höheren menschlichen Seelenstimmungen exemplarisch und wahrhaft auszudrücken vermögen.“ Wagner sah das hochwelthaltige deutsche Kulturleben vornehmlich in Weimar zentriert als einen inspirierenden Kraftquell und er spricht vom „Weimarischen Wunder“. Goethe selbst hatte schon auf die „Erwählung“ Weimars hingewiesen in seinem Gedicht: >Auf Miedings Tod<. Hier heißt es: Oh Weimar! Dir fiel ein besonders Los. / Wie Betlehem in Juda klein und groß!

Wagner hatte sogar die Absicht, in der Zusammenarbeit mit Franz Liszt dem Ort etwas von seinem alten Glanz zurückzugeben, was sich aber wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verwirklichen ließ; er hatte sich ja an der 1848er Revolution beteiligt, wurde steckbrieflich verfolgt und musste acht Jahre lang in der Emigration leben.

Nach Goethes Tod wollte der Weimarer Hof eine Künstlerpersönlichkeit mit internationalem Ruf gewinnen. Der Weltbürger Liszt fühlte sich dem Anspruch gewachsen, das Erbe Goethes, Herders und Schillers anzutreten und so Elemente der französischen Romantik mit der Tradition der Weimarer, wie auch der Wiener Klassik zusammenzuführen. Mit dem Freund Richard Wagner wollte Franz Liszt das „Weimarische Wunder“ wiederholen. Für beide wurde die Auseinandersetzung mit den Weimarer Klassikern richtungweisend. So zieht sich die stete Beschäftigung mit Goethe wie ein roter Faden durch Wagners gesamtes Leben – was durch Briefe, Essays und Cosimas Tagebücher zu belegen ist. Wagner schätzte besonders die großen Dramen wie Torquato Tasso und natürlich ganz besonders den Faust. Die Wilhelm-Meister-Romane oder die Wahlverwandtschaften hat er mehrfach gelesen. Er widmete sich aber auch weniger bekannten Werken wie z. B. der dramatischen Grille >Der Triumph der Empfindsamkeit<. Goethes Lyrik beachtete er dagegen selten, ausgenommen das Jugendgedicht >Hans Sachsens poetische Sendung<, ein wichtiger Inspirationsquell für die Realisation der >Meistersinger<.

Während der wiederholten Lektüre des Tasso bemerkt Wagner staunend zu Cosima: „Das ist doch ein einziges Gedicht und ich wüsste ihm durchaus nichts zu vergleichen. Wie das Goethe schreiben konnte!“ Wagner wundert sich, wie Goethe es vermochte, die moralischen Positionen so präzise auszubalancieren: Die feudalen Strukturen und die Mentalität des Künstlers, der sich nicht beugen, sich nicht unterordnen kann, der auch in seiner Liebesleidenschaft alle Konventionen durchbricht und daher von der Gesellschaft krass zurückgewiesen wird. Wagner sinniert: „Wer hat hier recht? Wer unrecht? Es sieht ein jeder, wie er’s sieht und nicht anders sehen kann.“ Und er konstatiert, nur das Herz könne urteilen, im Recht sei „wer am meisten leidet“.

In Wagners >Tristan< stoßen auch zwei nicht zu vereinbarende moralische Welten aufeinander: die Ethik der ritterlichen Tugend und die Sphäre der „Heiligen Nacht“, die alle Erscheinungsformen der Tageshelle als täuschenden Schein entlarvt.

Im Zusammenhang mit dem >Tasso< äußert sich Wagner noch zu einem anderen Problemkreis. Im Unterschied zu Goethes vollkommenem „rein dichterischen Theaterstück“ erzeuge sein musikalisches Gedicht durch das erklärende Element der Musik – es ist das hermeneutische Organ des Orchesters – die Hauptwirkung.

Die höchste lebensvolle dichterische Aussage schreibt Wagner Goethes Faust-Drama zu. In dem Aufsatz >Über Schauspieler und Sänger< heißt es: „Ein unbegreifliches Kunstwerk liegt uns Deutschen in Goethes Faust noch als ungelöstes Rätsel vor.“ Und Wagner führt weiterhin aus: Kein Theaterstück der Welt verfüge über eine solche szenische Kraft wie gerade der unverstandene zweite Teil der Tragödie. Das Faust-Drama ist für Wagner das einzige deutsche Originalstück von allerhöchstem dichterischem Wert. Auf Faust und die Symphonien Beethovens könne Deutschland stolz sein. Noch 1873 bemerkt er: „Der Faust sollte eigentlich die Bibel sein, ein jeder sollte jeden Vers auswendig wissen.“ Wagner lobt die Sprachgewalt und vor allem die gesamte Dramaturgie, während er die Figur des Faust durchaus kritisch betrachten kann. Für Wagner ist Faust die Personifikation der modernen Entfremdung zwischen Ich und Welt, die erst im Erlösungsmythos der Liebe aufgehoben wäre. In einem Brief an Mathilde Wesendonk von 1858 wehrt sich Wagner dagegen, dass die Freundin aus der Figur des Faust einen edelsten Menschentypus machen wolle. Es sei gut, dass der unentwickelte Faust in die Welt geschickt werde, um zu lernen, was einzig wichtig sei, nämlich zu lieben. Wagner schreibt in diesem Brief: „Ach, wie glücklich ist aber der Dichter, als er ihn aus der Seelentiefe dieser Liebe (nämlich Gretchens) heraus hat, um ihn eines Morgens die ganze Geschichte spurlos vergessen zu lassen, damit er nun die eigentlich große Welt, die antike Kunstwelt, die praktisch-industrielle Welt mit möglichstem Behagen vor seiner recht objektiven Betrachtung abspielen lassen könne. So heißt dieser Faust für mich eigentlich nur die versäumte Gelegenheit; und diese Gelegenheit war keine geringere, als die einzige des Heiles und der Erlösung. Das fühlt auch der graue Sünder schließlich, und sucht das Versäumte recht ersichtlich durch ein Schlusstableau nachzuholen – so außerhalb liegend, nach dem Tode, wo’s ihn nicht mehr geniert, sondern nur recht angenehm sein kann, von dem Engel an die Brust genommen, und gar wohl zu neuem Leben geweckt zu werden.“

Wie bereits erwähnt, die Beschäftigung mit Goethes Faust gehört zu den Konstanten in Wagners Leben. Als Kenner der antiken Verstragödien galt seine Liebe besonders dem zweiten Teil, der klassischen Walpurgisnacht. In den Gesprächen mit Cosima hat er immer wieder seine Konzeption des Musikdramas auf Goethes Faust bezogen. Was den Faust und Wagners Ring verbindet: Beide Dramen verweisen nicht nur auf archaische Zeiten zurück, sondern machen aktuelle, auch künftige Erlebnisse erfahrbar. Faust wie auch der Ring brechen mit den konventionellen Theatertraditionen und sprengen alle bisherigen Maße, wie Kunst sich darzustellen hat. Wagner sieht sich in einer ähnlichen Situation wie Goethe, auch er gestaltet in der Breite seiner Tetralogie eine komplexe weitverzweigte Handlung; er erfindet einen umfassenden Weltmythos.

Wagners eigene Laufbahn hatte mit Goethe-Anlehnungen begonnen. Sein Schauspiel >Leubald und Adelaide< ist sicher von Goethes >Götz< beeinflusst. Der erste Opernversuch, die >Schäferoper<, ist durch Goethes Schäferspiel >Die Laune des Verliebten< angeregt. 1831 auch noch zu Lebzeiten des Dichters, entstanden die >Sieben Kompositionen zu Goethes Faust< und die Ouvertüre mit der Titulierung >Eine Faust Ouvertüre<, was wiederum Liszt veranlasste, seine Symphonie >Eine Faust-Symphonie< zu nennen. Die Formulierung „Eine“ meint: Eine Annäherung von vielen, denn es können immer nur Teilaspekte umgesetzt werden, die vollständige Vertonung des Riesenwerkes kann nicht gelingen. Auch Schumanns oder Mahlers Musikalisierungen greifen nur einzelne Szenen auf.

Interessant ist: Kein anderes Sprechdrama ist so sehr von unhörbarer Musik durchklungen wie gerade Goethes Faust – wie eine imaginäre Oper.

Vor allem im zweiten Teil nähert sich die Faust-Dichtung einem musikalischen Gesamtkunstwerk an. Vor allem im zweiten Teil nähert sich die Faust-Dichtung einem musikalischen Gesamtkunstwerk an. Goethe hat ja der Opernform eine wichtige Bedeutung zuerkannt. 1779 schreibt er: „Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, dass ich manchen Gegenstand darin behandelt.“ Durch die Opernform lässt sich für Goethe das „Kunstwahre“ vom „Naturwahren“ unterscheiden. So spricht auch Schiller in einem Brief an Goethe über sein Vertrauen in die Oper; dieser Gattung könne es gelingen, durch die Macht der Musik sich zu wappnen gegen eine reine Naturnachahmung.

Bereits Faust I enthält vielfältige musikanaloge Strukturen – wie der Prolog im Himmel oder die Osterfeier mit Glockenklang und Chor, dann der Gesang der Bettler, der Bauern oder die Geister im Studierzimmer. Weiterhin das Flohlied des Mephisto, die Lieder der Studenten in Auerbachs Keller – ich überspringe einige Inzidenzmusiken – auf jeden Fall zu nennen ist: das Dies irae des Chors, das einer Opernszene ähnelt, und schließlich die Kerkerszene: Gretchens Wahnsinnsgesang.

Im zweiten Teil der Dichtung steigert sich die musikbezogene Ausgestaltung; der Helena-Akt vertauscht die antike Tragödienform gegen die einer Oper. Goethe und Schiller vertraten ja die Ansicht, dass die bildende Kunst sich besonders ausgeprägt in der Antike entfalten konnte, während zu ihrer Lebenszeit die Musik zur exemplarischen Kunst aufsteigen sollte. Diese neue musikalische Poesie wird bei Goethe durch die Vermählung von Faust und Helena geboren.

Der Genius der neuen musikalischen Poesie, Euphorion, der Sohn Helenas und Fausts erscheint. Es folgt ein doppeltes Duett zwischen Faust und Euphorion – und Helena und Euphorion, das durch den Chor abgeschlossen wird. Wechselgesänge und Tänze vereinigen sich zu einem Ensemble.

Eine Anweisung Goethes lautet: „Ein reizendes, rein melodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.“ So Goethe. In die vollstimmige Musik mischen sich plötzlich Klagerufe Euphorions und der Trauergesang des Chores. Die Szene endet mit dem tödlichen Sturz Euphorions. „Völlige Pause. Die Musik hört auf“, bemerkt Goethe. Auch nach der Pause erklingt keine Musik mehr – die Antike nimmt wieder Gestalt an. Es ist eine der eindrucksvollsten Musikszenen des zweiten Teils der Tragödie.

Goethes Drama hatte begonnen mit der musica mundana, durchmisst verschiedenste musikalische Möglichkeiten, vom Trinklied bis zur Musik der Engel, und kehrt am Ende zurück zur Uridee als Ausdruck der Sinnenfreude oder der kathartischen Sphärenmusik. Zum Schluss wird das Tragische aufgehoben – der Titelheld wird erlöst durch die Macht der Liebe. Versöhnliche Klänge der Sphärenmusik werden hörbar bis zu den vielzitierten Schlussversen; in der Verehrung des „Ewig-Weiblichen“, das uns hinanzieht, lässt der Chorus mysticus jenen Stufenweg höchster Liebe ahnen, wie ihn auch der Gral lehrt.

Es ist eine Gemeinsamkeit der beiden Künstler Goethe und Wagner: ihre Ausnahme-Dramen sind apotheotisch von der Liebe überwölbt.

Wie bei Goethe wird auch in Wagners Musikdramen die Liebe in all ihren Schattierungen glorifiziert – die irdische und die himmlische Liebe, die als erlösende kosmogenische Urmacht erscheint – ihr gehören die letzten Momente des Faust-Dramas wie die Schlussklänge der Götterdämmerung und die mystischen Stimmen aus der Kuppel im Parsifal – Liebe und Erlösung preisend.

Goethe-Nachklänge, Reminiszenzen, lassen sich bis in die Versgestalt des >Tristan< verfolgen: So wie die an den Schluss des Faust erinnernden Kurzverse, wenn Tristan und Isolde im zweiten Akt den Hymnus auf die Liebe singen:

Ohne Gleiche / Überreiche

Eine beinahe wörtliche Übernahme aus der Schlussszene des Faust II, wenn der Chor der Büßerinnen die Himmelskönigin anbetet:

Du Ohnegleiche / Du Gnadenreiche“

Ähnlich beginnt auch das Gebet Gretchens im ersten Teil:

Du Ohnegleiche, Du Strahlenreiche“

Und in der Bergschluchten-Szene zum Ende des Faust-Dramas sieht der Doktor Marianus inmitten der nach oben schwebenden heiligen Frauen die Mater gloriosa:

Die Herrliche mittenin / im Strahlenkranze, die Himmelskönigin / ich seh’s am Glanze!“

Der Sternenkranz ist das Symbol der Himmelskönigin, der Assunta.

Auch eine aufwärtsstrebende Bewegung zeichnet Isoldes Gesang zum Ende des >Tristan<. Sie singt: „Säht ihr’s nicht: Immer lichter wie er leuchtet / Stern umstrahlend hoch sich hebend?“ Die Apotheose der Liebe – ein Transzendieren, ein entzücktes Verklären – ähnlich den anderen großen Werken Wagners. Wie Goethe schreibt auch Wagner der Aura von Madonnendarstellungen eine Wirkung auf die eigene kreative Arbeit zu. Schon im >Tannhäuser< findet man diese eigentümliche Marienverehrung und er verweist wiederum auf Goethe, wenn er schreibt: „dass der größte deutsche Dichter mit der beseligenden Anbetung der Mater gloriosa als höchstem Ideal des fleckenlos Reinen sein Drama beschloss.“ Wagners >Marienlob< ist zweifellos keine Sache des Glaubens, sondern der Kunst. Im Gegensatz zu Goethe muss Wagner seine Sprachdichtung schon auf die Synthese mit der Musik vorbereiten; eine musikalische Stimmung ist der vorangehende Quell für das Auffassen des Wortsinnes. Wagner schreibt also nicht zuerst ein Drama, um es dann nachträglich in Musik zu setzen.

Goethes Einfluss wird wiederum konkret fassbar bei der Gestaltung der >Meistersinger<. Diese Oper ist wie kein anderes Werk Wagners von den Nazis vereinnahmt worden. Der politische Missbrauch der >Meistersinger< erfolgte bereits nach dem Ersten Weltkrieg. Ganz allmählich färbte sich der Bayreuther Hügel braun ein und die >Meistersinger< wurden immer mehr politisiert. 1933 bei den Bayreuther Festspielen hielt Goebbels eine Rede, mit der er dieses Werk endgültig für den Nationalsozialismus beschlagnahmte. Der >Wach auf-Chor< wird als Aufruf zur nationalen Revolution umgewidmet. Zehn Jahre später während der sogenannten Kriegsfestspiele 1943 und 1944 werden in Bayreuth nur noch die >Meistersinger< gegeben. Unter Beteiligung von Hitler-Jungen und BDM-Mädchen wird die Festwiesen-Szene im Stil der NS-Aufmärsche als Großkundgebung inszeniert. Hitler trieb die Indienstnahme auf die Spitze, als er das Werk „zum Festspiel der Reichsparteitage für alle Zeiten“ erklärte.

Die einzige Oper Wagners mit auffällig komischen Zügen wirft also besonders lange dunkle Schatten und wird abwertend mit dem schlimmsten schwärzesten Abschnitt der deutschen Geschichte in Verbindung gebracht. In seinen Schriften würdigt Wagner Hans Sachs in Zusammenhang mit der Faust-Dichtung. Goethes Begegnung mit dem Nürnberger Meister sei der Grund für das „ungeheuer Volkstümliche“ des Faust. Im Charakter des Altvertrauten malt Goethe in seinem langen Gedicht >Hans Sachsens poetische Sendung< ein holzschnittartiges Bild des sinnenden Poeten und Schuhmachers.

In seiner Werkstatt sonntags früh

Steht unser treuer Meister hie:

Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,

Einen saubern Feierwams er trägt,

Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,

Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;

Er ruht nun auch am siebten Tag

von manchem Zug und manchem Schlag…

Ich möchte meinen Beitrag mit einer Äußerung von Thomas Mann beschließen. Bei ihm klingt eine ähnliche überregionale Tendenz auf. Thomas Mann sucht das „Europäische auf Deutsch“. Im Deutschen habe er „immer die Welt, immer Europa gesucht“. Dieses Deutschland zeigt sich für ihn im krassen Gegensatz zu jener Schreckensinspiration, die ihn aus Deutschland vertrieb. Thomas Mann verteidigt Wagner gegen seine nationalsozialistische Verhunzung. Er sucht die beiden polaren Gestalten Goethe und Wagner in ein anderes Deutschland zu integrieren, was er so ausdrückt: „Es tut wohl, den Wagnerschen Genius sich hier […] vor dem Goethes neigen zu sehen; es ist ein hochmerkwürdiges Vorkommnis, die Berührung dieser beiden sonst so entgegengesetzten, so polarisch voneinander entfernten Sphären; es beruhigt und beglückt, dies Erlebnis, zwei gewaltige und kontradiktorische Ausformungen des vielumfassenden Deutschtums, die nordisch-musikalische und die mittelländisch-plastische auf einmal befreundet zusammentreten zu sehen. Denn beides sind ja wir – Goethe und Wagner –, beides ist Deutschland.“

„Denn nur von Lust ertönt mein Saitenspiel“ – anakreontisches Dichten

Vortrag von Prof. Hans-Joachim Kertscher, Halle, am 2. April 2014

Das 18. Jahrhundert wird oft in der Forschung als ein Zeitraum charakterisiert, in dem sich neue Formen einer Geselligkeit herausbilden, die mit dem Attribut „bürgerlich“ näher bezeichnet und damit dem feudalen Geselligkeitsideal diametral gegenübergestellt werden. Gerade Halle bot sich hierfür an, als eine Stadt „vieler feiner und geschickter Köpfe und gelehrter Leute“ (Hieronymus Megiser). Sie ist geradezu prädestiniert für die Gründung einer Universität.

Nach der 1694 erfolgten Gründung der Fridericiana ist davon nicht mehr viel zu spüren. Der nach dem Tod Luthers (1546) einsetzende Streit um die Adiaphora (Mitteldinge) wie Tanzen, Spaziergang, Theater und andere Vergnügungen, die in der Bibel weder als gut noch böse apostrophiert erscheinen, sollte nun entschieden werden. Der Streit endete zunächst ergebnislos. Erst angesichts der rohen Sitten infolge des Dreißigjährigen Krieges mit seinen kulturellen Ausschweifungen, ihren frivolen Tänzen, barbarischen Trinkgelagen und banalen Komödien fühlten sich hallesche Pietisten bemüßigt, den Streit wieder aufzunehmen und bis zum Ende auszufechten – dies, indem sie die Adiaphora als böse kennzeichneten. Selbst die laute fröhliche Unterhaltung, schöne Blüten und das Singen der Vögel galten als bedenklich.

Die Kollegien an der Universität erhielten folglich den Charakter von Erbauungsstunden, die Erweckung wurde zur Hauptsache, das emsige, geduldige Arbeiten in menschlicher Wissenschaft erschien fast überflüssig. Alle Gläubigen jubelten über die wundervollen Offenbarungen göttlicher Gnade, die Gegner klagten über zunehmende Melancholie, über Geistesstörungen und Verrücktheiten der schlimmsten Art.

Es ist für Halle aus den genannten Gründen typisch, dass sich gesellige Runden zunächst nur zur Pflege einer gelehrten Geselligkeit zusammenfanden. Um 1733 hatte sich in Halle u. a. Eine von dem Theologiestudenten Samuel Gotthold Lange gegründete Gesellschaft zur Beförderung der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit etabliert. Mit der Aufnahme von Immanuel Jacob Pyra (1715 – 1744) wurde das Unternehmen etwa um 1735 stark belebt. Der Erste Hallesche Dichterkreis, in dessen Tradition beispielsweise Klopstock und Hölderlin einzubetten wären, hatte sich konstituiert. Ein Lehrgedicht Pyras, das dieser seinem Freund und Kommilitonen Lange zum Amtsantritt als Pastor in Laublingen zugeignet hatte, begründet die Poetologie, der sich die beiden Dichterfreunde verpflichtet fühlten. Beide präsentieren ein neues Geselligkeits- und Freúndschaftsideal. Man beschäftigt sich mit Übersetzungen der lateinischen Oden von Horaz (65 – 8 v.Chr.), und es entstehen die deutlich von den Römern beeinflussten Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. In dieser Sammlung finden die Autoren, deren erste Gedichte noch sehr stark von einer pietistischen Innerlichkeit geprägt waren, auch neue Töne lyrischen Schreibens. Sie feiern die Freundschaft, empfinden Naturerlebnisse lyrisch nach und stellen damit der dominierenden rationalistischen Dichtung neue Akzente entgegen.

Zu den Dichtern des Zweiten Halleschen Dichterkreise gehörte Johann Peter Uz (1720 – 1796). Er wie die anderen jungen Dichter stellten dem pietistischen Erweckungserlebnis die scherzhafte, eben anakreonistische Erweckung gegenüber. Neben Uz gehörten zu dem Dichterkreis der Jurastudetn Johann Wilhelm Kudwig Gleim (1720 – 1803), der später als deutscher Anakreon gefeiert wurde, der Theologiestudent Johann Nikolaus Götz (1721 – 1781) und der Fecht- und Sprachlehrer Paul Jacob Rudnick (1719 – 1741).

Gleim: Zu Gedichten im Stile Anakreons, versuchte Gleim, die Ballade im deutschen Sprachraum sesshaft zu machen. Spektakuläres leistete der unermüdlich am Plan einer Deutschen Literaurgesellschaft schmiedende Organisator Gleim. Von Halberstadt aus betrieb er ein weit verzweigtes Korrespondenznetz, in das über 500 Briefpartner einbezogen waren. Sein „Freundschaftstempel“ mit nahezu 150 Porträts bedeutender Zeitgenossen, seine Bibliothek mit über 11000 Bäden, die Kleinodien der deutschen Literaturgeschichte birgt, sowie seine Handschriftensammlung stellen wesentliche Quellen für Forschungen zum 18. Jahrhundert dar. Auch als Mäzen für junge Dichter ist Gleim aus der deutschen Kulturgeschichte nich wegzudenken. Anna Louisa Karsch, Johann Georg Jacobi, Gottfried August Bürger, Wilhelm Heinse, Johann Heinrich Voß, Johann Gottfried Seume und Jean Paul gehörten zu seinen Schützlingen.

Der Begriff „Anakreontik“ geht auf das Vorbild Anakreons aus Teos zurück, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. lebte. Er ist in die Literaturgeschichte fälschlicherweise als Dichter des Weins, der Liebe und des Gesangs eingegangen. Von Anakreon selbst sind uns nur drei vollständige Gedichte und etwa 150 Fragmente überliefert. Sie widmen sich unterschiedlichen Themen, so auch dem Wein und der Liebe. Die Bezeichnung Anakreontik aber geht auf 60 Gedichte von Anakreon-Epigonen aus späthellenistischer Zeit zurück. Diese, auch Anakreonteen genannten Texte wurden 1554 von Henri Estiennes publiziert. „Die strophenlose Odenform, der reimlose anakreontische Kurzvers, die Neigung zu anaphorischer Reimung, die liebevolle, oft allegorisch-verblümte Darstellung kleiner poetischer Gegenstände und die ihnen angeglichene, leichte, jedes bedeutungsschwere Wort scheuende Sprache“ sind kennzeichnend für die von Estienne publizierten anakreontischen Strophen.

Freilich wäre es falsch, den Sängern des Weins und der Liebe, wie dies zeitgenössische Kritiker taten, Alkoholismus und Werbung für häufig wechselnden Geschlechtsverkehr, nachzusagen. Es handelte sich nicht nämlich nicht um Erlebnisgedichte, die Feier fand im Gedicht, nicht in der Realität, statt.

So formulierte Friedrich von Hagdedorn in seinem Gedicht „An die heutigen Encratiten“:

Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen

Ist höchstens nur der Wenden Lust:

Wie Kluge zu geniessen wissen

Verbleibt dem Pöbel unbewusst,

Dem Pöbel, der in Gift verkehret

Was unserm Leben Stärkung bringt,

Und der die Becher wirklich leeret,

Wovon der Dichter doch nur singt.“

Auch Johann Peter Uz wollte dieser Art des realen Genusses den biederen Bürgern überlassen:

Trinkt euern Wein in Ruh

und schlaft bei euern Weibern.

So nutzt ihr doch dem Vaterland

Und wenigstens mit euern Leibern.“

Die erste größere Publikation aus der Mitte der halleschen Anakreontiker war die 1746 publizierte Übersetzung der Anakreonteen unter dem Titel „Die Oden Anakreons in reimlosen Versen“. Dies war ein Gemneinschaftswerk von Götz und Uz. Die erste Publikation mit eigenen anakreontischen Texten stammt von Gleim. Sie kam 1744 anonym unter dem Titel „Versuch in Scherzhaften Liedern“ heraus und fand rasch Verbreitung. Somit wurde Gleim als „deutscher Anakreon“ gefeiert. Johann Nikolaus Götz folgte Gleim 1745 mit dem „Versuch eines Wormsers in Gedichten“, ebenfalls anonym erschienen. Uz schließlich publizierte 1749 seine „Lyrischen Gedichte“. Sie wurden von Gleim herausgegeben. Hier findet sich die Ode „Die lyrische Muse“ mit den folgenden Versen:

„Denn nur von Lust erklingt mein Saitenspiel,

Und nicht von Leichen vollem Sande

Und kriegrischem Gewühl

Und vom gekrönten Sieg im blutigen Gewande.

Uz‘ Muse gibt sich – im Gegensatz zu der seines Freundes Gleim – ebenfals betont unkriegerisch. „Krieg und Helden sind kein Stoff für meine Lieder“, schreibt er 1757 nach Halberstadt. Selbst in seiner Ode „Das bedrängte Deutschland“ lautet die letzte Strophe:

„Doch mein Gesang wagt allzuviel!

O Muse! Fleuch zu diesen Zeiten

Alkäeus kriegrich Saitenspiel,

Das die Tyrannen schalt

und scherz auf sanften Saiten.“

Reduziert man Aufklärung auf Begriffe wie Selbstdenken und Vernunftprimat, wird man die Anakreontik wohl schwerklich zu ihr rechnen können. Begreift man jedoch Aufklärung als eine Bewegung, die auf Geselligkeit, auf Emanzipation des Gefühls, auf sinnlichen Genuss, auf Kultur und Zivilisation im weitesten Sinne aus war, also auch auf Schönheit und deren Kraft insistierte, dann war Anakreontik Aufklärung par excellence.

Auf den Spuren des Dichters Gellert

Ausflug der Goethe-Gesellschaft Gera nach Hainichen im Erzgebirge

Am 12. April 2014 fuhren etwa 30 Mitglieder der Geraer Goethe-Gesellschaft und des Kulmbacher Literaturvereins nach Hainichen ins Erzgebirge. Das Städtchen liegt an der Striegis, einem kleinen Flüsschen im westlichen Landschatzschutzgebiet Mittelsachsens in der Nähe von Oederan.

Der bekannteste Sohn des Ortes war Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769). Er war Goethes Professor in Leipzig, soll aber damals Goethes literarisches Genie nicht erkannt haben.

Das Denkmal Gellerts steht auf dem Marktplatz (von Ernst Rietschel).

Aber trotz der Fehleinschätzung des Professors scheint Goethe in Leipzig bei Professor Gellert einiges gelernt zu haben, denn der Mann war sehr talentiert. Er war zu seiner Zeit der meist gelesene Schriftsteller, schrieb Fabeln, Lustspiele und Lieder. Sein bekanntestes Lied ist das von Beethoven vertonte Lied: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“.

Wir besuchten das Gellerthaus, das Museum, das ihm zu Ehren in einer Villa im Park von Hainichen eingerichtet wurde. Gellerts Geburtshaus steht nicht mehr, es wurde abgerissen.

Im Museum erfahren wir viel über die Geschichte der Fabel und über die berühmtesten Fabeldichter (Krylow, Lessing , la Lafontaine u.a.).

Nachdem wir uns in dem Stadtcafé gestärkt hatten, stiegen wir den Rahmenberg hinauf zu dem Turm, der die Camera obscura in seine Mauern beherbergt. Weil immer nur acht Leute an einer Führung teilnehmen können, besichtigten wir diese optische Attraktion in drei Gruppen. Die Wartezeit verkürzten wir uns, indem wir uns die Gellertschen Fabeln anhörten, die Vera Richter und Bernd Kemter uns vorlasen.

Die Camera obscura befindet sich im oberen Stockwerk des Turmes. Wir konnten mittels der Camera Hainichen in seiner ganzen Größe und Schönheit, zu eben diesem Zeitpunkt, bewundern. Das Prinzip ist folgendes:

Das Licht fällt durch ein kleines Loch, das sich vor einer Sammellinse befindet. Es entsteht ein spiegelverkehrtes, also kopfstehendes Bild. Schon Aristoteles (384-323 v. Z. erkannte und nutzte dieses Prinzip. Roger Bacon (1214-1292) baute für die Sonnenbeobachtung die ersten Geräte der Camera obscura. Leonardo da Vinci entdeckte, den Zusammenhang des Prinzips der Camera obscura mit dem menschlichen Auge.

Nach dieser Besichtigung wollten wir eigentlich im „Hirsch“ auf dem Marktplatz von Hainichen Kegeln und Abendbrot essen. Trotz Bestellung wurde hieraus nichts, weil die Gasstätte in Konkurs gegangen war. Wir trösteten uns damit, dass sich ganz in der Nähe des „Kleinen Erzgebirges“ (originalgetreue Nachbildung erzgebirgischer Bauten im Maßstab 1:25) eine idyllische Gaststätte befindet, nämlich das Café im „Ranis Holzkunsthaus“. Wir hatte schon am Nachmittag die dortige Verkaufsausstellung in der ersten Etage des Kunsthauses besucht und die wunderschönen Holz-, Keramik- und Glaswaren bewundert. Jetzt wollten wir es uns im Café gemütlich machen. Unsere Erwartungen wurden nicht getäuscht. Wir fanden alle Mann Platz, wurden sehr gut bedient und wir konnten unsere kulinarischen Bedürfnisse vollauf befriedigen.

Gegen 18.00 Uhr verließen wir die gemütliche Gaststätte und traten die Heimfahrt an. Unsere Reisegesellschaft ist nicht nur literarisch auf dem Posten (es wurden während der Fahrt Gellertsche Fabeln vorgelesen), sondern kann auch gesanglich einiges bieten. Klaus Köstner sang mit Bravour während der Fahrt „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ und Bernd Kemter brachte ein wunderschönes französisches Lied zu Gehör. Während der Heimfahrt wurde ein Lied nach dem anderen angestimmt, und es war erstaunlich, wie textfest die Sänger waren. Pünktlich 20 Uhr waren wir wieder in Gera.

Beim Abschied dankten wir sowohl unseren Reiseleiter Bernd Kemter, als auch unserem Busfahrer,

die uns dieses wunderschöne Erlebnis ermöglichten.

Erika Seidenbecher

Eislers „Johannes Faustus“

Vortrag von Dr. Arnold Pistiak, Potsdam, am 4. März 2014

Im Spätherbst 1952 veröffentlichte Hanns Eisler ein Textbuch zu einer Faustoper. Deren Musik hat er allerdings nicht komponiert. Das Buch aber wurde von Thomas Mann, Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger gelobt. „In die ruhmvolle Geschichte des Kampfes gegen die deutsche Misere gehört auch gerade Eislers Faustus“, meinte etwa Brecht. Das Buch wurde jedoch Gegenstand einer heftigen offiziellen Kampagne, die unter anderem dazu führte, dass es noch vor dem 17. Juni 1953 aus den Buchläden eingezogen wurde.

Pistiak, Musikwissenschaftler und Germanist, analysierte die Struktur des Stückes und die Faustus-Kampagne. Er kam zu einer neuen Sicht auf die dahinter liegenden tieferen Ursachen. Seine These: Wie auch die in Svendborg geschriebenen Kantaten stellt auch Johannes Faustus ein antistalinistisches Projekt dar. Im Unterschied zu jenen Kantaten sind Satire und Trauer aber nun eingebettet in das Bemühen um die Verwirklichung des großen Projekts einer nicht auf Geldverhältnissen gegründeten neuen Gesellschaft.

Im Vortrag ging es jedoch nicht nur nicht um diese Kampagne, sondern um Eislers weithin unbekannten poetischen Text, um dessen geistige Tragweite und Schönheit. Dargestellt wurde, wie Eisler unter Rückgriff aus Goethes Faust-Tragödie, aber auch auf das Volksbuch (die „Historia“), die Puppenspiele oder Lessings Faust-Szenen ein faszinierendes Spiel schuf, in dem seine Faust-Figur ihren selbstverschuldeten Untergang erleidet.

„Claudine von Villa Bella“ – ein fast vergessenes Jugendwerk Goethes

Vortrag von Dr. Thomas Frantzke, Leipzig, am 19. Februar 2014

Schauspiel mit Gesang als Singspiel.Goethe nutzte zugleich Gassenhauer und Volkslieder und schuf somit eine Schauerballade. Er führte das Motiv des libertären, „edlen“ Vagabunden ein. Allerdings war dies doch nicht so ganz neu, denn der „edle Vaganbund“ speiste sich aus spanischen Motiven eines Mantel-und-Degen-Heldes. Auf der anderen Seite ist der Abenteuerer, Frauenheld und Künstler in einer Person doch recht neu in der deutschen Literatur.

Das Stück fand wenig Resonanz.

Thema ist der Ausbruch eines Adligen, der die Fesseln seiner Familie sprengt.

Claudine, die einzige Tochter des Alonzo von Villa Bella, feiert ihre Volljährigkeit mit ihrem Vater, ihrer Nichte Lucinde und Pedro von Castellvecchio. Selbiger forscht nach seinem Bruder Carlos. Was Pedro nicht weiß: Sein Bruder ist unter dem Pseudonym Rugantino inzwischen zum Führer einer Räuberbande anvanciert, nachdem er die Familie verlassen hatte. Nun soll Carlos/Rugantino den verstorbenen Vater beerben. Bevor sich Don Pedro auf den Weg nach seinem Bruder macht, erklärt er seine Liebe zu Claudine. Sie erfährt zugleich, warum er eine Zeitlang weggehen muss. Lucinde steht ihr in ihrem Schmerz bei. Um sie ein wenig abzulenken, erzählt ihr Lucinde von einem hübschen Fremdling, den sie getroffen habe und in den sie in heftiger Liebe entbrannt sei.

Währenddessen ist Rugantino bei seiner Räuberbande eingetroffen und fordert seine Kumpane auf, ihm bei der Entführung der geliebten Lucinde zu helfen. Doch der Wortführer der Bande, Basko, weigert sich. Er treibt damit einen Keil in die Männer.

Rugantino (Carlos) und Pedro besingen ihre jeweilige Geliebte. Doch sie glauben irrenderweise, dass es sich um dieselbe Person handelt. Voller Eifersucht kämpfen sie miteinander. Dabei wird Pedro verwundet und ins Lager der Räuberbande gebracht. Der Lärm ruft die Schlosswächter auf den Plan. Sie durchstreifen die Gegend. Entgegen jeglicher Vernunft will Rugantino ohne Lucinde nicht fliehen. Ihm gelingt es schließlich, sich eine Einladung ins Schloss zu ergattern, gibt sich dort als Gast des Fürsten Rocca Bruna aus. Ein Diener erkennt ihn jedoch unter der Maskerade. In dieser gefährlichen Situation ergreift Rugantino Claudine und droht, sie zu töten, falls man ihm nicht freien Abzug gewährt. Es gelingt ihm zu fliehen.

Währenddessen überzeugt Pedro einen Räuber, einen Brief an Claudine zu überbringen. Ins Lager zurückgekehrt, erkennt Rugantino in Pedro endlich seinen Bruder. Unverzüglich kehren sie nach Villa Bella zurück. Auf ihrem Weg begegnen sie Claudine und Lucinde, die aufgebrochen waren, um Pedro von den Räubern zu retten. Der Liebe der beiden Paare steht nun nichts mehr im Weg, sie sind nun endlich vereint.

Wie der “Werther” stellt auch “Claudine” nach einem “Jahrhundert des Verstandes” (Aufklärung) einen Höhepunkt der “Epoche der Empfindsamkeit” (Sturm und Drang) dar, Zugleich greift dieses Werk kritisch ins gekünstelte Rokoko ein. Insbesondere die Gefängnisszene erweist sich als gesellschaftskritisch. “Ihr seid ausgezogen, mich zu fangen” (Matthäus). Es erfolgtgewissermaßen eine Christus-Identifikation. Christus erweist sich als Rebell und keineswegs als (Vor-) Vertreter irgendeiner Kirche. In diesem Sinne erweist sich das Bekenntnis, Gefühle auszuleben, als revolutionär in dieser Zeit. Hierbei zeigt sich bereits die bürgerliche Sicht Goethes, die das Recht auf Selbstverwirklichung einfordert.

B. Kemter

Führung durch das Goethe- und Schiller-Archiv

Ausflug nach Weimar am 12. Oktober 2013

An diesem Tag weilten wir in Weimar zu einer Führung durch das Goethe- und Schiller-Archiv. Frau Golz gab uns dazu sehr interessante Erklärungen. So erfuhren wir , dass dieses Gebäude entstand, um zunächst den Nachlass Goethes zu sichern. Dafür engagierte sich vor allem Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach, auf deren Veranlassung bekanntlich auch die erste vollständige Gesamtausgabe der Werke Goethes, die Weimarer- oder Sophien-Ausgabe, heraus gegeben werden konnte. In diesem Sinne war 1885 ein ganz besonderes Jahr für Weimar.
Das imposante Archivgebäude, das neben Liszt- und Nietsche- zahlreiche weitere Nachlässe beherbergt, erhebt sich auf einer Terrasse über der Ilm. Viel Sorgfalt wurde aufgewendet, um die Bestände sicher aufzubewahren. Dazu zählen dicke Mauern ebenso wie Brandschutztüren. Die Räume der wertvollen Handschriften sind klimatisiert und durch einen dichten Metallvorhang vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt.
Ausschließlich Wissenschaftler dürfen diese Handschriften studieren. Daneben gibt es natürlich auch übliche Werkausgaben und Bücher, und vieles liegt auch als Mikrofiches oder digitalisiert vor. Diese Materialien sind öffentlich zugänglich, dennoch ist das Archiv vor allem eine Stätte des Forschens. Es gibt auch wechselnde Ausstellungen. So besichtigten wir in einem Raum Sachzeugnisse zu Wielands Tod und Begräbnis.

Nach der Besichtigung begaben wir uns ins Cafe „Divan“ in Weimar, um uns bei türkischen Nationalgerichten zu stärken.
Danach wanderten wir durch den Park an der Ilm, erfreuten uns an der herbstlichen Pracht. Vera Richter regte einen kleinen Rezitationswettstreit an. Es war schon erstaunlich, was da alles zusammenkam. Goethe kam dabei natürlich auch zu seinem Recht. Auch sein Gartenhaus wurde besichtigt.

Danach fuhren wir nach Nohra, um einen geselligen Abend im ukrainischen Nationalitätenrestaurant zu verbringen. Wir haben schon viele Restaurants etc. bei unseren Ausflügen besucht und waren stets zufrieden. Diesmal, allerdings, gab es für uns erstmals Anlass zur Kritik. Die angekündigten vier Gänge verdienten diesen Rang nicht, und sie waren auch etwas zu teuer. Die gut bedienenden jungen Kellner waren einfach zu wenig. Der Wirt zeigte sich nicht bereit, bescheidene Wünsche unserer Teilnehmer nach einer Kugel Eis und einem Glas Wasser zu erfüllen. Es sollte halt alles größere Dimensionen haben. Zudem bedurfte es dreimaliger Aufforderung, damit wir bezahlen konnten. Die musikalischen Darbietungen des ukrainischen Paares waren schlichtweg zu laut für unsere Ohren.
Schade. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir bei unseren weiteren Ausflügen wieder zufrieden sein können. Gemeinsames Singen im Bus ließ die Stimmung wieder steigen.
Herzlicher Dank gebührt unserem Michael Roth, der den Tag hervorragend organisiert hatte.
B. Kemter

Vortrag von Dr. Heidi Ritter

Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle, am 2. Oktober 2013

Sie war eine bedeutende Saloniere um 1800. „Rahel – ein Buch des Andenkens an ihre Freunde“ wurde von ihrem Mann herausgegeben, und zwar mit ihrem ursprünglichen jüdischen Vornamen.
Sie hieß Antonie Friederike Varnhagen von Ense; doch als sie starb, gab ihr Mann ihr den Vornamen Rahel zurück.
Zwischen 1793 und 1806 machte sie sich mit ihrem Berliner Salon einen Namen. Klein, nicht besonders schön, aber in großer Ausstrahlung entfaltete sie ihre herausragenden intellektuellen Fähigkeiten. Ihr Haus befand sich in der Jägerstraße, nahe des Gendarmenmarktes. Eingeladen wurden Vertreter unterschiedlicher Stände, allerdings mussten sie aus dem Bildungsbereich stammen. Dies waren Bürgerliche und Adlige, Christen und Juden, Militärs und Beamte. Standesgrenzen zu überspringen, war durchaus etwas Außergewöhnliches. Die Frau übernahm die Führung, häufig handelte es sich um jüdische Frauen. Repräsentative Kleidung und Kulinarisches spielten dabei keine Rolle. Es herrschte eine ungezwungene Stimmung.
Weitere bedeutende Salonieren waren Dorothea Veit (Tochter Mendelssohns) und Henriette Herz.
Die Ursprünge gehen auf die adligen Salons in Frankreich zurück. Hohe geistreiche Damen standen ihnen vor. Die Grundidee war immer: ungezwungenes Gespräch. Dies verbindet die Salons in Frankreich mit denen in Preußen. Intimität und Vertrautheit waren hierbei wichtig. 1807 erschien Bertuchs „Apologie des Tees“. Er soll Gesprächskultur befördern. An den Teetischen wird der Faden der Unterhaltung geknüpft.
Warum gelingt es gerade jüdischen Frauen, eine solche Stellung einzunehmen?
Zum einen gilt in der christlichen Familie das Ideal der Hausmutter. Es herrschen patriarchalische Verhältnisse. Es gab zudem einige Konstellationen, die es einzig jüdischen Frauen erlaubten, als Salonieres tätig zu werden. Reiche jüdische Familien gewährten ihren Töchtern eine gute Bildung, die über die Grenzen des Üblichen hinaus ging. In Berlin war die jüdische Welt auch nicht so eng wie anderswo, auch auf Grund aufklärerischer Ideen. Rahel empfindet es als Unglück, dass sie zwischen beiden Welten steht. Ihre jüdische Geburt empfindet sie als Schicksal, das sie nur schwer ertragen kann. Sie fühlt sich von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Hannah Arendt schrieb übrigens eine Rahel-Biografie. Graf Finkenstein lernt sie kennen und lieben. Aber die Beziehung scheitert. Dann beginnt eine Beziehung mit dem spanischen Gesandtschaftssekretär, doch Rahel bricht die Beziehung ab. Somit beginnen die Zusammenkünfte im Salon. Hier existiert ein diskriminierungsfreier Raum, Privilegien gelten nicht mehr.
Die Gesellschaftsabende versammeln Größen wie Wilhelm von Humboldt, Prinz Louis Ferdinand von Preußen mit Pauline Wiesel, die er sonst nirgendwo zeigen darf, Dorothea Veit, Clemens Brantano, Chamisso, Fouque. Es gab auch eine erotische Komponente. Die Kunst, das Gespräch zu führen, beherrschte Rahel recht gut. Schleiermacher verfasste sogar eine „Theorie des geselligen Betragens“. Er forderte eine freie Geselligkeit als eines der edelsten Bedürfnisse des menschlichen Geistes. So gaben die Salons ein Modell für freie Öffentlichkeit. Über Politik zu reden, war allerdings verpönt.
Nach 1806 ist die Zeit für Rahels Salons vorbei. An die Stelle der Salons tritt zum Beispiel eine solche Vereinigung wie die „Christlich-deutsche Tischgesellschaft“.
1808 lernt sie Karl August Varnhagen kennen. Es dauert noch sechs Jahre, ehe sie heiraten. Sie muss sich zuvor evangelischtaufen lassen – als Antonie Friederike. In Frankfurt kam es zur Begegnung mit Goethe. Ein Mädchen brachte noch vor dem Aufstehen eine Einladungskarte von Goethe. Für sie war die kurze Frist kaum zu bewältigen. Sie kleidete sich rasch an, und alles verlief recht unglücklich. Ihre Verwirrung war groß, sie reete viel. Es war eine Katastrophe, und sie musste sich gleich wieder entfernen. Dennoch hat sie dieses Datum zu ihrem Feiertag erklärt. Später wurde das Ehepaar noch zweimal in Weimar empfangen. Mitte der 20-er Jahre befindet sich Varnhagen in diplomatischem Dienst. Sie eröffnet zum zweiten Mal einen Salon. Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher, Fürst Pückler und Heine zählen zu ihren Gästen. Gespräche über Kunst und Liteatur. Sie stirbt 1833.
Nachruhm: 6000 Briefe mit 300 verschiedenen Korrespondenten sind überliefert. Sie hat auch Tagebuch geführt. Varnhagen hat alles aufgehoben und als „Sammlung Varnhagen“ zusammengetragen. 1977 brachte Edward Gierek, Generalsekretär der PVAP, als Gastgeschenk einen Beethoven-Autographen in die DDR. Es ging in die Bestände der Staatsbibliothek Berlin ein. Bei all dem wurde klar, dass sich noch mehr Handschriften und Nachlässe in Krakow befinden mussten. Sie waren von den Nazis ausgelagert worden. 1983 wurde Varnhagens Werke in der BRD . 1985 erschien ein Band in der DDR, der auf die alte Ausgabe zurück ging.
Rahel: „Was mache ich? Ich lasse das Leben auf mich regnen.“
B. Kemter

„Der Salon der Rahel Varnhagen von Ense“

Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle, am 2. Oktober 2013

Der Salon der Rahel Varnhagen von Ense, Vortrag von Dr. Heidi Ritter

Sie war eine bedeutende Saloniere um 1800. „Rahel – ein Buch des Andenkens an ihre Freunde“ wurde von ihrem Mann herausgegeben, und zwar mit ihrem ursprünglichen jüdischen Vornamen.
Sie hieß Antonie Friederike Varnhagen von Ense; doch als sie starb, gab ihr Mann ihr den Vornamen Rahel zurück.
Zwischen 1793 und 1806 machte sie sich mit ihrem Berliner Salon einen Namen. Klein, nicht besonders schön, aber in großer Ausstrahlung entfaltete sie ihre herausragenden intellektuellen Fähigkeiten. Ihr Haus befand sich in der Jägerstraße, nahe des Gendarmenmarktes. Begrüßt wurden Vertreter unterschiedlicher Stände, allerdings mussten sie aus dem Bildungsbereich stammen. Dies waren Bürgerliche und Adlige, Christen und Juden, Militärs und Beamte. Standesgrenzen zu überspringen, war durchaus etwas Außergewöhnliches. Die Frau übernahm die Führung, häufig handelte es sich um jüdische Frauen. Repräsentative Kleidung und Kulinarisches spielten dabei keine Rolle. Es herrschte eine ungezwungene Stimmung.
Weitere bedeutende Salonieren waren Dorothea Veit (Tochter Mendelssohns) und Henriette Herz.
Die Ursprünge gehen auf die adligen Salons in Frankreich zurück. Hohe geistreiche Damen standen ihnen vor. Die Grundidee war immer: ungezwungenes Gespräch. Dies verbindet die Salons in Frankreich mit denen in Preußen. Intimität und Vertrautheit waren hierbei wichtig. 1807 erschien Bertuchs „Apologie des Tees“. Er soll Gesprächskultur befördern. An den Teetischen wird der Faden der Unterhaltung geknüpft.
Warum gelingt es gerade jüdischen Frauen, eine solche Stellung einzunehmen?
Zum einen gilt in der christlichen Familie das Ideal der Hausmutter. Es herrschen patriarchalische Verhältnisse. Es gab zudem einige Konstellationen, die es einzig jüdischen Frauen erlaubten, als Salonieres tätig zu werden. Reiche jüdische Familien gewährten ihren Töchtern eine gute Bildung, die über die Grenzen des Üblichen hinaus ging. In Berlin war die jüdische Welt auch nicht so eng wie anderswo, auch auf Grund aufklärerischer Ideen. Rahel empfindet es als Unglück, dass sie zwischen beiden Welten steht. Ihre jüdische Geburt empfindet sie als Schicksal, das sie nur schwer ertragen kann. Sie fühlt sich von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Hannah Arendt schrieb übrigens eine Rahel-Biografie. Graf Finkenstein lernt sie kennen und lieben. Aber die Beziehung scheitert. Dann beginnt eine Beziehung mit dem spanischen Gesandtschaftssekretär, doch Rahel bricht die Beziehung ab. Somit beginnen die Zusammenkünfte im Salon. Hier existiert ein diskriminierungsfreier Raum, Privilegien gelten nicht mehr.
Die Gesellschaftsabende versammeln Größen wie Wilhelm von Humboldt, Prinz Louis Ferdinand von Preußen mit Pauline Wiesel, die er sonst nirgendwo zeigen darf, Dorothea Veit, Clemens Brantano, Chamisso, Fouque. Es gab auch eine erotische Komponente. Die Kunst, das Gespräch zu führen, beherrschte Rahel recht gut. Schleiermacher verfasste sogar eine „Theorie des geselligen Betragens“. Er forderte eine freie Geselligkeit als eines der edelsten Bedürfnisse des menschlichen Geistes. So gaben die Salons ein Modell für freie Öffentlichkeit. Über Politik zu reden, war allerdings verpönt.

Nach 1806 ist die Zeit für Rahels Salons vorbei. An die Stelle der Salons tritt zum Beispiel eine solche Vereinigung wie die „Christlich-deutsche Tischgesellschaft“.
1808 lernt sie Karl August Varnhagen kennen. Es dauert noch sechs Jahre, ehe sie heiraten. Sie muss sich zuvor evangelischtaufen lassen – als Antonie Friederike. In Frankfurt kam es zur Begegnung mit Goethe. Ein Mädchen brachte noch vor dem Aufstehen eine Einladungskarte von Goethe. Für sie war die kurze Frist kaum zu bewältigen. Sie kleidete sich rasch an, und alles verlief recht unglücklich. Ihre Verwirrung war groß, sie redete viel. Es war eine Katastrophe, und sie musste sich gleich wieder entfernen. Dennoch hat sie dieses Datum zu ihrem Feiertag erklärt.

Später wurde das Ehepaar noch zweimal in Weimar empfangen. Mitte der 20-er Jahre befindet sich Varnhagen in diplomatischem Dienst. Sie eröffnet zum zweiten Mal einen Salon. Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher, Fürst Pückler und Heine zählen zu ihren Gästen. Gespräche über Kunst und Liteatur. Sie stirbt 1833.

Nachruhm: 6000 Briefe mit 300 verschiedenen Korrespondenten sind überliefert. Sie hat auch Tagebuch geführt. Varnhagen hat alles aufgehoben und als „Sammlung Varnhagen“ zusammengetragen. 1977 brachte Edward Gierek, Generalsekretär der PVAP, als Gastgeschenk einen Beethoven-Autographen in die DDR. Es ging in die Bestände der Staatsbibliothek Berlin ein. Bei all dem wurde klar, dass sich noch mehr Handschriften und Nachlässe in Krakow befinden mussten. Sie waren von den Nazis ausgelagert worden. 1983 wurde Varnhagens Werke in der BRD veröffentlicht . 1985 erschien ein Band in der DDR, der auf die alte Ausgabe zurück ging.
Rahel: „Was mache ich? Ich lasse das Leben auf mich regnen.“
B. Kemter

Herbstausflug nach Weißenstadt und zum Waldstein

Einen ereignisreichen Tag verlebten wir am Sonnabend, 21. September 2013, zum Herbstausflug mit dem Kulmbacher Literaturverein. Der Ausflug begann mit einer Meditation in der futuristisch anmutenden Autobahnkirche Himmelkron. Der Bayreuther Jürgen Linhardt berichtete von der Geschichte dieser modernen, wirklich beeindruckenden Kirche. Sie wird jährlich von ca. 100 000 Menschen aufgesucht, nicht nur von Leuten, die sich eine Auszeit von dem alltäglichen Wahnsinn der Autobahn 9 gönnen, sondern auch von ruhebedürftigen Gläubigen der Umgebung. Es handelt sich um ein ökumenisch orientiertes Gotteshaus, und in den Andachtsraum, in den uns Jürgen Linhardt führte, kommen auch Atheisten, Andersgläubige, z. B. Muslime. Jürgen sorgte während der Meditation für einen überaus gelungenen Wechsel von Text- und Musikbeiträgen.
Danach gingen wir Mittag essen in die Franken-Farm.

Nun stand eine Stadtführung in Weißenstadt auf dem Programm. Weißenstadt? Offen gestanden erwarteten wir davon nicht allzuviel. Na ja, das berühmte Scheunenviertel, die gleichermaßen bekannten Keller, der Weißenstädter See … Mehr fiel uns da nicht ein. Um so größer war dann die Überraschung. Zuerst besichtigten wir die evangelische Kirche am Marktplatz. Anschließend führte uns Gerald Kastl in einen Kristallgang in der Kirchenlamitzer Straße, denn schließlich wurde in Weißenstadt zwischen 1400 und 1850 begehrtes Bergkristall – Strählein, der Strahlende – abgebaut. Diese mineralogischen Schönheiten waren natürlich nur für reiche Leute bestimmt. Kaum zu glauben, dass der Bergbau direkt unter den Häusern der Stadt betrieben wurde. Ein Hauptgang durchzieht in südöstlich-nordwestlicher Richtung die gesamte Stadt. Bis in die 50-er Jahre hinein konnte man durch die Gänge laufen. Gut, dass die Eltern oft nicht erfuhren, wo ihre Kinder spielten. Viele Sagen und Legenden ranken sich um die Gänge. So soll es sogar einen unterirdischen See und einen Gang hinüber zum Waldstein gegeben haben. Allerdings regten die Geraer an, dass es am Elternhaus von Karin Minet, der Chefin des Kulmbacher Literaturvereins, auch einen Karin-Minet-Kristallgang geben sollte. Schließlich tragen schon einige Gänge Namen.
Gerald Kastl erläuterte uns die Entstehung des Bergkristalls aus Granit, wenn heißes Magma auf Wasser trifft. Es war sehr spannend, sich durch den teils sehr engen Kristallgang zu zwängen, aber die bergbaulichen Spuren und die gut sichtbaren Quarzgänge wogen alle Mühen auf. Über mehrere Stockwerke wurde damals der Bergbau betrieben. Wir erfuhren noch, dass das Fichtelgebirge neben Teilen Sibiriens und der amerikanischen Appalachen zu den Resten des urzeitlichen Variskischen Gebirges, einem Faltengebirge, gehörte. Es wurde nach dem Lande der Varisker, dem Vogtlande, benannt. Im Fichtelgebirge sind übrigens etwa 80 Prozent aller auf der Erde vorkommenden Gesteinsarten zu finden.

Ein weiterer, sehr willkommener Höhepunkt schloss sich an: der Besuch des kleinen, aber feinen Drogerie- und Destillerie-Museums. Es geht auf die 1864 von Carl Sack gegründete Specereywarenhandlung zurück. Mehrere Generationen und mehrere Kriege überdauerte das Geschäft, bis es schließlich ein frühes Opfer der Globalisierung wurde und Besitzer Willi Sack die Drogerie 1989 schweren Herzens aufgeben musste.
Die Sacks haben nichts weggeworfen, sondern alles aufgehoben. Auf diese Weise entstand eine beeindruckende Sammlung vielfältiger Exponate: von Glasgefäßen für Arzneien und Olitäten, bis hin zum Feldgesangsbuch aus dem Ersten Weltkrieg, einem Büchlein des großen pädagogischen Reformer Comenius, über den Volksempfänger (Goebbels-Schnauze), einem wunderschönen Drogerie-Kaufmannsladen (Puppenstube) bis hin zu Urkunden, Schulranzen und Zeitungsausschnitten. Köstlich in diesem Zusammenhang folgende Story: Mitte der 60-er Jahre musste die schon von Goethe überaus geschätzte Chemische Fabrik von Wolfgang Fickentscher in Marktredwitz einem Supermarkt weichen. Dabei stellte man voller Entsetzen fest, dass der Boden von den chemischen Substanzen, vor allem Quecksilber, total verseucht war. Die Erde musste unter erheblichen finanziellen Kosten entsorgt werden. Mit diesem Thema beschäftigten sich nun Münchener Journalisten. Offensichtlich waren selbige jedoch der Geographie, einschließlich der politischen, nicht sonderlich mächtig. Mit anderen Worten: Sie wussten einfach nicht, wo Marktredwitz lag, und die menschenverachtende Umweltverschmutzung … sie konnte ja nur das Werk eines Unternehmens der DDR gewesen sein. In diesem Falle hätten sie sich natürlich um eine Rechercheerlaubnis bei den sozialistischen Behörden bemühen, ihren Reisepass und Presseausweis vorweisen müssen. Dass dies nicht geschah, lässt vermuten, dass ihr Presseartikel in München am grünen Schreibtisch entstand. Tja, so kann’s gehen, wenn man die Recherche auf die allzu leichte Schulter nimmt. Vermutlich wissen viele Münchener, bayerische Staatsregierung eingeschlossen, heute noch nicht, wo Marktredwitz eigentlich liegt. Und sicherlich entzieht sich auch Weißenstadts Lage ihrer Kenntnis.
Na ja, wir, die Geraer Goethefreunde, kennen uns da nun besser aus, dank unserer Kontakte nach Kulmbach. Und Goethes Spuren im Fichtelgebirge (und in Böhmen) sind wir schon längst gefolgt.

Doch zurück zu dem wunderschönen Tag mit unseren Kulmbacher Freunden.
Denn jetzt kam “der Hammer”: der Besuch der kleinen Destille. Betrieben wird selbige von Gerald Kastl höchstpersönlich, und so kamen die Auskünfte zu diesem Gourmet-Kleinod aus keinem berufenerem Munde. Da lernten wir zunächst den Unterschied zwischen dem Brenner (der reinen Alkohol produziert) und dem Destillateur (der dem Alkohol Ingredienzien zusetzt) kennen. In dieser Destille werden auf ganz handwerkliche Weise typische Fichtelgebirgsschnäpse hergestellt. Neben dem weichen Wasser des Granitgebirges werden traditionell nur Beeren und Kräuter der Region verwendet. Folglich sind Aromen, Farb-, Konservierungsstoffe oder weitere chemische Substanzen passé. Bis zu 32 Kräuter kann ein solcher Schnaps oder Likör enthalten. Die Mengen bleiben begrenzt, man könne nicht davon leben, erläuterte Gerald Kastl. Würde er die Produktion erweitern, hätte dies unweigerlich eine gewisse Industrialisierung zur Folge. Sie sei jedoch keineswegs gewollt. Nach diversen Kostproben sorgten wir an der Registrierkasse für einen nicht unerheblichen Umsatzschub.

Solcherart gestärkt fuhren wir auf den Waldstein. Einige, die den zwar kurzen, aber doch recht steilen Aufstieg auf die Burgruine nicht scheuten, wurden mit einem schönen Blick ins weite Land belohnt. Auf der Bühne des Waldsteins wurde übrigens 2010 und 2011 Bernd Kemters Stück “Der Ketzer” über den Hussiteneinfall 1430 in der Region aufgeführt; ein weiteres Beispiel für die freundschaftlichen Kontakte der Thüringer mit den Oberfranken. “Wessi” und “Ossi” sind jedenfalls bei uns längst verpönt und aus unserem Wortschatz verbannt.

Im urig-gemütlichen Waldsteinhaus stärkten wir uns recht ordentlich. Aber natürlich kam auch die Kultur zu ihrem Recht. Aus ihren Manuskripten oder anderen Werken lasen Barbara Hahn, Birgit Hächl, Friederike Köstner, Helga Zauft, Vera Richter, Brigitte Binder, Karin Minet und Jürgen Linhardt.
Sodann wurden an Karin Minet und unser Kulmbacher Ehrenmitglied, Klaus Köstner, je ein Exemplar unserer Erstpublikation “Goethe und der Osten Thüringens” übergeben.
Mit Rücksicht auf die anderen Gäste wurde diesmal auf den traditionellen gemeinsamen Gesang verzichtet. Er wird zur nächsten Zusammenkunft nachgeholt werden, denn dass die freundschaftlichen Kontakte weitergeführt werden, darüber waren sich alle in der Runde einig. Und damit die Sache organisatorisch etwas leichter wird, werden wir als Geraer Goethefans unseren Kulmbacher Freunden schon jetzt konkrete Termine für 2014 nennen.

Wirklich ein schöner Tag für uns alle, ein herzliches Dankeschön für die perfekte Organisation.
B. Kemter