Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

Herbstausflug an den Geiseltalsee

Herbstausflug an den Geiseltalsee und nach Bad Lauchstädt am 20. September 2014

Bei schönem Wetter fuhren wir an den Geiseltalsee. Die Stimmung war von Anfang an prächtig, und alles klappte wie am Schnürchen. Auf dem Programm stand zunächst eine Fahrt mit dem bunten Geiseltalexpress, den wir eigens für uns gemietet hatten. So begann die etwa 40 Kilometer lange Fahrt rund um den größten künstlichen See Deutschlands (eigene Angaben des Veranstalters). Auf der asphaltierten Piste begegneten uns Radfahrer und Wanderer. Kaum zu glauben, dass noch vor zwei Jahrzehnten diese Gegend infolge Tagebau wie eine Mondlandschaft aussah. Mittlerweile hat sich die Natur – mit Hilfe des Menschen – wieder vieles zurückgeholt. Wir fuhren an vielen schönen Büschen – u.a. Sanddorn, Hartriegel, Pfaffenhütchen, Rot- und Weißdorn – vorbei, der unmittelbare Uferbereich ist mittlerweile schon von Röhricht und anderen Wasserpflanzen bewachsen. Tafeln informieren über untergegangene Dörfer, die einst dem Bergbau weichen mussten.

Dann gab es den angekündigten Halt an einer Raststätte. Sie ist etwas Besonderes: Kaum zu glauben, aber hier, nördlich der Unstrut-Anbauregionen wächst Wein. Die Winzerfamilie ist gewiss ein großes Risiko eingegangen, aber es hat sich gelohnt. An sanftem Hang ziehen sich die Weinstöcke. An der hölzernen Baude haben wir natürlich den Wein gekostet und können ihn nur empfehlen. Nun ging die Fahrt weiter, sie dauerte insgesamt etwa zwei Stunden, ehe wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehrten.

Jetzt hieß unser nächster Ort Bad Lauchstädt. Die Flotow-Oper „Martha“ stand auf dem Programm. Das Liebhabertheater ist wegen Sanierung noch von Planen umhüllt. Die Inszenierung selbst hat uns in höchstem Maße gefallen. Erstaunlich auch, wie geschickt die Musiker – immerhin ein größeres Kammerorchester – im kleinen Saal nicht nur vor der Bühne, sondern auch auf den Emporen verteilt wurden. Auf diese Weise kam eine ganz eigentümliche Akustik zusammen. Die Darbietungen der Sänger waren vom Allerfeinsten, natürlich vor allem bei den bekannten Arien wie „Letzte Rose“ oder „Martha, du entschwandest“. Manchem von uns traten Tränen in die Augen.

Nach dem Abendessen fuhren wir etwas melancholisch gestimmt – selbst der Busgesang blieb diesmal weitgehend aus – nach Gera zurück.

B. Kemter

„Der Köstritzer Liederdichter Julius Sturm“

Vortrag von Barbara Dölitzsch, Gera, am 3. September 2014

Julius Sturm wurde am 21. Juli 1816 in Bad Köstritz als ältester von fünf Brüdern geboren. Sie alle leisteten recht viel für Bad Köstritz, Gera und Umgebung. Ein Onkel oder der Vater prägten einmal das Wort: „Fünf Stürme brausen durch das Land“.

Die Referentin zieht das Werk von August Sturm, Julius‘ Sohn, als Zitatengrundlage heran. Die Zeit als Hauslehrer waren prägend für Sturms Entwicklung. So raf er 1841 auf eine Familie mit sechs Kindern. Die Eltern besaßen ein Hotel, waren hochgebildet. In den Wintermonaten abends erwartete die Kinderschar von ihm Märchen. Nachdem Grimm „durch“ war, wurde Sturm selbst zum Märchendichter.

Nach Kahnfahrten auf dem Neckar nahe Heilbronn kam mann zum Weinsberg, an dessem Fuß sich das Haus des Dichters und Geistersehers Justinus Kerner befand. Hier wurde Sturm von seinem Prinzipal eingeführt, wo er mit vielen literarischen Größen, so Uhland, David Strauß und Lenau, der hier einen Teil seines „Faust“ dichtete. Kerner erzählt: „Sturm war ein gern gesehener Gast. Aus Bescheidenheit blieb er aber — ein eher seltener Gast.“

Sturm erhielt eine Anstellung beim Kammerherrn von Metsch, wurde Erzieher von zwei acht- bzw. neunjährigen Knaben. Er gehörte zum Familienkreis. Durch häufige Einladungen gestaltete sich die Unterrichtsgestaltung sehr schwierig. Die Kinder liebten ihn. Die gesamte Familie – und mit ihr auch Julius Sturm – erkrankte schwer. Das fromme Lied „Ich halte still“ stammt aus dieser Zeit.

Sohn August fand in einem schwarzen Büchlein viele Lieder, die sich direkt auf den Tod von Julius‘ Frau, Augusts Stiefmutter, beziehen. Dies kann man ebenfalls als Ursprung für die frommen Lieder sehen.

Beide hatten eine glückliche Ehe geführt. Sohn August schreibt von einer äußerst liebevollen Mutter. Nach dem Tod ihres ersten, eigenen Kindes wandte sie sich umso liebevoller dem Kind ihrer Schwester, August, zu.

In Göschitz lebten Julius Sturm und seine Gattin Clara als echtes Dorfpfarrer-Ehepaar mit den Bauern des Ortes einträchtig zusammen. Für den außerordentlich naturverbundenen Sturm muss hier der Garten Eden gewesen sein. Für diese Zeit in Göschitz war er sehr dankbar, kam er doch mit einer weiteren Bevölkerungsgruppe in Kontakt, die der Natur ihre Erzeugnisse mühsam abringen mussten.

In Göschitz entstanden viele seiner Märchen, übrigens oft unter dem Pseudonym Jul. Stern veröffentlicht. Wieder machte das Unglück vor dem Pfarrhaus nicht halt. August Sturms Brüderchen Johannes starb an Scharlach.

Später charakterisiert Sohn August seinen Vater trotz allem als lebensbejahenden humorigen Menschen, der gern auch mal im frohen Kreis der Zecher feierte, so im Geraer „Schwarzen Casino“, auf dem Köstritzer Bahnhof oder bei August, der in Naumburg ansässig war, beim dortigen „Schweren Wagner“.

In Köstritz bezog Sturm zunächst eine Wohnung in der alten Pfarre. Hier lebte die Familie mit Schwiegervater Schottin zusammen. August beschreibt es als Kinderparadies. Das geliebte alte Pfarrhaus musste abgerissen werden, da eines Tages die Decke einbrach. Sturms Lieblingsspaziergang führte ihn immer durch den schönen Park. Von dort ging es auch auf den „Poetenweg“ in die Landschaft, zum Beispiel zu den „Drei Heiligen“, zur Oelsdorfsmühle oder zu den Zwergenhöhlen, deren Sagen Sturm besungen hat.

Sturms dichterisches Schaffen war oft mit sehr viel Leid durchdrungen. Auch gesundheitlich stand es mit ihm nicht zum Besten. Die teuren Kuren in Karlsbad wirkten bei ihm nicht allzu sehr.

In den Jahren in Bad Köstritz entstand eine Vielzahl seiner Dichtunge, zum Teil für seine Kinder Heinrich und Anna und später für seine Pflegetochter Marie Böhme. Mit Prof. Saupe entstand eine „Poetik“ und die „Lutherbilder“, allerdings unter anderem Namen. „Das Buch für meine Kinder“ enthielt Fabeln, Lieder, Märchen.

Bezeichnend für die Familie Sturm war der enge und wohl auch herzliche Kontakt zu der reussischen Fürstenfamilie.

Hier ein Beispiel seiner Dichtungen:

Der Bauer und das Kinderparadies

Der Bauer steht vor seinem Feld

und zieht die Stirne kraus in Falten:

„Ich hab‘ den Acker wohl bestellt,

auf reine Aussaat streng gehalten;

nun sehr mir eins das Unkraut an!

Das hat der böse Feind getan,“

Da kommt sein Knabe hoch beglückt,

mit bunten Blüten reich beladen;

im Felde hat er sie gepflückt,

Kornblumen sind es, Mohn und Raden.

Er jauchzt: „Sieh Vater, nur die Pracht!

Die hat der liebe Gott gemacht.“

Und ein weiteres:

Die Affen und die Flinte

Ein Jäger schlief; sein Schlaf war tief und schwer;

dicht neben ihm im Wald lag sein Gewehr.

Da schlichen Affen leise sich heran

und um die schöne Flinte war’s getan;

sie schleppten heimlich das Gewehr mit fort

tief in den Wald an einen sich’ren Ort.

Hier sprach ein Äffchen: „Seht doch, habt wohl acht,

dies Ding hat vielen von uns den Tod gebracht.“

„Hm!“ brummt ein vielgereister Pavian,

„ihr starrt das Ding hier voll Entsetzen an,

das bringt uns arme Tiere nur in Not,

doch wenn der Mensch erst sein Geschlecht bedroht,

dann nennt er noch ganz andre Waffen sein,

die hundertfachen Tod auf einmal spein;

und wer ein neues Mordgewehr ersann,

der gilt bei ihm als hochberühmter Mann.“

„Dann ist’s ein Glück“, rief froh ein Affenkind,

„dass wir nur Tiere und nicht Menschen sind.“

Allerdings verfasste Sturm, Verehrer Bismarcks, auch durchaus kriegerische Lyrik, nach dem Krieg mit Frankreich 1870 entstanden „Kampf- und Siegesgedichte“. Allerdings hat er später einiges davon relativiert.

Lesung „Schwarzes Eis“

Lesung von Sergej Lochthofen, Erfurt, am 28. August 2014

Zu Goethes Geburtstag hatten wir uns einen prominenten Gast eingeladen: Sergej Lochthofen, ehemaliger Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, Autor von „Schwarzes Eis“.

In diesem Roman beschreibt Lochthofen die Verbannung seines Vaters ins Straflager Workuta, in dem er schwere Jahre bei zahlreichen Entbehrungen verbringen musste. Sergej Lochthofen hat dort seine Kindheit verbracht.

Zwischen Gulag und Mauer, ein Leben im Schatten der „Großen Utopie“, so lautet der Leitgedanke des Romans (eine Genrezuordnung, die S. Lochthofen nicht so sieht und dennoch zutrifft).

Im Klappentext heißt es: Es ist 1937, das Jahr des Großen Terrors. In den Morgenstunden des 22. Oktober schlägt es an die Tür einer Wohnung in Engels, einer Stadt an der Wolga. Sie sind gekommen, ihn zu holen. Ihn, Lorenz Lochthofen, den Emigranten aus Dortmund. Anfang der dreißiger Jahre ist er in die Sowjetunion gegangen; er träumt von einer besseren Welt. Jetzt wird er unschuldig verurteilt und nach Workuta geschickt, jener Insel des Archipels Gulag hinter dem Polarkreis, die zum Grab für 250 000 Häftlinge wird. Nach 20 Jahren Lager und Verbannung kehrt er nach Deutschland zurück und ist überzeugt, dass er in der DDR gebraucht wird. Gibt es für ihn eine zweite Chance?

Der Sohn erzählt die Geschichte des Vaters: ein außergewöhnliches Buch über das 20. Jahrhundert, über Deutschland und Russland und über die ebenso stimulierende wie zerstörerische Kraft einer Utopie, die weltweit Millionen in ihren Bann schlug.

Lochthofen verstand es, die Zuhörer zu fesseln. Er rezitierte eloquent nicht nur Passagen aus seinem Buch, sondern wusste seine Lesung auf originelle Weise zu ergänzen. So weckte das mitgebrachte alte Grammophon die Neugier des Publikums. Alte Schlager waren zu hören, vor allem aus der Sowjetzeit. Sie verbanden auf eigentümliche Weise die heile Welt des Draußen mit dem stets bedrohten Leben im Gulag. Auch auf aktuelle Ereignisse ging Lochthofen ein, insbesondere auf den Russland-Ukraine-Konflikt. Dabei stießen seine Einschätzungen nicht immer auf Zustimmung. Das Publikum stellte zahlreiche Fragen an den Referenten und nutzte ausgiebig die Gelegenheit, Bücher signieren zu lassen.

Die Geraer Goethefreunde freuten sich über einen brechend vollen Saal, der eine glückliche Referentenwahl eindrucksvoll unter Beweis stellte.

B. Kemter

Sommerfest in Reichenfels

Sommerfest am 12. Juli

An diesem Sonnabend feierten wir unser tradtionelles Sommerfest an einem ungewöhnlichen Ort. Familie Berling, Eigentümer der Lochmühle in Hohenleuben/Reichenfels, gewährte uns ihre Gastfreundschaft. Von unseren Kulmbacher Literaturfreunden nahmen diesmal leider nur Friederike und Klaus Köstner teil, da viele Mitglieder unserer Kulmbacher Stammbesucher in Urlaub oder aus anderweitigen Gründen verhindert waren.

Hochinteressant war die Führung durch die Mühle, die Familie Berling mit Hilfe ihrer Freunde über Jahre hinweg liebevoll restauriert hatte. Wir besichtigten zunächst das Wehr, das von den damaligen Müllern sehr überlegt angelegt wurde, um das nötige Gefälle für den Mühlenbetrieb erreichen zu können. Anheimelig war es in der Müllerstube, auch machten wir uns mit der eigenen Stromerzeugung per Wasserkraft vertraut.

Reichefels war aber auch einer der wichtigen Wirkungsorte des legendären Bauerngenerals Georg Kresse, der während des Dreißigjährigen Krieges marodierende Landsknechte bekämpfte und den Armen half. Dazu gibt es eine neue Publikation, die in unserem Kreise vorgestellt wurde..

Zum Mittagsimbiss gab es Baguette und von Geli selbst angerichtete Cremes, was allen gut mundete.

Danach begann der für manche doch etwas beschwerliche Weg zur Burgruine Reichenfels. Wir besichtigten das Museum, und Erika Seidenbecher las dort aus ihrem Georg-Forster-Roman. Natürlich ließen wir hoch oben von der Burgruine unseren Blick über die idyllische Landschaft schweifen.

Danach besichtigten wir in der Hohenleubener Kirche das riesige Kalvarien-Gemälde (5,20 m x 8,70 m) des Gothaer Hofmalers Paul Emil Jacobs (1802 – 1566). Er schenkte sein Bild der Augustinerkirche in Gotha. Es verstaubte auf dem Dachboden. Nach der Wende fand sich ein geeigneter Platz nur in Hohenleuben. Seit 1998 kümmerte sich ein Förderverein um die aufwendige Restaurierung. Wir bedanken uns bei unserer Führerin von der Kirchgemeinde für ihre Erläuterung und bei Pfarrer Kummer für die Bereitstellung des Saales für unser Konzert.

Nach diesen beiden Ereignissen ließ wir uns Eis, Kuchen und Kaffee in der Eisdiele schmecken.

Anschließend begaben wir uns in die Mühle zurück. Dort erwartete uns ein reichhaltiges Büfett. Bei anregenden Gesprächen vergingen die letzten Stunden bis zur Abfahrt des Zuges wie im Fluge.

Wir bedanken uns herzlich bei Familie Berling für ihre herzliche Gastfreundschaft.

B. Kemter

Auf Werthers Spuren in Wetzlar

Ausflug nach Wetzlar vom 26. bis 29. Juni 2014

Unser Ausflug begann mit einem Abstecher nach Alsfeld. Wir besichtigten die schöne Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern, erkannten erstaunt und begeistert, dass sich der Ort stark deutscher Märchen angenommen hat. Leider war die Zeit zu kurz, um das Märchen-Museum zu besichtigen.

Den Abend verbrachten wir in einem Biergarten an der Lahn, einige erkundeten bereits die Stadt zu Fuß.

Wetzlar ist ja durch Goethes “Die Leiden des jungen Werther” bekannt. In dieser Stadt erlebte Goethe, Praktikant am Reichskammergericht, im Sommer 1772 seine tiefe, aber aussichtslose Liebe zu Charlotte Buff; eine Liebe – neben anderen Gründen -, die ihn zu seinem Bestseller inspirierten. Wie sich zeigte, sind viele Gebäude und denkwürdigen Orte, die sich um diese Geschichte ranken, erhalten geblieben. So besuchten wir das Lottehaus, eine ehemalige Niederlassung des Deutschen Ritterordens. Es diente seit 1653 den Ordensverwaltern als Wohn- und Dienstsitz. Hier wurde Charlotte Buff 1753 als zweitältestes von 16 Kindern geboren. Immerhin hatten zwölf überlebt, als Goethe am 9. Juni 1772 erstmals das Anwesen betrat. Lottes Geburtshaus ist heute ein Museum, und uns ergriff eine recht anrührende Stimmung, als wir durch die Räume gingen und gleich am Eingang die berühmte Zeichnung betrachteten, die Lotte beim Brotschneiden inmitten der Kinderschar darstellt. Danach besichtigten wir das Jerusalem-Haus. Im zweiten Stock erreichten wir Karl Wilhelm Jerusalems Wohnung, in der er sich in der Nacht auf den 30. Oktober 1772 erschoss. Im “Werther” ist das Schicksal dieses tragisch gescheiterten verewigt, wobei in die Handlung auch Goethes eigene Liebeserlebnisse eingewoben sind,Dann führte uns der Weg nach Volpertshausen. Wir besichtigten im heutigen kleinen Museum, den Ballsaal, der vollständig erhalten ist. Ein denkwürdiger Ort, verbunden mit Goethe und Lotte. Sie begegneten sich hier am 9. Juni 1772. Lotte war Verlobte von Johann Christian Kestner. Etwa 25 junge Leute nahmen an dem Tanzvergnügen teil.

Eine Besonderheit des Ortes ist die Hüttenberger Handkäs-Produktion, deren Gerätschaften wir ebenfalls besichtigten. Auch weiteres bäuerliches Arbeitsgerät und Mobiliar gab es zu sehen.

Nun führte uns der Weg nach Garbenheim, wir besichtigten dort den Goethebrunnen. Goethe hat Garbenheim oft zu Spaziergängen aufgesucht. Der Ort ist Goethes literarisches Wahlheim im “Werther”.

Den ereignisreichen Tag beschlossen wir in Wetzlar, wo wir uns in uriger Atmosphäre mit Wetzlaer Goethefreunden trafen. Es wurde ein sehr geselliger Abend. Dabei dankten wir ihnen, insbesondere Angelika Kunkel, für die gelungene Organisation. Unser herzlicher Dank gilt natürlich unserer sachkundigen Führerin an diesem Tag, Katharina Lehnert-Raabe.

Anderntags führte unsere Busreise an den Ederstausee. Dort unternahmen wir eine stimmungsvolle Schiffffahrt. Dem Schloss sich der Besuch des Waldecker Schlosses an. Wegen einer großen Triathlon-Veranstaltung konnten wir in Waldeck nicht bleiben. So fuhren wir zur Hardtmühle bei Bad Wildungen. Es ist eine idyllische Gegend, die uns ausnehmend gefiel. Neugierig machten wir uns ebenfalls mit der dortigen Eelsteinschleiferei bekannt.

Nach einem kleinen Frühschoppen ging es am Sonntagmorgen nach Hause – mit Zwischenstopp in Eisenach.

Frühlingsausflug nach Wonsees/Sanspareil

Frühjahrsausflug nach Wonsees/Sanspareil am 24. Mai 2014

Unser Frühjahrsausflug  hielt schöne Erlebnisse parat. In Sanspareil befindet sich ja ein attraktives, erstaunlich vielseitiges Ensemble verschiedenartiger Bauwerke. Wir konnten sie mit lieben Kulmbacher Literaturfreunden, mit denen wir seit Jahren verbunden sind, genießen.

Zuerst besuchten wir die vollkommen intakte mittelalterliche Burg Zwernitz. Sie ist beispielsweise dadurch bekannt, dass hier zum ersten Mal die Hussiten 1430 gestoppt werden konnten. Deren Führer Prokop erklärte sich zur Zahlung eines Lösegeldes bereit, wodurch das Hochstift Bamberg vor Plünderungen geschont werden konnte. Dafür wurde die südlichen Gebiete bis kurz vor Nürnberg in Mitleidenschaft gezogen. Sodann besichtigten wir den exotischen Morgenländischen Bau, dessen Vorfeld ein kleiner Rokoko-Garten schmückt. In diesem Bau konnte sich die Hofgesellschaft ihren Vergnügungen hingeben. Dem schloss sich ein Besuch des ebenfalls von Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth angelegten englischen, sehr romantischen Felsengarten an. Hier erfolgte im offenen Felsentheater, mitten im Wald, der Auftritt unseres Mitglieds Otti Planerer, die sehr gekonnt ihre Rezitationen vortrug.

Nebenbei: Leider war es vor Ort nicht möglich, Sitzgelegenheiten für das Felsentheater zu beschaffen. Wir mussten also etliche Bänke mitbringen. Glücklicherweise fanden sich hilfsbereite Hände, die das Sitzmobiliar etwa 800 Meter durch den Wald hin- und auch wieder zurücktrugen.

Den ereignisreichen Tag beschlossen wir in gemütlicher Runde in einem Wonseer Gasthof.

„Goethe und Brasilien“

Vortrag von Sylk Schneider, Weimar, am 4.Juni 2014

Wer hat je davon gehört, dass Goethe in Brasilien gewesen sei? Das fragten sich die Mitglieder der Goethe-Gesellschaft Gera vor Beginn der Veranstaltung.

Brasilien war zu Goethes Zeiten ein noch rel. unbekanntes Land und wurde als „Land der Menschenfresser“ von vielen ignoriert, so auch von Goethe in seinem Gedicht „Todeslied eines Gefangenen“ 1782. Erst in seinen späten Lebensjahren wurde Goethes Interesse an Brasilien geweckt. Er beschäftigte sich intensiv mit allem, was Brasilienreisende an Erkenntnissen mit nach Europa brachten. Im Jahr 1825 sind das nach seinen Tagebuchaufzeichnungen ca. 200 Std. gewesen, die er allein diesem Thema widmete.

!806 war die Schlacht bei Jena und Auerstedt, aber Napoleon überfiel in diesem Jahr auch Portugal. Der König floh mit seinem gesamten Hofstaat auf 30 Schiffen nach Brasilien, der damaligen Kolonie des Landes, arm und unterentwickelt. Das änderte sich mit der Ankunft des Königs, der aus Europa das „know how“ mitbrachte und Industrie, Häfen, Druckereien etc. ins Leben rief. In den späteren Jahren regierte er Portugal von Brasilien aus.

Schon seit langer Zeit weckt Brasilien auch das Interesse deutscher Gelehrter. Alexander von Humboldt bereiste das Land 1799 – 1804 und bewies u.a. den Zusammenfluss von Amazonas und Orinoko. Er schrieb 1807 an Goethe und widmete ihm einen Teil seiner Reisebeschreibungen. Goethes Interesse war geweckt. Er schreibt in einem Brief an Knebel, er hätte Lust, eine Reise nach „Indien“ zu machen.

Aber auch andere Europäer wurden in Brasilien tätig. Ludwig Baron von Eschwege, einem hessischen Adligen, dem die Heirat mit Sophie v. Baumbach versagt wurde, weil er nicht begütert genug war, ging 1804 nach Portugal und dann nach Brasilien. Dort baute er das Geologische Kabinett auf und gründete die erste Eisenerzhütte. Eschwege wurde in Brasilien reich. Als er 1822 zurück nach Europa kam, ging er nach Weimar, weil Sophie v. Baumbach dort Hofdame war und heiratete seine Jugendliebe. Goethe fragte Eschwege nach Brasilien aus. Man fand dort Mineralien und Diamanten, die auch Carl Augusts Interesse weckten. 1800 Taler stellte er für entsprechende Ankäufe bereit.

1817 sollte eine Brasilien –Expedition starten, an der sich der Herzog wiederum mit 1000 Talern beteiligen wollte. Ein Wissenschaftler sollte die Expedition begleiten. Die Reise kam jedoch nicht zustande.

Mit Graf v. Sternberg, der das Naturkunde -Museum in Prag gründete, hatte Goethe einen lebhaften Briefwechsel. Es gab auch zwischenzeitlich Brasilien- Literatur, die Goethe anschaffte und z.T. übersetzen ließ.

1815 – 1817 war Prinz Wied zu Neuwied auch in Brasilien. Seine Beschreibungen der Natur- und Pflanzenwelt Brasiliens mit Zeichnungen und Naturgemälden war beeindruckend. Er entdeckte in Bahia eine neue Pflanze, eine brasilianische Malvenart, die er „Goethea“ nannte. Bis heute ist damit Goethes Name als „Brasilianist“ geehrt.

Ritter von Martius, ein junger Mann, der mit seinen Werken („Flora Brasiliensis“ und über die Palmenarten Brasiliens) bedeutendes schuf, war einer der wichtigsten Gesprächspartner Goethes. Er nahm, so heißt es, nur 2 Bücher nach Brasilien mit: die Bibel und Goethes „Faust“. Es gab auch einen regen Briefwechsel zwischen den beiden.

Zitat:„Die berühmte „Reise in Brasilien“ von Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Phillipp von Martius ist bis in die heutige Zeit ein Referenzwerk für Historiker, Naturkundler und Brasilienforscher. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses große Werk auch den Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe in seinen Bann zog, der sich damals, schon in hohem Alter, gerade dem zweiten Teil des „Faust“ widmete. Das Interesse an Brasiliens Flora und Fauna im damaligen Weimar war groß; es ist daher bezeichnend, dass auch in Goethes Bibliothek Studien zu diesen Themen zu finden waren. Dies wiederum regt uns an, darüber nachzudenken, wie sehr Brasilien die Phantasie Goethes beflügelt haben könnte…“(aus dem Grußwort des bras. Botschafters Correa in Deutschland)

Goethe hatte gern Gäste zu Besuch, auch Brasilien- Reisende, die er befragte, weil er im hohen Alter selbst nicht mehr reisen konnte.

1822 erklärte Brasilien seine Unabhängigkeit, die von Deutschland auch anerkannt wurde. Die deutsche Einwanderung nach Brasilien, von der österreichischen Prinzessin Leopoldina, Gemahlin von Kaiser Pedro I. gezielt gefördert, nahm 1824 ihren organisierten Anfang.

Der Dichterfürst Goethe – oder, wie es Dr. Ernst Feder 1932 ausdrückte: Goethe der Brasilianer – hätte zumindest in Gedanken einer von ihnen sein können.

Goethea“

1932, zum 100. Todestag Goethes, wurde in Rio de Janeiro ein Naturschutzgebiet der „Goethea“ zu Ehren errichtet. In vielen Botanischen Gärten wird dieser brasilianischen Malvenart Ehre erwiesen und auf die Verbindungen zu Goethe und Goethes Brasilieninteresse hingewiesen.

Marianne Heide

„Wagner und Goethe“

Vortrag von Barbara Kiem, Freiburg/Breisgau, am 7. Mai 2014

Noch in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts sympathisierte Wagner mit der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung und während seines ganzen Lebens pflegte er freundschaftliche Kontakte zu Juden, welche ihn sogar mehrfach auf interessante deutsche Themen aufmerksam machten. Plötzlich, unerwartet gibt er seine Standpunkte auf zugunsten einer antijüdischen Haltung, er reitet diese Attacke gegen seinen Komponistenkollegen Meyerbeer und verwirft alles vermeintlich Jüdische in der Musik. Später hat er seine Ansichten modifiziert und teilweise zurückgenommen; aber sie bleiben widersprüchlich.

Es waren keine weltanschaulichen oder politischen Intentionen, sondern sehr persönliche Motive, die ihn zu diesem affektgeladenen Ausbruch trieben. Neid und Konkurrenz spielten eine Rolle, zurückgehend auf seine entbehrungsreiche Leidenszeit in Paris.

Die Empörung über die oberflächlichen und korrupten Pariser Kunstangelegenheiten äußerte Wagner schon in seinem Aufsatz >Kunst und Revolution<. Er geißelt den Kapitalismus als das Schlimmste aller modernen Übel, z. B. schreibt er: „Wundern wir uns daher nicht, wenn auch die Kunst nach dem Gelde geht […] unser Gott ist das Geld, unsere Religion der Gelderwerb.“ Mit dem Gelderwerb wird Wagner während seines ganzen Lebens das Judentum verbinden als eine verderbliche Kulturmacht, die mit Krediten Staaten unter Druck setzt und Kriege finanziert.

In dem späten Essay über >Religion und Kunst< finden sich Äußerungen über die jüdische Religion, deren alttestamentarische Härte Wagner entschieden ablehnt: Die religiösen Anweisungen bestünden nur aus Verboten. Demgegenüber lobpreist er die christliche Mitleids- und Versöhnungsreligion, so wie er sie in seinem letzten Werk, dem >Parsifal< künstlerisch zu überhöhen suchte.

Gerade für Wagners späte Werke konnten sich bis in unsere Zeit hinein auffällig viele jüdische Musiker begeistern, besonders auch berühmte Dirigenten wie z. B. Levi in Bayreuth oder Gustav Mahler, Bruno Walter, Bernstein, Solti bis hin zu Barenboim. Alle fühlten sich auch den Idealen verpflichtet, die Wagner mit spezifisch deutscher Kunst verband.

Für Wagner waren Goethe und Beethoven die beiden Repräsentanten der deutschen Kultur schlechthin. So hat er z. B. in einer Dresdner Aufführung die 9. Symphonie und Texte aus dem Faust miteinander verschränkt, da beide Werke, wie Wagner sagt: „Die ihr zugrunde liegenden höheren menschlichen Seelenstimmungen exemplarisch und wahrhaft auszudrücken vermögen.“ Wagner sah das hochwelthaltige deutsche Kulturleben vornehmlich in Weimar zentriert als einen inspirierenden Kraftquell und er spricht vom „Weimarischen Wunder“. Goethe selbst hatte schon auf die „Erwählung“ Weimars hingewiesen in seinem Gedicht: >Auf Miedings Tod<. Hier heißt es: Oh Weimar! Dir fiel ein besonders Los. / Wie Betlehem in Juda klein und groß!

Wagner hatte sogar die Absicht, in der Zusammenarbeit mit Franz Liszt dem Ort etwas von seinem alten Glanz zurückzugeben, was sich aber wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verwirklichen ließ; er hatte sich ja an der 1848er Revolution beteiligt, wurde steckbrieflich verfolgt und musste acht Jahre lang in der Emigration leben.

Nach Goethes Tod wollte der Weimarer Hof eine Künstlerpersönlichkeit mit internationalem Ruf gewinnen. Der Weltbürger Liszt fühlte sich dem Anspruch gewachsen, das Erbe Goethes, Herders und Schillers anzutreten und so Elemente der französischen Romantik mit der Tradition der Weimarer, wie auch der Wiener Klassik zusammenzuführen. Mit dem Freund Richard Wagner wollte Franz Liszt das „Weimarische Wunder“ wiederholen. Für beide wurde die Auseinandersetzung mit den Weimarer Klassikern richtungweisend. So zieht sich die stete Beschäftigung mit Goethe wie ein roter Faden durch Wagners gesamtes Leben – was durch Briefe, Essays und Cosimas Tagebücher zu belegen ist. Wagner schätzte besonders die großen Dramen wie Torquato Tasso und natürlich ganz besonders den Faust. Die Wilhelm-Meister-Romane oder die Wahlverwandtschaften hat er mehrfach gelesen. Er widmete sich aber auch weniger bekannten Werken wie z. B. der dramatischen Grille >Der Triumph der Empfindsamkeit<. Goethes Lyrik beachtete er dagegen selten, ausgenommen das Jugendgedicht >Hans Sachsens poetische Sendung<, ein wichtiger Inspirationsquell für die Realisation der >Meistersinger<.

Während der wiederholten Lektüre des Tasso bemerkt Wagner staunend zu Cosima: „Das ist doch ein einziges Gedicht und ich wüsste ihm durchaus nichts zu vergleichen. Wie das Goethe schreiben konnte!“ Wagner wundert sich, wie Goethe es vermochte, die moralischen Positionen so präzise auszubalancieren: Die feudalen Strukturen und die Mentalität des Künstlers, der sich nicht beugen, sich nicht unterordnen kann, der auch in seiner Liebesleidenschaft alle Konventionen durchbricht und daher von der Gesellschaft krass zurückgewiesen wird. Wagner sinniert: „Wer hat hier recht? Wer unrecht? Es sieht ein jeder, wie er’s sieht und nicht anders sehen kann.“ Und er konstatiert, nur das Herz könne urteilen, im Recht sei „wer am meisten leidet“.

In Wagners >Tristan< stoßen auch zwei nicht zu vereinbarende moralische Welten aufeinander: die Ethik der ritterlichen Tugend und die Sphäre der „Heiligen Nacht“, die alle Erscheinungsformen der Tageshelle als täuschenden Schein entlarvt.

Im Zusammenhang mit dem >Tasso< äußert sich Wagner noch zu einem anderen Problemkreis. Im Unterschied zu Goethes vollkommenem „rein dichterischen Theaterstück“ erzeuge sein musikalisches Gedicht durch das erklärende Element der Musik – es ist das hermeneutische Organ des Orchesters – die Hauptwirkung.

Die höchste lebensvolle dichterische Aussage schreibt Wagner Goethes Faust-Drama zu. In dem Aufsatz >Über Schauspieler und Sänger< heißt es: „Ein unbegreifliches Kunstwerk liegt uns Deutschen in Goethes Faust noch als ungelöstes Rätsel vor.“ Und Wagner führt weiterhin aus: Kein Theaterstück der Welt verfüge über eine solche szenische Kraft wie gerade der unverstandene zweite Teil der Tragödie. Das Faust-Drama ist für Wagner das einzige deutsche Originalstück von allerhöchstem dichterischem Wert. Auf Faust und die Symphonien Beethovens könne Deutschland stolz sein. Noch 1873 bemerkt er: „Der Faust sollte eigentlich die Bibel sein, ein jeder sollte jeden Vers auswendig wissen.“ Wagner lobt die Sprachgewalt und vor allem die gesamte Dramaturgie, während er die Figur des Faust durchaus kritisch betrachten kann. Für Wagner ist Faust die Personifikation der modernen Entfremdung zwischen Ich und Welt, die erst im Erlösungsmythos der Liebe aufgehoben wäre. In einem Brief an Mathilde Wesendonk von 1858 wehrt sich Wagner dagegen, dass die Freundin aus der Figur des Faust einen edelsten Menschentypus machen wolle. Es sei gut, dass der unentwickelte Faust in die Welt geschickt werde, um zu lernen, was einzig wichtig sei, nämlich zu lieben. Wagner schreibt in diesem Brief: „Ach, wie glücklich ist aber der Dichter, als er ihn aus der Seelentiefe dieser Liebe (nämlich Gretchens) heraus hat, um ihn eines Morgens die ganze Geschichte spurlos vergessen zu lassen, damit er nun die eigentlich große Welt, die antike Kunstwelt, die praktisch-industrielle Welt mit möglichstem Behagen vor seiner recht objektiven Betrachtung abspielen lassen könne. So heißt dieser Faust für mich eigentlich nur die versäumte Gelegenheit; und diese Gelegenheit war keine geringere, als die einzige des Heiles und der Erlösung. Das fühlt auch der graue Sünder schließlich, und sucht das Versäumte recht ersichtlich durch ein Schlusstableau nachzuholen – so außerhalb liegend, nach dem Tode, wo’s ihn nicht mehr geniert, sondern nur recht angenehm sein kann, von dem Engel an die Brust genommen, und gar wohl zu neuem Leben geweckt zu werden.“

Wie bereits erwähnt, die Beschäftigung mit Goethes Faust gehört zu den Konstanten in Wagners Leben. Als Kenner der antiken Verstragödien galt seine Liebe besonders dem zweiten Teil, der klassischen Walpurgisnacht. In den Gesprächen mit Cosima hat er immer wieder seine Konzeption des Musikdramas auf Goethes Faust bezogen. Was den Faust und Wagners Ring verbindet: Beide Dramen verweisen nicht nur auf archaische Zeiten zurück, sondern machen aktuelle, auch künftige Erlebnisse erfahrbar. Faust wie auch der Ring brechen mit den konventionellen Theatertraditionen und sprengen alle bisherigen Maße, wie Kunst sich darzustellen hat. Wagner sieht sich in einer ähnlichen Situation wie Goethe, auch er gestaltet in der Breite seiner Tetralogie eine komplexe weitverzweigte Handlung; er erfindet einen umfassenden Weltmythos.

Wagners eigene Laufbahn hatte mit Goethe-Anlehnungen begonnen. Sein Schauspiel >Leubald und Adelaide< ist sicher von Goethes >Götz< beeinflusst. Der erste Opernversuch, die >Schäferoper<, ist durch Goethes Schäferspiel >Die Laune des Verliebten< angeregt. 1831 auch noch zu Lebzeiten des Dichters, entstanden die >Sieben Kompositionen zu Goethes Faust< und die Ouvertüre mit der Titulierung >Eine Faust Ouvertüre<, was wiederum Liszt veranlasste, seine Symphonie >Eine Faust-Symphonie< zu nennen. Die Formulierung „Eine“ meint: Eine Annäherung von vielen, denn es können immer nur Teilaspekte umgesetzt werden, die vollständige Vertonung des Riesenwerkes kann nicht gelingen. Auch Schumanns oder Mahlers Musikalisierungen greifen nur einzelne Szenen auf.

Interessant ist: Kein anderes Sprechdrama ist so sehr von unhörbarer Musik durchklungen wie gerade Goethes Faust – wie eine imaginäre Oper.

Vor allem im zweiten Teil nähert sich die Faust-Dichtung einem musikalischen Gesamtkunstwerk an. Vor allem im zweiten Teil nähert sich die Faust-Dichtung einem musikalischen Gesamtkunstwerk an. Goethe hat ja der Opernform eine wichtige Bedeutung zuerkannt. 1779 schreibt er: „Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, dass ich manchen Gegenstand darin behandelt.“ Durch die Opernform lässt sich für Goethe das „Kunstwahre“ vom „Naturwahren“ unterscheiden. So spricht auch Schiller in einem Brief an Goethe über sein Vertrauen in die Oper; dieser Gattung könne es gelingen, durch die Macht der Musik sich zu wappnen gegen eine reine Naturnachahmung.

Bereits Faust I enthält vielfältige musikanaloge Strukturen – wie der Prolog im Himmel oder die Osterfeier mit Glockenklang und Chor, dann der Gesang der Bettler, der Bauern oder die Geister im Studierzimmer. Weiterhin das Flohlied des Mephisto, die Lieder der Studenten in Auerbachs Keller – ich überspringe einige Inzidenzmusiken – auf jeden Fall zu nennen ist: das Dies irae des Chors, das einer Opernszene ähnelt, und schließlich die Kerkerszene: Gretchens Wahnsinnsgesang.

Im zweiten Teil der Dichtung steigert sich die musikbezogene Ausgestaltung; der Helena-Akt vertauscht die antike Tragödienform gegen die einer Oper. Goethe und Schiller vertraten ja die Ansicht, dass die bildende Kunst sich besonders ausgeprägt in der Antike entfalten konnte, während zu ihrer Lebenszeit die Musik zur exemplarischen Kunst aufsteigen sollte. Diese neue musikalische Poesie wird bei Goethe durch die Vermählung von Faust und Helena geboren.

Der Genius der neuen musikalischen Poesie, Euphorion, der Sohn Helenas und Fausts erscheint. Es folgt ein doppeltes Duett zwischen Faust und Euphorion – und Helena und Euphorion, das durch den Chor abgeschlossen wird. Wechselgesänge und Tänze vereinigen sich zu einem Ensemble.

Eine Anweisung Goethes lautet: „Ein reizendes, rein melodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.“ So Goethe. In die vollstimmige Musik mischen sich plötzlich Klagerufe Euphorions und der Trauergesang des Chores. Die Szene endet mit dem tödlichen Sturz Euphorions. „Völlige Pause. Die Musik hört auf“, bemerkt Goethe. Auch nach der Pause erklingt keine Musik mehr – die Antike nimmt wieder Gestalt an. Es ist eine der eindrucksvollsten Musikszenen des zweiten Teils der Tragödie.

Goethes Drama hatte begonnen mit der musica mundana, durchmisst verschiedenste musikalische Möglichkeiten, vom Trinklied bis zur Musik der Engel, und kehrt am Ende zurück zur Uridee als Ausdruck der Sinnenfreude oder der kathartischen Sphärenmusik. Zum Schluss wird das Tragische aufgehoben – der Titelheld wird erlöst durch die Macht der Liebe. Versöhnliche Klänge der Sphärenmusik werden hörbar bis zu den vielzitierten Schlussversen; in der Verehrung des „Ewig-Weiblichen“, das uns hinanzieht, lässt der Chorus mysticus jenen Stufenweg höchster Liebe ahnen, wie ihn auch der Gral lehrt.

Es ist eine Gemeinsamkeit der beiden Künstler Goethe und Wagner: ihre Ausnahme-Dramen sind apotheotisch von der Liebe überwölbt.

Wie bei Goethe wird auch in Wagners Musikdramen die Liebe in all ihren Schattierungen glorifiziert – die irdische und die himmlische Liebe, die als erlösende kosmogenische Urmacht erscheint – ihr gehören die letzten Momente des Faust-Dramas wie die Schlussklänge der Götterdämmerung und die mystischen Stimmen aus der Kuppel im Parsifal – Liebe und Erlösung preisend.

Goethe-Nachklänge, Reminiszenzen, lassen sich bis in die Versgestalt des >Tristan< verfolgen: So wie die an den Schluss des Faust erinnernden Kurzverse, wenn Tristan und Isolde im zweiten Akt den Hymnus auf die Liebe singen:

Ohne Gleiche / Überreiche

Eine beinahe wörtliche Übernahme aus der Schlussszene des Faust II, wenn der Chor der Büßerinnen die Himmelskönigin anbetet:

Du Ohnegleiche / Du Gnadenreiche“

Ähnlich beginnt auch das Gebet Gretchens im ersten Teil:

Du Ohnegleiche, Du Strahlenreiche“

Und in der Bergschluchten-Szene zum Ende des Faust-Dramas sieht der Doktor Marianus inmitten der nach oben schwebenden heiligen Frauen die Mater gloriosa:

Die Herrliche mittenin / im Strahlenkranze, die Himmelskönigin / ich seh’s am Glanze!“

Der Sternenkranz ist das Symbol der Himmelskönigin, der Assunta.

Auch eine aufwärtsstrebende Bewegung zeichnet Isoldes Gesang zum Ende des >Tristan<. Sie singt: „Säht ihr’s nicht: Immer lichter wie er leuchtet / Stern umstrahlend hoch sich hebend?“ Die Apotheose der Liebe – ein Transzendieren, ein entzücktes Verklären – ähnlich den anderen großen Werken Wagners. Wie Goethe schreibt auch Wagner der Aura von Madonnendarstellungen eine Wirkung auf die eigene kreative Arbeit zu. Schon im >Tannhäuser< findet man diese eigentümliche Marienverehrung und er verweist wiederum auf Goethe, wenn er schreibt: „dass der größte deutsche Dichter mit der beseligenden Anbetung der Mater gloriosa als höchstem Ideal des fleckenlos Reinen sein Drama beschloss.“ Wagners >Marienlob< ist zweifellos keine Sache des Glaubens, sondern der Kunst. Im Gegensatz zu Goethe muss Wagner seine Sprachdichtung schon auf die Synthese mit der Musik vorbereiten; eine musikalische Stimmung ist der vorangehende Quell für das Auffassen des Wortsinnes. Wagner schreibt also nicht zuerst ein Drama, um es dann nachträglich in Musik zu setzen.

Goethes Einfluss wird wiederum konkret fassbar bei der Gestaltung der >Meistersinger<. Diese Oper ist wie kein anderes Werk Wagners von den Nazis vereinnahmt worden. Der politische Missbrauch der >Meistersinger< erfolgte bereits nach dem Ersten Weltkrieg. Ganz allmählich färbte sich der Bayreuther Hügel braun ein und die >Meistersinger< wurden immer mehr politisiert. 1933 bei den Bayreuther Festspielen hielt Goebbels eine Rede, mit der er dieses Werk endgültig für den Nationalsozialismus beschlagnahmte. Der >Wach auf-Chor< wird als Aufruf zur nationalen Revolution umgewidmet. Zehn Jahre später während der sogenannten Kriegsfestspiele 1943 und 1944 werden in Bayreuth nur noch die >Meistersinger< gegeben. Unter Beteiligung von Hitler-Jungen und BDM-Mädchen wird die Festwiesen-Szene im Stil der NS-Aufmärsche als Großkundgebung inszeniert. Hitler trieb die Indienstnahme auf die Spitze, als er das Werk „zum Festspiel der Reichsparteitage für alle Zeiten“ erklärte.

Die einzige Oper Wagners mit auffällig komischen Zügen wirft also besonders lange dunkle Schatten und wird abwertend mit dem schlimmsten schwärzesten Abschnitt der deutschen Geschichte in Verbindung gebracht. In seinen Schriften würdigt Wagner Hans Sachs in Zusammenhang mit der Faust-Dichtung. Goethes Begegnung mit dem Nürnberger Meister sei der Grund für das „ungeheuer Volkstümliche“ des Faust. Im Charakter des Altvertrauten malt Goethe in seinem langen Gedicht >Hans Sachsens poetische Sendung< ein holzschnittartiges Bild des sinnenden Poeten und Schuhmachers.

In seiner Werkstatt sonntags früh

Steht unser treuer Meister hie:

Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,

Einen saubern Feierwams er trägt,

Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,

Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;

Er ruht nun auch am siebten Tag

von manchem Zug und manchem Schlag…

Ich möchte meinen Beitrag mit einer Äußerung von Thomas Mann beschließen. Bei ihm klingt eine ähnliche überregionale Tendenz auf. Thomas Mann sucht das „Europäische auf Deutsch“. Im Deutschen habe er „immer die Welt, immer Europa gesucht“. Dieses Deutschland zeigt sich für ihn im krassen Gegensatz zu jener Schreckensinspiration, die ihn aus Deutschland vertrieb. Thomas Mann verteidigt Wagner gegen seine nationalsozialistische Verhunzung. Er sucht die beiden polaren Gestalten Goethe und Wagner in ein anderes Deutschland zu integrieren, was er so ausdrückt: „Es tut wohl, den Wagnerschen Genius sich hier […] vor dem Goethes neigen zu sehen; es ist ein hochmerkwürdiges Vorkommnis, die Berührung dieser beiden sonst so entgegengesetzten, so polarisch voneinander entfernten Sphären; es beruhigt und beglückt, dies Erlebnis, zwei gewaltige und kontradiktorische Ausformungen des vielumfassenden Deutschtums, die nordisch-musikalische und die mittelländisch-plastische auf einmal befreundet zusammentreten zu sehen. Denn beides sind ja wir – Goethe und Wagner –, beides ist Deutschland.“

„Denn nur von Lust ertönt mein Saitenspiel“ – anakreontisches Dichten

Vortrag von Prof. Hans-Joachim Kertscher, Halle, am 2. April 2014

Das 18. Jahrhundert wird oft in der Forschung als ein Zeitraum charakterisiert, in dem sich neue Formen einer Geselligkeit herausbilden, die mit dem Attribut „bürgerlich“ näher bezeichnet und damit dem feudalen Geselligkeitsideal diametral gegenübergestellt werden. Gerade Halle bot sich hierfür an, als eine Stadt „vieler feiner und geschickter Köpfe und gelehrter Leute“ (Hieronymus Megiser). Sie ist geradezu prädestiniert für die Gründung einer Universität.

Nach der 1694 erfolgten Gründung der Fridericiana ist davon nicht mehr viel zu spüren. Der nach dem Tod Luthers (1546) einsetzende Streit um die Adiaphora (Mitteldinge) wie Tanzen, Spaziergang, Theater und andere Vergnügungen, die in der Bibel weder als gut noch böse apostrophiert erscheinen, sollte nun entschieden werden. Der Streit endete zunächst ergebnislos. Erst angesichts der rohen Sitten infolge des Dreißigjährigen Krieges mit seinen kulturellen Ausschweifungen, ihren frivolen Tänzen, barbarischen Trinkgelagen und banalen Komödien fühlten sich hallesche Pietisten bemüßigt, den Streit wieder aufzunehmen und bis zum Ende auszufechten – dies, indem sie die Adiaphora als böse kennzeichneten. Selbst die laute fröhliche Unterhaltung, schöne Blüten und das Singen der Vögel galten als bedenklich.

Die Kollegien an der Universität erhielten folglich den Charakter von Erbauungsstunden, die Erweckung wurde zur Hauptsache, das emsige, geduldige Arbeiten in menschlicher Wissenschaft erschien fast überflüssig. Alle Gläubigen jubelten über die wundervollen Offenbarungen göttlicher Gnade, die Gegner klagten über zunehmende Melancholie, über Geistesstörungen und Verrücktheiten der schlimmsten Art.

Es ist für Halle aus den genannten Gründen typisch, dass sich gesellige Runden zunächst nur zur Pflege einer gelehrten Geselligkeit zusammenfanden. Um 1733 hatte sich in Halle u. a. Eine von dem Theologiestudenten Samuel Gotthold Lange gegründete Gesellschaft zur Beförderung der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit etabliert. Mit der Aufnahme von Immanuel Jacob Pyra (1715 – 1744) wurde das Unternehmen etwa um 1735 stark belebt. Der Erste Hallesche Dichterkreis, in dessen Tradition beispielsweise Klopstock und Hölderlin einzubetten wären, hatte sich konstituiert. Ein Lehrgedicht Pyras, das dieser seinem Freund und Kommilitonen Lange zum Amtsantritt als Pastor in Laublingen zugeignet hatte, begründet die Poetologie, der sich die beiden Dichterfreunde verpflichtet fühlten. Beide präsentieren ein neues Geselligkeits- und Freúndschaftsideal. Man beschäftigt sich mit Übersetzungen der lateinischen Oden von Horaz (65 – 8 v.Chr.), und es entstehen die deutlich von den Römern beeinflussten Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. In dieser Sammlung finden die Autoren, deren erste Gedichte noch sehr stark von einer pietistischen Innerlichkeit geprägt waren, auch neue Töne lyrischen Schreibens. Sie feiern die Freundschaft, empfinden Naturerlebnisse lyrisch nach und stellen damit der dominierenden rationalistischen Dichtung neue Akzente entgegen.

Zu den Dichtern des Zweiten Halleschen Dichterkreise gehörte Johann Peter Uz (1720 – 1796). Er wie die anderen jungen Dichter stellten dem pietistischen Erweckungserlebnis die scherzhafte, eben anakreonistische Erweckung gegenüber. Neben Uz gehörten zu dem Dichterkreis der Jurastudetn Johann Wilhelm Kudwig Gleim (1720 – 1803), der später als deutscher Anakreon gefeiert wurde, der Theologiestudent Johann Nikolaus Götz (1721 – 1781) und der Fecht- und Sprachlehrer Paul Jacob Rudnick (1719 – 1741).

Gleim: Zu Gedichten im Stile Anakreons, versuchte Gleim, die Ballade im deutschen Sprachraum sesshaft zu machen. Spektakuläres leistete der unermüdlich am Plan einer Deutschen Literaurgesellschaft schmiedende Organisator Gleim. Von Halberstadt aus betrieb er ein weit verzweigtes Korrespondenznetz, in das über 500 Briefpartner einbezogen waren. Sein „Freundschaftstempel“ mit nahezu 150 Porträts bedeutender Zeitgenossen, seine Bibliothek mit über 11000 Bäden, die Kleinodien der deutschen Literaturgeschichte birgt, sowie seine Handschriftensammlung stellen wesentliche Quellen für Forschungen zum 18. Jahrhundert dar. Auch als Mäzen für junge Dichter ist Gleim aus der deutschen Kulturgeschichte nich wegzudenken. Anna Louisa Karsch, Johann Georg Jacobi, Gottfried August Bürger, Wilhelm Heinse, Johann Heinrich Voß, Johann Gottfried Seume und Jean Paul gehörten zu seinen Schützlingen.

Der Begriff „Anakreontik“ geht auf das Vorbild Anakreons aus Teos zurück, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. lebte. Er ist in die Literaturgeschichte fälschlicherweise als Dichter des Weins, der Liebe und des Gesangs eingegangen. Von Anakreon selbst sind uns nur drei vollständige Gedichte und etwa 150 Fragmente überliefert. Sie widmen sich unterschiedlichen Themen, so auch dem Wein und der Liebe. Die Bezeichnung Anakreontik aber geht auf 60 Gedichte von Anakreon-Epigonen aus späthellenistischer Zeit zurück. Diese, auch Anakreonteen genannten Texte wurden 1554 von Henri Estiennes publiziert. „Die strophenlose Odenform, der reimlose anakreontische Kurzvers, die Neigung zu anaphorischer Reimung, die liebevolle, oft allegorisch-verblümte Darstellung kleiner poetischer Gegenstände und die ihnen angeglichene, leichte, jedes bedeutungsschwere Wort scheuende Sprache“ sind kennzeichnend für die von Estienne publizierten anakreontischen Strophen.

Freilich wäre es falsch, den Sängern des Weins und der Liebe, wie dies zeitgenössische Kritiker taten, Alkoholismus und Werbung für häufig wechselnden Geschlechtsverkehr, nachzusagen. Es handelte sich nicht nämlich nicht um Erlebnisgedichte, die Feier fand im Gedicht, nicht in der Realität, statt.

So formulierte Friedrich von Hagdedorn in seinem Gedicht „An die heutigen Encratiten“:

Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen

Ist höchstens nur der Wenden Lust:

Wie Kluge zu geniessen wissen

Verbleibt dem Pöbel unbewusst,

Dem Pöbel, der in Gift verkehret

Was unserm Leben Stärkung bringt,

Und der die Becher wirklich leeret,

Wovon der Dichter doch nur singt.“

Auch Johann Peter Uz wollte dieser Art des realen Genusses den biederen Bürgern überlassen:

Trinkt euern Wein in Ruh

und schlaft bei euern Weibern.

So nutzt ihr doch dem Vaterland

Und wenigstens mit euern Leibern.“

Die erste größere Publikation aus der Mitte der halleschen Anakreontiker war die 1746 publizierte Übersetzung der Anakreonteen unter dem Titel „Die Oden Anakreons in reimlosen Versen“. Dies war ein Gemneinschaftswerk von Götz und Uz. Die erste Publikation mit eigenen anakreontischen Texten stammt von Gleim. Sie kam 1744 anonym unter dem Titel „Versuch in Scherzhaften Liedern“ heraus und fand rasch Verbreitung. Somit wurde Gleim als „deutscher Anakreon“ gefeiert. Johann Nikolaus Götz folgte Gleim 1745 mit dem „Versuch eines Wormsers in Gedichten“, ebenfalls anonym erschienen. Uz schließlich publizierte 1749 seine „Lyrischen Gedichte“. Sie wurden von Gleim herausgegeben. Hier findet sich die Ode „Die lyrische Muse“ mit den folgenden Versen:

„Denn nur von Lust erklingt mein Saitenspiel,

Und nicht von Leichen vollem Sande

Und kriegrischem Gewühl

Und vom gekrönten Sieg im blutigen Gewande.

Uz‘ Muse gibt sich – im Gegensatz zu der seines Freundes Gleim – ebenfals betont unkriegerisch. „Krieg und Helden sind kein Stoff für meine Lieder“, schreibt er 1757 nach Halberstadt. Selbst in seiner Ode „Das bedrängte Deutschland“ lautet die letzte Strophe:

„Doch mein Gesang wagt allzuviel!

O Muse! Fleuch zu diesen Zeiten

Alkäeus kriegrich Saitenspiel,

Das die Tyrannen schalt

und scherz auf sanften Saiten.“

Reduziert man Aufklärung auf Begriffe wie Selbstdenken und Vernunftprimat, wird man die Anakreontik wohl schwerklich zu ihr rechnen können. Begreift man jedoch Aufklärung als eine Bewegung, die auf Geselligkeit, auf Emanzipation des Gefühls, auf sinnlichen Genuss, auf Kultur und Zivilisation im weitesten Sinne aus war, also auch auf Schönheit und deren Kraft insistierte, dann war Anakreontik Aufklärung par excellence.

Auf den Spuren des Dichters Gellert

Ausflug der Goethe-Gesellschaft Gera nach Hainichen im Erzgebirge

Am 12. April 2014 fuhren etwa 30 Mitglieder der Geraer Goethe-Gesellschaft und des Kulmbacher Literaturvereins nach Hainichen ins Erzgebirge. Das Städtchen liegt an der Striegis, einem kleinen Flüsschen im westlichen Landschatzschutzgebiet Mittelsachsens in der Nähe von Oederan.

Der bekannteste Sohn des Ortes war Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769). Er war Goethes Professor in Leipzig, soll aber damals Goethes literarisches Genie nicht erkannt haben.

Das Denkmal Gellerts steht auf dem Marktplatz (von Ernst Rietschel).

Aber trotz der Fehleinschätzung des Professors scheint Goethe in Leipzig bei Professor Gellert einiges gelernt zu haben, denn der Mann war sehr talentiert. Er war zu seiner Zeit der meist gelesene Schriftsteller, schrieb Fabeln, Lustspiele und Lieder. Sein bekanntestes Lied ist das von Beethoven vertonte Lied: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“.

Wir besuchten das Gellerthaus, das Museum, das ihm zu Ehren in einer Villa im Park von Hainichen eingerichtet wurde. Gellerts Geburtshaus steht nicht mehr, es wurde abgerissen.

Im Museum erfahren wir viel über die Geschichte der Fabel und über die berühmtesten Fabeldichter (Krylow, Lessing , la Lafontaine u.a.).

Nachdem wir uns in dem Stadtcafé gestärkt hatten, stiegen wir den Rahmenberg hinauf zu dem Turm, der die Camera obscura in seine Mauern beherbergt. Weil immer nur acht Leute an einer Führung teilnehmen können, besichtigten wir diese optische Attraktion in drei Gruppen. Die Wartezeit verkürzten wir uns, indem wir uns die Gellertschen Fabeln anhörten, die Vera Richter und Bernd Kemter uns vorlasen.

Die Camera obscura befindet sich im oberen Stockwerk des Turmes. Wir konnten mittels der Camera Hainichen in seiner ganzen Größe und Schönheit, zu eben diesem Zeitpunkt, bewundern. Das Prinzip ist folgendes:

Das Licht fällt durch ein kleines Loch, das sich vor einer Sammellinse befindet. Es entsteht ein spiegelverkehrtes, also kopfstehendes Bild. Schon Aristoteles (384-323 v. Z. erkannte und nutzte dieses Prinzip. Roger Bacon (1214-1292) baute für die Sonnenbeobachtung die ersten Geräte der Camera obscura. Leonardo da Vinci entdeckte, den Zusammenhang des Prinzips der Camera obscura mit dem menschlichen Auge.

Nach dieser Besichtigung wollten wir eigentlich im „Hirsch“ auf dem Marktplatz von Hainichen Kegeln und Abendbrot essen. Trotz Bestellung wurde hieraus nichts, weil die Gasstätte in Konkurs gegangen war. Wir trösteten uns damit, dass sich ganz in der Nähe des „Kleinen Erzgebirges“ (originalgetreue Nachbildung erzgebirgischer Bauten im Maßstab 1:25) eine idyllische Gaststätte befindet, nämlich das Café im „Ranis Holzkunsthaus“. Wir hatte schon am Nachmittag die dortige Verkaufsausstellung in der ersten Etage des Kunsthauses besucht und die wunderschönen Holz-, Keramik- und Glaswaren bewundert. Jetzt wollten wir es uns im Café gemütlich machen. Unsere Erwartungen wurden nicht getäuscht. Wir fanden alle Mann Platz, wurden sehr gut bedient und wir konnten unsere kulinarischen Bedürfnisse vollauf befriedigen.

Gegen 18.00 Uhr verließen wir die gemütliche Gaststätte und traten die Heimfahrt an. Unsere Reisegesellschaft ist nicht nur literarisch auf dem Posten (es wurden während der Fahrt Gellertsche Fabeln vorgelesen), sondern kann auch gesanglich einiges bieten. Klaus Köstner sang mit Bravour während der Fahrt „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ und Bernd Kemter brachte ein wunderschönes französisches Lied zu Gehör. Während der Heimfahrt wurde ein Lied nach dem anderen angestimmt, und es war erstaunlich, wie textfest die Sänger waren. Pünktlich 20 Uhr waren wir wieder in Gera.

Beim Abschied dankten wir sowohl unseren Reiseleiter Bernd Kemter, als auch unserem Busfahrer,

die uns dieses wunderschöne Erlebnis ermöglichten.

Erika Seidenbecher