Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

6. September 2012 Vortrag von Dr. Heidi Ritter

„Sturmwind in Weibskleidern. Madame de Stael.“,  Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle

 

Mit Politik hat sie sich bereits im Salon der Mutter befasst. Familie Necker war bürgerlicher Herkunft. Vater wurde aus dem revolutionären Frankreich vertrieben, fand Exil in Genf. Mit dem Vater führte sie eine intensive Korrespondenz. Sie blieb in Paris, ihre Mutter eröffnete dort einen eigenen Salon. Sie wendet sich sowohl gegen das Ancien regime als auch gegen die Nationalversammlung. Sie mischt sich ein, entflammt sich für Politik und – Männer. Zum Beispiel gehört Talleyrand zu ihren Liebhabern. Sie werden Väter von fünf Kindern. In den 80-er Jahren verfasst Madame de Stael erste Schriften, so über Rousseau. In Politik, Literatur und Liebe entfaltet sich ihr Leben, ihr Denken ist ganz von der Aufklärung bestimmt: Freiheit, Gerechtigkeit und Tugend. Sie wird verehrt und bewundert, aber auch gehasst. Sie ist erstaunlich klein, misst gerade einmal 1,50 Meter, sie ist füllig, ihr Teint dunkel. Ihre Kleidung erregt Anstoß, sie trägt später sogar einen Turban.
Den Jakobinern folgt sie nicht. Erst 1795 nach Paris zurückgekehrt, bekennt sie sich zur republikanischen Verfassung, ohne ihre Kontakte zur Aristokratie aufzugeben. In Napoleon Bonaparte erkennt sie den starken Mann, der die extremen Kräfte, Jakobiner und Royalisten, bezwingen kann. Napoleon beantwortet jedoch ihre Briefe nicht.Sie will ihm auf gleicher Augenhöhe begegnen, das lehnt Napoleon ab, er sieht in ihr nur die Frau. Sie übt Kritik an seiner Regierung, Napoleon lässt sie in seiner ihm hörigen Presse kritisieren. 1800 erscheint die Schrift „Über die Literatur in ihrem Verhältnis mit den gesellschaftlichen Einrichtungen“. Sie erwähnt darin lobend die deutsche Literatur. Dass sie damit die Sympathie des 1. Konsuls (Napoleon) im Hinblick auf seinen ausgeprägten Nationalismus nicht erringen kann, ist klar. Die Presse verunglimpft die Schrift.
Ihr Eigensinn und Unabhängigkeit verleiten Napoleon zu heftigen Wutausbrüchen. Sie scheint Vergnügen daran zu finden, seiner Ungerechtigkeit und Herrschsucht Widerstand zu leisten.
Ihr Liebhaber Constant fliegt mit 19 weiteren Kollegen aus dem Tribunal, 1804 soll sie sich innerhalb von 24 Stunden aus dem engeren Umkreis von Paris entfernen. Sie erwirkt unter Mühen drei Tage Aufschub, um sich ganz aus Frankreich zurückzuziehen. Deutschland bietet sich an mit seinen „hervorragenden Männern, Philosophen und Schriftstellern“. 1803 gelangt sie über Metz, den Rhein nach Frankfurt/M. Für sie ist es ein Kulturschock. Sie beklagt die Langsamkeit der Deutschen, ihren Tabakgenuss. Aber ihr gefällt, dass die Deutschen die Musik lieben. Frau Rat Goethe schreibt an ihren Sohn: „Mich hat sie bedrückt, als ob mir ein Mühlstein am Hals gehangen hätte.“
Nun fährt Madame de Stael nach Weimar. Sie empfindet die Wege in der Postkutsche unbequem, zumal liegt reichlich Schnee. Ab Eisenach verbessert sich ihre Stimmung, genießt dort ein besonderes Musikerlebnis. Ihr gefallen auch die deutschen Frauen. Zwei Tage hält sie Rast in Gotha, nimmt Unterricht in Mundharmonika. Am 14. Dezember trifft sie in Weimar ein. Sie erfährt, dass Herder im Sterben liegt. Goethe und Schiller kennen sie bereits, schätzen ihre Schriften, zum Beispiel den Aufsatz „Versuch über die Dichtungen“, veröffentlicht in den „Horen“; sie fürchten sich jedoch vor der persönlichen Begegnung, vor ihrer Zungenfertigkeit. Goethe zögert die Begegnung hinaus, lädt sie aber nach Jena ein, wo er sich gerade aufhält. Er wollte somit vermutlich die Hierarchie von Mann und Frau betonen (sie kommt zu ihm). Madame de Stael trifft zuerst auf Schiller während einer Hofgesellschaft. Sie spricht mit ihm über Kant, beide sind voneinander sehr angetan. Am 24. Dezember kommt es zur Begegnung mit Goethe im Haus am Frauenplan. Auch das Ehepaar Schiller ist dabei. Sie kritisiert Goethes „Die natürliche Tochter“, fand die Vorlage abgeschmackt und langweilig. Er möge doch diese „Missgeburt“ nicht fortsetzen. Er verbittet sich daraufhin in den Paralipomena zu den Tages- und Jahresheften natürlich jegliche Kritik. Sie ist ohnehin von seiner Erscheinung schwer enttäuscht, hat sich wohl einen etwas älteren Werther vorgestellt. Er sei ohne besondere Physiognomie, die sich weltmännisch gebärden wolle. Dennoch hält sie Goethe für einen philosophisch und literarisch hervorragenden Kopf, dessen Geist allerdings schlecht untergebracht sei in „dicker Pastetenkruste“.
Über Wieland schreibt sie wenig, schätzt ihn aber. Sein Geist sei in Voltaire’scher Schule geformt.
Es gibt drei Treffen mit Goethe, er geht zusehends auf Distanz. Er meldet sich für drei Wochen krank. Sie schickt ihm Billets: „Ob ich Sie nicht aufwarten darf?“
Goethe kritisiert gereizt (gegenüber Schiller) ihren Hang zum Altmodischen, Verwunschenen, Romantischen. Er hat sie aber nicht immer als Belastung empfunden. In den zweieinhalb Monaten ihres Aufenthalts ist die öffentliche Meinung immer freundlicher geworden, der Hof erwies ihr alle Ehren.
1804 ist sie mit ihren Kindern in Berlin.Rahel Varnhagen empfängt sie: „Es ist nichts Stilles in ihr“. Sie lernt August Wilhelm Schlegel kennen. Von ihm lernt sie viel über Literatur, über die neue romantische Strömung.
Sie bewundert uneingeschränkt die deutsche Gelehrtenwelt. 1807 unternimmt sie nochmals eine Reise nach Deutschland, wird aber auch in Wien gefeiert und geschätzt. Sie fährt erneut nach Weimar, trifft aber nicht jene Menschen an, die sie kennt. Schiller und Anna Amalia sind gestorben, nur Wieland ist da. Auch lernt sie Goethes Urfreund Knebel kennen. Schon nach zwei Wochen reist sie wieder ab.
1810 wird das Erscheinen ihres berühmten Buches „Über Deutschland“ noch gestoppt; umstritten ist, ob auf  persönliche Veranlassung Napoleons oder des Polizeipräfekten. Die Auflage von 10 000 Exemplaren wird eingestampft. Sie unternimmt mir ihrem Geliebten eine Reise durch Europa, um gegen Napoleon Stimmung zu machen. Noch vor den napoleonischen Truppen war sie in Moskau, reiste dann nach Schweden, wo sie Bernadotte traf, einstigen Marschall Napoleons und nunmehriger schwedischer Kronprinz.
1813 weilte sie in London, dort erschien ihr Buch. Es war innerhalb von drei Tagen vergriffen. 1814 kam es im von Napoleon befreiten Frankreich heraus. 70 000 Exemplare wurden in ganz Europa verkauft. Sie kehrt nach der neuerlichen Niederlage Napoleons nach Paris zurück. Als 51-Jährige stirbt sie nach einem Schlaganfall.
In „D’Allemagne“ beschreibt sie Sitten, Länder, Städte, Landschaften, Literatur und Kunst in Deutschland. Sie behandelt Goethe, Schiller, Werner, Kotzebue, Paul, Voß und Bürger. Nur Kleist, Hölderlin, Brentano, Arnim und Novalis erwähnt sie nicht. Philosophie und Moral Kants rückt sie in den Mittelpunkt. Sie schreibt gegen den modernen Egoismus, wie er sich unter Napoleon entwickelt hat, stellt ihm den moralischen Enthusismus der Deutschen entgegen. Das Buch erlebt unter jungen Franzosen vor 1830 eine begeisterte Zustimmung.
Es ist das einzige Buch über Deutschland, das in Frankreich gültig geblieben ist.

Ausflug in die Schweiz 2012

Von Erika Seidenbecher

Am 28. Juni war es endlich soweit! – Unsere Schweiz-Reise, schon zum zweiten Mal geplant, konnte endlich beginnen. Zwölf Goethefreunde trafen sich 7.15 Uhr am Geraer Busbahnhof, um mit dem Kleinbus der Hermsdorfer Firma Schröder die Fahrt anzutreten. Aus technisch-organisatorisch Gründen übernahm unser Fahrer Jens den Bus erst in Rudolphstein. Die Fahrt über München nach Kocheln in Oberbayern, unserem ersten Ziel, verlief problemlos. Bernd Kemter und Renate lasen während der Fahrt Interessantes und Wissenswertes über Goethe vor. Goethe war drei Mal in der Schweiz und zwar 1775, 1779 und 1797. Auf der ersten Reise, mit den Grafen zu Stolberg, machte er nur einige fragmentarische Notizen. Von der zweiten Reise, die er mit dem Herzog Carl August unternahm, sind ausführlichere Aufzeichnungen vorhanden. Die Briefe an Charlotte von Stein dienten Goethe später, auf Anregung Schillers dazu, Beiträge für die Zeitschrift „Die Horen“ auszuarbeiten.

Die Aufzeichnungen, Theaterzettel, Briefe und kleinen Abhandlungen der dritten Reise sind die umfangreichsten, aber auch die nüchternsten.

Gegen 14.00 Uhr waren wir in Kocheln am Walschensee. Hier war eine Führung im Franz-Marc-Museum angemeldet. In diesem privaten Museum, 1986 gegründet und 2008 erweitert, sind die Arbeiten des Künstlerkreises „Blaue Reiter“ ausgestellt und das Werk von Franz Marc in neue Zusammenhänge eingereiht. Das Schaffen dieses Münchner Malers wird hier dem Werk seiner Zeitgenossen, wie den „Brücke“-Künstlern“ gegenübergestellt. Wir können im Museum Franz Marc’s erste akademische Werke, aber auch Bilder seiner Frankreich-Reise, Naturbetrachtungen und Versuche des Künstler mit dem Impressionismus bewundern. Franz Mark und seine Künstlerkollegen lebten in einer Epoche des gesellschaftlichen und künstlerischen Umbruchs. In dieser Auseinandersetzung wandte sich Franz Marc vor allem der Naturbetrachtung zu (Hocken im Schnee, Mädchen mit der Katze u.a.).

Gegen 16.00 Uhr ging unsere Fahrt weiter. Die Fahrt ab Kocheln über Landstraßen und war für unseren Fahrer bestimmt nicht einfach. Die Gegend am Ufer des Bodensees mit ihren Obst- und Weinplantagen ist sehr reizvoll. Über Lindau, Friedrichshafen, Singen ging die Fahrt bis nach dem Schweizer Ort Neuhausen am Rheinfall. Gegen 20.30 Uhr kamen wir im Hotel „Rheinfall“ an. Hier war unsere erste Übernachtung gebucht. Da es im Hotel kein Abendessen gab, suchten wir uns eine hübsche Gaststätte und fanden sie auch. Es war ein warmer, schöner Abend, und so freuten wir uns, dass wir alle in dem kleinen Garten der Gastwirtschaft Platz fanden. Wir wurden gut und zügig bedient. Nur unsere kleine Chinesin war nicht unter uns. Sie hatte in dem Hotel ein Billardspiel entdeckt, und außerdem wollte sie unbedingt das Fußballspiel Deutschland-Italien anschauen.

Als wir gesättigt und zufrieden unserem Hotel zusteuerten, erlebten wir eine Überraschung. Eben war das Fußballspiel zu Ende gegangen und Italien hatte 2:1 gewonnen. Da begann ein ohrenbetäubender Lärm. Die Schweizer Fußballfans, die Italienanhänger waren, fuhren hupend und Fahne schwenkend durch den Ort. Ein großer Teil der Einwohner des Städtchens brach in einen frenetischen Jubel aus. In dieser Nacht konnten wir deshalb nur bei geschlossenen Fenstern schlafen.

Am nächsten Morgen wanderten wir zu dem nahe gelegenen Rheinfall. Wer hat nicht schon etwas vom Rheinfall von Schaffhausen gehört. Auch für uns war das ein Begriff. – Aber man muss ihn erlebt haben, um zu begreifen, welches grandioses Naturschauspiel sich dem Betrachter bietet.

Brausend schleudert der Rhein seit 15 00 Jahren 600 000 Liter pro Sekunde in die felsige Schlucht. Tosend stürzt das Wasser 13 Meter in die Tiefe. Springbrunnenartig wird es wieder nach oben geschleudert. Dabei entstehen ganze Wolken versprühenden Wassers, die nebelartig über dem Gewässer schweben und die Besucher, die sich per Boot nahe an den Rheinfall wagen, mit einem nassen Schleier benetzen.

Es war schon Mittag, als wir wieder weiter fuhren. Unser nächstes Ziel war Zürich. Auf dieser Fahrt bekam Siman Meng, die chinesische Gastschülerin, Gelegenheit, von sich, vom Schüleraustausch und von ihrer chinesischen Heimat zu erzählen. Natürlich hatten unsere Reiseteilnehmer auch viele Fragen, und unsere intelligente chinesische Teilnehmerin beherrschte erstaunlich gut die deutsche Sprache, erfasste unsere Fragen schnell und war sprachlich in der Lage, unsere Neugier zu stillen.

In Zürich angekommen, spazierten wir durch die Straßen, suchten uns ein hübsches Straßenrestaurant, aßen eine Kleinigkeit und begaben uns dann zur Kirche St. Peter, dem ersten protestantischen Sakralbau Zürichs nach der Reformation, um uns mit der Museumsführerin , die uns mit dem Lavaterhaus bekannt machen wollte, zu treffen. Lavater, der Goethefreund war in St. Peter seit 1786 Pfarrer und Mitglied des Konsistoriums. Wir besichtigten die Räumlichkeiten im 3. Stock des Lavaterhauses und betrachteten Bilder, Bücher, Autographen und Gegenstände, die an Lavaters Leben und Wirken erinnern. Lavater, eine bedeutende Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts, sah in der Physiognomie eines Menschen die Einheit von Leib und Seele. Er entwickelte die Lehre der Physiognomie, nach der sich der Charakter eines Menschen in seinen Gesichtszügen widerspiegelt.

Lavater und Goethe lernten sich bei einer Lahn-Rhein-Reise kennen und schätzen. Ihr Freundschaftsbund währte bis 1779. Goethe lieferte Lavater, der das Buch „Aussichten in die Ewigkeit“ schrieb, Schattenrisse und Kopien antiker Skulpturen, u.a. von Raffael und Rembrandt. Die Glaubensgespräche zwischen Goethe und Lavater zeigen die großen Unterschiede, die im Denken des Dichters und des Pfarrers bestanden. Goethe erkennt die Natur als beseelt, fühlt sich aber trotzdem vom Mysterium des Göttlichen durchdrungen. Religion erscheint ihm nur dann relevant, wenn sie das Humane fördert. Er verehrte im Sinne Spinozas Gott in der Schöpfung. Lavater sieht die Erlösung der Menschheit durch das Kreuz Für Goethe wird der Mensch durch sein tägliches Bemühen um Humanität erlöst. Als Lavater sich bemühte, Goethe zu bekehren, kam es zum Bruch der Freundschaft.

Nach der Besichtigung des Lavaterhauses gehen wir zur Kirche Fraumünster, einer Kirche mit Nonnenkloster, das 853 von König Ludwig dem Deutschen gestiftet worden war. Die Kirche besitzt die größte Orgel im Kanton, mit 5793 Pfeifen.

Uns interessierten aber vor allem die Farbfenster im Querschiff. Sehenswert ist der 1945 von Augusto Giacometti geschaffene fünfteilige Fensterzyklus im Chor und auch die von Marc Chagall gestaltete Rosette im südlichen Querschiff.

 

Nach dieser Besichtigung laufen wir zum Zürichsee, denn 16.00 Uhr fährt unser Schiff. Eineinhalb Stunden fahren wir auf dem wunderschönen Schweizer See und genießen die herrliche Berglandschaft. Anschließend fahren wir mit unseren Bus nach Horgen am Zürichsee, wo im Hotel Meierhof unsere zweite Übernachtung gebucht ist.

Gemeinsam nehmen wir die Abendmahlzeit im Straßenrestaurant ein. Da der Juniabend so lau und schön ist, genießen wir ihn noch bei einem kleinen Abendspaziergang und anschließend bei einem Gläschen Wein auf der Terrasse des Hotels.

 

Am Sonnabend, dem 30. Juni, fuhren wir gleich nach dem Frühstück nach Luzern, der Stadt am Vierwaldstätter See. An diesem Tag begann in der Stadt das Luzernfest. Wir aber wollen vor allem das Wahrzeichen der Stadt, die 1365 als Wehrgang erbaute und überdachte Kapellbrücke sehen. Sie verbindet die durch den Fluss Reuss voneinander getrennten Stadtteile der Alt- und der Neustadt. Ursprünglich war die Brücke 300 Meter lang, aber 1835 brach ein Stück von ihr ab. Diese Holzbrücke ist in ganz Europa einmalig, nicht nur durch ihre Länge, sondern auch durch die dreieckigen Bilder im Giebel, die die Schweizer Geschichte darstellen.

Gleich nach der Besichtigung der Brücke ging es weiter mit dem Bus nach Brunnen. Von hier aus fuhren wir mit dem Schiff zum Rütli. Von der Schiffsanlegestelle Rütli aus, mussten wir noch einige Meter bergauf wandern. Vera und Renate hatten sich gut vorbereitet. Sie baten uns, uns auf der Rütliwiese zu versammeln und ließen uns den Rütlischwur aus Schillers „Wilhelm Tell“ schwören. Mit erhobener Schwurhand sprachen wir den Schwur nach.

Anschließend speisten wir im Restaurant an der Bootsanlegestelle, um dann weiter zur Tellplatte zu fahren. Eine wunderschöne Holzskulptur erinnert dort an Tell und seinen Sohn, den Nationalheld der Schweiz, der auf Befehl des Landvogtes Geßler gezwungen wurde, mit Pfeil und Bogen einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Der Rütlischwur und die Tellsage erinnern an die Geschichte des eidgenossenschaftlichen Bündnisses. Nach der Verfassung von 1875 liegt die Gesetzgebung beim Volk und dem von ihm gewählten Großen Rat.

Unterhalb der Tellplatte befindet sich ein Glockenspiel, das stündlich ertönt. Wir haben Glück. Es ist 16.00 Uhr und wir können den Tönen dieses Glockenspiels lauschen.

Da wir bis zur Abfahrt unseres Schiffes noch Zeit haben, können wir im Restaurant an der Schiffshaltestelle in Ruhe und Gelassenheit etwas verzehren und auf unser Schiff warten, das uns nach Brunnen zurückbringt. Auf dieser Schiffsfahrt genießen wir den Anblick der teilweise schneebedeckten Berge.

Von Brunnen aus geht es ohne Aufenthalt nach Belp bei Bern. Im Flughafenrestaurant ist unsere Unterkunft gebucht. Wir können dort gemütlich Abendbrot essen.Danach haben wir Lust darauf, etwas spazieren zu gehen . Gemeinsam wandern wir zwölf Schweizreisenden in die herrliche Natur in der Umgebung von Belp. Fledermäuse umschwirren uns. An den dortigen Gewässern gibt es, einer Hinweistafel zufolge, die am Wegessrand aufgestellt wurde, den Eisvogel und den Feuersalamander. Anschließend sitzen wir noch bei einem Gläschen Wein fast bis Mitternacht im Restaurant, schwatzen, genießen den schönen Abend und warten darauf, dass der Flugverkehr eingestellt wird, denn beim Landen der Flugzeuge wäre an Schlaf gar nicht zu denken.

Der 1. Juli ist unser letzter Reisetag, und wir haben an diesem Vormittag eine Führung in der Schweizer Hauptstadt Bern vorgesehen. Es regnet, aber in Bern gibt es Arkaden, die insgesamt sechs Kilometer lang sind, und so kann man auch ohne Regenschirm und Regenbekleidung problemlos durch die Stadt spazieren. Am Hauptbahnhof ist unsere Führerin ist schnell gefunden. Sie will uns die Altstadt zeigen.

Der Sage nach wurde Bern nach dem Bären benannt, den der Stadtgründer Berchold V. von Zähringen auf dem Hausberg 1191 erlegte. Der Bär ist deshalb auch im Stadtwappen. Mitten durch die Altstadt fließt der teilweise verrohrte Stadtbach und um Bern schlängelt sich die Aare. Über 100 Brunnen speisen seit dem Mittelalter die Stadt mit Trinkwasser. Deshalb nennt man Bern auch die Brunnenstadt.

Der Zeitglockenturm bildet das erste Stadttor. Als die Stadt später weiter ausgebaut wurde, folgte der Käfigturm. 1405, nach dem Brand der Stadt, baute man die schon erwähnten Laubengänge. Dadurch besitzt Bern die größte gedeckte Einkaufsstraße Europas.

Seit 1848 ist Bern die Hauptstadt der Schweiz. Damals baute man im Stil der florentinischen Renaissance das Bundeshaus.

Weil in Bern der größte Teil des mittelalterlichen Stadtbildes noch erhalten ist, wurde die Stadt in das Verzeichnis des UNESCO-Welterbes aufgenommen.

Wir laufen die Marktgasse entlang, bewundern die Arkaden, schöne alte Häuser im Schweizer Stil, lauschige Gassen und wunderschöne Brunnen. Der im 15. Jahrhundert errichtete Zeitglockenturm, das Wahrzeichen der Stadt, hat ein Uhrwerk, das als Meisterleistung der Uhrmacher der Schweiz gilt. Das Uhrwerk gibt nicht nur die Zeit genau an, sondern ermöglicht es auch stündlich ein Figurenspiel zu bewundern. Bei der Heiligengeist- Kirche biegen wir in die Spitalgasse ein. Wir sehen den Käfigturm, der, 1256 erbaut, bis 1897 als Gefängnis diente. Wir hören, dass im Historische Museum die Schweizer Geschichte von der Steinzeit über das Mittelalter bis zur Neuzeit dargestellt wird und sehen das Haus, in dem Einstein mit Frau und Kind wohnte. Imposant ist das Berner Münster, das den höchsten Kirchturm der Schweiz besitzt. Die Grundsteinlegung erfolgte 1421. Dieser spätgotische Bau konnte damals infolge der Reformation und der Zeit des Bildersturmes nicht vollendet werden. Der Turm wurde erst 1893 vollendet. Wunderschön ist das Portal mit seinen 234 farbigen Skulpturen zum Jüngsten Gericht.

In der Kramgasse befindet sich das Kornhaus, dessen Obergeschoss als Speicher diente und im Bernischen Barock erbaut wurde. Seit 1883 befindet sich hier ein Ausschank und ein Festsaal.

Zuletzt laufen wir noch zum Rosengarten und dann zurück über die Münstergasse zum Bundesplatz. Vom Park des Rosengartens aus genießen wir den Blick auf die Aareschleife. Unsere Führerin erzählt uns, dass das Springen in die wilde Aare zum Nationalsport wurde. Die Badenden lassen sich dann meterweit von der Strömung treiben. In der Aareschleife befindet sich die sogenannte Plattform. Hier war früher die Wohnstadt der Armen, die viel unter den Überschwemmungen des Flusses leiden mussten. Heute wohnen hier vor allem reiche Leute. Unsere Führerin hätte uns gern noch den Bärenzwinger gezeigt, aber unsere Zeit erlaubt das nicht.

Auf dem Bundesplatz mit dem Bundeshaus, finden Staatsempfänge statt. Zweimal in der woche ist hier Markt und täglich ist dieser Platz Treffpunkt für jung und alt.

Schön ist auch das Wasserspiel. 26 Fontänen versprudeln hier ihr Wasser.Das Bundeshaus ist Sitz der Regierung, des Bundesrates und des National- und Städte- Parlaments.

Das Gebäude, 1852-1902 errichtet, soll eine kostbare Innenausstattung haben: Malereien, Mosaiken und Plastiken.

Gegen 12 Uhr ist unser Altstadtbummel beendet, und wir gehen zum Bus, um in Richtung Heimat zu fahren.

Auf einem Parkplatz bei Weil am Rhein machen wir Mittagspause.. Über Breisgau, Offenburg, Baden-Baden, Bruchsal fahren wir bis zu einer Raststätte bei Heilbronn. Von hier aus fahren wir dann ohne weitere Pause über Nürnberg nach Gera. Gegen 21 Uhr kommen wir am Hauptbahnhof an. Langweilig aber war die Fahrt nicht, denn wir vertrieben uns die Zeit mit Vorlesen und singen. Beachtlich, wie viele Lieder unsere Schweizfahrenden auch textlich beherrschten und wie fröhlich und ausgelassen die Stimmung dadurch war.

Am Schluss unserer Fahrt dankte Angelika noch unserem Fahrer Jens. Er war nicht nur ein guter Fahrer, sondern auch ein hervorragender Organisator, der Bernd Kemter tatkräftig unterstützte und den wir bei weiteren ähnlichen Reisen gern wieder bemühen möchten. Ganz besonderer Dank gebührt aber unserem Bernd Kemter, der die Fahrt bis ins Detail gewissenhaft plante und organisierte. Nur durch seine Bemühungen war diese wunderschöne, interessante und lehrreiche Bildungsreise auf den Spuren Goethes überhaupt erst möglich.

7. Juni 2012, Vortrag von Dr. Jürgen Klose

„Der sanfte Nachsommer der deutschen Klassik. Adalbert Stifter.“, Vortrag von Dr. Jürgen Klose, Dresden

 

Kurzfassung Vortrag Dr. Jürgen Klose, Dresden

 

Adalbert Stifter (1805 – 1868), österreichischer Schriftsteller. Er erkannte im Stillen und Unscheinbaren das Große und Edle. Er war dem Goetheschen Humanismus verpflichtet und stellte in seinen Natur- und Menschenbildern die klare Rangordnung einer sittlichen und schönen Welt der „elenden Verkommenheit“ des unzulänglichen Wirklichen entgegen.

Zu seinen Hauptwerken zählen: die Erzählsammlungen „Studien“, darin „Der Hochwald“, weiterhin die Romane „Der sanfte Nachsommer der deutschen Klassik“ und „Witiko“, Novelle „Der Bergkristall“..

 

Zum Vortrag: Nach einem Abschweif zum gleichnamigen Film, ging der Referent auf die Novelle „Bergkristall“ ein, die sich in den „Studien“ findet. Er zitiert (leicht gekürzt): Im Sommer 1845 machte Stifter mit seiner Frau eine Reise ins Salzkammergut und traf dort den 32-jährigen Naturforscher Friedrich Simony. Dieser erzählte über einen Spaziergang bei Regen in das Echerntal. Dort fanden sie ein „pausbäckiges, freundlich blickendes Kinderpaar, mit riesigen Filzhüten auf den kleinen Köpfen und mit regendurchtränkten Grastüchern über dem Rücken“, das Erdbeeren anbot. Stifter kaufte, ließ die Kinder die Erdbeeren selbst essen und fragte sie, wo sie während des Unwetters gewesen seien. Sie erzählten, dass sie am Morgen zur Wiesalpe gegangen seien, um dem Großvater das Essen zu bringen. Wie das Wetter gar „so garstig getan“, seien sie unter einen überhängenden Felsen gekrochen, bis es nicht mehr blitzte und donnerte.“ Der Bergkristall erlaubt Kindern, die ihn finden, beim Berggeist zu bleiben. Dazu mussten sie zwar sterben, durften aber stets ihre Eltern in deren Träumen besuchen.

Hier wird bereits eine typische Stifter’sche Rollenverteilung offenbar, und zwar schon in den Namen. Konrad ist ein „kühner Ratgeber“, Sanna, abgekürzt aus Susanna, heißt in der Sprache des Alten Testaments „Lilie“, also unschuldig jungfräuliche Liebe. Hier wie auch im „Nachsommer“ legt Stifter seinen Frauenfiguren die Bekenntnisse zu häuslicher, resignativ-gesicherter Lebensführung in den Mund. Stifters „Bergkristall“-Mutter, die erwähnte, erwachsen gewordene Sanna,  war „wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt, aber auch wegen ihrer Eingezogenheit, Sittsamkeit und Häuslichkeit belobt.“

In diese altväterliche Idylle mit sittsamer Hausfrau tritt nun die Katastrophe. Sanna bleibt in der abgelegenen Gegend stets eine „Fremde“. Ihr Mann Sebastian erweist sich als provozierender Hallodri „von Welt“. Bevor er sein Haus übernahm, war er sogar ein wilder Gemswildschütze gewesen. Er war zudem auf allen Tanzplätzen und Kegelbahnen zu sehen. Nach dem Tod seiner Eltern tritt ein scheinbarer Wandel ein, der aber nur die andere Seite seines exzentrischen Wesens zeigt. Vom Vater hat er das Schusterhandwerk erlernt, er mausert sich nun zum Unternehmer, dessen Qualitätsprodukte – und das ist neu – nicht nur im Heimatort Gschaid, sondern auch in den Nachbarorten Abnehmer finden. Ein solcher Mann konnte es wagen, bei einem wohlhabenden Färber um die Hand der Tochter anzuhalten. Wir ahnen: Die entsagungslose Leidenschaft des Vaters droht sich an seinen Kindern zu rächen. Eine ähnliche Situation wird auch im „Nachsommer“ geschildert.

So ist es bei Stifter immer wieder. Dazu einige Beispiele.  Im „Nachsommer“ erzählt der alte Risach dem jungen Drendorf, wie die junge Tochter des Hauses (Mathilde) und er, der brüderlich aufgenommene Hauslehrer, dereinst füreinander entbrannt und an der ordnenden Vernunft gescheitert waren. In Stifters Erzählung „Mappen meines Urgroßvaters“ verliert der junge Arzt Augustinus die Obristentochter Margarita auf Jahre, weil er sich ihr mit unbegründeter Eifersucht intensiv genähert hat. Aus den „Annalen der Narrenburg Rothenstein“ erfahren wir vom Grafen Jodok von Scharnast, der eine indische Paria (Unberührbare niedrigster sozialer Stellung) zu seiner Gattin machte. Sich keiner Schuld bewusst, gab sie dem Drängen ihres Schwagers Sixtus nach, sie endete im Gram. Sixtus zerschmetterte sich mit einer Kugel das Gehirn, Jodok wählt das Dasein eines Eremiten im eigenen Haus. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Doch zurück zum „Bergkistall“. Selbst das soeben skizzierte Leidenschaftsmotiv reichte Stifter nicht hin für die poetische Begründung des drohenden weißen Todes der Kinder am eisigen Berg. Es bedurfte noch des soziologischen Aspekts. Folglich geraten die Kinder unschuldig in die Mühlen des die Welt zerreißenden ökonomischen Fortschritts. Die alte Großfamilie ist aus den Fugen, jeder Einzelne sorgt aus eigener Kraft für sein soziales Geschick. Dies kommt in der Erzählung zum Ausdruck. Dort heißt es: „Der Färber war ein Mann, der seinen Kopf hatte. Ein rechter Mensch, sagte er, müsse sein Gewerbe treiben, dass es blühe und vorwärts komme, er (der Schuster) müsse daher sein Weib, seine Kinder, sich und sein Gesinde ernähren.“ Zudem müsse er allerdings noch ein Erkleckliches erübrigen, welches ihm Ansehen und Ehre in der Welt zu geben vermöchte. Dies stellt der Färber seinem Schwiegersohn hinsichtlich des Erbes zur Bedingung. Gschaid ist ein armes Dorf, was Stifter mit dem alten Tobias illustriert, der „ist umringt von Schuhen und Bundschuhen, die aber sämtlich alt, grau, kotig und zerrissen sind“. Dagegen stellt sich der Nachbarort des Färbers als „stattlicher Marktflecken“, als „sehr groß“ und „wohlhabend“ dar. Der Färber hat nicht nur die schönste Tochter, sondern auch ein „sehr ansehnliches Gewerbe“ und arbeitet „mit vielen Leuten und sogar, was im Tale etwas Unerhörtes ist, mit Maschinen“. Der Färber hat die industrielle Revolution in die idyllische Bergwelt geholt, er ist weit und breit der erste Fast-Industrielle.

Doch auch die Familie des Frühkapitalisten trifft das alltägliche menschliche Ungemach. Die Großmutter, die „mit wahrlich krankhafter Sehnsucht nach ihren Enkeln“ verlanget, kam zunächst sehr oft nach Gschaid herüber, doch das Alter und die Gesundheitsumstände verhinderten sie schließlich, so dass wenig vernünftig die Kinder auf den Weg hinüber geschickt wurden. Einmal müssen sie von den Gschaidern regelrecht gerettet werden. Bezeichnend: Der Färber macht sich zwar ebenfalls auf den Weg, doch kommt er nur noch hinzu.

Stifter bedauert wohl die Aufhebung der Leibeigenschaft, die patriarchalischen Verhältnisse auf dem Land, wo zu seiner Zeit die meisten Österreicher lebten. Ihm sind ebenso – Erfahrung aus der 1848-er Revolution – staatsgefährdende Leidenschaften zuwider. Ökonomischen Neuerungen im Gefolge einsetzender Industrialisierung steht er äußerst skeptisch gegenüber. So heißt es im „Nachsommer“: „… das Gut war sehr herab gekommen. Mathilde fing damit an, dass sie die zum Schlosse gehörigen Untertanen, welche Zehnte und Gaben in dasselbe zu entrichten hatten, gegen ein vereinbartes Entgelt für alle Zeiten von ihren Pflichten entband und sie zu unbeschränkten Eigentümern auf ihrem Grunde machte. Das Zweite, was sie tat, bestand darin, dass sie die Liegenschaften des Schlosses selber zu bewirtschaften begann, dass sie einen geschlossenen Hausstand von Gesinde und ihrer eigenen Familie begründete, und mit diesem Hausstande lebte.“

Auch die allmählich möglich werdenden Eheverbindungen zwischen Adel und Bürgertum sind ein Thema. Im „Nachsommer“ ist nur noch einer von Adel, der Freiherr von Risach. Er ist lediglich der Schöpfer der Verbindung des gebildeten Wiener Kaufmannssohns Heinrich Drendorf mit der italienisch-antik erscheinenden Tochter Natalie. Sich dem Vater Heinrichs gleichstellend, entsagt Risach seinem ohnehin nicht alten Titel, aufgehend in einer bürgerlichen Familie. Zu dem jungen Paar gewendet, schließt er: „Alles wird gut!“

So hätte auch die Erzählung „Bergkristall“ enden können, wenn es Erzählperspektive und Stil hergegeben hätten. Aber diese Erzählung fällt durch ein Weiteres auf: durch Stifters irritierende Naturgemälde, wie er ja auch ein talentierter Landschaftsmaler war. Gleichermaßen war er ein leidenschaftlicher Naturforscher, insonderheit Mineraloge. Und er knüpft Religiös-Mystisches daran.

Dazu noch wenige Passagen aus dem „Bergkristall“:

„Die Kinder blieben mit offenen Augen sitzen und schauten in die Sterne hinaus. Auch für die Augen begann sich etwas zu entwickeln. Wie die Kinder so saßen, erblühte am Himmel vor ihnen ein bleiches Licht mitten unter den Sternen und spannte einen schwachen Bogen durch dieselben. Es hatte einen grünlichen Schimmer, der sich sachte nach unten zog. Aber der Bogen wurde immer heller und heller, bis sich die Sterne vor ihm zurück zogen und erblassten. Auch in anderen Gegenden des Himmels sandte er einen Schein, der schimmergrün sachte und lebendig unter die Sterne floss. Dann standen Garben verschiedenen Lichtes auf der Höhe des Bogens wie Zacken einer Krone und brannten. Es floss helle durch die benachbarten Himmelsgegenden, es sprühte leise und ging in sanfte Zucken durch lange Räume. Hatte sich nun der Gewitterstoff des Himmels durch den unerhörten Schneefall so gespannt, dass er in diesen stummen herrlichen Strömen des Lichtes ausfloss, oder war es eine andere Ursache der unergründlichen Natur, nach und nach wurde es schwächer und immer schwächer, die Garben erloschen zuerst, bis es allmählich und unmerklich immer geringer wurde und wieder nichts am Himmel war als die tausend und tausend einfachen Sterne.

Die Kinder sagten keines zu dem andern ein Wort, sie blieben fort und fort sitzen und schauten mit offenen Augen in den Himmel.“

Dass sich der Mensch angesichts des überwältigenden Kosmos klein fühlt, hat Stifter immer wieder vor Augen geführt. In der „Mappe meines Urgroßvaters“ lässt er den jungen Arzt Augustinus in einer heilsamen Lebenskrise tröstend sagen: „Das Geschick fährt in einem goldenen Wagen. Was durch die Räder niedergedrückt wird, daran liegt nichts. Wenn auf einen Mann ein Felsen fällt oder der Blitz ihn tötet, und wenn er nun das alles nicht mehr wirken kann, was er sonst gewirkt hätte, so wird es ein anderer tun. Wenn ein Volk dahin geht und zerstreut wird und das nicht erreichen kann, was es sonst erreicht hätte, so wird ein anderes Volk ein Mehreres erreichen. Und wenn ganze Ströme von Völkern dahin gegangen sind, die Unsägliches und Unzähliges getragen haben, so werden wieder neue Ströme kommen und Unsägliches und Unzähliges tragen und wieder neue, und wieder neue, und kein sterblicher Mensch kann sagen, wann das enden wird.“

 

Diese Gedanken auszuhalten, dazu ist kein Mensch gemacht. Auch die kleine Sanna in Stifters „Bergkristall“ muss dies instinktiv gefühlt haben. Die große Himmelserscheinung in der kalten Nacht wird Sanna sogar zum naiven Bild des wunderbaren Heilands.

„Mutter, ich habe heute nachts, als wir auf dem Berge saßen, den heiligen Christ gesehen.“ – „O, du mein geduldiges, du mein liebes, du mein herziges Kind“, antwortete die Mutter  „er hat dir auch Gaben gesendet, die du bald bekommen wirst.“

 

Spätestens jetzt muss man sich nicht mehr fragen, warum es in Stifters „Bergkristall“ keinen Bergkristall gibt.

3. Mai 2012 Vortrag von Hartmut Heinze

„Goethe in Schlesien und Polen“, Vortrag von Hartmut Heinze (M. A.), Berlin

Nach einem kurzen Überblick über die diversen Bildungs-, Dienst- und Kurreisen Goethes rückt die 1790 erfolgte Dienstreise nach Schlesien und Polen in den Blickpunkt. Es gibt nur spärliche Quellen dazu.
Carl August berief Goethe ins preußische Feldlager nach Breslau. Goethe unterzog sich einer eingehenden Erkundung der landschaftlichen und mineralogischen Struktur der schlesischen Bergwelt. Zugleich gewann er als Beamter Einblick in das „Triebwerk der großen Staatsmaschine Preußen“, Besonders studierte er den technischen Fortschritt (erste Dampfmaschine in Tarnowitz) im Bergbau Oberschlesiens und um Krakau herum. In der schönen alten polnischen Königsstadt befindet sich am Hauptplatz eine Gedenktafel und im alten Salzbergwerk Wieliczka ein Denkmal für Goethe (siehe unser Ausflug 2010). Goethe hielt in Breslau um die Hand einer Adligen an, er wurde aber abgewiesen. Arme Christiane, was wäre wohl aus dir geworden? Tagebuch- und Gedichtzitate ergänzten die Fakten zu dieser interessanten Dienstreise.

8. September 2011 Vortrag von Dr. Egon Freitag

„Die Göttin der Schönheit sollte gar keine Falten haben. Wieland als erotischer Schriftsteller“, Vortrag von Dr. Egon Freitag, Weimar

Christoph Martin Wieland, der erste deutsche Shakespeare-Übersetzer und Dichter des „Oberon“, erwarb sich auch bleibende Verdienste als Autor erotischer Verserzählungen, als Befürworter einer natürlichen Sexualität und weiblicher Emanzipation. Es war vor allem der erotische Reiz, die Anmut und Leichtigkeit seines Stils, wodurch Wieland ein Bestseller-Autor des 18. Jahrhunderts wurde. So war er einer der meistgelesenen und höchsthonorierten deutschen Schriftsteller, dessen Werke zu Lebzeiten in 13 Sprachen übersetzt wurden.
Erfrischend heiter wirken seine Verse noch heute, wie:

Ein Busen reizt, der, jugendlich gebläht
Die Augen blend’t und niemals stille steht.

Dir schmecken nur verstohlne Wasser süße,
und deiner Dirnen geile Bisse.

Aber Wieland hatte auch zahlreiche Angriffe und Schmähungen zu ertragen. Vor allem seine frivolen Verserzählungen brachten ihn in den Ruf eines Sittenverderbers und Wollustsängers. Der Theologe und Schriftsteller Johann Kaspar Lavater forderte alle Christen auf, für den schwer gefallenen Sünder Wieland zu beten. Man sprach sogar von „epikureischer Schweinheit“.
Auch der Zürcher Literaturkritiker Bodmer, bei dem Wieland knapp zwei Jahre gewohnt hatte, höhnte enttäuscht über seinen ehemaligen Schüler: „Wielands Muse ist eine Metze geworden, die sich dem leichtfertigsten Leser in die arme wirft.“ Die Kirchenzensur in Wien verbot Wielands frivole Schriften.
Den Moralaposteln und literarischen Feigenblättern entgegnete Wieland: „Sobald der Mensch nur ein Glied an seinem Leibe hat, dessen er sich schämen muss, hat er seine Unschuld verloren. Man tadelt es, dass nackte Figuren da aufgestellt werden, wo Mädchen im Hause sind. Hätte ich nur recht viel, ich wollte alle meine Zimmer davon anfüllen. Warum ziehen wir denn den Hunden und Ochsen nicht auch Hosen an? Der heiligste Naturtrieb ist durch Pfafferei entadelt und verschrien worden.“
Selbst der Theologe Johann Gottfried Herder nahm Wieland in Schutz und erklärte, Wieland verfolge „gewiss einen edleren Zweck, … als uns bloß witzig zu amüsieren … Seine oft missverstandene Philosophie ist doch am Ende Weisheit des Lebens.“
Und Goethe meinte: „Wieland kündigt allem … den Krieg an, zuvörderst also der platonischen Liebe.“ Wieland wirkte auch auf diesem Gebiet als Dichter der Aufklärung und spricht von der „Philosophie der Liebe“ bzw. von der „erotischen Philosophie“.
Wieland lebte 36 Jahre in glücklicher Ehe mit seiner Frau Anna Dorothea und bekannte: „In allen meinen Liebesaventüren war viel Illusion, und reine Glückseligkeit kenne ich erst seit der Epoche meiner Verheiratung.“ Seine Frau brachte ihm 14 Kinder zur Welt, neun Töchter und fünf Söhne.

2. Juni 2011 Vortrag von Dr. Angelika Reimann

„… dass ich zuerst und zuletzt bin ein Opfer – und bin der, der es bringt.“ Thomas Manns Goethebild in seinem Roman „Lotte in Weimar“, Vortrag von Dr. Angelika Reimann, Jena

„Lotte in Weimar“ ist uns heute zumeist als großer Goethe-Roman im Bewusstsein, in dem Thomas Mann ein lebendiges, facettenreiches, sehr persönliches Goethebild zeichnet. Aber schon ein Blick auf die Entstehungszeit des Werkes – 1936 bis 1939 – lässt erkennen, dass „Lotte in Weimar“ ein höchst politisches Buch ist.
Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann schreibt seinen Roman im Exil. Ihn beschäftigt die brennende Frage, worin wahres Deutschtum, worin die wahre deutsche Kultur besteht und wer sie repräsentiert: die von nationalsozialistischem Rassenwahn und Völkerhass verblendeten Deutschen und deren Rädelsführer oder die humanistische Tradition der deutschen Geistesgeschichte. Um eine Antwort auf die Fragen zu finden, zeigt Thomas Mann die Haltungen des Menschen und des Dichters Goethe gegenüber den vielfältigen Problemen der napoleonischen Zeit und setzt sie in ein spannungsreiches Verhältnis zur bedrückenden Gegenwart der enddreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts.
In Goethe, den die Nationalsozialisten ideologisch vor ihren Karren des Völkerhasses zu spannen versuchten, sieht und gestaltet Thomas Mann den großen Repräsentanten wahrer deutscher Kultur und verteidigt die humanistische Tradition des deutschen Bürgertums gegenüber der nationalsozialistischen Barbarei.
„Lotte in Weimar“ erschien 1939 in den USA, wohin Thomas Mann seine Flucht vor den Nationalsozialisten inzwischen geführt hatte. Den 80 Millionen Deutschen war es verboten, Thomas Manns Botschaft zu lesen.

5. Mai 2011 Vortrag von Hartmut Heinze

Friedrich Bury, Goethes zweiter Fritz“, Vortrag von Hartmut Heinze (M. A.) Berlin

Als Goethe 1786 in Tischbeins römische Wohnung einzieht, wurde auch der junge Maler Friedrich Bury aus Hanau sein Hausgenosse. Nach Anfängen an der Hanauer Zeichenakademie und der Düsseldorfer Akademie zog Bury (geb. 1763) 1782 nach Italien, seit 1784 ist er in Rom tätig. Wegen seines heiteren Wesens gewann Goethe den jungen Maler lieb und nannte ihn brieflich „seinen zweiten Fritz“ in Anspielung an den Sohn von Charlotte von Stein. Bury begleitete Goethe oft in Rom und kopierte auch nach Goethes Abschied 1788 im Auftrag Goethes viele Kunstwerke (Michelangelo, Tizian, Caracci). Goethe empfahl den Maler der Herzogin Anna Amalia sehr, so dass Bury zu ihrer engeren Umgebung in Rom gehörte. Bury begleitete Anna Amalia auch auf ihrer Rückreise 1790 von Rom bis Venedig und Mantua.
Nach dem rührenden Abschied von Goethe blieb der Maler noch in Mantua und Florenz, um im Auftrag Goethes Kopien von Giulio Romano Mantegna und anderen zu schaffen, was er in Rom fortsetzte. 1799 verließ Bury Italien, wohl wegen der Kriegsläufte und um in Deutschland neue Aufträge zu erhalten. Zuerst in Hanau bei der Familie schuf er mehrere familiäre Porträts, dann wandte er sich nach Weimar, wo er bis Anfang August 1800 blieb. Hier schuf er etliche Porträts, auch von Goethe, suchte ein Stipendium zu erhalten, von der Herzogin oder Goethe, doch ohne Erfolg. Goethe hatte die Künstler Heinrich Meyer und Lips nach Weimar geholt und hatte schon 1788 Bury an Anna Amalia zwecks Anstellung empfohlen. Aber Bury wollte seinerzeit in Rom bleiben, und auch 1800 wollte er wieder nach Rom zurückkehren. Möglich, dass er ungeschickt taktierte oder auch wirklich keine Anstellung möglich war; jedenfalls reiste er nach Berlin weiter, um dort zu reüssieren und Aufträge zu akquirieren.
Auch hier hielt er an seinem Traum fest, danach nach Rom zurückzukehren. In Berlin stellte er mehrere seiner Werke aus, u. a. das viel besprochene und seit 1846 verschollene Ölporträt Goethes. Empfehlung von Herzog Carl August nach Berlin brachten Bury zahlreiche lukrative Porträtaufträge und Lehraufträge für Malunterricht für mehrere Prinzessinnen. Bury wurde ein gesuchter Porträtmaler in Berlin und Potsdam, nach 1814 in Kassel, Hanau, Den Haag und Brüssel. Davon zeugen noch heute seine Meisterwerke in den Kunstgalerien von Kassel, Berlin,, Den Haag, Meiningen, Weimar und Oldenburg. Natürlich finden sich Burys Werke insbesondere in den Goethe-Museen Weimar, Frankfurt/M. und Düsseldorf.
1808 in Karlsbad, 1816 in Weimar sah Bury Goethe wieder. Aber der Weg Burys nach 1800 war ein eigenständiger, den es noch recht zu würdigen gilt. 1823 starb er in Bad Aachen.

3. März 2011 Vortrag von Dr. Arnold Pistiak

„Die Sonne tönt nach alter Weise. Musikalisches im Faust. Faust in der Musik“ (mit Klangbeispielen), Vortrag von Dr. Arnold Pistiak, Potsdam

Vom Tönen der Sonne spricht der Vers, mit dem der „Prolog im Himmel“ beginnt – mit dem geheimnisvollen „Chorus mysticus“ endet die Faust-Tragödie. Zwischen diesen beiden Eckpunkten finden sich virtuos gehandhabte Rhythmen in den sehr unterschiedlich gebauten Versen, zahlreiche Hinweise, die der Bühnenmusik gelten, aber auch Lieder, Chöre sowie opernhaft angelegte Szenen. So wird man sagen dürfen, dass Goethe seinem Werk durchaus musikalischen Charakter verliehen hat, dass wir uns ermuntert fühlen dürfen, nach Umfang und Funktionen des Musikalischen in Goethes „Faust“ zu fragen. –Zum anderen aber hat das Volksbuch vom Doktor „Faust“ (die „Historia“), wie auch die Tragödie Goethes als poetischer Stoff Hunderte von Musikern inspiriert – unter ihnen etwa Beethoven, Schubert, Schumann, Berlioz, Liszt, Mahler, Eisler. Immer stehen diese Kompositionen in der Spannung zwischen der Vorgabe des Dichters (dem poetischen Text) und der souveränen Individualität des Komponisten. Nicht um angemessen oder unangemessen geht es also, nicht um „richtig“ oder „falsch“ – sondern um ein Verhältnis: Wie geht der Komponist mit den Worten des Volksbuches oder der Fausttragödie um? Worauf konzentriert er sich – was übergeht er? Welches Bild von Faust entwirft er mit seiner Musik, welches von Mephistoteles, welches von Gretchen? Welches Zeit- und Weltverständnis äußert sich in den unterschiedlichen Faustkompositionen? Der Versuch, diesen Fragen nachzugehen, macht überraschende, ja erregende Zusammenhänge sichtbar. – Aus der kaum übersehbaren Fülle der „Faustmusik“ Goethes wie der Faustkompositionen wurden ausgewählte Beispiele vorgestellt und die damit zusammenhängenden Probleme besprochen.

4. November 2010 Vortrag von Dr. Detlef Ebert

“Goethe als Patient”,  Exzerpt aus dem Vortrag von Dr. Detlef Ebert, Gera

„Ich habe viel in der Krankheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können“, schrieb Goethe Ende Dezember 1768 an Käthchen Schönkopf nach Leipzig. „Oh, wenn ich jetzt nicht Dramen schreibe, ich ginge zu Grund!“
Der 19-jährige Jura-Student war gerade wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung in seine Heimatstadt Frankfurt/M. zurückgekehrt, um sich im elterlichen Haus am Hirschgraben in die aufopferungsvolle Pflege von Mutter und Schwester zu begeben. Das Verhältnis zum Vater, der sich um die exzellente Schulbildung Wolfgangs so außerordentliche Verdienste erworben hatte, geriet dagegen in eine Krise. Für ihn war der Sohn ein verweichlichter Studienversager, womit der gestrenge Kaspar Goethe den Ernst der Situation völlig verkannte.

Der sich im damals mondänen Leipzig als elitäre Lebemann und genialischer Dichter-Rebell inszenierende Johann Wolfgang Goethe war nämlich an einer offenen Lungentuberkulose erkrankt, deren Heilungschancen bei 10 bis 20 Prozent lagen. Auslöser für diese typische Immunschwächeerkrankung dürfte die hektisch-extrovertierte Selbstentfremdung des Leipziger Lebensstils des jungen Goethe gewesen sein. Er selbst diagnostizierte neben seinem überschwänglichem Lebenswandel noch falsche Ernährung und Bewegungsmangel als Ursachen für seine „System-Dysharmonien“, die sich bis zur „Verschwörung oder gar Revolution“ einer organischen Krankheit auswachsen können, um das Ganze zu retten. Krankheit als Signal für Störungen im Gesamtorganismus, für „Außbalancen“ und „Dysharmonien“ – was für ein Paradigmenwechsel. In der über eineinhalbjährigen Rekonvaleszenzzeit, in der der „Schiffbrüchige“ mehrmals dem Tode nahe ist, überwindet Goethe sowohl die Tuberkulose als auch die schwere seelische Krise der Leipziger Studentenzeit. Er erkennt sehr deutlich die enge Vernetzung von Körper und Seele, womit jede Krankheit eben auch von Psyche und Soma beeinflusst wird und entwirft ein ganzheitliches Gesundheitskonzept, in dem somatische, psychische und soziale Faktoren wechselseitig aufeinander wirken. Gesundheit als Fähigkeit, die lebensnotwendigen Ressourcen seiner Umgebung zu nutzen.

Goethes Bildung, sein Antizipationsvermögen und sein poetisches Talent – er schrieb Dramen! – ermöglichten jene Kohärenz zwischen äußerer und innerer Realität, die, wie wir heute wissen, die Grundlagen für die Stabilität des Selbst und damit von psychosomatischer Gesundheit bildet. So wurde die Krise der Leipziger Krankheit zur ersten großen Lebenswunde, zu einer „Metamorphose“ und zur vielleicht wichtigsten Epoche in Goethes künstlerischer Entwicklung. Bildung als Rettungsanker, Natur und Kunst als Kraftquell für Katharsis und Gesundung. Die Modernität und Zukunftsfähigkeit der Geotheschen Gesundheitsvorstellungen kann angesichts unseres heutigen Gesundheitswesens, das finanziell und konzeptionell in einer Sackgasse steckt, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Krakau 2010

von Barbara Bodechtel
Am 27.Mai trafen sich schon früh um sechs am Geraer Hauptbahnhof 14 Mitgliedern der Goethegesellschaft, um gemeinsam nach Krakau zu fahren. Diese schöne alte Kulturstadt an der Weichsel ist mit ihrem reichen kulturellen Erbe ein lohnendes Reiseziel für alle kulturell Interessierten.Gegen 14.00 Uhr kamen wir in Krakau an. Das Hotel "Karmel" war schnell gefunden.Schon gegen 16.00 Uhr trafen wir uns mit unserer Krakauer Reiseleiterin Katharina. Die Exkursion durch die attraktive schöne alte, und doch so junge Stadt konnte beginnen.

Katharina machte uns gleich zu Beginn an Hand des Stadtplans darauf aufmerksam, dass die Innenstadt die Form einer Laute besitzt. Das Zentrum umfasst den Wawel und die historische Altstadt, die vom Grüngürtel Planty und den angrenzenden Stadtteilen umgeben wird. Unsere Exkursion begann am Theater, das 1880 fertiggestellt wurde und mit Skulpturen verschönt ist, die Allegorien der verschiedenen Genre der Bühnenkunst darstellen. Wir kommen zur Barbakane, der Bastion, die mit einem Wassergraben umgeben, aus dem 15. Jahrhundert stammt und dem noch erhaltenen Stadtmauerfragment vorgelagert ist. Von der Barbarkane aus gelangt man durch das Florianstor (Brame Florianska) über die Floriansstraße bis zum Hauptmarkt (Rynek Glowny ), der der Mittelpunkt der Stadt ist.

1257 wurde der Rynek Glowny, gemeinsam mit dem ihm umgebenen Straßennetz, neu angelegt. Damals wurde sowohl der zweihundert mal zweihundert Meter große Markt als auch die Straßen der Altstadt nach dem Magdeburger Recht abgesteckt und geradlinig gestaltet. Die damals schon bestehende Marienkirche steht dadurch schräg zum Hauptmarkt. Diese einmalig schöne dreischiffige Basilika besitzt viele wertvolle Kunstwerke. Am bedeutendsten ist der gotische Hochaltar von Veit Stoß, der als der größte und schönste ganz Europas gilt und der der Marienverehrung gewidmet ist. Der Nürnberger Bildschnitzer schuf in zwölfjähriger Arbeit ein Meisterwerk aus Linden-und Eichenholz. Die zweihundert biblischer Gestalten aus Lindenholz wirken lebendig und ergreifend schön. Auf der obersten Altarstufe (Predella) wird der Stammbaum von Jesus und Maria dargestellt. Der offene Schrank des Altaraufsatzes schildert die wichtigen Ereignisse im Leben Marias, von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt. In der Mitte des Altars kann man die große plastische Szene des Einschlafens Marias, von Aposteln umgeben, bewundern, darüber die Himmelfahrt und Krönung in Begleitung des Heiligen Adalberts. Wird der Altar geschlossen, erblickt man zwölf Szenen des Leidens Christi.

Die Türme der Marienkirche, unterschiedlich in Form und Größe, sollen von zwei Brüdern geschaffen worden sein, von denen der eine aus Neid den anderen erstach. Das mutmaßliche Tatwerkzeug hängt noch heute als Warnung vor Missgunst an einer Kette. Vom Wachturm aus erschallt seit 1222 stündlich die Hejnalmelodie, die damals, als die Mongolen in Krakau einfielen, gespielt wurde. Wir haben Glück, die volle Stunde ist bald erreicht, und wir können dem Trompetensolo lauschen. Eindrucksvoll und anmutig nehmen die Tuchhallen die Mitte des Platzes ein. Nur schade, dass sie zum Zeitpunkt unseres Besuches verhüllt sind, denn dieser herrliche Renaissancebau soll restauriert werden. Wie ein riesiger Quader reckt sich auf der einen Seite der Tuchhallen ein großer klotziger Turm in die Höhe. Es ist der Rest eines gotischen Rathauses, das heute ein Informationszentrum beherbergt. Der Eingang wird von steinernen Löwen bewacht. Auf dem Markt steht auch das älteste Baudenkmal Krakaus, die St. Adelbertskirche, die schon im 10. Jahrhundert an der Stelle errichtet wurde, an der der Heilige Adelbert Gottes Wort verkündete, und von der aus Krakau sich im 13. Jahrhundert gegen den Einfall der Mongolen wehrte. Die heutige Gestalt erhielt diese kleine Kirche im 17. Jahrhundert. Mitten auf dem Marktplatz steht das Denkmal des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz. …

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