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Herbstausflug nach Weißenstadt und zum Waldstein

erstellt am: 23.09.2013 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

Einen ereignisreichen Tag verlebten wir am Sonnabend, 21. September 2013, zum Herbstausflug mit dem Kulmbacher Literaturverein. Der Ausflug begann mit einer Meditation in der futuristisch anmutenden Autobahnkirche Himmelkron. Der Bayreuther Jürgen Linhardt berichtete von der Geschichte dieser modernen, wirklich beeindruckenden Kirche. Sie wird jährlich von ca. 100 000 Menschen aufgesucht, nicht nur von Leuten, die sich eine Auszeit von dem alltäglichen Wahnsinn der Autobahn 9 gönnen, sondern auch von ruhebedürftigen Gläubigen der Umgebung. Es handelt sich um ein ökumenisch orientiertes Gotteshaus, und in den Andachtsraum, in den uns Jürgen Linhardt führte, kommen auch Atheisten, Andersgläubige, z. B. Muslime. Jürgen sorgte während der Meditation für einen überaus gelungenen Wechsel von Text- und Musikbeiträgen.
Danach gingen wir Mittag essen in die Franken-Farm.

Nun stand eine Stadtführung in Weißenstadt auf dem Programm. Weißenstadt? Offen gestanden erwarteten wir davon nicht allzuviel. Na ja, das berühmte Scheunenviertel, die gleichermaßen bekannten Keller, der Weißenstädter See … Mehr fiel uns da nicht ein. Um so größer war dann die Überraschung. Zuerst besichtigten wir die evangelische Kirche am Marktplatz. Anschließend führte uns Gerald Kastl in einen Kristallgang in der Kirchenlamitzer Straße, denn schließlich wurde in Weißenstadt zwischen 1400 und 1850 begehrtes Bergkristall – Strählein, der Strahlende – abgebaut. Diese mineralogischen Schönheiten waren natürlich nur für reiche Leute bestimmt. Kaum zu glauben, dass der Bergbau direkt unter den Häusern der Stadt betrieben wurde. Ein Hauptgang durchzieht in südöstlich-nordwestlicher Richtung die gesamte Stadt. Bis in die 50-er Jahre hinein konnte man durch die Gänge laufen. Gut, dass die Eltern oft nicht erfuhren, wo ihre Kinder spielten. Viele Sagen und Legenden ranken sich um die Gänge. So soll es sogar einen unterirdischen See und einen Gang hinüber zum Waldstein gegeben haben. Allerdings regten die Geraer an, dass es am Elternhaus von Karin Minet, der Chefin des Kulmbacher Literaturvereins, auch einen Karin-Minet-Kristallgang geben sollte. Schließlich tragen schon einige Gänge Namen.
Gerald Kastl erläuterte uns die Entstehung des Bergkristalls aus Granit, wenn heißes Magma auf Wasser trifft. Es war sehr spannend, sich durch den teils sehr engen Kristallgang zu zwängen, aber die bergbaulichen Spuren und die gut sichtbaren Quarzgänge wogen alle Mühen auf. Über mehrere Stockwerke wurde damals der Bergbau betrieben. Wir erfuhren noch, dass das Fichtelgebirge neben Teilen Sibiriens und der amerikanischen Appalachen zu den Resten des urzeitlichen Variskischen Gebirges, einem Faltengebirge, gehörte. Es wurde nach dem Lande der Varisker, dem Vogtlande, benannt. Im Fichtelgebirge sind übrigens etwa 80 Prozent aller auf der Erde vorkommenden Gesteinsarten zu finden.

Ein weiterer, sehr willkommener Höhepunkt schloss sich an: der Besuch des kleinen, aber feinen Drogerie- und Destillerie-Museums. Es geht auf die 1864 von Carl Sack gegründete Specereywarenhandlung zurück. Mehrere Generationen und mehrere Kriege überdauerte das Geschäft, bis es schließlich ein frühes Opfer der Globalisierung wurde und Besitzer Willi Sack die Drogerie 1989 schweren Herzens aufgeben musste.
Die Sacks haben nichts weggeworfen, sondern alles aufgehoben. Auf diese Weise entstand eine beeindruckende Sammlung vielfältiger Exponate: von Glasgefäßen für Arzneien und Olitäten, bis hin zum Feldgesangsbuch aus dem Ersten Weltkrieg, einem Büchlein des großen pädagogischen Reformer Comenius, über den Volksempfänger (Goebbels-Schnauze), einem wunderschönen Drogerie-Kaufmannsladen (Puppenstube) bis hin zu Urkunden, Schulranzen und Zeitungsausschnitten. Köstlich in diesem Zusammenhang folgende Story: Mitte der 60-er Jahre musste die schon von Goethe überaus geschätzte Chemische Fabrik von Wolfgang Fickentscher in Marktredwitz einem Supermarkt weichen. Dabei stellte man voller Entsetzen fest, dass der Boden von den chemischen Substanzen, vor allem Quecksilber, total verseucht war. Die Erde musste unter erheblichen finanziellen Kosten entsorgt werden. Mit diesem Thema beschäftigten sich nun Münchener Journalisten. Offensichtlich waren selbige jedoch der Geographie, einschließlich der politischen, nicht sonderlich mächtig. Mit anderen Worten: Sie wussten einfach nicht, wo Marktredwitz lag, und die menschenverachtende Umweltverschmutzung … sie konnte ja nur das Werk eines Unternehmens der DDR gewesen sein. In diesem Falle hätten sie sich natürlich um eine Rechercheerlaubnis bei den sozialistischen Behörden bemühen, ihren Reisepass und Presseausweis vorweisen müssen. Dass dies nicht geschah, lässt vermuten, dass ihr Presseartikel in München am grünen Schreibtisch entstand. Tja, so kann’s gehen, wenn man die Recherche auf die allzu leichte Schulter nimmt. Vermutlich wissen viele Münchener, bayerische Staatsregierung eingeschlossen, heute noch nicht, wo Marktredwitz eigentlich liegt. Und sicherlich entzieht sich auch Weißenstadts Lage ihrer Kenntnis.
Na ja, wir, die Geraer Goethefreunde, kennen uns da nun besser aus, dank unserer Kontakte nach Kulmbach. Und Goethes Spuren im Fichtelgebirge (und in Böhmen) sind wir schon längst gefolgt.

Doch zurück zu dem wunderschönen Tag mit unseren Kulmbacher Freunden.
Denn jetzt kam “der Hammer”: der Besuch der kleinen Destille. Betrieben wird selbige von Gerald Kastl höchstpersönlich, und so kamen die Auskünfte zu diesem Gourmet-Kleinod aus keinem berufenerem Munde. Da lernten wir zunächst den Unterschied zwischen dem Brenner (der reinen Alkohol produziert) und dem Destillateur (der dem Alkohol Ingredienzien zusetzt) kennen. In dieser Destille werden auf ganz handwerkliche Weise typische Fichtelgebirgsschnäpse hergestellt. Neben dem weichen Wasser des Granitgebirges werden traditionell nur Beeren und Kräuter der Region verwendet. Folglich sind Aromen, Farb-, Konservierungsstoffe oder weitere chemische Substanzen passé. Bis zu 32 Kräuter kann ein solcher Schnaps oder Likör enthalten. Die Mengen bleiben begrenzt, man könne nicht davon leben, erläuterte Gerald Kastl. Würde er die Produktion erweitern, hätte dies unweigerlich eine gewisse Industrialisierung zur Folge. Sie sei jedoch keineswegs gewollt. Nach diversen Kostproben sorgten wir an der Registrierkasse für einen nicht unerheblichen Umsatzschub.

Solcherart gestärkt fuhren wir auf den Waldstein. Einige, die den zwar kurzen, aber doch recht steilen Aufstieg auf die Burgruine nicht scheuten, wurden mit einem schönen Blick ins weite Land belohnt. Auf der Bühne des Waldsteins wurde übrigens 2010 und 2011 Bernd Kemters Stück “Der Ketzer” über den Hussiteneinfall 1430 in der Region aufgeführt; ein weiteres Beispiel für die freundschaftlichen Kontakte der Thüringer mit den Oberfranken. “Wessi” und “Ossi” sind jedenfalls bei uns längst verpönt und aus unserem Wortschatz verbannt.

Im urig-gemütlichen Waldsteinhaus stärkten wir uns recht ordentlich. Aber natürlich kam auch die Kultur zu ihrem Recht. Aus ihren Manuskripten oder anderen Werken lasen Barbara Hahn, Birgit Hächl, Friederike Köstner, Helga Zauft, Vera Richter, Brigitte Binder, Karin Minet und Jürgen Linhardt.
Sodann wurden an Karin Minet und unser Kulmbacher Ehrenmitglied, Klaus Köstner, je ein Exemplar unserer Erstpublikation “Goethe und der Osten Thüringens” übergeben.
Mit Rücksicht auf die anderen Gäste wurde diesmal auf den traditionellen gemeinsamen Gesang verzichtet. Er wird zur nächsten Zusammenkunft nachgeholt werden, denn dass die freundschaftlichen Kontakte weitergeführt werden, darüber waren sich alle in der Runde einig. Und damit die Sache organisatorisch etwas leichter wird, werden wir als Geraer Goethefans unseren Kulmbacher Freunden schon jetzt konkrete Termine für 2014 nennen.

Wirklich ein schöner Tag für uns alle, ein herzliches Dankeschön für die perfekte Organisation.
B. Kemter

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