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„Der Salon der Rahel Varnhagen von Ense“

erstellt am: 02.10.2013 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle, am 2. Oktober 2013

Der Salon der Rahel Varnhagen von Ense, Vortrag von Dr. Heidi Ritter

Sie war eine bedeutende Saloniere um 1800. „Rahel – ein Buch des Andenkens an ihre Freunde“ wurde von ihrem Mann herausgegeben, und zwar mit ihrem ursprünglichen jüdischen Vornamen.
Sie hieß Antonie Friederike Varnhagen von Ense; doch als sie starb, gab ihr Mann ihr den Vornamen Rahel zurück.
Zwischen 1793 und 1806 machte sie sich mit ihrem Berliner Salon einen Namen. Klein, nicht besonders schön, aber in großer Ausstrahlung entfaltete sie ihre herausragenden intellektuellen Fähigkeiten. Ihr Haus befand sich in der Jägerstraße, nahe des Gendarmenmarktes. Begrüßt wurden Vertreter unterschiedlicher Stände, allerdings mussten sie aus dem Bildungsbereich stammen. Dies waren Bürgerliche und Adlige, Christen und Juden, Militärs und Beamte. Standesgrenzen zu überspringen, war durchaus etwas Außergewöhnliches. Die Frau übernahm die Führung, häufig handelte es sich um jüdische Frauen. Repräsentative Kleidung und Kulinarisches spielten dabei keine Rolle. Es herrschte eine ungezwungene Stimmung.
Weitere bedeutende Salonieren waren Dorothea Veit (Tochter Mendelssohns) und Henriette Herz.
Die Ursprünge gehen auf die adligen Salons in Frankreich zurück. Hohe geistreiche Damen standen ihnen vor. Die Grundidee war immer: ungezwungenes Gespräch. Dies verbindet die Salons in Frankreich mit denen in Preußen. Intimität und Vertrautheit waren hierbei wichtig. 1807 erschien Bertuchs „Apologie des Tees“. Er soll Gesprächskultur befördern. An den Teetischen wird der Faden der Unterhaltung geknüpft.
Warum gelingt es gerade jüdischen Frauen, eine solche Stellung einzunehmen?
Zum einen gilt in der christlichen Familie das Ideal der Hausmutter. Es herrschen patriarchalische Verhältnisse. Es gab zudem einige Konstellationen, die es einzig jüdischen Frauen erlaubten, als Salonieres tätig zu werden. Reiche jüdische Familien gewährten ihren Töchtern eine gute Bildung, die über die Grenzen des Üblichen hinaus ging. In Berlin war die jüdische Welt auch nicht so eng wie anderswo, auch auf Grund aufklärerischer Ideen. Rahel empfindet es als Unglück, dass sie zwischen beiden Welten steht. Ihre jüdische Geburt empfindet sie als Schicksal, das sie nur schwer ertragen kann. Sie fühlt sich von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Hannah Arendt schrieb übrigens eine Rahel-Biografie. Graf Finkenstein lernt sie kennen und lieben. Aber die Beziehung scheitert. Dann beginnt eine Beziehung mit dem spanischen Gesandtschaftssekretär, doch Rahel bricht die Beziehung ab. Somit beginnen die Zusammenkünfte im Salon. Hier existiert ein diskriminierungsfreier Raum, Privilegien gelten nicht mehr.
Die Gesellschaftsabende versammeln Größen wie Wilhelm von Humboldt, Prinz Louis Ferdinand von Preußen mit Pauline Wiesel, die er sonst nirgendwo zeigen darf, Dorothea Veit, Clemens Brantano, Chamisso, Fouque. Es gab auch eine erotische Komponente. Die Kunst, das Gespräch zu führen, beherrschte Rahel recht gut. Schleiermacher verfasste sogar eine „Theorie des geselligen Betragens“. Er forderte eine freie Geselligkeit als eines der edelsten Bedürfnisse des menschlichen Geistes. So gaben die Salons ein Modell für freie Öffentlichkeit. Über Politik zu reden, war allerdings verpönt.

Nach 1806 ist die Zeit für Rahels Salons vorbei. An die Stelle der Salons tritt zum Beispiel eine solche Vereinigung wie die „Christlich-deutsche Tischgesellschaft“.
1808 lernt sie Karl August Varnhagen kennen. Es dauert noch sechs Jahre, ehe sie heiraten. Sie muss sich zuvor evangelischtaufen lassen – als Antonie Friederike. In Frankfurt kam es zur Begegnung mit Goethe. Ein Mädchen brachte noch vor dem Aufstehen eine Einladungskarte von Goethe. Für sie war die kurze Frist kaum zu bewältigen. Sie kleidete sich rasch an, und alles verlief recht unglücklich. Ihre Verwirrung war groß, sie redete viel. Es war eine Katastrophe, und sie musste sich gleich wieder entfernen. Dennoch hat sie dieses Datum zu ihrem Feiertag erklärt.

Später wurde das Ehepaar noch zweimal in Weimar empfangen. Mitte der 20-er Jahre befindet sich Varnhagen in diplomatischem Dienst. Sie eröffnet zum zweiten Mal einen Salon. Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher, Fürst Pückler und Heine zählen zu ihren Gästen. Gespräche über Kunst und Liteatur. Sie stirbt 1833.

Nachruhm: 6000 Briefe mit 300 verschiedenen Korrespondenten sind überliefert. Sie hat auch Tagebuch geführt. Varnhagen hat alles aufgehoben und als „Sammlung Varnhagen“ zusammengetragen. 1977 brachte Edward Gierek, Generalsekretär der PVAP, als Gastgeschenk einen Beethoven-Autographen in die DDR. Es ging in die Bestände der Staatsbibliothek Berlin ein. Bei all dem wurde klar, dass sich noch mehr Handschriften und Nachlässe in Krakow befinden mussten. Sie waren von den Nazis ausgelagert worden. 1983 wurde Varnhagens Werke in der BRD veröffentlicht . 1985 erschien ein Band in der DDR, der auf die alte Ausgabe zurück ging.
Rahel: „Was mache ich? Ich lasse das Leben auf mich regnen.“
B. Kemter

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