Goethe Gesellschaft Gera e.V. » 6. September 2012 Vortrag von Dr. Heidi Ritter

6. September 2012 Vortrag von Dr. Heidi Ritter

erstellt am: 06.09.2012 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

„Sturmwind in Weibskleidern. Madame de Stael.“,  Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle

 

Mit Politik hat sie sich bereits im Salon der Mutter befasst. Familie Necker war bürgerlicher Herkunft. Vater wurde aus dem revolutionären Frankreich vertrieben, fand Exil in Genf. Mit dem Vater führte sie eine intensive Korrespondenz. Sie blieb in Paris, ihre Mutter eröffnete dort einen eigenen Salon. Sie wendet sich sowohl gegen das Ancien regime als auch gegen die Nationalversammlung. Sie mischt sich ein, entflammt sich für Politik und – Männer. Zum Beispiel gehört Talleyrand zu ihren Liebhabern. Sie werden Väter von fünf Kindern. In den 80-er Jahren verfasst Madame de Stael erste Schriften, so über Rousseau. In Politik, Literatur und Liebe entfaltet sich ihr Leben, ihr Denken ist ganz von der Aufklärung bestimmt: Freiheit, Gerechtigkeit und Tugend. Sie wird verehrt und bewundert, aber auch gehasst. Sie ist erstaunlich klein, misst gerade einmal 1,50 Meter, sie ist füllig, ihr Teint dunkel. Ihre Kleidung erregt Anstoß, sie trägt später sogar einen Turban.
Den Jakobinern folgt sie nicht. Erst 1795 nach Paris zurückgekehrt, bekennt sie sich zur republikanischen Verfassung, ohne ihre Kontakte zur Aristokratie aufzugeben. In Napoleon Bonaparte erkennt sie den starken Mann, der die extremen Kräfte, Jakobiner und Royalisten, bezwingen kann. Napoleon beantwortet jedoch ihre Briefe nicht.Sie will ihm auf gleicher Augenhöhe begegnen, das lehnt Napoleon ab, er sieht in ihr nur die Frau. Sie übt Kritik an seiner Regierung, Napoleon lässt sie in seiner ihm hörigen Presse kritisieren. 1800 erscheint die Schrift „Ãœber die Literatur in ihrem Verhältnis mit den gesellschaftlichen Einrichtungen“. Sie erwähnt darin lobend die deutsche Literatur. Dass sie damit die Sympathie des 1. Konsuls (Napoleon) im Hinblick auf seinen ausgeprägten Nationalismus nicht erringen kann, ist klar. Die Presse verunglimpft die Schrift.
Ihr Eigensinn und Unabhängigkeit verleiten Napoleon zu heftigen Wutausbrüchen. Sie scheint Vergnügen daran zu finden, seiner Ungerechtigkeit und Herrschsucht Widerstand zu leisten.
Ihr Liebhaber Constant fliegt mit 19 weiteren Kollegen aus dem Tribunal, 1804 soll sie sich innerhalb von 24 Stunden aus dem engeren Umkreis von Paris entfernen. Sie erwirkt unter Mühen drei Tage Aufschub, um sich ganz aus Frankreich zurückzuziehen. Deutschland bietet sich an mit seinen „hervorragenden Männern, Philosophen und Schriftstellern“. 1803 gelangt sie über Metz, den Rhein nach Frankfurt/M. Für sie ist es ein Kulturschock. Sie beklagt die Langsamkeit der Deutschen, ihren Tabakgenuss. Aber ihr gefällt, dass die Deutschen die Musik lieben. Frau Rat Goethe schreibt an ihren Sohn: „Mich hat sie bedrückt, als ob mir ein Mühlstein am Hals gehangen hätte.“
Nun fährt Madame de Stael nach Weimar. Sie empfindet die Wege in der Postkutsche unbequem, zumal liegt reichlich Schnee. Ab Eisenach verbessert sich ihre Stimmung, genießt dort ein besonderes Musikerlebnis. Ihr gefallen auch die deutschen Frauen. Zwei Tage hält sie Rast in Gotha, nimmt Unterricht in Mundharmonika. Am 14. Dezember trifft sie in Weimar ein. Sie erfährt, dass Herder im Sterben liegt. Goethe und Schiller kennen sie bereits, schätzen ihre Schriften, zum Beispiel den Aufsatz „Versuch über die Dichtungen“, veröffentlicht in den „Horen“; sie fürchten sich jedoch vor der persönlichen Begegnung, vor ihrer Zungenfertigkeit. Goethe zögert die Begegnung hinaus, lädt sie aber nach Jena ein, wo er sich gerade aufhält. Er wollte somit vermutlich die Hierarchie von Mann und Frau betonen (sie kommt zu ihm). Madame de Stael trifft zuerst auf Schiller während einer Hofgesellschaft. Sie spricht mit ihm über Kant, beide sind voneinander sehr angetan. Am 24. Dezember kommt es zur Begegnung mit Goethe im Haus am Frauenplan. Auch das Ehepaar Schiller ist dabei. Sie kritisiert Goethes „Die natürliche Tochter“, fand die Vorlage abgeschmackt und langweilig. Er möge doch diese „Missgeburt“ nicht fortsetzen. Er verbittet sich daraufhin in den Paralipomena zu den Tages- und Jahresheften natürlich jegliche Kritik. Sie ist ohnehin von seiner Erscheinung schwer enttäuscht, hat sich wohl einen etwas älteren Werther vorgestellt. Er sei ohne besondere Physiognomie, die sich weltmännisch gebärden wolle. Dennoch hält sie Goethe für einen philosophisch und literarisch hervorragenden Kopf, dessen Geist allerdings schlecht untergebracht sei in „dicker Pastetenkruste“.
Ãœber Wieland schreibt sie wenig, schätzt ihn aber. Sein Geist sei in Voltaire’scher Schule geformt.
Es gibt drei Treffen mit Goethe, er geht zusehends auf Distanz. Er meldet sich für drei Wochen krank. Sie schickt ihm Billets: „Ob ich Sie nicht aufwarten darf?“
Goethe kritisiert gereizt (gegenüber Schiller) ihren Hang zum Altmodischen, Verwunschenen, Romantischen. Er hat sie aber nicht immer als Belastung empfunden. In den zweieinhalb Monaten ihres Aufenthalts ist die öffentliche Meinung immer freundlicher geworden, der Hof erwies ihr alle Ehren.
1804 ist sie mit ihren Kindern in Berlin.Rahel Varnhagen empfängt sie: „Es ist nichts Stilles in ihr“. Sie lernt August Wilhelm Schlegel kennen. Von ihm lernt sie viel über Literatur, über die neue romantische Strömung.
Sie bewundert uneingeschränkt die deutsche Gelehrtenwelt. 1807 unternimmt sie nochmals eine Reise nach Deutschland, wird aber auch in Wien gefeiert und geschätzt. Sie fährt erneut nach Weimar, trifft aber nicht jene Menschen an, die sie kennt. Schiller und Anna Amalia sind gestorben, nur Wieland ist da. Auch lernt sie Goethes Urfreund Knebel kennen. Schon nach zwei Wochen reist sie wieder ab.
1810 wird das Erscheinen ihres berühmten Buches „Ãœber Deutschland“ noch gestoppt; umstritten ist, ob auf  persönliche Veranlassung Napoleons oder des Polizeipräfekten. Die Auflage von 10 000 Exemplaren wird eingestampft. Sie unternimmt mir ihrem Geliebten eine Reise durch Europa, um gegen Napoleon Stimmung zu machen. Noch vor den napoleonischen Truppen war sie in Moskau, reiste dann nach Schweden, wo sie Bernadotte traf, einstigen Marschall Napoleons und nunmehriger schwedischer Kronprinz.
1813 weilte sie in London, dort erschien ihr Buch. Es war innerhalb von drei Tagen vergriffen. 1814 kam es im von Napoleon befreiten Frankreich heraus. 70 000 Exemplare wurden in ganz Europa verkauft. Sie kehrt nach der neuerlichen Niederlage Napoleons nach Paris zurück. Als 51-Jährige stirbt sie nach einem Schlaganfall.
In „D’Allemagne“ beschreibt sie Sitten, Länder, Städte, Landschaften, Literatur und Kunst in Deutschland. Sie behandelt Goethe, Schiller, Werner, Kotzebue, Paul, Voß und Bürger. Nur Kleist, Hölderlin, Brentano, Arnim und Novalis erwähnt sie nicht. Philosophie und Moral Kants rückt sie in den Mittelpunkt. Sie schreibt gegen den modernen Egoismus, wie er sich unter Napoleon entwickelt hat, stellt ihm den moralischen Enthusismus der Deutschen entgegen. Das Buch erlebt unter jungen Franzosen vor 1830 eine begeisterte Zustimmung.
Es ist das einzige Buch über Deutschland, das in Frankreich gültig geblieben ist.

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