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Studienreise nach Frankfurt/Main, Oestrich-Winkel, Wiesbaden 2013

erstellt am: 13.06.2013 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

Auf den Spuren Goethes

Ein Kleinbus brachte unsere erwartungsfrohe Gruppe über die Autobahn Richtung Westen gleich zu Beginn an den wichtigsten Ort unserer Reise nach Frankfurt/Main. Der Bus hielt direkt neben den Wolkenkratzern der deutschen Finanzmetropole vor Goethes Elternhaus Am Großen Hirschgraben, dem Goethe-Haus.
Dieses wurde 1863 als eine der ersten literarischen Gedenkstätten Deutschlands vom Freien Deutschen Hochstift eröffnet. Heute ist es ein sorgsam rekonstruierter Bau nach der fast vollständigen Zerstörung Frankfurts durch Fliegerbomben der Alliierten im 2. Weltkrieg. Bewegliche Gegenstände waren ausgelagert gerettet worden, so dass wir Besucher einen guten sehr anschaulichen Eindruck vom wohlsituierten Leben der Familie Goethe in der damaligen Freien Reichsstadt erhielten, vermittelt durch die kompetente Führung von Ernst-Jürgen Leinert. Da gab es eine Geschichte von der lebensbedrohlichen ersten Stunde des Babys Wolfgang, eine Erzählung von der Besonderheit eines Brunnens im Hause, von dem Frankfurter Schrank mit dem reichen Wäschebestand oder die Kupferstiche römischer Veduten an den Wänden, die der Vater von seiner Italienreise mitgebracht hatte und sogar ein aufrechtes Hammerklavier (Pyramidenflügel) aus der Werkstatt des Geraer Orgel- und Klavierbauers Christian Ernst Friderici.
Noch lange kreisten meine Gedanken um die Tatsache, dass der Wiederaufbau dieses bedeutenden Kulturdenkmals gleich in den ersten Stunden des Nachkrieges diesen Vorrang vor anderem Wiederaufbau (Wohnungen!) hatte. Welch ein Zeichen!

Die ersten beiden Nächte verbrachten wir in einer Pension bei Mörfelden-Walldorf.
Am nächsten Vormittag schlenderten wir dann im Main- Park entlang , freuten uns über die Aussicht zum Gegenufer und sahen dort ganz nah die Europäische Zentralbank (EZB) im Rohbau.
Auf Parkbänken ausruhend überraschte uns unser Vorsitzender Bernd Kemter mit der Lesung eines Essays von Christa Wolf über das kurze Leben der begabten und heute als bedeutend anerkannten Romantikerin Karoline von Günderode. Christa Wolf beschreibt, wie dieses weibliche Sich-selbst-leben-wollen zur Selbsttötung der Günderode führte. Das machte uns betroffen und überzeugte auch die männlichen Mitglieder der Gruppe von dem Übel des gesellschaftlich behinderten Lebens der Frauen zur Goethezeit.
Nicht weit entfernt am Ufer aßen wir in der zum gehobenen Gartenlokal ausgebauten Gerbermühle zu Mittag, zum Beispiel die auch von Goethe geliebte Frankfurter Grüne Soße.
Die Gerbermühle ist verknüpft mit der berühmten Marianne von Willemer, der Suleika aus dem West-Östlichen Divan. Über die spannende Beziehungsgeschichte zwischen Marianne und Goethe und dem Bankier Johann Jakob von Willemer, dem die Mühle gehörte, hatten wir bereits daheim in einem Vortrag der Jenaer Literaturwissenschaftlerin Angelika Reimann gehört, Nun hier an einem Ort ihrer Begegnung und beim Vorlesen von Texten aus Dagmar von Gersdorffs Buch „Marianne von Willemer und Goethe“ konnte jeder aus Anschauung und Fantasie den außerordentlichen Charakter dieser Freundschaften erfahren.

Es folgte dann ausgehend vom „Römer“ ein faktenreich geführter Stadtrundgang auf den Frankfurter Lebensspuren der Goethefamilie. So sahen wir zum Beispiel die Gedenktafel für das Haus zum Goldenen Brunnen, dem späten Wohnsitz der Mutter, die Katarinenkirche (Goethes Konfirmationsort ), die Paulskirche – Ort der ersten deutschen Nationalversammlung (ihr Vorläuferbau, die Barfüßerkirche mit Lateinschule war Goethes Schulort) und Standort des großväterlichen im Krieg zerstörten Hotels Weidenhof. Auch den Frankfurter Wohnort der aus Italien eingewanderten Brentanos konnten wir vor einer Einkaufspassage stehend erahnen, hier lebte auch Bettina von Arnim, geborene Brentano, heute anerkannt als die größte Frühromantikerin deutscher Sprache. Zum Abschluß des Tages suchten wir das Willemer-Häuschen, ein Gartenhäuschen im Stadtteil Sachsenhausen auf einem Hügel gelegen auf, einem Begegnungsort Goethes mit Marianne, heute ein restaurierter Treffpunkt für kleine kulturelle Veranstaltungen.

Am nächsten Tag ging es nach Östrich-Winkel, einer alten Weinbaugegend im Rheingau, wo das Brentano-Haus in Winkel heute noch fast im originalen Zustand steht. Eine im Haus wohnende Nachfahrin der Brentanos führte uns und wir genossen die originale Atmosphäre, in der Goethe ein gern gesehener Gast der Familie Brentano war, die er schon aus Frankfurter Zeiten kannte. Viele Gemälde an den Wänden illustrieren die Familiengeschichte und den Freundeskreis mit Porträts. Filigrane gerahmte Scherenschnitte stammen von Bettina Brentano. Am Flügel im Großen Saal wurde auch meisterhaft musiziert, und die Brentanos vermittelten die Annäherung Goethes an Beethoven. Vom großen Saal aus kann man in Goethes Schreibstube und sein Schlafzimmer blicken. Bis heute ist dieses Haus ein beliebter Treffpunkt von Gegenwartskünstlern und auch Politikern.
Auf dem nahen Friedhof entdeckten wir das an der Friedhofsmauer gelegene Grab der Karoline Günderode.

Vom Brentano-Haus aus wandernd und über den Rhein schippernd hat Goethe das Sankt Rochusfest bei Bingen besucht und dies auch beschrieben. Die Rochuskapelle liegt auf einem Hügel und ist noch heute ein Wallfartsort. Wir fuhren dorthin und vorbei am Hildegard von Bingen Forum der Kreutzschwestern mit Hilfe einer Autofähre über den Rhein und unseres Kleinbusses, mit dem uns Busfahrer Jens immer sicher und pünktlich zu all unseren Zielen brachte.

Wieder am Rheinufer in Bingen entdeckten wir das Historische Museum am Strom „Hildegard von Bingen“ und besichtigten es, bis uns der Schaufelraddampfer namens „Goethe“ – wie sonst! – flußabwärts nach St. Goarshausen trug. Diese Rheintour führte am berühmt-berüchtigten Lorelyfelsen vorbei, viele im Chor singend nach den von einer wilden Männertruppe verteilten Texten. Etliche Goethe-Freunde kannten freilich auch den Heine-Text auswendig.

Die letzte Nacht verbrachten wir in Oestrich-Winkel im familiengeführten historischen Gasthof „Schwan“, verwinkelt, aber gemütlich. Am Morgen ging es nach einem Abstecher zur imposanten barocken Schloßanlage Biebrich – ein heißer Tipp unserer Goethefreunde Marianne und Ekkehard Heide – durch Wiesbaden zum Goethe-Stein und Aussichtsturm, einem stadtnahen Ausflugsziel mit weitem Blick in die Main-Ebene. Strahlender Sonnenschein begleitete uns und reife knackige Kirschen lockten am Wegesrand.
Und nicht zuletzt möchte ich von den fröhlichen Abendessen in stilvollen Kneipen berichten, und wenn es passte, sangen wir mit wachsendem Eifer beim Wein alte Lieder bis in die Nacht.
Wieder zu Hause im teilweise überflutet gewesenen Gera bringt die Erinnerung an die schönen Tage den Mut zum Planen weiterer solcher Ausflüge auf, nicht nur um die engen Seelen zu lüften.

Barbara Bodechtel
Juni 2013

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