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…den leidenschaftlichen Zwiespalt zwischen Classikern und Romantikern endlich versöhnen

erstellt am: 06.10.2017 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

Vortrag von Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Frankfurt/Main, am 4. Oktober 2017

Der Bremer Gelehrte Carl Ludwig Iken sandte 1827 einen Geburtstagsbrief an Goethe mit der Bitte, ihm einiges aus dessen Werken zu erläutern. Goethe, indes, gab keine Erläuterungen, sondern gibt Iken Folgendes zu bedenken:
„Da sich gar manches unserer Erfahrungen nicht rund aussprechen und direct mittheilen läßt, so habe ich seit langem das Mittel gewählt, durch einander gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnden Gebilden den geheimeren Sinn dem Anmerkenden zu offenbaren.“
Dies meint Goethe im Hinblick auf seine Farbenlehre. Hier ist der Begriff „entoptisch“ wesentlich. In der Augenheilkunde bedeutet er im Inneren des Auges gelegen. Goethe verwendet diesen Begriff nun als Metapher für eine zwischen Objekt und Subjekt liegende Sphäre, in der Innen- und Außenwelt nicht unterscheidbar sind und auf eine generelle Bedingtheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit verweisen.
„Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, lässt sich niemals von uns erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen. Dies gilt von allen Phänomenen der faßlichen Welt.“
So gibt es auch keinen Graben zwischen Natur und Kunst, dafür einen untrennbaren Zusammenhang.
Zumeist schreibt Iken, Goethe antwortet ganz kurz oder gar nicht. Er reagiert dennoch, indem er handelt oder durch Nachrichten, die er weiter reichen lässt. Ikens Brief ist auch weniger eine Würdigung des Jubilars, der Text gibt eher Ikens Gedanken zum „Helena“-Akt im Faust II wieder; den Akt, den Goethe noch selber publiziert hat.
Im Brief heißt es: „Nun aber Helena! Zwischenspiel zu Faust. Ein wahres Geschenk von Ihrer milden lieben Hand! Zum ersten Mal edle Gracität mit hoher Romantik verbunden, beide verschwistert gehen sie Hand in Hand.“
Goethe antwortet: „Ich zweifelte niemals, daß die Leser, für die ich eigentlich schrieb, den Hauptsinn dieser Darstellung sogleich fassen wird.“
Iken gehörte somit dazu. Der Weise erkennt den Sinn, die Masse des Publikums wohl nicht. Nun ist es an der Zeit, den leidenschaftlichen Zwiespalt zwischen Klassikern und Romantikern endlich zu versöhnen.
Damit kommt der Mailänder Literaturstreit ins Spiel, der somit beigelegt werden soll: der Streit zwischen den am griechischen Altertum orientierten „Classikern“ und den ans Mittelalter gebundenen „Romantikern“. Polemisierte Goethe noch 1816 gegen die romantisierenden „Nazarener“, so enthielt er sich später einer Parteinahme, zog sich ab 1827 auf die Position eines Beobachters zurück. Er erkennt: Aus alter Ordnung entsteht Pedanterie, die zerstört werden muss, bis man merkt, dass man wieder Ordnung schaffen muss. Festhalten am Alten ist verwerflich, wenn es dem Neuen im Wege steht. Es ist immer wieder derselbe Konflikt, und so steht es auch um den Gegensatz zwischen Klassik und Romantik. Es kommt auf den künftigen Ausgleich der Gegensätze an. Alles andere wäre einseitig. Die Klassiker müssten ansonsten hinnehmen, dass ihre Götter zu bloßen Phrasen, die Romantiker, dass ihre Werke zu charakterlosen Produkten verkommen. Beide würden sich gewissermaßen im Nichts begegnen. Also wiederum: Es kommt auf einen tätigen Ausgleich an.
Im „Faust“ ist dieser Konflikt angelegt. Der noch in der „romantischen Nebelwelt“ des Mittelalters befangene Faust, und dies ist bereits im Volksbuch angelegt, muss mit Helena zusammentreffen, die von Goethe nunmehr ganz in die Nähe der klassischen griechischen Tragödie gerückt wird.
Im weiteren Vortrag informierte die Referentin über den Stand des künftigen Romantik-Museums in Frankfurt/Main. Dabei spielt das Freie Deutsche Hochstift eine wichtige Rolle. Das „Freie Deutsche Hochstift für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung“ wurde 1859, am 100. Geburtstag Friedrich Schillers, von etwa fünfzig zumeist Frankfurter Bürgern gegründet. Die politischen Ideale der gescheiterten Revolution von 1848 sollten hier eine ins Geistig-Kulturelle gewendete Heimstatt finden. Initiator war der siebenunddreißigjährige Privatdozent der Geologie Dr. Otto Volger aus Lüneburg, der selbst einst ein aktiver 1848-er gewesen war. Es ist eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und eine gemeinnützige Forschungsinstitution. Sie wird zu gleichen Teilen gefördert von der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main.
Zu ihm gehört als ideeller und anschaulicher Mittelpunkt Goethes Elternhaus am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, Nachlässe von Romantikern (Clemens Brentano) zu sammeln, da Goethes Nachlass sich in Weimar befand. Die Sammlung wuchs. So keimte die Idee für ein Romantik-Museum, wobei der damalige Leiter des Goethehauses, Ernst Beutler, federführend war. Durch die Ankäufe ist das Goethehaus zu einem Zentralarchiv der Brentano-Romantik-Forschung geworden. Wie das Brentano-Stammhaus wurde auch das Goethehaus im Zweiten Weltkrieg zerstört. Dennoch gab Beutler die Idee eines Romantik-Museums nicht auf, zumal nunmehr viele Manuskripte von Romantikern vorlagen: beispielsweise von den Arnims, Brentano, Chamisso, Eichendorff, Fouque, der Günderrode, den Schlegels, und vor allem von Novalis.
Es ergab sich die einzigartige Chance, als neben dem Goethehaus ein Grundstück frei wurde, da der Börsenverein umgezogen war. Häuser und Grundstücke gehörten der Stadt. Sie fragte bei der Leitung des Goethehauses nach, da nachbarschaftliche Rechte bestanden. So wurde die Idee des Romantik-Museums wieder aufgegriffen. Dabei sieht der nunmehrige ausgewählte, entlang des Hirschgrabens kleinteilig entwickelte Projektentwurf vor, dass das Goethehaus auch Räume für Wechselausstellungen und die museumspädagogische Arbeit erhält. Zugleich bleibt der kleine Garten im hinteren Bereich erhalten.
Weitere Museen in Deutschland, die sich dem romantischen Erbe verpflichtet fühlen, bedienen nur Teilaspekte dieser Epoche. Romantik in Gänze darzustellen, diese Absicht wird man in Frankfurt verfolgen. Das Museum soll im Frühjahr 2020 fertiggestellt sein.

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